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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 29.06.1988
Aktenzeichen: 124/87
Rechtsgebiete: Beamtenstatut, BsB


Vorschriften:

Beamtenstatut Art. 11 Abs. 2 des Anhangs VIII
Beamtenstatut Art. 110
BsB Art. 39 Abs. 2
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Angesichts des grundlegenden Unterschieds zwischen der durch Statut geregelten Stellung des Beamten und dem vertraglichen Beschäftigungsverhältnis des Bediensteten auf Zeit kann eine zur Durchführung von Artikel 11 Absatz 2 des Anhang VIII des Statutserlassene Bestimmung, in der die Frist festgesetzt wird, innerhalb deren Beamte ihren Antrag auf Übertragung von vor dem Eintritt in den Dienst der Gemeinschaften erworbenen Ruhegehaltsansprüchen auf das Versorgungssystem der Gemeinschaft zu stellen haben, in Ermangelung spezieller Vorschriften, die die besondere Situation von Bediensteten auf Zeit regeln, auf diese nicht angewandt werden, ohne gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit zu verstossen.


URTEIL DES GERICHTSHOFES (ERSTE KAMMER) VOM 29. JUNI 1988. - GIOVANNA GRITZMANN-MARTIGNONI GEGEN KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN. - UEBERTRAGUNG FRUEHER ERWORBENER RENTENANSPRUECHE AUF DAS VERSORGUNGSSYSTEM DER GEMEINSCHAFTEN - FRIST. - RECHTSSACHE 124/87.

Entscheidungsgründe:

1 Die Klägerin, Bedienste auf Zeit in der Gemeinsamen Forschungsstelle Ispra, hat mit Klageschrift, die am 9. April 1987 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, Klage erhoben auf Aufhebung der Entscheidung der Kommission, die in deren dienstlicher Mitteilung vom 20. Mai 1986 enthalten ist und mit der diese es abgelehnt hat, den versicherungsmathematischen Gegenwert der nationalen Ruhegehaltsansprüche der Klägerin auf das Versorgungssystem der Gemeinschaft zu übertragen.

2 Diese Übertragung ist in Artikel 11 Absatz 2 des Anhangs VIII des Statuts der Beamten der Europäischen Gemeinschaften vorgesehen, wonach ein Beamter, der nach Ausscheiden aus dem Dienst bei einer Verwaltung, einer innerstaatlichen oder internationalen Einrichtung oder einem Unternehmen in den Dienst der Gemeinschaften tritt, bei seiner Ernennung zum Beamten auf Lebenszeit entweder den versicherungsmathematischen Gegenwert seines zuvor erworbenen Ruhegehaltsanspruchs oder den ihm geschuldeten pauschalen Rückkaufwert an die Gemeinschaften zahlen lassen kann.

3 Die zu diesem Artikel aufgrund von Artikel 110 des Statuts erlassenen Allgemeinen Durchführungsbestimmungen sahen in der am 1. Juli 1969 in Kraft getretenen ersten Fassung vor, daß der entsprechende Antrag binnen sechs Monaten nach Bekanntgabe der Ernennung zum Beamten auf Lebenszeit eingereicht werden musste; die Nichteinhaltung dieser Bedingung sollte den Ausschluß zur Folge haben. Nachdem die Bestimmung, wonach die Nichteinhaltung dieser Bedingung den Ausschluß zur Folge haben sollte, am 4. Februar 1972 aufgehoben worden war, schreibt die gegenwärtige Fassung der Allgemeinen Durchführungsbestimmungen vom 16. März 1977 vor, daß der Antrag spätestens sechs Monate nach der Bekanntgabe der Ernennung zum Beamten auf Lebenszeit oder nach dem Zeitpunkt eingereicht werden muß, von dem an die Übertragung möglich geworden ist.

4 Im Personalkurier vom 14. Juni 1978 gab die Kommission den beim Istituto nazionale italiano della previdenza sociale ( INPS ) versicherten Beamten bekannt, daß die Übertragung ihrer Ruhegehaltsansprüche auf das Versorgungssystem der Gemeinschaft von nun an im Rahmen eines Abkommens zwischen dem INPS und der Europäischen Gemeinschaft möglich sei. In ihrer Mitteilung wies die Kommission darauf hin, daß die Anträge nach den geltenden Vorschriften binnen sechs Monaten nach dieser Veröffentlichung einzureichen seien. Die gleiche Mitteilung wurde den in der Gemeinsamen Forschungsstelle Ispra beschäftigten Beamten und Bediensteten auf Zeit mit dienstlichem Schreiben des Leiters der Abteilung "Personal und Verwaltung" dieser Stelle vom 13. Juli 1978 übermittelt.

5 Am 6. Juni 1985 stellte die Klägerin, die im Oktober 1976 als Bedienstete auf Zeit eingestellt worden war, einen Antrag auf Abgabe eines Vorschlags zur Übertragung ihrer im innerstaatlichen italienischen System erworbenen Ruhegehaltsansprüche.

