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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 31.05.1988
Aktenzeichen: 167/86
Rechtsgebiete: Beamtenstatut


Vorschriften:

Beamtenstatut Art. 90 Abs. 2
Beamtenstatut Art. 4
Beamtenstatut Art. 3
Beamtenstatut Art. 7
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Trotz Fehlens eines unmittelbaren Schadens kann ein Beamter gegen eine Entscheidung, die seine zukünftige finanzielle Situation in Frage stellt, klagen, da er ein berechtigtes, bestehendes und gegenwärtiges Interesse daran besitzt, ein ungewisses Element seiner dienstrechtlichen Stellung schon jetzt vom Gerichtshof klären zu lassen.

2. Auch wenn die Organe bei der Organisation ihrer Dienststellen über ein weites Ermessen verfügen, setzt das vom Statut in den Beziehungen zwischen der Behörde und dem Beamten geschaffene Gleichgewicht zwischen den Rechten und Pflichten voraus, daß die Anstellungsbehörde bei der Entscheidung über die Stellung eines Beamten alle Tatsachen berücksichtigt, die geeignet sind, sie in ihrer Entscheidung zu leiten, und bei einer Entscheidung über die dienstliche Verwendung nicht nur das dienstliche Interesse und den Grundsatz der Gleichwertigkeit der Dienstposten, sondern auch die Rechte und berechtigten Interessen des betroffenen Beamten berücksichtigt.


URTEIL DES GERICHTSHOFES (ZWEITE KAMMER) VOM 31. MAI 1988. - MARC ROUSSEAU GEGEN RECHNUNGSHOF DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN. - BEAMTE - DIENSTLICHE VERWENDUNG. - RECHTSSACHE 167/86.

Entscheidungsgründe:

1 Der Kläger, ein Beamter des Rechnungshofes der Europäischen Gemeinschaften, hat mit Klageschrift, die am 10. Juli 1986 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, Klage erhoben auf Aufhebung der Entscheidung 85-12 des Rechnungshofes vom 16. September 1985 über die Zuweisung der Dienstkraftfahrer zum Sektor des Präsidenten sowie der aufgrund der Entscheidung 85-12 getroffenen Verfügung des Präsidenten des Rechnungshofes vom gleichen Tag über die Zuweisung des Klägers zum Sektor des Präsidenten.

2 Aufgrund des internen Auswahlverfahrens CC/D/2/81 ( Stellenausschreibung vom 1. September 1981 ) betreffend die Stelle eines Kraftfahrers mit dienstlicher Verwendung bei einem Mitglied des Rechnungshofes wurde der Kläger durch Verfügung vom 28. Oktober 1981 unter Zuweisung zu einem Mitglied des Rechnungshofes als Kraftfahrer zum Beamten auf Probe ernannt. Mit Wirkung vom 1. Mai 1982 wurde er dann als Kraftfahrer bei einem Mitglied des Rechnungshofes zum Beamten auf Lebenszeit ernannt. In dieser Eigenschaft bezog er über sein Gehalt hinaus gemäß vom Rechnungshof nach Artikel 3 des Anhangs VI des Statuts getroffenen Maßnahmen eine Pauschalzulage für Überstunden.

3 Durch Verfügung vom 18. September 1985, die im Anschluß an die streitigen Entscheidungen vom 16. September 1985 erging, wurde der Kläger einem Mitglied des Rechnungshofes für eine unbestimmte Dauer, die jedoch auf keinen Fall die Amtszeit des Mitglieds überschreiten kann, zur Verfügung gestellt. Artikel 2 dieser Verfügung sieht vor, daß der Kläger während dieser Zeit die Pauschalzulage für Überstunden bezieht. Die Zulage wurde ihm also unverändert gezahlt.

4 Der Kläger richtete am 13. Dezember 1985 ein Schreiben an den Präsidenten des Rechnungshofes, mit dem er geltend machte, er sei als Kraftfahrer, der dem Kabinett eines Mitglieds des Rechnungshofes zugewiesen sei, eingestellt worden, nachdem er an einem besonderen Auswahlverfahren für gerade diese Stelle erfolgreich teilgenommen habe. Er wies darauf hin, daß die streitigen Entscheidungen nicht mit der Beschreibung des Dienstpostens in der Stellenausschreibung übereinstimmten und erhebliche finanzielle Folgen für ihn haben könnten, da er die Pauschalzulage für Überstunden verlieren würde, wenn er nicht mehr einem Mitglied des Rechnungshofes zugewiesen sei. Dieses Schreiben war als "Antrag" bezeichnet und auf Artikel 90 Absatz 1 des Statuts gestützt.

