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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 03.03.1988
Aktenzeichen: 116/86
Rechtsgebiete:


Vorschriften:

Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Vorschriften einer Richtlinie, die eine frühere Richtlinie ändern, müssen durch zwingende innerstaatliche Vorschriften mit derselben Bedeutung wie die anläßlich der ersten Umsetzung erlassenen und zu ändernden Vorschriften umgesetzt werden.

Eine blosse Verwaltungspraxis, die die Verwaltung naturgemäß beliebig ändern kann und die nur unzureichende Publizität genießt, kann nämlich nicht als rechtswirksame Erfuellung der Verpflichtung angesehen werden, die Artikel 189 EWG-Vertrag den Mitgliedstaaten, an die eine Richtlinie gerichtet ist, auferlegt.

Unklare Rechtsvorschriften, durch die die betroffenen Normadressaten über ihre Möglichkeiten, sich auf das Gemeinschaftsrecht zu berufen, im ungewissen gelassen werden, stellen keine korrekte Durchführung dar.


URTEIL DES GERICHTSHOFES VOM 3. MAERZ 1988. - KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN GEGEN ITALIENISCHE REPUBLIK. - UNTERLASSENE UMSETZUNG EINER RICHTLINIE BETREFFEND BRUCELLOSE. - RECHTSSACHE 116/86.

Entscheidungsgründe:

1 Mit Klageschrift, die am 20. Mai 1986 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, hat die Kommission der Europäischen Gemeinschaften gemäß Artikel 169 EWG-Vertrag Klage erhoben auf Feststellung, daß die Italienische Republik gegen ihre Verpflichtungen aus dem EWG-Vertrag verstossen hat, indem sie nicht innerhalb der festgesetzten Frist die erforderlichen Vorschriften erlassen hat, um der Richtlinie 79/109/EWG des Rates vom 24. Januar 1979 ( ABl. L 29, S. 20 ) zur Änderung betreffend Brucellose der Richtlinie 64/432/EWG des Rates vom 26. Juni 1964 zur Regelung viehseuchenrechtlicher Fragen beim innergemeinschaftlichen Handelsverkehr mit Rindern und Schweinen ( ABl. L 121, S. 1977 ), zuletzt geändert durch die Richtlinie 77/98/EWG des Rates vom 21. Dezember 1976 ( ABl. 1977, L 26, S. 81 ), nachzukommen.

2 Die mit der Richtlinie 79/109/EWG vorgenommenen Änderungen der Richtlinie 64/432/EWG bestehen im wesentlichen in der Einführung von Vorschriften über brucellosefreie Gebiete sowie von neuen Methoden der viehseuchenrechtlichen Kontrolle für den Nachweis von Brucellose bei für den innergemeinschaftlichen Handelsverkehr bestimmten Rindern. Gemäß Artikel 10 dieser Richtlinie erlassen die Mitgliedstaaten die erforderlichen Rechts - und Verwaltungsvorschriften, um dieser Richtlinie zum 1. April 1979 nachzukommen, und setzen die Kommission unverzueglich davon in Kenntnis.

3 Da die Kommission von der italienischen Regierung in der festgesetzten Frist keine Mitteilung über Maßnahmen zur Umsetzung der streitigen Richtlinie erhalten hatte und da sie über keine andere Information verfügte, aus der sie hätte schließen können, daß die italienische Regierung ihre Verpflichtung zum Erlaß der erforderlichen Vorschriften erfuellt hätte, forderte sie die italienische Regierung mit Schreiben vom 10. August 1984 auf, sich binnen zwei Monaten dazu zu äussern. Nach Prüfung der am 18. Oktober 1984 per Telex von der italienischen Regierung übermittelten Äusserungen gab die Kommission am 16. Dezember 1985 eine mit Gründen versehene Stellungnahme ab, die unbeantwortet blieb. Daraufhin hat die Kommission die vorliegende Klage wegen Vertragsverletzung erhoben.

