Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 06.07.1988
Aktenzeichen: 158/87
Rechtsgebiete:


Vorschriften:

Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Artikel 16 Nr. 1 des Brüsseler Übereinkommens vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil - und Handelssachen ist so auszulegen, daß bei einem Rechtsstreit, dessen Gegenstand das mögliche Zustandekommen eines Pachtvertrages über ein in zwei Vertragsstaaten belegenes Grundstück ist, im Grundsatz und vorbehaltlich besonderer Fälle, in denen die Struktur des Grundeigentums eine abweichende Lösung erzwingen kann, bezueglich jedes der beiden im Hoheitsgebiet eines Vertragsstaates belegenen Grundstücke die Gerichte dieses Staates ausschließlich zuständig sind.


URTEIL DES GERICHTSHOFES (SECHSTE KAMMER) VOM 6. JULI 1988. - R. O. E. SCHERRENS GEGEN M. G. MAENHOUT, R. A. M. VAN POUCKE UND L. M. L. VAN POUCKE. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG, VORGELEGT VOM GERECHTSHOF ARNHEM. - BRUESSELER UEBEREINKOMMEN - AUSSCHLIESSLICHE ZUSTAENDIGKEITEN. - RECHTSSACHE 158/87.

Entscheidungsgründe:

1 Der Gerechtshof Arnheim hat mit Urteil vom 23. März 1987, beim Gerichtshof eingegangen am 26. Mai 1987, aufgrund des Protokolls vom 3. Juni 1971 betreffend die Auslegung des Brüsseler Übereinkommens vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil - und Handelssachen eine Frage nach der Auslegung des Artikels 16 Nr. 1 des Übereinkommens zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Frage stellt sich in einem Rechtsstreit zwischen Herrn Scherrens ( Kläger ) und Frau Mänhout und anderen ( Beklagte ), der die Frage betrifft, ob zwischen dem Kläger als Pächter und Frau Mänhout und ihrem inzwischen verstorbenen Ehemann als Verpächtern mündlich ein Pachtvertrag über einen Hof geschlossen wurde, der aus Gebäuden und etwa 5 Hektar Land, belegen in Maldegem ( Belgien ), sowie aus vier in Sluis ( Niederlande ) belegenen Grundstücken von insgesamt 12 Hektar besteht.

3 Aus den Akten ergibt sich, daß die in den Niederlanden belegenen Grundstücke nicht an das in Belgien belegene Grundstück angrenzen, sondern 7 km von ihm entfernt liegen.

4 Dieser Rechtsstreit wurde, soweit er das in Belgien belegene Grundstück betrifft, vom Kläger beim Frederechter in Eeklo ( Belgien ) anhängig gemacht, zugleich jedoch, soweit er das in den Niederlanden belegene Land betrifft, bei der Pachtkamer ( Kammer für Pachtsachen ) des Kantongerecht Oostburg. Das Kantongerecht wies die Klage ab, da es den Abschluß des Pachtvertrages nicht für bewiesen hielt; der Kläger legte dagegen Berufung bei der Pachtkamer des Gerechtshof Arnheim ein.

5 Nach dem Vorlageurteil ist der Kläger der Auffassung, daß für die Gesamtheit von Hof und Grundstücken ein einziger Pachtvertrag bestehe. Da nicht ausgeschlossen werden könne, daß das belgische und das niederländische Gericht einander widersprechende Entscheidungen träfen, hielt der Gerechtshof die Frage für entscheidungserheblich, welches Gericht gemäß Artikel 16 Nr. 1 des Übereinkommens in Fällen der vorliegenden Art zuständig sei. Der Gerechtshof hat daher das Verfahren ausgesetzt und den Gerichtshof um Beantwortung der Frage ersucht, "wie Artikel 16 Nr. 1 des genannten Übereinkommens im Hinblick auf die Pacht eines Hofes auszulegen ist, bei dem die Gebäude ( mit einem Teil des Landes ) in dem einen Vertragsstaat ( Belgien ) und das Land ( zum grössten Teil ) in dem anderen Vertragsstaat ( den Niederlanden ) belegen sind ".

6 Wegen einer eingehenderen Darstellung des Sachverhalts, des Verfahrens und der beim Gerichtshof eingereichten Erklärungen wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt wird im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

7 Artikel 16 des Übereinkommens bestimmt :

"Ohne Rücksicht auf den Wohnsitz sind ausschließlich zuständig :

1 ) für Klagen, die dingliche Rechte an unbeweglichen Sachen sowie die Miete oder Pacht von unbeweglichen Sachen zum Gegenstand haben, die Gerichte des Vertragsstaats, in dem die unbewegliche Sache belegen ist;

..."

8 Die Vorlage des nationalen Gerichts betrifft die Frage, ob nach Artikel 16 Nr. 1 des Übereinkommens bei einem Rechtsstreit, dessen Gegenstand das Zustandekommen eines Pachtvertrages über in zwei Vertragsstaaten belegenen Grundbesitz ist, die Gerichte dieser Staaten jeweils für die im Hoheitsgebiet ihres Vertragsstaates belegenen Grundstücke ausschließlich zuständig sind.

