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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 08.11.1990
Aktenzeichen: 179/88
Rechtsgebiete: EWGV, RL Nr. 76/207/EWG


Vorschriften:

EWGV Art. 177
RL Nr. 76/207/EWG Art. 5 Abs. 1
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Artikel 5 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 2 Absatz 1 der Richtlinie 76/207 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in bezug auf die Arbeitsbedingungen steht vorbehaltlich der aufgrund von Artikel 2 Absatz 3 der Richtlinie erlassenen Vorschriften des nationalen Rechts zum Schutz der Frau, insbesondere bei Schwangerschaft und Mutterschaft, Entlassungen aufgrund von Fehlzeiten infolge einer durch Schwangerschaft oder Entbindung verursachten Krankheit nicht entgegen.


URTEIL DES GERICHTSHOFES VOM 8. NOVEMBER 1990. - HANDELS- OG KONTORFUNKTIONAERERNES FORBUND I DANMARK GEGEN DANSK ARBEJDSGIVERFORENING. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: HOEJESTERET - DAENEMARK. - GLEICHBEHANDLUNG VON MAENNERN UND FRAUEN - ENTLASSUNGSBEDINGUNGEN - FEHLZEITEN INFOLGE EINER DURCH SCHWANGERSCHAFT ODER ENTBINDUNG VERURSACHTEN KRANKHEIT. - RECHTSSACHE 179/88.

Entscheidungsgründe:

1 Der Höjesteret hat mit Beschluß vom 30. Juni 1988, beim Gerichtshof eingegangen am 4. Juli 1988, gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag zwei Fragen nach der Auslegung der Richtlinie 76/207/EWG des Rates vom 9. Februar 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in bezug auf die Arbeitsbedingungen ( ABl. L 39, S. 40; im folgenden : "die Richtlinie ") zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen Frau Birthe Vibeke Hertz, einer teilzeitbeschäftigten Kassiererin und Verkäuferin, und ihrem früheren Arbeitgeber, der Aldi Marked K/S. Frau Hertz, die am 15. Juli 1982 von der Aldi Marked K/S eingestellt worden war, brachte im Juni 1983 nach einer komplizierten Schwangerschaft, während der sie in Absprache mit ihrem Arbeitgeber die meiste Zeit über krankgemeldet war, ein Kind zur Welt.

3 Nach Ablauf ihres Mutterschaftsurlaubs, der gemäß dem anwendbaren dänischen Gesetz 24 Wochen ab der Entbindung umfasste, nahm Frau Hertz Ende 1983 ihre Arbeit wieder auf. Bis Juni 1984 hatte sie keine gesundheitlichen Probleme. Von Juni 1984 bis Juni 1985 war sie jedoch erneut an 100 Arbeitstagen krankgemeldet. Zwischen den Parteien ist unstreitig, daß die Krankheit von Frau Hertz eine Folge ihrer Schwangerschaft und Entbindung war.

4 Mit Schreiben vom 27. Juni 1985 kündigte die Aldi Marked K/S das Arbeitsverhältnis mit Frau Hertz mit der gesetzlichen Frist von vier Monaten. Später erklärte die Aldi Marked K/S, daß der Grund für die Kündigung Frau Hertz' Fehlzeiten gewesen seien und daß es der normalen Praxis entspreche, Mitarbeiter, die oft wegen Krankheit fehlten, zu entlassen.

5 Nachdem das Sö - og Handelsret, Kopenhagen, die Klage von Frau Hertz gegen diese Entlassung abgewiesen hatte, legte Frau Hertz dagegen Berufung beim Höjesteret ein. Vor diesem Gericht trat der Handels - og Kontorfunktionärernes Forbund i Danmark ( Dänischer Bund der kaufmännischen Angestellten und Büroangestellten ) als Beauftragter von Frau Hertz und die Dansk Arbejdsgiverforening ( Dänischer Arbeitgeberverband ) als Beauftragte der Aldi Marked K/S auf. Da die Rechtssache seiner Ansicht nach Probleme der Auslegung der Richtlinie 76/207 des Rates aufwirft, hat das Höjesteret beschlossen, dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen :

"1)Erfasst Artikel 5 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 2 Absatz 1 der Richtlinie 76/207/EWG des Rates vom 9. Februar 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in bezug auf die Arbeitsbedingungen eine Entlassung aufgrund von Fehlzeiten infolge einer durch Schwangerschaft oder Entbindung verursachten Krankheit?