5 Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts, des Verfahrens und des Parteivorbringens wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt wird im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

Zur Zulässigkeit

6 Der Rechnungshof bestreitet die Zulässigkeit der Klage. Er macht erstens geltend, der Kläger könne kein Rechtsschutzinteresse nachweisen, da die Klage auf der zukünftigen und hypothetischen Befürchtung beruhe, die Pauschalzulage für Überstunden zu verlieren. Zweitens trägt der Rechnungshof vor, der Kläger habe nicht das in Artikel 90 Absatz 2 des Statuts vorgesehene Vorverfahren eingehalten.

7 Zum Rechtsschutzinteresse ist zu bemerken, daß die streitigen Entscheidungen den Kläger im ungewissen über seine finanzielle Situation in dem Fall lassen, daß er nicht mehr einem Mitglied des Rechnungshofes zugewiesen ist. Unter diesen Umständen und im Lichte des Urteils des Gerichtshofes vom 1. Februar 1979 in der Rechtssache 17/78 ( Deshormes/Kommission, Slg. 1979, 189 ) ist festzustellen, daß der Kläger ein berechtigtes, bestehendes und gegenwärtiges sowie ausreichend gekennzeichnetes Interesse daran besitzt, ein ungewisses Element seiner dienstrechtlichen Stellung schon jetzt gerichtlich klären zu lassen.

8 Zu dem Vorbringen, das in Artikel 90 Absatz 2 des Statuts der Beamten vorgesehene Vorverfahren sei nicht eingehalten worden, ist festzustellen, daß es nicht von ausschlaggebender Bedeutung ist, daß der Kläger, der nach eigenen Angaben zum damaligen Zeitpunkt keinen Anwalt hatte, sein Schreiben als auf Artikel 90 Absatz 1 des Statuts beruhenden "Antrag" bezeichnet hat. Aus dem Inhalt dieses Schreibens ergibt sich klar, daß der Kläger sich eindeutig gegen die ihm gegenüber getroffenen und bereits wirksam gewordenen Entscheidungen wendet. Das Schreiben stellt daher eine Beschwerde im Sinne von Artikel 90 Absatz 2 des Statuts dar.

9 Die Klage ist somit zulässig.

Zur Begründetheit

10 Der Kläger macht geltend, daß die streitigen Entscheidungen unter Verstoß gegen das Statut erlassen worden seien. Die Änderung seiner dienstlichen Verwendung habe entgegen Artikel 4 nicht dazu gedient, eine freie Planstelle zu besetzen. Er sei nicht im Sinne von Artikel 7 des Statuts eingewiesen worden, da weder eine Ernennung noch eine Versetzung in eine Planstelle stattgefunden habe. Die Pauschalzulage für Überstunden, auf die er nach den vom Rechnungshof gemäß Artikel 3 des Anhangs VI des Statuts getroffenen Maßnahmen einen Anspruch habe, könne ihm daher nicht entzogen werden. Die Änderung seines Anspruchs auf die fragliche Zulage und das Risiko, daß ihm diese entzogen werde, wenn er nicht mehr für ein Mitglied des Rechnungshofes arbeite, verletzten den Grundsatz des Schutzes wohlerworbener Rechte.

11 Der Rechnungshof führt aus, daß ein Organ bei der dienstlichen Verwendung des Personals über ein weites Ermessen verfüge, vorausgesetzt, daß diese Verwendung im dienstlichen Interesse und unter Beachtung der Gleichwertigkeit der Dienstposten erfolge. Im vorliegenden Fall seien die streitigen Entscheidungen nicht allein im dienstlichen Interesse, sondern auch im Interesse der betroffenen Beamten getroffen worden. Da Artikel 3 des Anhangs VI des Statuts bei besonderen Arbeitsbedingungen abweichend von den normalen Regeln vorsehe, daß Überstunden durch eine Pauschalzulage ohne Nachweispflicht vergütet würden, stehe es mit dem Statut in Einklang, daß die Beamten, die keine Tätigkeit bei einem Mitglied mehr ausübten, die fragliche Pauschalzulage nicht mehr bezögen.

12 Der Gerichtshof hat den Organen der Gemeinschaft in der Tat bei der Organisation ihrer Dienststellen entsprechend den ihnen übertragenen Aufgaben und bei der Verwendung des ihnen zur Verfügung stehenden Personals für diese Aufgaben ein weites Ermessen eingeräumt, vorausgesetzt jedoch, daß diese Verwendung im dienstlichen Interesse und unter Beachtung der Gleichwertigkeit der Dienstposten erfolgt.

