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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 28.11.1989
Aktenzeichen: 186/88
Rechtsgebiete: EWGV, VO Nr. 2777/75/EWG


Vorschriften:

EWGV Art, 169
EWGV Art. 30
EWGV Art. 36
VO Nr. 2777/75/EWG Art. 11
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Ein Mitgliedstaat verstösst gegen seine Verpflichtungen aus Artikel 30 EWG-Vertrag sowie aus der Richtlinie 71/118 zur Regelung gesundheitlicher Fragen beim Handelsverkehr mit frischem Gefluegelfleisch und der Richtlinie 83/643 zur Erleichterung der Kontrollen und Verwaltungsformalitäten im Güterverkehr zwischen den Mitgliedstaaten, wenn er die Transporteure von frischem Gefluegelfleisch in systematischer Weise zur Voranmeldung der Ware verpflichtet, um den systematischen Einsatz von Tierärzten sicherzustellen.

Nur dann spricht nämlich nichts dagegen, für die Durchführung der Verwaltungsformalitäten, die selbst systematisch erfolgen darf, statt der allgemein für die Warenkontrolle an der Grenze zuständigen Bediensteten Tierärzte einzusetzen, wenn dieser Einsatz die Durchführung der Formalitäten beim Grenzuebertritt nicht verzögert, die Verwaltungsformalitäten nicht in tierärztliche Kontrollen verwandelt und die vorgeschriebenen Formalitäten oder Beschränkungen nicht über die mit dem Grenzuebertritt jeder Ware gleich welcher Art verbundenen üblichen Erfordernisse hinausgehen.


URTEIL DES GERICHTSHOFES VOM 28. NOVEMBER 1989. - KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN GEGEN BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND. - VERTRAGSVERLETZUNG EINES MITGLIEDSTAATES - GESUNDHEITSBEHOERDLICHE KONTROLLEN - HARMONISIERUNG - UEBERPRUEFUNG. - RECHTSSACHE 186/88.

Entscheidungsgründe:

1 Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat mit Klageschrift, die am 7. Juli 1988 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 169 EWG-Vertrag Klage auf Feststellung erhoben, daß die Bundesrepublik Deutschland gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 30 EWG-Vertrag sowie aus der Verordnung Nr. 2777/75 des Rates vom 29. Oktober 1975 über die gemeinsame Marktorganisation für Gefluegelfleisch ( ABl. L 282, S. 77 ), der Richtlinie 71/118 des Rates vom 15. Februar 1971 zur Regelung gesundheitlicher Fragen beim Handelsverkehr mit frischem Gefluegelfleisch ( Abl. L 55, S. 23 ) und der Richtlinie 83/643 des Rates vom 1. Dezember 1983 zur Erleichterung der Kontrollen und Verwaltungsformalitäten im Güterverkehr zwischen den Mitgliedstaaten ( ABl. L 359, S. 8 ) verstossen hat, daß sie frisches Gefluegelfleisch aus anderen Mitgliedstaaten systematischen Grenzkontrollen gemäß § 24 Gefluegelfleischhygienegesetz und § 7 Gefluegelfleischuntersuchungsverordnung unterwirft.

2 Nach der in der Bundesrepublik Deutschland geltenden Regelung, dem Gefluegelfleischhygienegesetz vom 12. Juli 1973 und der Gefluegelfleischuntersuchungsverordnung vom 3. November 1976 in der Fassung der Verordnung vom 27. Juli 1978 gilt für die Einfuhr von frischem Gefluegelfleisch in die Bundesrepublik Deutschland folgendes Verfahren : Der Importeur muß die Ware rechtzeitig bei der zuständigen Eingangsstelle zur Untersuchung anmelden; dabei sind Art und Menge der Ware sowie der Zeitpunkt anzugeben, zu dem die Untersuchung beginnen soll. Diese Untersuchung dient der Überprüfung, ob für die eingeführte Sendung eine gültige Genusstauglichkeitsbescheinigung vorliegt, ob die Ware, die Gegenstand dieser Sendung ist, mit der in der Bescheinigung aufgeführten Ware identisch ist und ob bestimmte Kennzeichnungen angebracht sind. Diese Untersuchung wird durch tierärztliches Personal vorgenommen.