2 ) Falls diese Frage zu bejahen ist : Gilt der Schutz gegen Entlassungen aufgrund einer durch Schwangerschaft oder Entbindung verursachten Krankheit ohne zeitliche Begrenzung?"

6 Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts des Ausgangsverfahrens, des Verfahrensablaufs und der beim Gerichtshof eingereichten schriftlichen Erklärungen wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt wird im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

Zur ersten Frage

7 Die vor dem Gerichtshof abgegebenen Erklärungen zeigen, wie schwierig die vom vorlegenden Gericht gestellte Frage ist.

8 Zum einen wird geltend gemacht, die Entlassung einer Frau aufgrund einer Schwangerschaft, einer Entbindung oder häufiger Fehlzeiten infolge einer durch Schwangerschaft oder Entbindung verursachten Krankheit verstosse unabhängig davon, wann diese Krankheit auftrete, gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung, da solche Ursachen für das Fernbleiben von der Arbeit männliche Arbeitnehmer nicht betreffen und diese daher nicht aus diesem Grund entlassen werden könnten.

9 Zum anderen wird die Ansicht vertreten, man könne es einem Arbeitgeber nicht allein deshalb verwehren, eine Arbeitnehmerin wegen häufiger Krankmeldungen zu entlassen, weil ihre Krankheit durch Schwangerschaft oder Entbindung verursacht sei. Eine Entlassung aus einem solchen Grund reiche für das Vorliegen eines Verstosses gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung nicht aus. Ein Verbot einer solchen Entlassung, das einen Arbeitgeber noch Jahre nach der Entbindung treffen könnte, würde nicht nur organisatorische Schwierigkeiten und unzumutbare Folgen für die Arbeitgeber hervorzurufen drohen, sondern könnte sich auch negativ auf die Beschäftigung von Frauen auswirken. Ausserdem gestatte Artikel 2 Absatz 3 der Richtlinie den Mitgliedstaaten zwar den Erlaß von Vorschriften zum Schutz der Frau bei Schwangerschaft und Mutterschaft, gebe aber keinen Hinweis auf den genauen Inhalt derartiger Vorschriften.

10 Vorab ist darauf hinzuweisen, daß die Richtlinie nach ihrem Artikel 1 Absatz 1 zum Ziel hat, daß in den Mitgliedstaaten der Grundsatz der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in bezug auf die Arbeitsbedingungen verwirklicht wird.

11 Nach Artikel 2 Absatz 1 der Richtlinie beinhaltet "der Grundsatz der Gleichbehandlung..., daß keine unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts - insbesondere unter Bezugnahme auf den Ehe - oder Familienstand - erfolgen darf ". Nach Artikel 5 Absatz 1 beinhaltet "die Anwendung des Grundsatzes der Gleichbehandlung hinsichtlich der Arbeitsbedingungen einschließlich der Entlassungsbedingungen..., daß Männern und Frauen dieselben Bedingungen ohne Diskriminierung aufgrund des Geschlechts gewährt werden ".

12 Nach Artikel 2 Absatz 3 der Richtlinie steht "diese... nicht den Vorschriften zum Schutz der Frau, insbesondere bei Schwangerschaft und Mutterschaft, entgegen ".

13 Aus den angeführten Vorschriften der Richtlinie ergibt sich, daß die Entlassung einer Arbeitnehmerin aufgrund ihrer Schwangerschaft ebenso wie die Weigerung, eine schwangere Frau einzustellen ( siehe Urteil vom selben Tag in der Rechtssache C-177/88, Dekker, Slg. 1990, 0000 ), eine unmittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts darstellt.

