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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 17.10.1989
Aktenzeichen: 109/88
Rechtsgebiete: EG, EWG, RL 75/117


Vorschriften:

EG Art. 234
EWG Art. 177
RL 75/117 Art. 1
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Ein tarifvertragliches Schiedsgericht, das nach dem Gesetz den Streit zwischen Parteien von Tarifverträgen, die zwischen Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden geschlossen wurden, letztinstanzlich entscheidet, ist in Anbetracht dessen, daß es von einer der Parteien angerufen werden kann, so daß seine Zuständigkeit nicht von dem Einvernehmen der Parteien abhängt, und daß die Parteien nicht frei über seine Zusammensetzung bestimmen können, als ein Gericht eines Mitgliedstaats im Sinne des Artikels 177 EWG-Vertrag anzusehen.

2. Die Richtlinie 75/117 ist wie folgt auszulegen : Wenn in einem Unternehmen ein Entlohnungssystem angewandt wird, dem jede Durchschaubarkeit fehlt, obliegt dem Arbeitgeber der Nachweis, daß seine Lohnpolitik nicht diskriminierend ist, sofern der weibliche Arbeitnehmer auf der Grundlage einer relativ grossen Zahl von Arbeitnehmern belegt, daß das durchschnittliche Entgelt der weiblichen Arbeitnehmer niedriger ist als das der männlichen Arbeitnehmer.

Ergibt sich, daß die Anwendung von Zulagekriterien wie Flexibilität, Berufsausbildung oder Anciennität des Arbeitnehmers die weiblichen Arbeitnehmer systematisch benachteiligt, so

kann der Arbeitgeber die Anwendung des Kriteriums der Flexibilität rechtfertigen, wenn es so verstanden wird, daß es sich auf die Anpassungsfähigkeit an unterschiedliche Arbeitszeiten und -orte bezieht, indem er dargelegt, daß diese Anpassungsfähigkeit für die Ausführung der dem Arbeitnehmer übertragenen spezifischen Aufgaben von Bedeutung ist, nicht aber, wenn dieses Kriterium so verstanden wird, daß es die Qualität der vom Arbeitnehmer verrichteten Arbeit umfasst; er kann ferner die Anwendung des Kriteriums der Berufsausbildung rechtfertigen, indem er darlegt, daß diese Ausbildung für die Ausführung der dem Arbeitnehmer übertragenen spezifischen Aufgaben von Bedeutung ist; er braucht die Anwendung des Kriteriums der Anciennität nicht besonders zu rechtfertigen, da diese mit der Berufserfahrung einhergeht, die den Arbeitnehmer im allgemeinen befähigt, seine Arbeit besser zu verrichten.


URTEIL DES GERICHTSHOFES VOM 17. OKTOBER 1989. - HANDELS- OG KONTORFUNKTIONAERERNES FORBUND I DANMARK GEGEN DANSK ARBEJDSGIVERFORENING FOR DANFOSS. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: FAGLIGE VOLDGIFTSRET - DAENEMARK. - SOZIALPOLITIK - GLEICHES ENTGELT FUER MAENNER UND WEIBLICHE ARBEITNEHMER. - RECHTSSACHE 109/88.

Entscheidungsgründe:

1 Ein Faglig voldgiftsret ( dänisches Schiedsgericht zur Auslegung von Tarifverträgen ) hat mit Beschluß vom 12. Oktober 1987, beim Gerichtshof eingegangen am 5. April 1988, gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag mehrere Fragen nach der Auslegung der Richtlinie 75/117 des Rates vom 10. Februar 1975 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen ( ABl. L 45, S. 19, im folgenden : Richtlinie 75/117 ) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen der dänischen Gewerkschaft der kaufmännischen und Büroangestellten ( Handels - og Kontorfunktionärernes Forbund i Danmark, im folgenden : Klägerin ) und dem dänischen Arbeitgeberverband ( Dansk Arbejdsgiverforening, im folgenden : Beklagter ), der für die Danfoß A/S auftritt. Nach Auffassung der Klägerin bewirkt die Lohnpolitik der Danfoß A/S eine geschlechtsbedingte Diskriminierung und verstösst daher gegen § 1 des dänischen Gesetzes Nr. 237 vom 5. Mai 1986 zur Durchführung der Richtlinie 75/117.

