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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 12.07.1989
Aktenzeichen: 141/88
Rechtsgebiete: EWG-Vertrag, Verordnung Nr. 1408/71 vom 14.06.1971


Vorschriften:

EWG-Vertrag Art. 177
Verordnung Nr. 1408/71 vom 14.06.1971 Art. 51
Verordnung Nr. 1408/71 Art. 51 Abs. 2
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Eine Änderung des Verfahrens zur Feststellung der in den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats vorgesehenen Mindestleistung bei Alter fällt in den Geltungsbereich von Artikel 51 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1408/71 mit der Folge, daß eine Neuberechnung gemäß Artikel 46 der Verordnung vorzunehmen ist.

Eine Änderung des Feststellungsverfahrens oder der Berechnungsmethode für eine Leistung bei Alter, die nach innerstaatlichem Recht nicht auf die vor ihrem Inkrafttreten erworbenen Rentenansprüche angewendbar ist, verpflichtet den betroffenen Mitgliedstaat jedoch nicht, eine Neuberechnung vorzunehmen.


URTEIL DES GERICHTSHOFES (ERSTE KAMMER) VOM 12. JULI 1989. - CAISSE NATIONALE D'ASSURANCE VIEILLESSE DES TRAVAILLEURS SALARIES (CNAVTS) GEGEN ALAN JORDAN. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: COUR DE CASSATION - FRANKREICH. - SOZIALE SICHERHEIT - BERECHNUNG DER LEISTUNGEN BEI ALTER - VERORDNUNG (EWG) NR. 1408/71 DES RATES - ARTIKEL 51. - RECHTSSACHE 141/88.

Entscheidungsgründe:

1 Die französische Cour de cassation hat mit Urteil vom 5. Mai 1988, beim Gerichtshof eingegangen am 20. Mai 1988, gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag zwei Fragen nach der Auslegung von Artikel 51 der Verordnung Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und deren Familien, die innerhalb der Gemeinschaft zu - und abwandern ( in der durch die Verordnung Nr. 2001/83 des Rates vom 2. Juni 1983, ABl. L 230, S. 6, geänderten und aktualisierten Fassung ) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen Alan Jordan ( nachstehend : Kläger ), einem britischen Staatsangehörigen, und der Caisse nationale d' assurance vieillesse des travailleurs salariés ( nachstehend : CNAVTS ), einem französischen Sozialversicherungsträger.

3 Der Kläger war im Vereinigten Königreich und anschließend in Frankreich als Arbeitnehmer tätig. Seit dem 1. Januar 1979 erhält er von jedem dieser beiden Mitgliedstaaten gemäß Artikel 46 der Verordnung Nr. 1408/71 eine Altersrente. Nach diesem Artikel hat für den Fall, daß für einen Arbeitnehmer die Rechtsvorschriften mehrerer Mitgliedstaaten galten, der zuständige Träger jedes Mitgliedstaats einen Vergleich zwischen der Leistung, die nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats allein zu erbringen ist, und der Leistung anzustellen, die sich aus der in Absatz 2 enthaltenen Regelung der Zusammenrechung und der anteiligen Berechnung ergibt. Nur der höhere Betrag wird berücksichtigt.

4 Der Kläger ficht den von der CNAVTS hiernach berechneten Rentenbetrag seit 1979 an. Er verlangt insbesondere die Gewährung einer Ergänzungszulage von seiten des "Fonds national de solidarité" ( FNS ). Nach Ansicht des Klägers ist diese Zulage, bei der es sich um eine beitragsfreie Mindestleistung handele, entgegen Artikel 50 der Verordnung Nr. 1408/71 nur für französische Staatsangehörige vorgesehen.