14 Dagegen stellt die Entlassung einer Arbeitnehmerin aufgrund häufiger Fehlzeiten wegen Krankheit, die nicht durch eine Schwangerschaft oder Entbindung verursacht sind, keine unmittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts dar, sofern auch Männer unter den gleichen Voraussetzungen aufgrund solcher Fehlzeiten entlassen würden.

15 Die Richtlinie betrifft nicht den Fall, daß eine Krankheit durch Schwangerschaft oder Entbindung verursacht worden ist. Sie lässt jedoch nationale Vorschriften zu, die den Frauen besondere Rechte wegen Schwangerschaft und Mutterschaft, so zum Beispiel einen Anspruch auf Mutterschaftsurlaub, sichern. Daraus folgt, daß die Frau während dieses ihr nach nationalem Recht zustehenden Urlaubs dagegen gesichert ist, aufgrund ihres Fernbleibens von der Arbeit entlassen zu werden. Es ist Sache jedes Mitgliedstaats, die Dauer des Mutterschaftsurlaubs so zu bemessen, daß die Arbeitnehmerinnen in der Zeit, in der mit der Schwangerschaft und der Entbindung zusammenhängende Gesundheitsstörungen auftreten, der Arbeit fernbleiben dürfen.

16 Bei Krankheiten, die erst nach dem Mutterschaftsurlaub auftreten, besteht kein Anlaß, zwischen durch Schwangerschaft oder Entbindung verursachten Krankheiten und anderen Krankheiten zu unterscheiden. Solche pathologischen Zustände fallen somit unter die allgemeine Regelung für Krankheitsfälle.

17 Männliche und weibliche Arbeitnehmer sind nämlich in gleichem Maß dem Krankheitsrisiko ausgesetzt. Wenn auch bestimmte Gesundheitsstörungen spezifisch für das eine oder das andere Geschlecht sind, kommt es somit lediglich darauf an, ob eine Frau unter den gleichen Voraussetzungen wie ein Mann aufgrund von Fehlzeiten wegen Krankheit entlassen wird; ist dies der Fall, so liegt keine unmittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts vor.

18 In einem solchen Fall stellt sich auch nicht die Frage, ob Frauen häufiger wegen Krankheit der Arbeit fernbleiben als Männer und damit eventuell eine mittelbare Diskriminierung vorliegt.

19 Auf die erste Frage ist somit zu antworten, daß Artikel 5 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 2 Absatz 1 der Richtlinie 76/207/EWG des Rates vom 9. Februar 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in bezug auf die Arbeitsbedingungen vorbehaltlich der Vorschriften des nationalen Rechts im Sinne von Artikel 2 Absatz 3 der Richtlinie Entlassungen aufgrund von Fehlzeiten infolge einer durch Schwangerschaft oder Entbindung verursachten Krankheit nicht entgegensteht.

Zur zweiten Frage

20 Angesichts der Antwort auf die erste Frage braucht über die zweite Frage nicht entschieden zu werden.

Kostenentscheidung:

Kosten

21 Die Auslagen des Vereinigten Königreichs und der italienischen Regierung sowie der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die Erklärungen vor dem Gerichtshof abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

auf die ihm vom Höjesteret mit Beschluß vom 30. Juni 1988 vorgelegten Fragen für Recht erkannt :

Artikel 5 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 2 Absatz 1 der Richtlinie 76/207/EWG des Rates vom 9. Februar 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in bezug auf die Arbeitsbedingungen steht vorbehaltlich der Vorschriften des nationalen Rechts im Sinne von Artikel 2 Absatz 3 der Richtlinie Entlassungen aufgrund von Fehlzeiten infolge einer durch Schwangerschaft oder Entbindung verursachten Krankheit nicht entgegen.

Ende der Entscheidung

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