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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 28.02.1989
Aktenzeichen: 201/87
Rechtsgebiete: Verordnung Nr. 756/85 vom 22. März 1985, Verordnung Nr. 1594/83 vom 14. Juni 1983


Vorschriften:

Verordnung Nr. 756/85 vom 22. März 1985
Verordnung Nr. 1594/83 vom 14. Juni 1983 Art. 8
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Zur Zeit des Erlasses der Verordnung Nr. 756/85 über die Aussetzung der Vorausfestsetzung für Raps - und Rübsensamen sowie Sonnenblumenkerne konnte die Kommission in Anbetracht von Artikel 8 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1594/83 des Rates die Aussetzung der Vorausfestsetzung nur wirksam beschließen, wenn der Ölsaatenmarkt der Gemeinschaft tatsächlich durch eine anomale Lage des Ungleichgewichts gekennzeichnet war. Eine blosse Unrichtigkeit stellt jedoch nicht als solche eine derartige anomale Marktlage dar und bringt nicht notwendigerweise als solche die Gefahr mit sich, daß eine derartige Lage eintritt. Das Vorliegen einer blossen Unrichtigkeit im Zusammenhang mit den Umrechnungskursen für die Beihilfe in der Verordnung Nr. 735/85 zur Festsetzung des Betrags der Beihilfe für die Verarbeitung von Sonnenblumenkernen, die nur eine Möglichkeit der Entstehung einer anomalen Lage begründete, kann somit die Aussetzung der Vorausfestsetzung der Beihilfe nicht rechtfertigen. Die Verordnung Nr. 756/85 der Kommission ist daher im Hinblick auf Artikel 8 Absatz 1 der genannten Verordnung des Rates ungültig.

Die Ungültigkeit der Verordnung Nr. 756/85 impliziert, daß der Wirtschaftsteilnehmer, der eine Vorausfestsetzungsbescheinigung nach der Verordnung Nr. 735/85 beantragt hat, einen Anspruch darauf hat, in die Lage versetzt zu werden, in der er sich befunden hätte, wenn die Vorausfestsetzung nicht ausgesetzt worden wäre. Solange nicht die Ungültigkeit der letztgenannten Verordnung, die den Beihilfebetrag festsetzt, festgestellt worden ist, führt die Ungültigkeit der Verordnung Nr. 756/85 dazu, daß die nationalen Stellen verpflichtet sind, dem betroffenen Wirtschaftsteilnehmer rückwirkend die beantragten Vorausfestsetzungsbescheinigungen auszustellen und ihm die Beihilfe in Höhe des in der Verordnung Nr. 735/85 festgesetzten Betrags zu zahlen.


URTEIL DES GERICHTSHOFES (ERSTE KAMMER) VOM 28. FEBRUAR 1989. - CARGILL BV GEGEN PRODUKTSCHAP VOOR MARGARINE, VETTEN EN OLIEN. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG, VORGELEGT VOM COLLEGE VAN BEROEP VOOR HET BEDRIJFSLEVEN. - BEIHILFE FUER OELSAATEN - VORAUSFESTSETZUNG - AUSSETZUNG. - RECHTSSACHE 201/87.

Entscheidungsgründe:

1 Das College van Beroep voor het Bedrijfsleven hat mit Urteil vom 10. Juni 1987, beim Gerichtshof eingegangen am 2. Juli 1987, gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag zwei Fragen nach der Gültigkeit der Verordnung Nr. 756/85 der Kommission vom 22. März 1985 über die Aussetzung der Vorausfestsetzung der Beihilfe für Raps - und Rübsensamen sowie Sonnenblumenkerne ( ABl. L 81, S. 38 ) und nach den Folgen einer etwaigen Ungültigkeit dieser Verordnung für die Ausstellung der Vorausfestsetzungsbescheinigungen, die während der Aussetzung der Vorausfestsetzung beantragt worden sind, zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit, in dem die Cargill BV, die Klägerin des Ausgangsverfahrens, die Aufhebung einer Entscheidung begehrt, mit der die Produktschap voor Margarine, Vetten und Oliën ( im folgenden : Produktschap ), die Beklagte des Ausgangsverfahrens, es abgelehnt hat, ihr Bescheinigungen mit Vorausfestsetzung der Beihilfe für die Verarbeitung einer bestimmten Menge Sonnenblumenkerne auszustellen.

3 Mit der Verordnung Nr. 735/85 vom 21. März 1985 ( ABl. L 80, S. 18 ) hatte die Kommission den ab 22. März 1985 anwendbaren Betrag der Beihilfe für die Verarbeitung von Sonnenblumenkernen festgelegt.

4 Am 22. März 1985 kaufte die Cargill BV 10 000 Tonnen Sonnenblumenkerne in Frankreich und beantragte bei der Produktschap, ihr Bescheinigungen mit Vorausfestsetzung der Beihilfe für die Verarbeitung dieser Kerne auszustellen. Diese Bescheinigungen hätten normalerweise am folgenden Tag ausgestellt werden müssen.

5 In der Zwischenzeit hatte die Kommission jedoch festgestellt, daß eine Unrichtigkeit bei den in einem Anhang der Verordnung Nr. 735/85 enthaltenen Umrechnungskursen für die Beihilfe zur Gewährung einer höheren Beihilfe führte, als sie in Artikel 27 der Verordnung Nr. 136/66 des Rates vom 22. September 1966 über die Errichtung einer gemeinsamen Marktorganisation für Fette ( ABl. vom 30. 9. 1966, S. 3025 ) vorgesehen war. Nach dieser Bestimmung muß die Beihilfe gleich dem Unterschied zwischen dem Richtpreis der Gemeinschaft und dem Weltmarktpreis sein.