4 Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts, des Verfahrensablaufs und des Parteivorbringens wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt wird im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

Zum Streitgegenstand

5 Auf Aufforderung des Gerichtshofes hat die italienische Regierung am 30. April 1987 eine vergleichende Übersicht vorgelegt, in der den Vorschriften der Richtlinie 79/109/EWG die ihnen angeblich entsprechenden nationalen Rechtsnormen gegenübergestellt sind. Im Hinblick auf diese Übersicht hat die Kommission mit Schreiben vom 29. Mai 1987 präzisiert, in welchen konkreten Punkten die Richtlinie ihrer Ansicht nach nicht in nationales Recht umgesetzt worden ist. Weitere Präzisierungen haben die Parteien in der mündlichen Verhandlung vorgetragen.

6 Aus all diesen Präzisierungen ergibt sich, daß die Kommission die in ihrer Klageschrift enthaltenen allgemeinen Anträge nicht aufrechterhält und nur noch an bestimmten enger begrenzten Rügen festhält, die daher den Gegenstand des Rechtsstreits bilden.

7 Die Kommission bemerkt insoweit einleitend, daß die Durchführung der streitigen Richtlinie zwei Aspekte aufweise, nämlich

a ) die Verpflichtung jedes Mitgliedstaats, seine Rechtsnormen über die Kontrolle seiner eigenen Exporte an das gemeinschaftsrechtlich vorgesehene Niveau anzupassen, und

b ) die Verpflichtung, die Einfuhr von Tieren zuzulassen, die aus anderen Mitgliedstaaten stammten und folglich den harmonisierten Kontrollen unterworfen worden seien.

Zum ersten Gesichtspunkt meint die Kommission, daß die italienischen Rechtsvorschriften der Richtlinie genügten, da die fehlende Umsetzung einiger ihrer Vorschriften, mit Ausnahme der Artikel 6, 7 und 8, nicht gegen die Richtlinie verstosse. Zum zweiten Gesichtspunkt ist die Kommission der Auffassung, daß die Richtlinie hinsichtlich der Einfuhren aus anderen Mitgliedstaaten nicht wirksam durchgeführt worden sei.

8 Im folgenden sind die einzelnen Rügen der Kommission zu untersuchen.

Zu Artikel 6 der Richtlinie 79/109/EWG

9 Zur Umsetzung des Artikels 6 bemerkt die Kommission, daß Artikel 6 Buchstabe b zweiter Gedankenstrich, der die Verwendung eines neuen Impfstoffs erlaube, keine Entsprechung in den von der italienischen Regierung angeführten nationalen Rechtsnormen finde. Die Rüge der Kommission betrifft daher nur Artikel 6 Buchstabe b zweiter Gedankenstrich.

10 Hierzu ist festzustellen, daß die italienische Regierung in der mündlichen Verhandlung eingeräumt hat, Artikel 6 Buchstabe b zweiter Gedankenstrich der Richtlinie, der die Einführung des abgetöteten, mit einem Hilfsmittel versehenen 45/20-Impfstoffs betrifft, nicht in innerstaatliches Recht umgesetzt zu haben; dieser Impfstoff sei nämlich noch nicht registriert und befinde sich daher im Staatsgebiet der Italienischen Republik noch nicht im Handel.

11 Da dies nicht erheblich ist, ist die Rüge der Kommission begründet.

Zu den Artikeln 7 und 8 der Richtlinie 79/109/EWG

12 Aus der von der italienischen Regierung vorgelegten vergleichenden Übersicht ergibt sich, daß diese beiden Artikel, die mit dem Lebendimpfstoff Buck 19 geimpfte Rinder betreffen, die als amtlich anerkannt brucellosefrei gelten, Gegenstand der Verwaltungsrundschreiben Nr. 25 vom 23. Juni 1981 und Nr. 32 vom 30. April 1986 waren, die das Rundschreiben Nr. 65 vom 16. April 1979 ergänzen, und daß darüber hinaus keine Rechts - oder Verwaltungsvorschriften erlassen worden sind, um diese Artikel in italienisches Recht umzusetzen.

13 Die Beklagte bezieht sich auf das Gesetz Nr. 397 vom 30. April 1976, mit dem die frühere Richtlinie 64/432/EWG in italienisches Recht umgesetzt worden war, und macht geltend, daß die fraglichen Rundschreiben nicht gegen dieses Gesetz verstießen, sondern lediglich seine - ergänzende - Durchführung auf praktischer Ebene darstellten.