3 Die Danfoß A/S gewährt den Arbeitnehmern, die in derselben Lohngruppe sind, denselben Grundlohn. Gestützt auf die ihr durch § 9 des Tarifvertrags vom 9. März 1983 zwischen dem Beklagten und der Klägerin vom 9. März 1983 eingeräumte Möglichkeit, gewährt sie jedoch ihren Arbeitnehmern individuelle Zulagen insbesondere nach Maßgabe ihrer Flexibilität, ihrer Berufsausbildung und ihrer Anciennität.

4 Im Ausgangsverfahren hatte die Klägerin die Danfoß A/S ein erstes Mal vor dem tarifvertraglichen Schiedsgericht verklagt und sich für zwei weibliche Angestellte, eine aus dem Labor und eine aus dem Lager, auf den Grundsatz des gleichen Entgelts berufen. Sie stützte ihre Klage darauf, daß innerhalb dieser beiden Lohngruppen das durchschnittliche Entgelt der männlichen Arbeitnehmer über dem der weiblichen Arbeitnehmer gelegen habe. In seinem Beschluß vom 16. April 1985 vertrat das tarifvertragliche Schiedsgericht jedoch die Auffassung, die Klägerin habe angesichts der geringen Zahl der Arbeitnehmer, auf deren Entgelt die Berechnungen gestützt worden waren, keinen Nachweis für eine Diskriminierung erbracht. Die Klägerin erhob darauf eine erneute Klage und legte ausführlichere Statistiken über die an 157 Arbeitnehmer zwischen 1982 und 1986 gezahlten Entgelte vor, wonach das durchschnittliche Entgelt der männlichen Arbeitnehmer um 6,85 % höher ist als das der weiblichen Arbeitnehmer.

5 Aufgrund dessen hat das tarifvertragliche Schiedsgericht das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen nach der Auslegung der Richtlinie 75/117 zur Vorabentscheidung vorgelegt :

"1 a ) Trägt in dem Fall, daß ein männlicher und ein weiblicher Arbeitnehmer die gleiche oder eine gleichwertige Arbeit verrichten, der Arbeitgeber oder der Arbeitnehmer die Beweislast dafür, daß eine unterschiedliche Entlohnung der beiden Arbeitnehmer auf geschlechtsspezifische Faktoren zurückzuführen ist?

1 b ) Verstösst es gegen die Richtlinie 75/117, wenn männlichen Arbeitnehmern, die die gleiche oder eine gleichwertige Arbeit wie weibliche Arbeitnehmer verrichten, allein unter Hinweis auf subjektive Kriterien - z. B. die Flexibilität des Mitarbeiters - ein höheres Entgelt gezahlt wird?

2 a ) Verbietet es die Richtlinie, Arbeitnehmern unterschiedlichen Geschlechts, die die gleiche oder eine gleichwertige Arbeit verrichten, über den Grundlohn der Branche hinaus besondere Zulagen für die Anciennität, eine besondere Ausbildung u. a. zu zahlen?

2 b ) Inwieweit kann ein Unternehmen, falls die Frage 2 a bejaht wird, eine Lohndifferenzierung zwischen den einzelnen Mitarbeitern vornehmen, ohne die Richtlinie zu übertreten?

2 c ) Verbietet es die Richtlinie, Arbeitnehmer unterschiedlichen Geschlechts, die die gleiche oder eine gleichwertige Arbeit verrichten, unter Hinweis auf eine unterschiedliche Berufsausbildung unterschiedlich zu entlohnen?

3 a ) Kann ein Arbeitnehmer oder eine Gewerkschaft durch den Nachweis, daß ein Unternehmen, das eine grössere Zahl von Arbeitnehmern ( z. B. mindestens 100 ) mit der gleichen oder einer gleichwertigen Arbeit beschäftigt, Frauen im Durchschnitt niedriger entlohnt als Männer, feststellen, daß hierdurch gegen die Richtlinie verstossen wird?

3 b ) Hat eine Bejahung der Frage 3 a zur Folge, daß die beiden Arbeitnehmergruppen ( Männer und Frauen ) durchschnittlich das gleiche Entgelt erhalten müssen?

4 a ) Führt die etwaige Feststellung, daß ein Unterschied in der Entlohnung einer Arbeit darauf zurückzuführen ist, daß die beiden Arbeitnehmer unter verschiedene Tarifverträge fallen, dazu, daß die Richtlinie keine Anwendung findet?