3 Der Gerichtshof erkannte in seinem Urteil vom 20. September 1988 in der Rechtssache 190/87 ( Moormann, noch Slg. 1988, 4689 ) auf ein Vorabentscheidungsersuchen des Bundesverwaltungsgerichts wie folgt für Recht :

"1. Maßnahmen zur Untersuchung von Gefluegelfleisch, die systematisch bei der Einfuhr in das Bestimmungsland von einem Tierarzt oder von einem Sachverständigen für Gesundheitsfragen durchgeführt werden, sind Maßnahmen mit gleicher Wirkung wie mengenmässige Beschränkungen im Sinne von Artikel 30 EWG-Vertrag. Diese Maßnahmen lassen sich nicht nach Artikel 36 EWG-Vertrag rechtfertigen, soweit mit ihnen systematisch überprüft werden soll, ob den gesundheitlichen Anforderungen der Richtlinie 71/118... genügt ist.

2. Artikel 11 Absatz 2 der Verordnung Nr. 2777/75... betrifft den Handel mit Drittländern und gilt nicht für den innergemeinschaftlichen Handel.

...

4. Der Begriff 'Kontrollen' im Sinne der Richtlinie 83/643... ist dahin gehend zu verstehen, daß er alle Kontrollen umfasst, die an der Ware vorgenommen werden und eine physische Einwirkung auf sie beinhalten. Der Begriff 'Verwaltungsformalitäten' ist so zu verstehen, daß unter ihn alle Maßnahmen fallen, die in der Überprüfung der der Ware beigefügten Dokumente und Bescheinigungen bestehen und durch blosse Inaugenscheinnahme sicherstellen sollen, daß die Ware den Dokumenten und Begleitpapieren entspricht, soweit diese Maßnahmen von den Bediensteten durchgeführt werden können, die allgemein für die Warenkontrolle an der Grenze zuständig sind. Es ist Aufgabe des nationalen Gerichts, anhand dieser Definitionen zu entscheiden, in welche Gruppe die in der vierten Frage bezeichneten Maßnahmen - unter Berücksichtigung ihrer Modalitäten - einzuordnen sind.

5. Der Begriff 'Kontrollen' im Sinne von Artikel 2 der Richtlinie 83/643 ist dahin auszulegen, daß lediglich die Kontrollen im Sinne von Artikel 1 Absatz 1 der Richtlinie nur noch in Form von Stichproben erfolgen dürfen, während sich daraus für die Frage, in welcher Weise die Verwaltungsformalitäten durchzuführen sind, nichts entnehmen lässt."

4 Aufgrund dieses Urteils hat die Kommission in der Erwiderung den Streitgegenstand der Vertragsverletzungsklage genauer bestimmt; sie beantragt nunmehr festzustellen, daß die Bundesrepublik Deutschland dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 30 EWG-Vertrag, der Verordnung Nr. 2777/75, der Richtlinie 71/118 und der Richtlinie 83/643 verstossen hat, daß sie frisches Gefluegelfleisch aus anderen Mitgliedstaaten systematischen Grenzkontrollen einschließlich einer Voranmeldepflicht unterwirft, die über eine blosse Überprüfung der Ordnungsgemäßheit der die Ware begleitenden Dokumente und Bescheinigungen sowie über eine Inaugenscheinnahme der Ware im Hinblick auf ihre Identität mit der in den genannten Papieren aufgeführten Ware durch Bedienstete, die allgemein für die Warenkontrolle an der Grenze zuständig sind, hinausgehen.