5 Das französische System der sozialen Sicherheit wurde durch die Ordonnance 82-270 vom 26. März 1982 ( JORF vom 28. 3. 1982, S. 951 ) und das Gesetz 83-430 vom 31. Mai 1983 ( JORF vom 1. 6. 1983, S. 1639 ) geändert. Diese sahen eine Erhöhung der Leistungen vor, in deren Rahmen die Leistung bei Alter für Versicherte, die mindestens 150 Versicherungsquartale nachwiesen, auf einen Mindestbetrag und für Versicherte, die weniger Versicherungsquartale nachwiesen, auf einen entsprechend anteilig berechneten Betrag angehoben wurde. Diese neue Leistung trat für Altersrenten, die nach dem 1. April 1983 gewährt wurden, an die Stelle der beitragsgebundenen Leistung bei Alter wie auch der Ergänzungszulage des FNS. Für die vor dem 1. April 1983 erworbenen Leistungsansprüche blieb jedoch die alte Regelung in Kraft.

6 Die Cour d' appel Poitiers entschied mit Urteil vom 15. Februar 1985, daß Artikel 51 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1408/71 eine Neuberechnung der Leistung vorschreibe, obwohl Artikel 50 dieser Verordnung keinen Anspruch auf die Zulage des FNS eröffne, und daß dem Kläger deshalb die Mindestrente nach der neuen französischen Regelung zustehe. Die CNAVTS legte gegen dieses Urteil Kassationsbeschwerde ein.

7 Die Cour de cassation ist der Ansicht, der Rechtsstreit werfe ein Auslegungsproblem im Zusammenhang mit der Verordnung Nr. 1408/71, insbesondere Artikel 51, auf. Sie hat deshalb das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt :

"1 ) Fallen die im Recht des zuständigen Staates vorgenommenen Änderungen des Feststellungsverfahrens für die Mindestleistung bei Alter unter Artikel 51 Absatz 1 oder unter Artikel 51 Absatz 2?

2 ) Ist Artikel 51 Absatz 2 ungeachtet einer Bestimmung des nationalen Rechts, durch die der Zeitpunkt für das Inkrafttreten der Änderungen des Feststellungsverfahrens oder der Berechnungsmethode für die Leistungen festgesetzt und die vor diesem Zeitpunkt festgestellten Renten von ihrem Anwendungsbereich ausgenommen werden, uneingeschränkt anzuwenden?"

8 Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts des Ausgangsrechtsstreits, des Verfahrensablaufs und der vor dem Gerichtshof abgegebenen Erklärungen wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt ist im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

9 Zur ersten Frage ist zu bemerken, daß Artikel 46 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1408/71 dem Wanderarbeitnehmer einen Anspruch auf die günstigste Leistung gewährt, die sich entweder aus der Anwendung der Rechtsvorschriften eines einzigen Mitgliedstaats oder aus der Zusammenrechnung und anteiligen Berechnung ergibt. Dieser Anspruch führt grundsätzlich dazu, daß bei jeder Änderung einer der betreffenden Leistungen erneut gemäß Artikel 46 Absatz 1 ein Vergleich zwischen den beiden Systemen anzustellen ist, um zu ermitteln, welche Leistung nach der erfolgten Änderung die günstigste ist.

10 Um jedoch den Verwaltungsaufwand zu verringern, der mit einer erneuten Prüfung der Situation des Betroffenen bei jeder Änderung der ihm gewährten Leistungen verbunden wäre, schließt Artikel 51 Absatz 1 für den Fall eine Neuberechnung der Leistungen aus, daß die Leistungsanpassungen lediglich Folge der allgemeinen Entwicklung der wirtschaftlichen und sozialen Lage sind ( Urteil vom 2. Februar 1982 in der Rechtssache 7/81, Sinatra, Slg. 1982, 137 ). Diese Ausnahme gilt jedoch nicht für Leistungsänderungen, die auf einer Änderung der persönlichen Lage des Betroffenen oder der Voraussetzungen für die Gewährung einer Leistung beruhen; gemäß Artikel 51 Absatz 2 ist bei solchen Änderungen eine Neuberechnung nach Artikel 46 vorzunehmen.