13 Der Gerichtshof hat auch wiederholt festgestellt, daß das Statut in den Beziehungen zwischen der Behörde und dem Beamten ein Gleichgewicht zwischen den wechselseitigen Rechten und Pflichten geschaffen hat und daß die Anstellungsbehörde bei der Entscheidung über die Stellung eines Beamten, im vorliegenden Fall seiner Einweisung in eine bestimmte Planstelle, alle Tatsachen berücksichtigen muß, die geeignet sind, sie in ihrer Entscheidung zu leiten, und dabei nicht nur das dienstliche Interesse, sondern auch dasjenige des betroffenen Beamten berücksichtigen muß ( siehe das Urteil vom 28. Mai 1980 in den verbundenen Rechtssachen 33 und 75/79, Kuhner/Kommission, Slg. 1980, 1677 ). Es stellt sich daher die Frage, ob die streitigen Entscheidungen die Rechte und die berechtigten Interessen des Klägers verletzen.

14 Obwohl die fragliche Stelle in der Stellenausschreibung CC/D/2/81 lediglich als "Stelle eines Kraftfahrers, Laufbahn D 3, Dienstaltersstufe 2", bezeichnet und dort nur unter der Überschrift "Art der Tätigkeit" angegeben worden ist, daß es sich um die Stelle eines Kraftfahrers handelt, der einem Mitglied des Rechnungshofes zugewiesen ist, geht aus den Verfügungen über die Ernennung des Klägers zum Beamten auf Probe und zum Beamten auf Lebenszeit hervor, daß er als Kraftfahrer eines Mitglieds des Rechnungshofes zum Beamten auf Probe und zum Beamten auf Lebenszeit ernannt wurde.

15 Im übrigen ist unstreitig, daß der Rechnungshof bereits zur Zeit der Ernennung des Klägers ein System der Pauschalzulagen für Überstunden gemäß Artikel 3 des Anhangs VI des Statuts für Kraftfahrer der Mitglieder des Rechnungshofes eingeführt hatte. Daraus folgt, daß die Pauschalzulage für Überstunden zum Zeitpunkt der Ernennung des Klägers zum Kraftfahrer bei einem Mitglied Teil seiner Dienstbezuege war.

16 Die streitigen Entscheidungen bewirken im Zusammenhang gesehen, daß der Anspruch des Klägers auf diese Pauschalzulage für Überstunden so lange im ungewissen bleibt, wie die eine solche Zulage vorsehenden Maßnahmen gelten. Dies ist deshalb so, weil die dienstliche Verwendung des Klägers bei einem Mitglied des Rechnungshofes nach dem Wortlaut der auf die streitigen Entscheidungen vom 16. September 1985 hin getroffenen individuellen Verfügung vom 18. September 1985 nur vorübergehender Art ist und weil dem Kläger andere Aufgaben übertragen werden können, auf die die Pauschalzulage für Überstunden nicht anwendbar ist. Da der Kläger zu einem Zeitpunkt, als das System der Pauschalzulagen für Überstunden für Kraftfahrer der Mitglieder bereits in Kraft war, als Kraftfahrer bei einem Mitglied und nicht als einfacher Kraftfahrer ohne besondere Zuweisung ernannt worden ist, hat er so lange einen Anspruch auf diese Zulage, wie die vom Rechnungshof insoweit ergriffenen Maßnahmen anwendbar bleiben. Der Rechnungshof hat somit durch den Erlaß der streitigen Entscheidungen den Rechten und berechtigten Interessen des Klägers nicht hinreichend Rechnung getragen.

17 Die Entscheidung 85-12 des Rechnungshofes vom 16. September 1985 über die Zuweisung der Dienstkraftfahrer zum Sektor des Präsidenten und die aufgrund der Entscheidung 85-12 getroffene Verfügung des Präsidenten des Rechnungshofes vom gleichen Tag über die Zuweisung des Klägers zum Sektor des Präsidenten sind daher aufzuheben.

Kostenentscheidung:

Kosten

18 Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da der Rechnungshof mit seinem Vorbringen unterlegen ist, sind ihm die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF ( Zweite Kammer )

für Recht erkannt und entschieden :

1 ) Die Entscheidung 85-12 des Rechnungshofes vom 16. September 1985 über die Zuweisung der Dienstkraftfahrer zum Sektor des Präsidenten und die aufgrund der Entscheidung 85-12 getroffene Verfügung des Präsidenten des Rechnungshofes vom 16. September 1985 über die Zuweisung des Klägers zum Sektor des Präsidenten werden aufgehoben.

2 ) Der Rechnungshof trägt die Kosten des Verfahrens.

Ende der Entscheidung

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