4 b ) Spielt es bei der Beurteilung dieser Frage eine Rolle, ob zudem auf den beiden Tarifvertragsgebieten ganz oder ganz überwiegend jeweils männliche bzw. weibliche Arbeitnehmer beschäftigt werden?"

6 Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts des Ausgangsverfahrens sowie des Verfahrensablaufs und der beim Gerichtshof eingereichten Erklärungen wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt ist im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

Zum Gerichtscharakter des tarifvertraglichen Schiedsgerichts

7 Zur Frage, ob das tarifvertragliche Schiedsgericht als Gericht eines Mitgliedstaats im Sinne des Artikels 177 EWG-Vertrag anzusehen ist, ist zunächst hervorzuheben, daß gemäß § 22 des dänischen Gesetzes Nr. 317 vom 13. Juni 1973 über das Arbeitsgericht Streitigkeiten zwischen Tarifvertragsparteien den von dem Beklagten und der Klägerin aufgestellten Regeln für die Behandlung tarifvertraglicher Streitigkeiten unterliegen, falls besondere Bestimmungen in den Tarifverträgen fehlen. Es handelt sich demnach um ein tarifvertragliches Schiedsgericht, das den Streit letztinstanzlich entscheidet. Dieses Gericht kann von einer der Parteien angerufen werden, ohne daß es hierfür der Zustimmung der anderen Partei bedarf. Die Zuständigkeit des Gerichts hängt folglich nicht von dem Einvernehmen der Parteien ab.

8 Ausserdem legt § 22 des erwähnten Gesetzes die Zusammensetzung des Gerichts fest, namentlich die Zahl der von den Parteien zu bestellenden Mitglieder sowie die Bestellung des Obmanns, falls die Parteien sich hierüber nicht einigen. Die Parteien können somit nicht frei über die Zusammensetzung des Schiedsgerichts bestimmen.

9 Unter diesen Umständen ist das tarifvertragliche Schiedsgericht als ein Gericht eines Mitgliedstaats im Sinne des Artikels 177 EWG-Vertrag anzusehen.

Zur Beweislast ( Fragen 1 a und 3 a )

10 Wie sich aus den Akten ergibt, beruht der Rechtsstreit zwischen den Parteien des Ausgangsverfahrens darauf, daß das System der individuellen Zulagen zu den Mindestlöhnen so gestaltet ist, daß es einem weiblichen Arbeitnehmer unmöglich ist, die Ursachen für einen Unterschied zwischen seinem Entgelt und dem Entgelt eines männlichen Arbeitnehmers, der die gleiche Arbeit ausübt, darzulegen. Die Arbeitnehmer wissen nämlich nicht, welche Zulagekriterien auf sie angewandt werden und wie dies geschieht. Sie erfahren nur den Betrag des erhöhten Lohns, ohne daß sie die Auswirkung der einzelnen Zulagekriterien feststellen können. Arbeitnehmern einer bestimmten Lohngruppe ist es daher unmöglich, die verschiedenen Bestandteile ihres Lohns mit denen des Lohns ihrer Kollegen zu vergleichen, die derselben Lohngruppe angehören.

11 Unter diesen Umständen sind die Fragen des vorlegenden Gerichts dahin zu verstehen, ob die Richtlinie 75/117 in dem Sinne auszulegen ist, daß, wenn in einem Unternehmen ein Entlohnungssystem angewandt wird, dem jede Durchschaubarkeit fehlt, dem Arbeitgeber der Nachweis obliegt, daß seine Lohnpolitik nicht diskriminierend ist, sofern der weibliche Arbeitnehmer auf der Grundlage einer relativ grossen Zahl von Arbeitnehmern belegt, daß das durchschnittliche Entgelt der weiblichen Arbeitnehmer niedriger ist als das der männlichen Arbeitnehmer.

12 Dazu ist zunächst daran zu erinnern, daß der Gerichtshof im Urteil vom 30. Juni 1988 in der Rechtssache 318/86 ( Kommission/Frankreich, Slg. 1988, 3559, Randnr. 27 ) ein Einstellungssystem, dem es an Durchschaubarkeit mangelt, als Verstoß gegen den Grundsatz des gleichen Zugangs zur Beschäftigung verworfen hat, da diese mangelnde Durchschaubarkeit jede Nachprüfung seitens der nationalen Gerichte unmöglich macht.