9 Wie der Gerichtshof in seinem Urteil vom 15. Januar 1985 in der Rechtssache 241/83 ( Rösler/Rottwinkel, Slg. 1985, 99 ) festgestellt hat, hat die in Artikel 16 Nr. 1 vorgesehene ausschließliche Zuständigkeit der Gerichte des Vertragsstaates, in dem die unbewegliche Sache belegen ist, ihren Grund in der engen Verknüpfung von Miete und Pacht mit der rechtlichen Regelung des Eigentums an unbeweglichen Sachen und mit den im allgemeinen zwingenden Vorschriften, die seine Nutzung regeln, wie zum Beispiel den Rechtsvorschriften über die Kontrolle der Miet - und Pachthöhe und über den Schutz der Mieter und Pächter.

10 Artikel 16 Nr. 1 will nämlich, wie der Gerichtshof weiter ausgeführt hat, eine zweckmässige Zuständigkeitsverteilung dadurch gewährleisten, daß er dem wegen der Nähe zu der unbeweglichen Sache zuständigen Gericht den Vorzug gibt, da dieses eher in der Lage ist, sich über die tatsächlichen Umstände bei Abschluß und Durchführung von Miet - und Pachtverträgen über unbewegliche Sachen unmittelbare Kenntnis zu verschaffen.

11 Im Lichte dieser Erwägungen hat der Gerichtshof in dieser Rechtssache bei einem Mietvertrag über eine nur in einem Vertragsstaat belegene unbewegliche Sache entschieden, daß Artikel 16 Nr. 1 für alle Verträge über die Miete oder Pacht von unbeweglichen Sachen ohne Rücksicht auf deren Besonderheiten gilt.

12 Die gleichen Erwägungen gelten grundsätzlich bei Miet - und Pachtverträgen über Grundbesitz, dessen Teile in zwei Vertragsstaaten belegen sind.

13 Nach Artikel 16 Nr. 1 sind also bei einem Rechtsstreit, dessen Gegenstand das Zustandekommen eines Pachtvertrages über in zwei Vertragsstaaten belegenen Grundbesitz ist, die Gerichte dieser Staaten jeweils für den im Hoheitsgebiet ihres Sitzstaates belegenen Teil des Grundbesitzes ausschließlich zuständig.

14 Allerdings sind Fälle denkbar, in denen Grundbesitz, dessen Teile in zwei Vertragsstaaten belegen, aber Gegenstand eines einzigen Miet - oder Pachtvertrages sind, Besonderheiten aufweist, die eine Ausnahme von der vorstehend dargelegten allgemeinen Regel ausschließlicher Zuständigkeiten nahelegen. Dies kann z. B. der Fall sein, wenn die in einem Vertragsstaat belegenen Grundstücke an die im anderen Vertragsstaat belegenen angrenzen und der Gesamtbesitz ganz überwiegend in einem der beiden Vertragsstaaten belegen ist. Unter diesen Umständen kann es angemessen sein, den Besitz als eine Einheit und als nur in einem Vertragsstaat belegen zu betrachten, um den Gerichten dieses Staates eine ausschließliche Zuständigkeit bezueglich des Miet - oder Pachtvertrages über diesen Besitz zuzuweisen.

15 Aus den Akten lassen sich indessen im vorliegenden Fall keine solchen Besonderheiten entnehmen, da die je zum Teil in zwei Vertragsstaaten belegenen streitigen Grundstücke weder aneinandergrenzen noch ganz überwiegend in dem einen oder in dem anderen Vertragsstaat belegen sind.

16 Auf die gestellte Frage ist daher zu antworten, daß nach Artikel 16 Nr. 1 des Übereinkommens bei einem Rechtsstreit, dessen Gegenstand das Zustandekommen eines Pachtvertrages über in zwei Vertragsstaaten belegenen Grundbesitz ist, die Gerichte dieser Staaten jeweils für den im Hoheitsgebiet ihres Sitzstaates belegenen Teil des Grundbesitzes ausschließlich zuständig sind.

Kostenentscheidung:

Kosten

17 Die Auslagen der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die beim Gerichtshof schriftliche Erklärungen eingereicht hat, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren vor dem Gerichtshof ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF ( Sechste Kammmer )

auf die ihm vom Gerechtshof Arnheim mit Urteil vom 23. März 1987 vorgelegte Frage für Recht erkannt :

Nach Artikel 16 Nr. 1 des Brüsseler Übereinkommens vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil - und Handelssachen sind bei einem Rechtsstreit, dessen Gegenstand das Zustandekommen eines Pachtvertrages über in zwei Vertragsstaaten belegenen Grundbesitz ist, die Gerichte dieser Staaten jeweils für den im Hoheitsgebiet ihres Sitzstaates belegenen Teil des Grundbesitzes ausschließlich zuständig.

Ende der Entscheidung

Zurück