Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 05.04.1990
Aktenzeichen: 132/88
Rechtsgebiete: EWGV


Vorschriften:

EWGV Art. 169
EWGV Art. 95
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Ein Steuersystem, bei dem der Betrag der Steuern nach Maßgabe eines objektiven Kriteriums progressiv ansteigt, ist nicht als solches nach dem Gemeinschaftsrecht verboten und kann nicht allein deswegen als diskriminierend angesehen werden, weil nur, insbesondere aus anderen Mitgliedstaaten, eingeführte Erzeugnisse in die am höchsten besteuerte Gruppe fallen. Es verstösst gegen das Gebot des Artikels 95 EWG-Vertrag, wenn es geeignet ist, den Verbraucher zugunsten der Erzeugnisse aus inländischer Herstellung vom Kauf der höher besteuerten eingeführten Erzeugnisse abzuhalten.

2. Ein System der progressiven Besteuerung von Kraftfahrzeugen, das durch eine Hubraumgrenze gekennzeichnet ist, oberhalb deren die Progression stark zunimmt und bei deren Überschreiten ein geringer Hubraumunterschied einen sehr grossen Unterschied in der Besteuerung nach sich zieht, hat keine diskriminierende und protektionistische Wirkung im Sinne des Artikels 95 EWG-Vertrag, wenn die Verbraucher, die die Absicht haben sollten, der erhöhten Besteuerung, die de facto nur die eingeführten Fahrzeuge trifft, zu entgehen, sich entweder für eine andere Gruppe mit ausländischen Fabrikaten oder für eine Gruppe mit ausländischen wie auch inländischen Fabrikaten entscheiden werden.


URTEIL DES GERICHTSHOFES VOM 5. APRIL 1990. - KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN GEGEN REPUBLIK GRIECHENLAND. - VERTRAGSVERLETZUNG - STEUERLICHE VORSCHRIFTEN - ARTIKEL 95 - BESTEUERUNG VON KRAFTFAHRZEUGEN. - RECHTSSACHE 132/88.

Entscheidungsgründe:

1 Die Kommission hat mit Klageschrift, die am 10. Mai 1988 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 169 EWG-Vertrag Klage auf Feststellung erhoben, daß die Griechische Republik gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 95 Absatz 1 EWG-Vertrag verstossen hat, indem sie mittels einer besonderen Verbrauchsteuer und einer einmaligen zusätzlichen Sonderabgabe für aus anderen Mitgliedstaaten eingeführte Kraftfahrzeuge mit einem Hubraum von über 1 800 cm3 eine diskriminierende Steuerregelung eingeführt und aufrechterhalten hat.

2 Die Kommission beanstandet zwei Aspekte des griechischen Steuersystems für Personenkraftwagen, nämlich die für die besondere Verbrauchsteuer und die für die einmalige zusätzliche Sonderabgabe geltenden Regelungen.

3 Die im Zeitpunkt der Erhebung der vorliegenden Klage anwendbaren Bestimmungen betreffend die besondere Verbrauchsteuer ergeben sich aus einer 1986 durch Artikel 43 des Gesetzes Nr. 1676 ( Ausgabe A 204 des amtlichen griechischen Gesetzblattes ) vorgenommenen Änderung des Gesetzes Nr. 363 vom 22. Juni 1976 über die Besteuerung von Personenkraftwagen ( Ausgabe A 152 des amtlichen griechischen Gesetzblattes ). Diese Steuer wird beim Kauf oder bei der Einfuhr eines neuen oder gebrauchten Kraftfahrzeugs fällig. Ihr Betrag entspricht einem bestimmten Prozentsatz des Kaufpreises des Fahrzeugs ohne Steuer. Die Berechnung der Steuer ist so gestaltet, daß dieser Prozentsatz sich nach Maßgabe des Hubraums der Fahrzeuge erhöht. Die Steuer weist jedoch keine konstante Progression auf : Zum einen wächst sie jenseits der Schwelle von 1 200 cm3 stärker als dießeits und steigert sich bei einem Hubraum von über 1 800 cm3 noch ausgeprägter als bei einem niedrigeren Hubraum; zum anderen macht sie einen Sprung bei 1 201 cm3 und einen weiteren, noch viel grösseren, bei 1 801 cm3.

4 Was die einmalige zusätzliche Sonderabgabe betrifft, so werden ihre Einzelheiten in Artikel 3 des vorerwähnten Gesetzes Nr. 363 vom 22. Juni 1976 geregelt. Diese Abgabe wird bei der Erstzulassung eines neuen oder gebrauchten Fahrzeugs fällig. Ihr Betrag ist in Drachmen ( DR ) ausgedrückt. Ebenso wie die besondere Verbrauchsteuer ist sie nach Maßgabe des Hubraums der Fahrzeuge progressiv gestaltet. Diese Progression ist in zweifacher Hinsicht nicht konstant : Einmal erhöht sich die Abgabe in stärkerem Masse von einem Hubraum von 1 201 cm3 und in noch stärkerem Masse von einem Hubraum von 1 801 cm3 an; zum anderen macht sie einen Sprung von mehr als 50 % zwischen 1 800 cm3 und 1 801 cm3.

