Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 23.11.1989
Aktenzeichen: 145/88
Rechtsgebiete: EWG-Vertrag


Vorschriften:

EWG-Vertrag Art. 30
EWG-Vertrag Art. 36
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Artikel 30 EWG-Vertrag ist dahin auszulegen, daß das von ihm ausgesprochene Verbot nicht für eine nationale Regelung gilt, die es Einzelhändlern verbietet, ihre Geschäfte am Sonntag zu öffnen, wenn die sich hieraus möglicherweise ergebenden beschränkenden Wirkungen auf den innergemeinschaftlichen Handel den Rahmen der einer solchen Regelung eigentümlichen Wirkungen nicht überschreiten.

Derartige Regelungen der Verkaufszeiten im Einzelhandel, die unterschiedlos für inländische und eingeführte Erzeugnisse gelten, verfolgen nämlich ein nach Gemeinschaftsrecht gerechtfertigtes Ziel : Zum einen sind sie Ausdruck bestimmter politischer und wirtschaftlicher Entscheidungen, da sie eine Verteilung der Arbeitszeiten und der arbeitsfreien Zeiten sicherstellen sollen, die den landesweiten oder regionalen sozialen und kulturellen Besonderheiten angepasst ist, und zum anderen sind sie nicht dazu bestimmt, die Handelsströme zwischen den Mitgliedstaaten zu regeln.


URTEIL DES GERICHTSHOFES (SECHSTE KAMMER) VOM 23. NOVEMBER 1989. - TORFAEN BOROUGH COUNCIL GEGEN B & Q PLC. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: CWMBRAN MAGISTRATES'COURT - VEREINIGTES KOENIGREICH. - FREIER WARENVERKEHR - AUSLEGUNG DER ARTIKEL 30 UND 36 EWG-VERTRAG - VERBOT, AM SONNTAG KAUFMAENNISCHE TAETIGKEITEN AUSZUUEBEN. - RECHTSSACHE 145/88.

Entscheidungsgründe:

1 Der Cwmbran Magistrates' Court ( Vereinigtes Königreich ) hat mit Beschluß vom 25. April 1988, beim Gerichtshof eingegangen am 24. Mai 1988, gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag drei Fragen nach der Auslegung der Artikel 30 und 36 EWG-Vertrag zur Vorabentscheidung vorgelegt, um die Vereinbarkeit eines innerstaatlichen Verkaufsverbots an Sonntagen mit diesen Bestimmungen beurteilen zu können.

2 Diese Fragen stellen sich in einem Verfahren zwischen dem Torfän Borough Council ( Gemeinderat von Torfän; nachstehend : Council ) und der Firma B & Q plc, früher B & Q ( Retail ) limited ( nachstehend : B & Q ), die Heimwerker - und Gartenzentren betreibt.

3 Der Council wirft B & Q vor, dadurch gegen Section 47 und Section 59 des United Kingdom Shops Act 1950 verstossen zu haben, daß sie ihre Einzelhandelsgeschäfte sonntags für andere als die im Fünften Anhang zu diesem Gesetz genannten Verkaufsgeschäfte offengehalten habe. B & Q habe daher eine Geldbusse bis zur Höhe von 1 000 UKL verwirkt.

4 Im Fünften Anhang des Shops Act sind die Artikel aufgeführt, die ausnahmsweise am Sonntag in Einzelhandelsgeschäften verkauft werden dürfen. Es handelt sich unter anderem um alkoholische Getränke, bestimmte Lebensmittel, Tabak, Zeitungen und andere Erzeugnisse des täglichen Bedarfs.

5 Vor dem vorlegenden Gericht machte B & Q geltend, Section 47 des Shops Act 1950 sei eine Maßnahme mit gleicher Wirkung wie eine mengenmässige Beschränkung im Sinne von Artikel 30 EWG-Vertrag; diese Maßnahme sei weder nach Artikel 36 EWG-Vertrag noch aufgrund irgendeines "zwingenden Erfordernisses" gerechtfertigt.