5 Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts, des Verfahrensablaufs und des Vorbringens der Parteien wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt wird im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

6 Wie sich aus dem schriftlichen Verfahren aufgrund der Erwiderung und der Gegenerwiderung und aus den streitigen Erörterungen in der mündlichen Verhandlung ergibt, wirft die Kommission der Bundesrepublik Deutschland im wesentlichen vor, durch den obligatorischen Einsatz von tierärztlichem Personal zur Erledigung der Verwaltungsformalitäten systematische tierärztliche Kontrollen vorzunehmen.

7 Die Bundesrepublik Deutschland räumt ein, daß die Verpflichtung zur vorherigen Anmeldung der Ware sich aus der Notwendigkeit erkläre, die Anwesenheit der Tierärzte an den Grenzuebergangsstellen sicherzustellen und ihren Einsatz zu koordinieren. Sie bestreitet jedoch, Kontrollen vorzunehmen, die über die systematische Durchführung der Formalitäten im Sinne der Richtlinie 83/643, wie sie der Gerichtshof in seinem Urteil vom 20. September 1988 ausgelegt habe, hinausgingen. Durch den Einsatz von Tierärzten könnten die systematischen Verwaltungsformalitäten wirksamer und schneller durchgeführt werden.

8 Im Unterschied zu dem, was für den grenzueberschreitenden Verkehr mit anderen Waren gelte, stehe der Einsatz von Tierärzten zur Durchführung der Verwaltungsformalitäten bei der Beförderung von frischem Gefluegelfleisch mit dem System der Gemeinschaftsregelung in Einklang und sei im Hinblick auf die Notwendigkeit des Gesundheitsschutzes gerechtfertigt.

9 Für die Entscheidung über die Begründetheit der von der Kommission erhobenen Klage ist daran zu erinnern, daß der Gerichtshof im Urteil vom 20. Septemter 1988 festgestellt hat, daß mit der Richtlinie 71/118 des Rates vom 15. Februar 1971 zur Regelung gesundheitlicher Fragen beim Handelsverkehr mit frischem Gefluegelfleisch ( ABl. L 55, S. 23 ) ein harmonisiertes System gesundheitsbehördlicher Kontrollen eingeführt worden ist, das von einer vollständigen Kontrolle der Ware im Versandland ausgeht, die Kontrolle im Bestimmungsland ersetzt und den freien Verkehr mit den betreffenden Erzeugnissen unter den gleichen Bedingungen wie denen eines Binnenmarktes ermöglichen soll ( Randnr. 11 ). Infolgedessen dürfen nach diesem Urteil die unter die Richtlinie 71/118 fallenden Erzeugnisse nicht mehr in systematischer Weise gesundheitsbehördlichen Kontrollen unterzogen werden, zu denen unter anderem alle Kontrollmaßnahmen des Einfuhrmitgliedstaats gehören, durch die festgestellt werden soll, ob den vorgeschriebenen gesundheitlichen Anforderungen tatsächlich genügt ist, soweit bei diesen Maßnahmen ein Tierarzt oder ein Sachverständiger für Gesundheitsfragen hinzugezogen werden muß ( Randnr. 14 ).

10 Der Gerichtshof hat daraus gefolgert, daß die unter die Richtlinie 71/118 fallenden Erzeugnisse beim Überschreiten einer innergemeinschaftlichen Grenze in systematischer Weise nur noch den verwaltungstechnischen Kontrollen unterzogen werden können, denen alle Waren beim Grenzuebertritt unterliegen ( Randnr. 16 ).

11 Weiterhin hat der Gerichtshof in diesem Urteil festgestellt, daß unter Verwaltungsformalitäten, die nach der Richtlinie 83/643 systematisch durchgeführt werden dürfen, Maßnahmen zu verstehen sind, die von den Bediensteten durchgeführt werden können, die allgemein für die Warenkontrolle an der Grenze zuständig sind ( Randnr. 29 ).