5 Mit Schreiben vom 16. September 1986 teilte die Kommission der Griechischen Republik mit, daß das sich aus den beiden oben beschriebenen Abgaben ergebende System der Besteuerung von Personenkraftwagen ihrer Ansicht nach in Widerspruch zu Artikel 95 EWG-Vertrag stehe.

6 Sie machte in erster Linie geltend, in Griechenland würden nur Fahrzeuge mit einem Hubraum von unter 1 600 cm3 hergestellt. Weiterhin wies sie auf das Urteil vom 9. Mai 1985 in der Rechtssache 112/84 ( Humblot, Slg. 1985, 1367 ) hin, in dem der Gerichtshof festgestellt habe, daß eine Progressionssteuer auf Kraftfahrzeuge, um dem Vorwurf der diskriminierenden oder protektionistischen Wirkung zu entgehen, sich auf objektive Kriterien stützen und ausgewogene Spannen aufweisen müsse. Weder die besondere Verbrauchsteuer noch die einmalige zusätzliche Sonderabgabe genügten diesen Voraussetzungen. Die überhöhte Besteuerung der Kraftfahrzeuge mit einem Hubraum von über 1 800 cm3 sei durch kein objektives Kriterium gerechtfertigt, da alle Fahrzeuge ohne Rücksicht auf ihren Hubraum gleichartige Erzeugnisse seien.

7 In zweiter Linie warf die Kommission der Griechischen Republik vor, sie begünstige durch das vorgenannte Gesetz Nr. 363 vom 22. Juni 1976 den Kauf von im Inland hergestellten Gebrauchtwagen. Nach diesem Gesetz errechnet sich die Besteuerungsgrundlage für eingeführte Gebrauchtwagen in der Weise, daß der Preis der entsprechenden Neuwagen um 5 % pro Gebrauchsjahr des betroffenen Fahrzeugs verringert wird, wobei die gesamte Verringerung 20 % nicht überschreiten darf. Da der tatsächliche Wertverlust weit höher sei als derjenige, der dieser Hoechstgrenzenregelung zugrunde liege, sei die Besteuerungsgrundlage für eingeführte Gebrauchtwagen überhöht.

8 Die Kommission forderte die Griechische Republik auf, ihr innerhalb von zwei Monaten ihre Bemerkungen zu diesen verschiedenen Vorwürfen zukommen zu lassen.

9 Die Griechische Republik antwortete am 15. Dezember 1986, sie bestreite die Vorwürfe der Kommission. Beide Abgaben belasteten unterschiedslos die Fahrzeuge in - und ausländischer Herstellung, und zwar nach Maßgabe eines objektiven Kriteriums, nämlich des Hubraums. In Griechenland seien Fahrzeuge mit einem Hubraum von über 1 800 cm3 als Luxusgegenstände anzusehen, die Personen mit aussergewöhnlich hohem Einkommen vorbehalten blieben; es sei daher legitim, sie besonders einschneidend zu besteuern. Überdies sei es angesichts der schlechten Infrastruktur des griechischen Strassennetzes und der in Griechenland existierenden Probleme der Umweltverschmutzung gerechtfertigt, wenn die Steuergesetzgebung vom Kauf von Fahrzeugen mit grossem Hubraum abschrecke. Die Griechische Republik machte ausserdem geltend, die Abgaben erhöhten sich spürbar nicht nur jenseits der Schwelle von 1 800 cm3, sondern bereits nach Überschreitung der Schwelle von 1 200 cm3. Da die meisten in Griechenland hergestellten Fahrzeuge einen Hubraum von 1 300 cm3 hätten, liege es klar zutage, daß mit der Gestaltung der in Rede stehenden Abgaben nicht der Zweck verfolgt worden sei, die inländische Erzeugung zu schützen.

10 In der mit Gründen versehenen Stellungnahme, die die Kommission am 21. September 1987 abgab, sowie in der Antwort der Griechischen Republik vom 30. November 1987 auf diese Stellungnahme erhielten beide Parteien ihren Standpunkt aufrecht.

11 Wegen weiterer Einzelheiten der innerstaatlichen Rechtsvorschriften, des Verfahrensablaufs und des Parteivorbringens wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt ist im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

12 Zunächst ist zu prüfen, ob die Rüge betreffend die Bestimmung der Besteuerungsgrundlage für eingeführte Gebrauchtwagen Teil des Streitgegenstands ist.

13 Auf eine in der mündlichen Verhandlung gestellte entsprechende Frage hat die Kommission ausgeführt, diese sowohl in dem Aufforderungsschreiben als auch in der begründeten Stellungnahme näher ausgeführte Rüge sei in der Klageschrift wiederholt worden. Sie bezieht sich hierzu auf Nr. 22 der Klageschrift, wo es heisst, daß "die vorstehenden Überlegungen mutatis mutandis auch für Gebrauchtwagen gelten ".

