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Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 27.09.1988
Aktenzeichen: 18/87
Rechtsgebiete: EWGV, RL 81/389


Vorschriften:

EWGV Art. 169
EWGV Art. 12
EWGV Art. 9
RL 81/389 Art. 2
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Eine den Waren wegen des Überschreitens der Grenze einseitig auferlegte finanzielle Belastung stellt, wenn sie kein Zoll im eigentlichen Sinne ist, unabhängig von ihrer Bezeichnung und der Art ihrer Erhebung eine Abgabe zollgleicher Wirkung im Sinne der Artikel 9, 12, 13 und 16 EWG-Vertrag dar. Dies gilt jedoch dann nicht, wenn die fragliche Belastung Teil einer allgemeinen inländischen Gebührenregelung ist, die systematisch sämtliche inländischen und eingeführten Waren nach gleichen Kriterien erfasst, wenn sie ein der Höhe nach angemessenes Entgelt für einen dem Wirtschaftsteilnehmer tatsächlich geleisteten Dienst darstellt oder aber wenn sie sich auf Kontrollen bezieht, die zur Erfuellung von Verpflichtungen, die sich aus dem Gemeinschaftsrecht ergeben, durchgeführt werden, im letzteren Fall unter der Voraussetzung, daß die Gebühren nicht die tatsächlichen Kosten der Kontrollen, anläßlich deren sie erhoben werden, übersteigen, daß die fraglichen Kontrollen für alle betroffenen Erzeugnisse in der Gemeinschaft obligatorisch und einheitlich sind, daß die Gebühren vom Gemeinschaftsrecht im allgemeinen Interesse der Gemeinschaft vorgesehen sind und daß sie den freien Warenverkehr begünstigen, insbesondere indem sie die Wirkung der Hindernisse aufheben, die sich aus einseitigen Kontrollmaßnahmen ergeben können, die im Einklang mit Artikel 36 EWG-Vertrag getroffen werden.

2. Eine Gebühr, die von den Behörden eines Mitgliedstaats bei der Ein - und Durchfuhr von lebenden Tieren aus anderen Mitgliedstaaten zur Deckung der Kosten der tierärztlichen Kontrollen erhoben wird, die aufgrund der Richtlinie 81/389 betreffend die zum Schutz von Tieren beim internationalen Transport erforderlichen Maßnahmen vorgenommen werden, und die die tatsächlichen Kosten der Kontrollen nicht übersteigt, stellt keine nach den Artikeln 9 und 12 EWG-Vertrag verbotene Abgabe mit zollgleicher Wirkung dar. Die Vereinheitlichung der fraglichen Kontrollen ist nämlich geeignet, den freien Warenverkehr zu begünstigen, und die streitige Gebühr kann, da sie nur den finanziell und wirtschaftlich gerechtfertigten Ausgleich für eine Verpflichtung bezweckt, die allen Mitgliedstaaten vom Gemeinschaftsrecht in gleicher Weise auferlegt worden ist, nicht einem Zoll gleichgestellt werden. Die ungünstigen Auswirkungen, die sie auf den freien Warenverkehr in der Gemeinschaft haben kann, können nur auf der Grundlage von Gemeinschaftsbestimmungen beseitigt werden, die entweder die Harmonisierung der Gebühren oder die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, die durch die Kontrollen entstandenen Kosten zu tragen, oder schließlich die Übernahme dieser Kosten durch den Gemeinschaftshaushalt vorsehen.


URTEIL DES GERICHTSHOFES VOM 27. SEPTEMBER 1988. - KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN GEGEN BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND. - ERHEBUNG VON GEBUEHREN FUER DIE KONTROLLE VON LEBENDVIEHTRANSPORTEN IM INNERGEMEINSCHAFTLICHEN HANDELSVERKEHR. - RECHTSSACHE 18/87.

Entscheidungsgründe:

1 Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat mit Klageschrift, die am 26. Januar 1987 in der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 169 EWG-Vertrag Klage erhoben auf Feststellung, daß die Bundesrepublik Deutschland dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus den Artikeln 9 und 12 EWG-Vertrag verstossen hat, daß einige Bundesländer bei der Einfuhr von lebenden Tieren aus anderen Mitgliedstaaten der Gemeinschaft eine Gebühr zur Deckung der Kosten amtstierärztlicher Kontrollen nach der Richtlinie 81/389 des Rates vom 12. Mai 1981 ( ABl. L 150, S. 1 ) erheben.