13 Wenn eine System individueller Lohnzulagen streitig ist, dem jede Durchschaubarkeit fehlt, können die weiblichen Arbeitnehmer ausserdem nur einen Unterschied zwischen durchschnittlichen Entgelten nachweisen. Ihnen stuende kein wirksames Mittel zur Verfügung, um die Einhaltung des Grundsatzes des gleichen Entgelts vor den nationalen Gerichten durchzusetzen, wenn dieser Nachweis nicht dazu führen würde, dem Arbeitgeber die Beweislast dafür aufzuerlegen, daß seine Lohnpolitik in Wirklichkeit nicht diskriminierend ist.

14 Schließlich müssen die Mitgliedstaaten nach Artikel 6 der Richtlinie 75/117 nach Maßgabe ihrer innerstaatlichen Verhältnisse und ihrer Rechtssysteme die Maßnahmen treffen, die erforderlich sind, um die Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts zu gewährleisten. Das Bemühen um Effektivität, das der Richtlinie 75/117 zugrunde liegt, muß dazu führen, diese dahin auszulegen, daß sie Änderungen der nationalen Beweislastregeln in den Sonderfällen impliziert, in denen solche Änderungen für die wirksame Durchführung des Gleichheitsgrundsatzes unerläßlich sind.

15 Der Arbeitgeber muß zum Beweis dafür, daß seine Lohnpolitik die weiblichen Arbeitnehmer nicht systematisch benachteiligt, angeben, wie er die Zulagekriterien angewandt hat, und wird auf diese Weise dazu veranlasst, sein Entlohnungssystem durchschaubar zu machen.

16 Daher ist auf die Fragen 1 a und 3 a zu antworten, daß die Richtlinie 75/117 in dem Sinne auszulegen ist, daß, wenn in einem Unternehmen ein Entlohnungssystem angewandt wird, dem jede Durchschaubarkeit fehlt, dem Arbeitgeber der Nachweis obliegt, daß seine Lohnpolitik nicht diskriminierend ist, sofern der weibliche Arbeitnehmer auf der Grundlage einer relativ grossen Zahl von Arbeitnehmern belegt, daß das durchschnittliche Entgelt der weiblichen Arbeitnehmer niedriger ist als das der männlichen Arbeitnehmer.

Zur Rechtmässigkeit der streitigen Zulagekriterien ( Fragen 1 b, 2 a und 2 c )

17 Diese Fragen gehen im wesentlichen dahin, ob die Richtlinie in dem Sinne auszulegen ist, daß dann, wenn sich ergibt, daß die Anwendung von Zulagekriterien wie Flexibilität, Berufsausbildung oder Anciennität des Arbeitnehmers die weiblichen Arbeitnehmer systematisch benachteiligt, der Arbeitgeber ihre Anwendung gleichwohl rechtfertigen kann, und unter welchen Voraussetzungen er dies tun kann. Für die Beantwortung dieser Frage ist jedes dieser Kriterien getrennt zu prüfen.

18 Was erstens das Kriterium der Flexibilität angeht, so geht aus den Akten nicht eindeutig hervor, welche Bedeutung ihm beizumessen ist. Der Beklagte hat in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, daß die Bereitschaft, zu unterschiedlichen Zeiten zu arbeiten, an sich keine Lohnzulage rechtfertige. Der Arbeitgeber bewerte bei der Anwendung dieses Kriteriums ganz allgemein die Qualität der von seinen Arbeitnehmern geleisteten Arbeit. Dabei berücksichtige er insbesondere ihren Arbeitseifer, ihre Initiative und das erledigte Arbeitsvolumen.

19 Unter diesen Umständen ist danach zu unterscheiden, ob das Kriterium der Flexibilität angewandt wird, um die Qualität der vom Arbeitnehmer geleisteten Arbeit zu vergüten, oder ob es dazu dient, die Anpassungsfähigkeit des Arbeitnehmers an unterschiedliche Arbeitszeiten und -orte zu vergüten.

20 Im ersten Fall ist das Kriterium der Flexibilität unbestreitbar völlig geschlechtsneutral. Es kann die weiblichen Arbeitnehmer nur dann systematisch benachteiligen, wenn der Arbeitgeber es mißbräuchlich anwendet. Es ist nämlich nicht denkbar, daß die von weiblichen Arbeitnehmern geleistete Arbeit allgemein von geringerer Qualität wäre. Der Arbeitgeber kann daher die Anwendung des so verstandenen Kriteriums der Flexibilität nicht rechtfertigen, wenn sie sich als systematische Benachteiligung der Frauen erweist.