6 Der Council bestritt, daß das Verkaufsverbot an Sonntagen eine Maßnahme mit gleicher Wirkung wie eine mengenmässige Beschränkung darstelle, denn es gelte in gleicher Weise für inländische und eingeführte Erzeugnisse und benachteilige die Einfuhren nicht.

7 Das vorlegende Gericht stellte zunächst fest, daß das Verkaufsverbot an Sonntagen vorliegend einen Rückgang der von B & Q getätigten Verkäufe bewirkt habe, daß etwa 10 % der von der Firma verkauften Waren aus anderen Mitgliedstaaten stammten und daß sich hieraus ein entsprechender Rückgang der Einfuhren aus anderen Mitgliedstaaten ergebe.

8 Aufgrund dieser Überlegungen kam das vorlegende Gericht zu dem Ergebnis, daß der Rechtsstreit Fragen nach der Auslegung des Gemeinschaftsrechts aufwerfe. Es hat daher dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt :

"1 ) Wenn ein Mitgliedstaat verbietet, daß Einzelhandelsgeschäfte am Sonntag für den Verkauf von Waren an Kunden - mit Ausnahme einiger bestimmter Artikel, deren Verkauf erlaubt ist - geöffnet sind, und wenn dieses Verbot bewirkt, daß der Verkauf von Waren in diesen Geschäften einschließlich von in anderen Mitgliedstaaten hergestellten Waren absolut zurückgeht und daß der Umfang der Einfuhren von Waren aus anderen Mitgliedstaaten dementsprechend abnimmt, ist dann ein solches Verbot eine Maßnahme mit gleicher Wirkung wie eine mengenmässige Einfuhrbeschränkung im Sinne von Artikel 30 EWG-Vertrag?

2 ) Bei Bejahung der Frage 1 : Fällt eine solche Maßnahme unter eine der in Artikel 36 enthaltenen Ausnahmen von Artikel 30 oder unter eine andere im Gemeinschaftsrecht anerkannte Ausnahme?

3 ) Wird die Antwort auf Frage 1 oder Frage 2 durch irgendeinen Umstand beeinflusst, der die in Rede stehende Maßnahme zu einem Mittel willkürlicher Diskriminierung, zu einer verschleierten Beschränkung des Handels zwischen Mitgliedstaaten oder zu einer unverhältnismässigen oder aus sonstigen Gründen ungerechtfertigten Maßnahme machen würde?"

9 Wegen weiterer Einzelheiten des rechtlichen Rahmens und des Sachverhalts des Ausgangsverfahrens, des Verfahrensablaufs und der beim Gerichtshof eingereichten schriftlichen Erklärungen wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt ist im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

Zur ersten Frage

10 Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob der Begriff der Maßnahmen mit gleicher Wirkung wie mengenmässige Beschränkungen im Sinne von Artikel 30 EWG-Vertrag auch Rechtsvorschriften erfasst, die es Einzelhändlern verbieten, ihre Geschäfte am Sonntag zu öffnen, wenn dieses Verbot dazu führt, daß der Verkauf von Waren, darunter auch solcher aus anderen Mitgliedstaaten, durch diese Geschäfte, in absoluten Zahlen ausgedrückt, zurückgeht.

11 Zunächst ist festzustellen, daß innerstaatliche Regelungen, die es den Einzelhändlern verbieten, ihre Geschäfte sonntags offenzuhalten, in gleicher Weise für eingeführte und inländische Erzeugnisse gelten. Grundsätzlich wird also der Vertrieb von aus anderen Mitgliedstaaten eingeführten Erzeugnissen nicht stärker erschwert als der von einheimischen Erzeugnissen.

12 Der Gerichtshof hat im Urteil vom 11. Juli 1985 in den verbundenen Rechtssachen 60 und 61/84 ( Cinéthèque, Slg. 1985, 2618 ) bezueglich eines unterschiedslos für inländische und eingeführte Erzeugnisse geltenden Verbots der Verwertung von Videokassetten entschieden, daß ein solches Verbot nur dann mit dem im Vertrag niedergelegten Grundsatz des freien Warenverkehrs vereinbar ist, wenn die etwaigen Behinderungen des innergemeinschaftlichen Handels, die sich aus seiner Anwendung ergeben können, nicht über das hinausgehen, was erforderlich ist, um das angestrebte Ziel zu erreichen, und wenn dieses Ziel nach Gemeinschaftsrecht gerechtfertigt ist.