6 Mit dienstlicher Mitteilung vom 2. August 1985 antwortete ihr der Leiter der Abteilung "Verwaltungsrechtliche und finanzielle Ansprüche" der Generaldirektion "Personal und Verwaltung" der Kommission, gemäß Artikel 11 Absatz 2 des Anhangs VIII hätte ihr Antrag den Dienststellen der Kommission bis zum 31. Dezember 1978 zugehen müssen; nach einer Entscheidung der Kommission vom 12. Dezember 1984 könne aber auf Beamte, die ihren Antrag nach Fristablauf eingereicht hätten, Artikel 11 angewandt werden, ohne daß jedoch etwaige Kapitalerhöhungen, die nach dem Zeitpunkt der Ernennung zum Beamten auf Lebenszeit eingetreten seien, berücksichtigt werden könnten; deshalb werde der Klägerin in Kürze ein aufgrund dieser Entscheidung der Kommission erstellter Übertragungsvorschlag zugesandt werden.

7 Mit dienstlicher Mitteilung vom 20. Mai 1986 erklärte der Leiter der Direktion Allgemeine Verwaltung der Kommission der Klägerin, die dienstliche Mitteilung vom 2. August 1985 beruhe auf einer falschen Auslegung der Entscheidung der Kommission vom 12. Dezember 1984; deshalb könne ihrem Antrag auf Übertragung wegen Ablauf der Frist nicht stattgegeben werden.

8 Zur Begründung ihrer Klage auf Aufhebung der in der dienstlichen Mitteilung vom 20. Mai 1986 enthaltenen Entscheidung der Kommission rügt die Klägerinen einen Verstoß gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes und führt hierzu unter anderem aus, daß es sich bei der Frist für die Einreichung des Antrags auf Übertragung nicht um eine Ausschlußfrist handele.

9 Die Kommission wendet sich gegen die geltend gemachten Rügen und beantragt Klageabweisung.

10 Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts, des Verfahrens und des Parteivorbringens wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt ist im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

11 Ohne daß zu der Frage Stellung genommen zu werden braucht, ob den in der Allgemeinen Durchführungsbestimmungen gesetzten Frist Ausschlusscharakter beizumessen ist oder nicht, ist zu prüfen, ob diese Frist auf Bedienstete auf Zeit angewandt werden kann.

12 Sowohl Artikel 11 Absatz 2 des Anhangs VIII des Statuts als auch die hierzu erlassenen Allgemeinen Durchführungsbestimmungen stellen nur auf Beamte ab und enthalten keine besondere Bestimmung für Bedienstete auf Zeit.

13 Nach Artikel 39 Absatz 2 der Beschäftigungsbedingungen für die sonstigen Bediensteten der Europäischen Gemeinschaften ( BsB ) hat ein Bediensteter auf Zeit Anspruch auf Ruhegehalt "nach Maßgabe des Titels V Kapitel 3 des Statuts und des Anhangs VIII des Statuts"; nach Artikel 103 der Beschäftigungsbedingungen gelten "die Allgemeinen Durchführungsbestimmungen nach Artikel 110 des Statuts... für die in diesen Beschäftigungsbedingungen bezeichneten Bediensteten, soweit in den Beschäftigungsbedingungen die Vorschriften des Statuts auf diese Bediensteten für anwendbar erklärt worden sind ".

14 Zwar gelten aufgrund dieser allgemeinen Verweisung die Durchführungsbestimmungen, die die Stellung der Beamten regeln, auch für Bedienstete auf Zeit, doch kann dies nur insoweit gelten, als der geregelte Sachverhalt gleichartig oder zumindest vergleichbar ist.

15 Was im einzelnen die Frage der Frist angeht, innerhalb deren Anträge auf Übertragung eingereicht werden müssen, bestimmen Artikel 11 Absatz 2 des Anhangs VIII des Statuts und die hierzu ergangenen Durchführungsbestimmungen diese grundsätzlich anhand des Zeitpunkts der Ernennung zum Beamten auf Lebenszeit, also des Zeitpunkts, zu dem er endgültig in eine Dauerplanstelle bei einem der Organe der Gemeinschaften eingewiesen wird.

16 Anders ist die Lage der Bediensteten auf Zeit, die nur für eine bestimmte Dauer eingestellt werden oder deren Einstellungsvertrag bei einer Einstellung auf unbestimmte Dauer jederzeit gekündigt werden kann.