14 Hierzu ist festzustellen, daß sich die Überlegungen, die Nr. 22 der Klageschrift vorausgehen, auf die Progression der besonderen Verbrauchsteuer und der einmaligen zusätzlichen Sonderabgabe beziehen. Sie betreffen in keiner Weise die Bestimmung der Besteuerungsgrundlage für eingeführte Gebrauchtwagen.

15 Da die Kommission in ihrer Klageschrift jedenfalls keinerlei Argumente zur Begründung der Rüge betreffend die Bestimmung der Besteuerungsgrundlage für eingeführte Gebrauchtwagen vorgebracht hat, braucht diese Rüge nicht geprüft zu werden. Der Streitgegenstand beschränkt sich daher auf den Bruch in der Progression, der bei der besonderen Verbrauchsteuer und der einmaligen zusätzlichen Sonderabgabe jenseits der Schwelle von 1 800 cm3 festzustellen ist.

16 Zu dieser Rüge hat die Griechische Republik im schriftlichen Verfahren ausgeführt, die bei beiden Abgaben zugrunde gelegten Unterschiedsschwellen, nämlich 1 200 cm3 und 1 800 cm3, seien objektiv gerechtfertigt, da sie die griechische und in gewissem Masse auch die europäische soziale Wirklichkeit widerspiegelten : Fahrzeuge mit einem Hubraum von 1 200 cm3 oder darunter seien für Personen mit geringem Einkommen bestimmt; solche mit einem Hubraum von 1 201 cm3 bis 1 800 cm3 würden von Personen mit mittlerem Einkommen gekauft; Fahrzeuge mit einem Hubraum von über 1 800 cm3 seien, vor allem in Griechenland, Personen mit sehr hohem Einkommen vorbehalten.

17 Hierzu ist zu bemerken, daß Artikel 95 EWG-Vertrag es nicht gestattet, ein angeblich überhöhtes Besteuerungsniveau zu beanstanden, das die Mitgliedstaaten für bestimmte Erzeugnisse aufgrund sozialpolitischer Erwägungen beschließen könnten. Wie der Gerichtshof insbesondere in seinem vorerwähnten Urteil vom 9. Mai 1985 ( Humblot, Randnrn. 12 und 13 ) und in seinem Urteil vom 16. Dezember 1986 in der Rechtssache 200/85 ( Kommission/Italien, Slg. 1986, 3953, Randnrn. 8 und 10 ) festgestellt hat, steht es den Mitgliedstaaten beim derzeitigen Stand des Gemeinschaftsrechts frei, Erzeugnisse wie Kraftfahrzeuge einem System von Steuern zu unterwerfen, deren Betrag nach Maßgabe eines objektiven Kriteriums wie des Hubraums progressiv ansteigt, vorausgesetzt allerdings, daß dieses Steuersystem keine diskriminierende oder protektionistische Wirkung entfaltet.

18 Es ist klarzustellen, daß ein Steuersystem nicht allein deswegen als diskriminierend angesehen werden kann, weil nur, insbesondere aus anderen Mitgliedstaaten, eingeführte Erzeugnisse in die am höchsten besteuerte Gruppe fallen ( siehe das Urteil vom 14. Januar 1981 in der Rechtssache 140/79, Chemical Farmaceutici/DAF, Slg. 1981, 1, Randnr. 18 ).

19 Um feststellen zu können, ob die besondere Verbrauchsteuer oder die einmalige zusätzliche Sonderabgabe eine diskriminierende oder protektionistische Wirkung hat, ist zu prüfen, ob diese Abgaben geeignet sind, den Verbraucher vom Kauf von Fahrzeugen mit einem Hubraum von über 1 800 cm3, die sämtlich ausländische Fabrikate sind, zugunsten von in Griechenland hergestellten Fahrzeugen abzuhalten.

20 Angenommen, die Modalitäten des streitigen Steuersystems hielten tatsächlich einige Verbraucher vom Kauf von Fahrzeugen mit einem Hubraum von über 1 800 cm3 ab, so werden sich diese Verbraucher für Modelle mit einem Hubraum entweder von 1 600 cm3 bis 1 800 cm3 oder von unter 1 600 cm3 entscheiden. Sämtliche Modelle der ersten Gruppe sind aber ausländische Fabrikate. Was die zweite Gruppe betrifft, so umfasst sie sowohl im Ausland als auch in Griechenland hergestellte Fahrzeuge. Die Kommission hat somit nicht dargetan, wieso das streitige Steuersystem den Verkauf von in Griechenland hergestellten Fahrzeugen begünstigen sollte.

21 Die Klage ist daher abzuweisen.

Kostenentscheidung:

Kosten

22 Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Kommission mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, hat sie die Kosten zu tragen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

für Recht erkannt und entschieden :

1 ) Die Klage wird abgewiesen.

2 ) Die Kommission trägt die Kosten des Verfahrens.

Ende der Entscheidung

Zurück