14 Hierzu ist zu bemerken, daß mit den beiden streitigen Artikeln der Richtlinie 79/109/EWG bestimmte Vorschriften der Anlagen zur Richtlinie 64/432/EWG geändert worden sind; da letztere mit ihren Anlagen mit dem Gesetz Nr. 397 vom 30. April 1976 in innerstaatliches Recht umgesetzt worden ist, müssen auch die streitigen Artikel der Richtlinie 79/109/EWG durch zwingende innerstaatliche Vorschriften mit derselben rechtlichen Bedeutung wie die zu ändernden Rechtsvorschriften in nationales Recht umgesetzt werden.

15 Insoweit ist daran zu erinnern, daß nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes eine blosse Verwaltungspraxis, die die Verwaltung naturgemäß beliebig ändern kann und die nur unzureichende Publizität genießt, nicht als rechtswirksame Erfuellung der Verpflichtung angesehen werden kann, die Artikel 189 EWG-Vertrag den Mitgliedstaaten, an die eine Richtlinie gerichtet ist, auferlegt.

16 Die Rügen hinsichtlich der unterlassenen Umsetzung der Artikel 7 und 8 der Richtlinie sind also begründet.

Zur Durchführung der Richtlinie bezueglich der Einfuhren aus anderen Mitgliedstaaten

17 Artikel 1 der Richtlinie 79/109/EWG definiert den Begriff "Gebiet", und ihre Artikel 2 und 4 erlauben es den Mitgliedstaaten, die Brucellose-Kontrollen in "einem aus mehreren zusammenhängenden Gebieten bestehenden Teil eines Mitgliedstaats" in bestimmten Fällen und nach bestimmten Verfahren zu erleichtern. Artikel 3 sieht unter bestimmten Bedingungen die Möglichkeit vor, als Kontrollmethoden für die Feststellung, ob es sich um einen "amtlich anerkannten brucellosefreien Rinderbestand" handelt, drei Kannenmilch-Ringtests wie auch einen gepufferten Brucella-Antigen-Test durchzuführen. Artikel 5 in Verbindung mit Artikel 9 der Richtlinie sieht schließlich vor, daß wahlweise einer von vier serologischen Tests durchgeführt werden kann, nämlich die Blutserumagglutination, der gepufferte Brucella-Antigen-Test, die Blutplasmaagglutination oder der Blutplasma-Milchringtest.

18 Die Kommission trägt im wesentlichen vor, zwar verstosse die fehlende Umsetzung der obigen Vorschriften der Richtlinie insofern nicht gegen die Verpflichtungen der Italienischen Republik aus der Richtlinie, als diese nicht verpflichtet sei, alle Methoden für die in ihrem Staatsgebiet durchgeführten Kontrollen der zum Export bestimmten Rinder zuzulassen, sie verstosse aber gegen die sich aus der Richtlinie ergebenden Verpflichtungen in bezug auf die Einfuhr von Rindern aus den oben erwähnten Gebieten. Die italienischen Rechtsvorschriften erlaubten nämlich wegen der fehlenden Umsetzung nicht die Einfuhr von Rindern, denen Bescheinigungen über Kontrollen beigefügt seien, die nach Methoden durchgeführt worden seien, die andere Mitgliedstaaten - aufgrund der in der Richtlinie vorgesehenen Wahlmöglichkeit - im Unterschied zu Italien zugelassen hätten. Es sei daher eine Rechtsvorschrift erforderlich, die dieses Risiko der Behinderung der Einfuhren abwende.

19 Die Italienische Republik macht geltend, sie habe zur Umsetzung der Richtlinie 64/432/EWG in nationales Recht schon das Gesetz Nr. 397 vom 30. April 1976 erlassen, nach dessen Artikel 11 folgendes gelte :

" Rinder und Schweine, die aus anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft nach Italien eingeführt werden, müssen denselben viehseuchenrechtlichen Garantien genügen, wie sie für die Ausfuhr aus Italien in die anderen Mitgliedstaaten vorgesehen sind. Deshalb müssen diese Tiere unter Vorlage von Bescheinigungen, die den in der Anlage F vorgesehenen Mustern I bis IV entsprechen und in italienischer Sprache abgefasst sind, an der Grenze zur Veterinäruntersuchung vorgeführt werden."