12 Die Auslegung des Begriffs der Verwaltungsformalitäten durch den Gerichtshof verbietet einem Mitgliedstaat an sich nicht, diese Formalitäten von höher qualifizierten Bediensteten, in diesem Fall von tierärztlichem Personal, durchführen zu lassen, sofern der Einsatz dieser Bediensteten die Durchführung der Formalitäten beim Grenzuebertritt nicht verzögert und die Verwaltungsformalitäten nicht in tierärztliche Kontrollen verwandelt.

13 Die Pflicht zur Voranmeldung der Waren, die die deutschen Rechtsvorschriften den Transporteuren von frischem Gefluegelfleisch systematisch auferlegen, lässt sich nicht als Verwaltungsformalität ansehen, deren systematische Durchführung die Richtlinie 83/643 zulässt.

14 Diese Richtlinie, die angesichts der Notwendigkeit, den Markt zu stärken und weiterzuentwickeln, die Grenzformalitäten und -kontrollen im Innern der Gemeinschaft erleichtern soll, lässt nämlich keine Formalitäten oder Beschränkungen zu, die über die mit dem Grenzuebertritt jeder Ware gleich welcher Art verbundenen üblichen Erfordernisse hinausgehen.

15 Nach den Ausführungen der Bundesregierung dient die Voranmeldung ausschließlich dazu, den systematischen Einsatz der Tierärzte zu koordinieren und ihre Anwesenheit an den Grenzuebergangsstellen zum Zeitpunkt des Grenzuebertritts der Waren sicherzustellen. Die Bundesregierung versucht diesen obligatorischen Einsatz von Tierärzten ausser mit Wirksamkeitserwägungen mit der besonderen Art der beförderten Ware und mit der Verantwortung zu rechtfertigen, die dem tierärztlichen Dienst bei der Beförderung von Frischfleisch insbesondere im Hinblick auf das zwingende Gebot des Gesundheitsschutzes obliege.

16 Angesichts des durch die Gemeinschaftsregelung eingeführten harmonisierten Systems gesundheitsbehördlicher Kontrollen, das, wie der Gerichtshof im Urteil vom 20. September 1988 festgestellt hat, von einer vollständigen Kontrolle der Ware im Versandland ausgeht und die Kontrolle im Bestimmungsland ersetzt, lassen sich besondere zusätzliche Beschränkungen, die den Transporteuren beim Grenzuebertritt auferlegt werden, nicht mehr mit Erwägungen zur Notwendigkeit des Gesundheitsschutzes rechtfertigen.

17 Somit ist festzustellen, daß die Bundesrepublik Deutschland dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 30 EWG-Vertrag sowie aus den Richtlinien 71/118 und 83/643 verstossen hat, daß sie die Transporteure von frischem Gefluegelfleisch in systematischer Weise zur Voranmeldung der Ware verpflichtet hat, um den systematischen Einsatz von Tierärzten sicherzustellen.

Kostenentscheidung:

Kosten

18 Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Bundesrepublik Deutschland mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr die Kosten aufzuerlegen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

für Recht erkannt und entschieden :

1)Die Bundesrepublik Deutschland hat dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 30 EWG-Vertrag sowie aus der Richtlinie 71/118 des Rates vom 15. Februar 1971 zur Regelung gesundheitlicher Fragen beim Handelsverkehr mit frischem Gefluegelfleisch und der Richtlinie 83/643 des Rates vom 1. Dezember 1983 zur Erleichterung der Kontrollen und Verwaltungsformalitäten im Güterverkehr zwischen den Mitgliedstaaten verstossen, daß sie die Transporteure von frischem Gefluegelfleisch in systematischer Weise zur Voranmeldung der Ware verpflichtet hat, um den systematischen Einsatz von Tierärzten sicherzustellen.

2)Die Bundesrepublik Deutschland trägt die Kosten des Verfahrens.

Ende der Entscheidung

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