21 Anders ist es im zweiten Fall. Wird dieser so verstanden, daß er die Anpassungsfähigkeit der Arbeitnehmer an unterschiedliche Arbeitszeiten und -orte umfasst, so kann das Kriterium der Flexibilität die weiblichen Arbeitnehmer auch benachteiligen, die aufgrund der häufig ihnen obliegenden Aufgaben in Haushalt und Familie ihre Arbeitszeit weniger leicht als männliche Arbeitnehmer flexibel gestalten können.

22 Im Urteil vom 13. Mai 1986 in der Rechtssache 170/84 ( Bilka, Slg. 1986, 1607 ) hat der Gerichtshof festgestellt, daß die Politik eines Unternehmens, Vollzeitbeschäftigte insgesamt höher zu entlohnen als von den betrieblichen Versorgungsleistungen ausgeschlossene Teilzeitbeschäftigte, angesichts der für weibliche Arbeitnehmer bestehenden Schwierigkeiten, als Vollzeitbeschäftigte zu arbeiten, eine wesentlich grössere Anzahl Frauen als Männer betreffen kann. Er hat gleichwohl entschieden, daß kein Verstoß gegen Artikel 119 EWG-Vertrag vorliegt, wenn das Unternehmen in der Lage ist darzulegen, daß seine Lohnpolitik auf Faktoren beruht, die objektiv gerechtfertigt sind und nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben. Diese Überlegungen gelten auch im Falle einer Lohnpolitik, durch die die Anpassungsfähigkeit des Arbeitnehmers an unterschiedliche Arbeitszeiten und -orte besonders vergütet wird. Der Arbeitgeber kann also die Vergütung einer solchen Anpassungsfähigkeit rechtfertigen, indem er darlegt, daß diese für die Ausführung der dem Arbeitnehmer übertragenen spezifischen Aufgaben von Bedeutung ist.

23 Was zweitens das Kriterium der Berufsausbildung angeht, so ist nicht ausgeschlossen, daß es die weiblichen Arbeitnehmer benachteiligen kann, soweit diese weniger Möglichkeiten hatten, eine so gründliche Berufsausbildung zu erwerben wie die männlichen Arbeitnehmer, oder diese Möglichkeiten in geringerem Masse genutzt haben. In Anbetracht der in dem erwähnten Urteil vom 13. Mai 1986 dargelegten Erwägungen kann der Arbeitgeber jedoch die Vergütung einer besonderen Berufsausbildung rechtfertigen, indem er darlegt, daß diese Ausbildung für die Ausführung der dem Arbeitnehmer übertragenen spezifischen Aufgaben von Bedeutung ist.

24 Was drittens das Kriterium der Anciennität angeht, ist ebenfalls nicht ausgeschlossen, daß es, wie das der Berufsausbildung, zu einer Benachteiligung der weiblichen Arbeitnehmer gegenüber den männlichen Arbeitnehmern führen kann, soweit die Frauen weniger lange auf dem Arbeitsmarkt sind als die Männer oder ihre Berufstätigkeit häufiger unterbrechen müssen. Da jedoch die Anciennität mit der Berufserfahrung einhergeht und diese den Arbeitnehmer im allgemeinen befähigt, seine Arbeit besser zu verrichten, steht es dem Arbeitgeber frei, die Anciennität bei der Entlohnung zu berücksichtigen, ohne daß er ihre Bedeutung für die Ausführung der dem Arbeitnehmer übertragenen spezifischen Aufgaben darlegen muß.

25 Unter diesen Umständen ist auf die Fragen 1 b, 2 a und 2 c zu antworten, daß die Richtlinie 75/117 wie folgt auszulegen ist : Ergibt sich, daß die Anwendung von Zulagekriterien wie Flexibilität, Berufsausbildung oder Anciennität des Arbeitnehmers die weiblichen Arbeitnehmer systematisch benachteiligt, so