Dieser Artikel verlange Einfuhrbescheinigungen, schreibe jedoch nicht vor, daß diese nur auf die in Italien zugelassenen Kontrollmethoden gestützt sein dürften. Im übrigen sei er in der Praxis niemals in anderer Weise auf die Einfuhren angewandt worden.

20 Es kann nicht ausgeschlossen werden, daß der von der italienischen Regierung angeführte Artikel 11 in dem Sinn auszulegen ist, daß er für die Einfuhren von Rindern die gleichen Kontrollmethoden vorschreibt, wie sie für die Ausfuhr vorgeschrieben sind. Dahin geht auch die Auslegung im Rundschreiben Nr. 32 des italienischen Gesundheitsministeriums vom 30. April 1986, in dessen vorletztem Absatz es wie folgt heisst : "Die Vorschriften, die für Brucellose von Rindern gelten, die aus Italien in die Europäische Gemeinschaft ausgeführt werden, gelten auch für Zucht - oder Schlachtrinder, die aus anderen Mitgliedstaaten importiert werden."

21 Die italienische Regierung hat somit nicht das Vorliegen einer Bestimmung nachweisen können, in der klar vorgesehen ist, daß Rinder aus anderen Mitgliedstaaten selbst dann eingeführt werden dürfen, wenn sie Kontrollen nach Methoden unterworfen worden sind, die die Richtlinie 79/109/EWG zulässt, die die Italienische Republik jedoch aufgrund der in dieser Richtlinie vorgesehenen Wahlmöglichkeit nicht eingeführt hat. Dieses Erfordernis der streitigen Richtlinie ist somit nicht erfuellt worden. Die Tatsache, daß bis jetzt kein konkreter Fall der Behinderung der Einfuhr von Rindern nach Italien gemeldet worden ist, hat keinen Einfluß auf das Vorliegen der Vertragsverletzung, da nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes unklare Rechtsvorschriften, durch die die betroffenen Normadressaten über ihre Möglichkeiten, sich auf das Gemeinschaftsrecht zu berufen, im ungewissen gelassen werden, keine Erfuellung der Verpflichtung zur Umsetzung einer Richtlinie in innerstaatliches Recht darstellen.

22 Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich, daß die Italienische Republik gegen ihre Verpflichtungen aus dem EWG-Vertrag verstossen hat, indem sie nicht innerhalb der festgesetzten Frist eine Rechtsvorschrift erlassen hat, durch die die Einfuhr von Rindern zugelassen wird, die im Herkunftsmitgliedstaat Kontrollen nach Methoden unterworfen worden sind, die andere Mitgliedstaaten aufgrund der in den Artikeln 1 bis 5 und 9 der Richtlinie 79/109/EWG des Rates vom 24. Januar 1979 vorgesehenen Wahlmöglichkeit im Unterschied zu Italien zugelassen haben.

Kostenentscheidung:

Kosten

23 Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Italienische Republik mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr die Kosten aufzuerlegen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

für Recht erkannt und entschieden :

1 ) Die Italienische Republik hat gegen ihre Verpflichtungen aus dem EWG-Vertrag verstossen, indem sie nicht innerhalb der festgesetzten Frist die erforderlichen Vorschriften erlassen hat, um den Artikeln 6 Buchstabe b zweiter Gedankenstrich, 7 und 8 der Richtlinie 79/109/EWG des Rates vom 24. Januar 1979 zur Änderung - betreffend Brucellose - der Richtlinie 64/432/EWG des Rates vom 26. Juni 1964 zur Regelung viehseuchenrechtlicher Fragen beim innergemeinschaftlichen Handelsverkehr mit Rindern und Schweinen nachzukommen, und indem sie keine Rechtsvorschrift erlassen hat, durch die die Einfuhr von Rindern zugelassen wird, die im Herkunftsmitgliedstaat Kontrollen nach Methoden unterworfen worden sind, die andere Mitgliedstaaten aufgrund der in den Artikeln 1 bis 5 und 9 derselben Richtlinie vorgesehenen Wahlmöglichkeit im Unterschied zu Italien zugelassen haben.

2 ) Die Italienische Republik trägt die Kosten des Verfahrens.

Ende der Entscheidung

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