17 Stellte man das Wirksamwerden des Einstellungsvertrags eines Bediensteten auf Zeit der Ernennung zum Beamten auf Lebenszeit gleich, so würde der grundlegende Unterschied zwischen diesen beiden Vorgängen und zwischen ihren jeweiligen Rechtsfolgen nicht berücksichtigt. Der Bedienste auf Zeit, dessen Beschäftigungsverhältnis nicht unter der Bestandsgarantie steht, die der durch Statut geregelten Stellung des Beamten innewohnt, ist nämlich nicht in der Lage, kurzfristig zu beurteilen, ob er ein Interesse an der Übertragung seiner nationalen Ansprüche auf das Versorgungssystem der Gemeinschaft hat. Da für ihn die Möglichkeit einer Beendigung seines Dienstverhältnisses mit der Gemeinschaft und einer Rückkehr in das nationale System besteht und da er nicht weiß, ob er Ruhegehaltsansprüche im Versorgungssystem der Gemeinschaft erwerben wird, wird der Bedienstete auf Zeit möglicherweise zumindest so lange zögern, eine abschließende Entscheidung zu treffen, wie er nicht innerhalb des Versorgungssystems der Gemeinschaft den zum Erwerb eines Ruhegehaltsanspruchs erforderlichen Zeitraum zurückgelegt hat. Dieses Zögern erscheint gerechtfertigt, selbst wenn es ihm Artikel 11 Absatz 1 des Anhangs VIII des Statuts erlaubt, im Falle einer Rückkehr in das nationale System den versicherungsmathematischen Gegenwert seines im Versorgungssystem der Gemeinschaft erworbenen Ruhegehaltsanspruchs auf dieses System übertragen zu lassen, da diese aufeinanderfolgenden Übertragungen eine Quelle der Unsicherheit für den betroffenen Bediensteten sein können.

18 Angesichts dieses grundlegenden Unterschieds zwischen der durch Statut geregelten Stellung des Beamten und dem auf Vertrag beruhenden Beschäftigungsverhältnis des Bediensteten auf Zeit lassen sich die Vorschriften, die die Stellung des ersteren regeln, nicht einfach auf die Stellung des letzteren übertragen, ohne gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit zu verstossen.

19 Deshalb ist festzustellen, daß die Durchführungsbestimmungen, in denen die Frist geregelt wird, innerhalb deren Beamte ihren Antrag auf Übertragung von Ruhegehaltsansprüchen zu stellen haben, in Ermangelung spezieller Vorschriften, die die besondere Situation von Bediensteten auf Zeit regeln, auf diese nicht angewandt werden können.

20 Den in Ispra beschäftigten Bediensteten auf Zeit konnte im übrigen durch die Mitteilung des für diese Stelle zuständigen Personalleiters vom 13. Juli 1978, mit der die Beamten und Bediensteten auf Zeit von der Möglichkeit einer Übertragung ihrer nationalen Ruhegehaltsansprüche auf das Versorgungssystem der Gemeinschaft unterrichtet und eine Frist von sechs Monaten für die Stellung der Anträge gesetzt wurde, keine besondere Frist vorgeschrieben werden. Einem solchen Beamten ist nämlich keine selbständige Regelungsbefugnis verliehen worden, da das Statut wie die BsB nur den Erlaß allgemeiner Durchführungsbestimmungen durch die Organe vorsehen.

21 Die Kommission macht ferner geltend, es sei nicht möglich, einem zu lange nach dem Zeitpunkt der Einstellung eines Bediensteten auf Zeit gestellten Antrag stattzugeben, ohne gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz zu verstossen, da die Ansprüche desjenigen, zugunsten dessen die Übertragung erfolge, nach der mit dem INPS für die Ansprüche vereinbarten Berechnungsweise zu dem Zeitpunkt festgestellt werden müssten, zu dem die Übertragung erfolge. Andernfalls würde sich ein Vorteil bei den endgültigen Ruhegehaltsansprüchen im Versorgungssystem der Gemeinschaft für denjenigen, der seinen Antrag verspätet eingereicht habe, gegenüber demjenigen ergeben, der den Antrag sofort nach seiner Einstellung gestellt habe. Dieser Einwand geht fehl und kann nicht zu einem anderen Ergebnis führen; es ist Sache der Kommission, die geeigneten Maßnahmen zu ergreifen, um die Gleichbehandlung bei der Durchführung der Bestimmungen des Statuts und der BsB zu gewährleisten.

22 Nach allem ist die Entscheidung der Kommission, die in deren dienstlicher Mitteilung vom 20. Mai 1986 enthalten ist und mit der der Antrag der Klägerin auf Übertragung ihrer Ruhegehaltsansprüche wegen Fristablaufs abgelehnt worden ist, aufzuheben.

Kostenentscheidung:

Kosten

23 Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Kommission mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF ( Erste Kammer )

für Recht erkannt und entschieden :

1 ) Die Entscheidung der Kommission, die in deren dienstlicher Mitteilung vom 20. Mai 1986 enthalten ist und mit der der Antrag der Klägerin auf Übertragung des versicherungsmathematischen Gegenwerts ihrer nationalen Ruhegehaltsansprüche auf das Versorgungssystem der Gemeinschaft abgelehnt worden ist, wird aufgehoben.

2 ) Die Kommission trägt die Kosten des Verfahrens.

Ende der Entscheidung

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