13 In einem Fall wie dem vorliegenden ist daher in erster Linie zu prüfen, ob eine Regelung wie die hier streitige ein nach Gemeinschaftsrecht gerechtfertigtes Ziel verfolgt. Hierzu hat der Gerichtshof bereits im Urteil vom 14. Juli 1981 in der Rechtssache 155/80 ( Öbel, Slg. 1981, 1993 ) festgestellt, daß eine innerstaatliche Regelung der Arbeits -, Liefer - und Verkaufszeiten des Bäcker - und Konditorgewerbes eine berechtigte wirtschafts - und sozialpolitische Entscheidung darstellt, die den im allgemeinen Interesse liegenden Zielen des Vertrages entspricht.

14 Diese Überlegung gilt auch für die innerstaatlichen Regelungen der Verkaufszeiten im Einzelhandel. Solche Regelungen sind Ausdruck bestimmter politischer und wirtschaftlicher Entscheidungen, da sie eine Verteilung der Arbeitszeiten und der arbeitsfreien Zeiten sicherstellen sollen, die den landesweiten oder regionalen sozialen und kulturellen Besonderheiten angepasst ist, deren Beurteilung beim gegenwärtigen Stand des Gemeinschaftsrechts Sache der Mitgliedstaaten ist. Überdies sind derartige Regelungen nicht dazu bestimmt, die Handelsströme zwischen den Mitgliedstaaten zu regeln.

15 In zweiter Linie ist zu prüfen, ob die Wirkungen einer solchen inländischen Regelung nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung des angestrebten Ziels notwendig ist. Wie nämlich aus Artikel 3 der Richtlinie 70/50/EWG der Kommission vom 22. Dezember 1969 ( ABl. 1970, L 13, S. 29 ) hervorgeht, betrifft das Verbot des Artikels 30 nationale Maßnahmen über die Vermarktung von Waren, deren beschränkende Wirkungen auf den Warenverkehr den Rahmen der solchen Handelsregelungen eigentümlichen Wirkungen überschreiten.

16 Die Frage, ob die Wirkungen einer bestimmten nationalen Regelung sich tatsächlich innerhalb dieses Rahmens halten, ist tatsächlicher Art und daher vom innerstaatlichen Gericht zu entscheiden.

17 Auf die erste Frage ist daher zu antworten, daß Artikel 30 EWG-Vertrag dahin auszulegen ist, daß das von ihm ausgesprochene Verbot nicht für eine nationale Regelung gilt, die es Einzelhändlern verbietet, ihre Geschäfte am Sonntag zu öffnen, wenn die sich hieraus möglicherweise ergebenden beschränkenden Wirkungen auf den innergemeinschaftlichen Handel den Rahmen der einer solchen Regelung eigentümlichen Wirkungen nicht überschreiten.

Zur zweiten und dritten Frage

18 Angesichts der Antwort auf die erste Frage bedürfen die zweite und die dritte Frage keiner Beantwortung.

Kostenentscheidung:

Kosten

19 Die Auslagen des Vereinigten Königreichs und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die beim Gerichtshof Erklärungen eingereicht haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF ( Sechste Kammer )

auf die ihm vom Cwmbran Magistrates' Court ( Vereinigtes Königreich ) mit Beschluß vom 25. April 1988 vorgelegten Fragen für Recht erkannt :

Artikel 30 EWG-Vertrag ist dahin auszulegen, daß das von ihm ausgesprochene Verbot nicht für eine nationale Regelung gilt, die es Einzelhändlern verbietet, ihre Geschäfte am Sonntag zu öffnen, wenn die sich hieraus möglicherweise ergebenden beschränkenden Wirkungen auf den innergemeinschaftlichen Handel den Rahmen der einer solchen Regelung eigentümlichen Wirkungen nicht überschreiten.

Ende der Entscheidung

Zurück