2 In der Bundesrepublik Deutschland erheben die Behörden in den Ländern Bremen, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz bei der Ein - und Durchfuhr von lebenden Tieren, auch im innergemeinschaftlichen Handel, eine Gebühr zur Deckung der Kosten der amtstierärztlichen Kontrollen, die ein einziges Mal im Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland gemäß Artikel 2 Absatz 1 der Richtlinie 81/389 des Rates vom 12. Mai 1981 zur Festlegung von Maßnahmen für die Durchführung der Richtlinie 77/489 über den Schutz von Tieren beim internationalen Transport ( ABl. L 150, S. 1 ) vorgenommen werden.

3 Nach Ansicht der Kommission ist diese Gebühr eine nach den Artikeln 9 und 12 EWG-Vertrag verbotene Maßnahme zollgleicher Wirkung. Die Bundesrepublik Deutschland wendet sich gegen diese Qualifizierung.

4 Wegen des Sachverhalts, des Verfahrensablaufs und des Parteivorbringens wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt wird im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

5 Wie der Gerichtshof bereits mehrfach festgestellt hat, liegt die Rechtfertigung für das Verbot von Zöllen und Abgaben gleicher Wirkung darin, daß finanzielle Belastungen, die ihren Grund im Überschreiten der Grenzen haben, auch wenn sie noch so geringfügig sind, eine Behinderung des freien Warenverkehrs darstellen, die durch die damit verbundenen Verwaltungsformalitäten noch erschwert wird. Eine den Waren wegen des Überschreitens der Grenze einseitig auferlegte finanzielle Belastung stellt sonach, wenn sie kein Zoll im eigentlichen Sinne ist, unabhängig von ihrer Bezeichnung und der Art ihrer Erhebung eine Abgabe zollgleicher Wirkung im Sinne der Artikel 9, 12, 13 und 16 EWG-Vertrag dar.

6 Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes gilt das jedoch dann nicht, wenn die fragliche Belastung Teil einer allgemeinen inländischen Gebührenregelung ist, die systematisch sämtliche inländischen und eingeführten Waren nach gleichen Kriterien erfasst ( Urteil vom 31. Mai 1979 in der Rechtssache 132/78, Denkavit/Frankreich, Slg. 1979, 1923 ), wenn sie ein der Höhe nach angemessenes Entgelt für einen dem Wirtschaftsteilnehmer tatsächlich geleisteten Dienst darstellt ( Urteil vom 9. November 1983 in der Rechtssache 158/82, Kommission/Dänemark, Slg. 1983, 3573 ) oder aber - unter bestimmten Voraussetzungen - wenn sie sich auf Kontrollen bezieht, die zur Erfuellung von Verpflichtungen, die sich aus dem Gemeinschaftsrecht ergeben, durchgeführt werden ( Urteil vom 25. Januar 1977 in der Rechtssache 46/76, Bauhuis/Niederlande, Slg. 1977, 5 ).

7 Die streitige Gebühr, die bei der Einfuhr und Durchfuhr erhoben wird, kann nicht als Teil einer allgemeinen inländischen Gebührenregelung angesehen werden. Sie stellt auch nicht das Entgelt für einen dem Wirtschaftsteilnehmer geleisteten Dienst dar, da diese Voraussetzung nur erfuellt ist, wenn der Wirtschaftsteilnehmer einen bestimmten, tatsächlich gewährten Vorteil erhält ( vgl. Urteil vom 1. Juli 1969 in der Rechtssache 24/68, Kommission/Italien, Slg. 1969, 193 ); dies ist nicht der Fall, wenn die Kontrolle dazu dient, im allgemeinen Interesse die Gesundheit von lebenden Tieren beim internationalen Transport zu gewährleisten ( vgl. Urteil vom 20. März 1984 in der Rechtssache 314/82, Kommission/Belgien, Slg. 1984, 1543 ).

8 Da die streitige Gebühr anläßlich solcher Kontrollen erhoben wird, die aufgrund einer Gemeinschaftsbestimmung durchgeführt werden, ist darauf hinzuweisen, daß derartige Gebühren nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes ( Urteil vom 25. Januar 1977, a. a. O., Urteil vom 12. Juli 1977, Kommission/Niederlande, Slg. 1977, 1355, Urteil vom 31. Januar 1984 in der Rechtssache 1/83, IFG/Freistaat Bayern, Slg. 1984, 349 ) nicht als Abgaben zollgleicher Wirkung qualifiziert werden können, wenn folgende Voraussetzungen erfuellt sind :

- Die Gebühren übersteigen nicht die tatsächlichen Kosten der Kontrollen, anläßlich deren sie erhoben werden;

- die fraglichen Kontrollen sind für alle betroffenen Erzeugnisse in der Gemeinschaft obligatorisch und einheitlich;

- sie sind vom Gemeinschaftsrecht im allgemeinen Interesse der Gemeinschaft vorgesehen;

- sie begünstigen den freien Warenverkehr, insbesondere indem sie die Wirkung der Hindernisse aufheben, die sich aus einseitigen Kontrollmaßnahmen ergeben können, die im Einklang mit Artikel 36 EWG-Vertrag getroffen werden.