11 Auf die erste Frage ist somit zu antworten, daß Artikel 51 der Verordnung Nr. 1408/71 dahin auszulegen ist, daß eine Änderung des Feststellungsverfahrens für die Mindestleistung bei Alter unter Absatz 2 dieser Vorschrift fällt.

12 Die zweite Frage geht dahin, ob eine Änderung des Feststellungsverfahrens oder der Berechnungsmethode für eine Leistung bei Alter, die nicht auf die vor ihrem Inkrafttreten erworbenen Rentenansprüche anwendbar ist, den betroffenen Mitgliedstaat verpflichtet, gemäß Artikel 51 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1408/71 eine Neuberechnung vorzunehmen.

13 Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes sieht Artikel 51 EWG-Vertrag nur eine Koordinierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten vor; er lässt sowohl die verfahrensmässigen Unterschiede zwischen den nationalen Systemen der sozialen Sicherheit als auch die Unterschiede zwischen den Ansprüchen der dort Beschäftigen unberührt ( siehe insbesondere das Urteil vom 15. Januar 1986 in der Rechtssache 41/84, Pinna/Caisse d' allocations familiales de la Savoie, Slg. 1986, 1 ).

14 Deshalb fällt es in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten, die zeitliche Wirkung einer Änderung der Voraussetzungen für die Gewährung einer Leistung zu bestimmen. Betrifft die Änderung im nationalen System nur Renten, die nach dem Zeitpunkt ihres Inkrafttretens festgestellt werden, so findet Artikel 51 der Verordnung Nr. 1408/71 keine Anwendung, so daß eine Neuberechnung nach Artikel 46 der Verordnung nicht erforderlich ist.

15 Wie die französische Regierung bemerkt, bewirkt Artikel 51 bei dieser Auslegung keine nach den Artikeln 7 und 48 EWG-Vertrag sowie nach der Verordnung Nr. 1408/71 verbotene Diskriminierung derjenigen Arbeitnehmer, die von ihrem Recht auf Freizuegigkeit Gebrauch gemacht haben. Diese Arbeitnehmer unterliegen ebenso wie die übrigen Arbeitnehmer, die die Staatsangehörigkeit des fraglichen Mitgliedstaats besitzen und die ihren Rentenanspruch vor Inkrafttreten der geänderten Regelung erworben haben, weiterhin der früheren Regelung.

16 Auf die zweite Frage ist somit zu antworten, daß Artikel 51 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1408/71 dahin auszulegen ist, daß eine Änderung des Feststellungsverfahrens oder der Berechnungsmethode für eine Leistung bei Alter, die nicht auf die vor ihrem Inkrafttreten erworbenen Rentenansprüche anwendbar ist, den betroffenen Mitgliedstaat nicht verpflichtet, eine Neuberechnung vorzunehmen.

Kostenentscheidung:

Kosten

17 Die Auslagen der Regierung der Französischen Republik und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die Erklärungen vor dem Gerichtshof abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit. Die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF ( Erste Kammer )

auf die ihm von der französischen Cour de cassation mit Urteil vom 5. Mai 1988 vorgelegten Fragen für Recht erkannt :

1 ) Artikel 51 der Verordnung Nr. 1408/71 ist dahin auszulegen, daß eine Änderung des Feststellungsverfahrens für die Mindestleistung bei Alter unter Absatz 2 dieser Vorschrift fällt.

2 ) Artikel 51 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1408/71 ist dahin auszulegen, daß eine Änderung des Feststellungsverfahrens oder der Berechnungsmethode für eine Leistung bei Alter, die nicht auf die vor ihrem Inkrafttreten erworbenen Rentenansprüche anwendbar ist, den betroffenen Mitgliedstaat nicht verpflichtet, eine Neuberechnung vorzunehmen.

Ende der Entscheidung

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