- kann der Arbeitgeber die Anwendung des Kriteriums der Flexibilität rechtfertigen, wenn es so verstanden wird, daß es sich auf die Anpassungsfähigkeit an unterschiedliche Arbeitszeiten und -orte bezieht, indem er darlegt, daß diese Anpassungsfähigkeit für die Ausführung der dem Arbeitnehmer übertragenen spezifischen Aufgaben von Bedeutung ist, nicht aber, wenn dieses Kriterium so verstanden wird, daß es die Qualität der vom Arbeitnehmer verrichteten Arbeit umfasst;

- kann der Arbeitgeber die Anwendung des Kriteriums der Berufsausbildung rechtfertigen, indem er darlegt, daß diese Ausbildung für die Ausführung der dem Arbeitnehmer übertragenen spezifischen Aufgaben von Bedeutung ist;

- braucht der Arbeitgeber die Anwendung des Kriteriums der Anciennität nicht besonders zu rechtfertigen.

Zu der Frage, wie der Arbeitgeber beim Arbeitsentgelt rechtmässig zwischen seinen Arbeitnehmern differenzieren kann ( Frage 2 b )

26 Da sich aus den Antworten auf die Fragen zur Rechtmässigkeit der streitigen Zulagekriterien ( Fragen 1 b, 2 a und 2 c ) ergibt, wie die Rechtmässigkeit dieser Zulagekriterien nach dem Gemeinschaftsrecht zu beurteilen ist, ist die Frage, wie der Arbeitgeber beim Arbeitsentgelt rechtmässig zwischen seinen Arbeitnehmern differenzieren kann, gegenstandslos.

Zur Auswirkung des Bestehens von zwei verschiedenen Tarifverträgen ( Frage 4 )

27 Mit dieser Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob das Bestehen von zwei verschiedenen Tarifverträgen, die im wesentlichen auf männliche beziehungsweise weibliche Arbeitnehmer Anwendung finden, die Anwendung der Richtlinie 75/117 ausschließt.

28 Dazu ist darauf hinzuweisen, daß nach dem Vorlagebeschluß selbst im vorliegenden Fall nur der erwähnte Tarifvertrag vom 9. März 1983 streitig ist. Die Parteien des Ausgangsverfahrenshaben dies im übrigen in der mündlichen Verhandlung bestätigt. Daher braucht die vom vorlegenden Gericht gestellte Frage 4 nicht beantwortet zu werden.

Kostenentscheidung:

Kosten

29 Die Auslagen der dänischen, der portugiesischen und der italienischen Regierung, des Vereinigten Königreichs sowie der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die Erklärungen vor dem Gerichtshof abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit. Die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

auf die ihm von einem tarifvertraglichen Schiedsgericht mit Beschluß vom 12. Oktober 1987 vorgelegten Fragen für Recht erkannt :

Die Richtlinie 75/117 des Rates vom 10. Februar 1975 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen ist wie folgt auszulegen :

1 ) Wenn in einem Unternehmen ein Entlohnungssystem angewandt wird, dem jede Durchschaubarkeit fehlt, obliegt dem Arbeitgeber der Nachweis, daß seine Lohnpolitik nicht diskriminierend ist, sofern der weibliche Arbeitnehmer auf der Grundlage einer relativ grossen Zahl von Arbeitnehmern belegt, daß das durchschnittliche Entgelt der weiblichen Arbeitnehmer niedriger ist als das der männlichen Arbeitnehmer.

2 ) Ergibt sich, daß die Anwendung von Zulagekriterien wie Flexibilität, Berufsausbildung oder Anciennität des Arbeitnehmers die weiblichen Arbeitnehmer systematisch benachteiligt, so

- kann der Arbeitgeber die Anwendung des Kriteriums der Flexibilität rechtfertigen, wenn es so verstanden wird, daß es sich auf die Anpassungsfähigkeit an unterschiedliche Arbeitszeiten und -orte bezieht, indem er dargelegt, daß diese Anpassungsfähigkeit für die Ausführung der dem Arbeitnehmer übertragenen spezifischen Aufgaben von Bedeutung ist, nicht aber, wenn dieses Kriterium so verstanden wird, daß es die Qualität der vom Arbeitnehmer verrichteten Arbeit umfasst;

- kann der Arbeitgeber die Anwendung des Kriteriums der Berufsausbildung rechtfertigen, indem er darlegt, daß diese Ausbildung für die Ausführung der dem Arbeitnehmer übertragenen spezifischen Aufgaben von Bedeutung ist;

- braucht der Arbeitgeber die Anwendung des Kriteriums der Anciennität nicht besonders zu rechtfertigen.

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