9 Im vorliegenden Fall erfuellt die streitige Gebühr diese Voraussetzungen. Wie zunächst festzustellen ist, ist nämlich nicht bestritten worden, daß sie die tatsächlichen Kosten der Kontrollen, anläßlich deren sie erhoben wird, nicht übersteigt.

10 Ferner sind alle Durchfuhr - und Bestimmungsmitgliedstaaten insbesondere aufgrund von Artikel 2 Absatz 1 der erwähnten Richtlinie 81/389 verpflichtet, die fraglichen amtstierärztlichen Kontrollen zum Zeitpunkt der Einfuhr der Tiere in ihr Hoheitsgebiet durchzuführen, so daß die Kontrollen für alle betroffenen Tiere in der Gemeinschaft obligatorisch und einheitlich sind.

11 Diese Kontrollen sind von der Richtlinie 81/389, die Maßnahmen für die Durchführung der Richtlinie 77/489 über den Schutz von Tieren beim internationalen Transport festlegt, vorgesehen, um den Schutz der lebenden Tiere zu gewährleisten, ein Ziel, das im allgemeinen Interesse der Gemeinschaft und nicht im besonderen Interesse einiger Staaten liegt.

12 Schließlich ist den Begründungserwägungen der beiden genannten Richtlinien zu entnehmen, daß mit diesen Richtlinien die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet des Schutzes von Tieren beim internationalen Transport harmonisiert werden sollen, um die sich aus den Unterschieden zwischen den nationalen Rechtsvorschriften ergebenden technischen Hemmnisse im Handel mit lebenden Tieren zu beseitigen ( vgl. dritte bis fünfte Begründungserwägung der Richtlinie 77/489 und dritte Begründungserwägung der Richtlinie 81/389 ). Im übrigen war mangels einer solchen Harmonisierung jeder Mitgliedstaat berechtigt, unter den Voraussetzungen des Artikels 36 EWG-Vertrag handelsbeschränkende Maßnahmen, die zum Schutze der Gesundheit und des Lebens von Tieren gerechtfertigt waren, beizubehalten oder einzuführen. Infolgedessen ist die Vereinheitlichung der fraglichen Kontrollen geeignet, den freien Warenverkehr zu begünstigen.

13 Die Kommission hat jedoch geltend gemacht, die streitige Gebühr sei als Abgabe gleicher Wirkung anzusehen, weil mangels einer Harmonisierung derartiger Gebühren - die übrigens in der Praxis nicht durchführbar sei - ihre negative Auswirkung auf den freien Warenverkehr durch die günstigen Auswirkungen der gemeinschaftlichen Vereinheitlichung der Kontrollen nicht ausgeglichen und folglich auch nicht gerechtfertigt werden könne.

14 Dazu ist zu bemerken, daß die fragliche Gebühr, da sie nur den finanziell und wirtschaftlich gerechtfertigen Ausgleich für eine Verpflichtung bezweckt, die allen Mitgliedstaaten vom Gemeinschaftsrecht in gleicher Weise auferlegt worden ist, nicht einem Zoll gleichgestellt werden und daher auch nicht unter das in den Artikeln 9 und 12 EWG-Vertrag aufgestellte Verbot fallen kann.

15 Die ungünstigen Auswirkungen, die eine solche Gebühr auf den freien Warenverkehr in der Gemeinschaft haben kann, können nur auf der Grundlage von Gemeinschaftsbestimmungen beseitigt werden, die entweder die Harmonisierung der Gebühren oder die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, die durch die Kontrollen entstandenen Kosten zu tragen, oder schließlich die Übernahme dieser Kosten durch den Gemeinschaftshaushalt vorsehen.

16 Sonach ist die Klage der Kommission abzuweisen.

Kostenentscheidung:

Kosten

17 Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Kommission unterlegen ist, sind ihr die Kosten aufzuerlegen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

für Recht erkannt und entschieden :

1 ) Die Klage wird abgewiesen.

2 ) Die Kommission trägt die Kosten des Verfahrens.

Ende der Entscheidung

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