6 Am 22. März 1985 erließ die Kommission daher die Verordnung Nr. 755/85 ( ABl. L 81, S. 36 ), mit der sie den Beihilfebetrag mit Wirkung vom darauffolgenden Tag auf seine richtige Höhe zurückführte.

7 Ausserdem bestand nach Ansicht der Kommission die Gefahr, daß aufgrund der genannten Unrichtigkeit Anträge auf Vorausfestsetzung für Mengen von Ölsaaten gestellt würden, die in keinem Verhältnis zum normalen Absatz der in der Gemeinschaft geernteten Ölsaaten stuenden. Um dieser Gefahr zu begegnen, erließ sie - ebenfalls am 22. März 1985 - die vorerwähnte Verordnung Nr. 756/85, in der der 23. März 1985 als Tag ihres Inkrafttretens angegeben war und die die Vorausfestsetzung hinsichtlich der - wie im vorliegenden Fall - am 22. März 1985 gestellten Anträge aussetzte.

8 Diese Verordnung ist auf Artikel 8 der Verordnung Nr. 1594/83 des Rates vom 14. Juni 1983 über die Beihilfe für Ölsaaten ( ABl. L 163, S. 44 ) gestützt. Absatz 1 dieser Bestimmung lautet wie folgt :

"1. Im Falle anomaler Verhältnisse auf dem Ölsaatenmarkt der Gemeinschaft, insbesondere wenn die Zahl der Anträge auf Vorausfestsetzung der Beihilfe in keinem Verhältnis zum normalen Absatz der in der Gemeinschaft geernteten Ölsaaten zu stehen scheint, kann für den Fall, daß die in Artikel 4 genannte Bescheinigung noch nicht ausgestellt worden ist, beschlossen werden, daß die Höhe der Beihilfe geändert und die Vorausfestsetzung des Beihilfebetrags ausgesetzt wird, soweit dies zur Wiederherstellung des Gleichgewichts zwischen dem Markt der Gemeinschaft und dem Weltmarkt erforderlich ist."

9 Des weiteren sieht Artikel 8 der Verordnung Nr. 1594/83 vor, daß über die Aussetzung der Vorausfestsetzung normalerweise nach dem Verfahren des Verwaltungsausschusses entschieden wird, daß jedoch in dringenden Fällen die Kommission diese Aussetzung allein beschließen kann.

10 Die Produktschap wies unter Berufung auf die Aussetzung der Vorausfestsetzung mit Entscheidung vom 25. März 1985 die Anträge der Cargill BV auf Ausstellung von Vorausfestsetzungsbescheinigungen zurück.

11 In der Folge zeigte sich, daß sich die am 22. März 1985 in allen Mitgliedstaaten gestellten Anträge auf Vorausfestsetzung der Beihilfe für Ölsaaten auf insgesamt etwa 40 000 Tonnen Ölsaaten bezogen, was keine anomal hohe Menge darstellt.

12 Die Cargill BV focht die Entscheidung der Produktschap vor dem College van Beroep voor het Bedrijfsleven an und machte geltend, die Verordnung über die Aussetzung der Vorausfestsetzung sei rechtswidrig.

13 Daraufhin hat das nationale Gericht dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt :

"1 ) Ist die Verordnung ( EWG ) Nr. 756/85 der Kommission vom 22. März 1985 über die Aussetzung der Vorausfestsetzung der Beihilfe für Raps - und Rübsensamen sowie Sonnenblumenkerne gültig im Hinblick auf

- die in Artikel 8 Absatz 1 der Verordnung ( EWG ) Nr. 1594/83 des Rates aufgestellten Voraussetzungen für die Ausübung der Aussetzungsbefugnis

und

- die in diesem Artikel 8 Absatz 3 aufgestellten Verfahrensbestimmungen?

2 ) Falls der Gerichtshof der Ansicht ist, daß die Verordnung ( EWG ) Nr. 756/85 ungültig ist, ist das nationale Durchführungsorgan dann aufgrund der Gemeinschaftsvorschriften über die Beihilfe für die Verarbeitung von Sonnenblumenkernen in Verbindung mit den Artikeln 5 und 176 EWG-Vertrag verpflichtet, die beantragten Bescheinigungen nachträglich auszustellen und/oder für die betreffenden Mengen Sonnenblumenkerne Beihilfe entsprechend den Beträgen der Verordnung ( EWG ) Nr. 735/85 zu zahlen?"

14 Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts des Ausgangsverfahrens, der anwendbaren Rechtsvorschriften und der beim Gerichtshof eingereichten schriftlichen Erklärungen wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt wird im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

Zur ersten Frage

15 Die erste Frage des vorlegenden Gerichts geht dahin, ob die Verordnung Nr. 756/85 der Kommission im Hinblick auf Artikel 8 Absatz der Verordnung Nr. 1594/83 des Rates gültig ist. Das Gericht möchte insbesondere wissen, ob die Kommission die Vorausfestsetzung aussetzen durfte, sobald zu befürchten war, daß wegen einer Unrichtigkeit bei den Umrechnungskursen für die Beihilfe anomale Verhältnisse auf dem Markt eintreten würden, oder ob die Kommission die Aussetzung erst beschließen durfte, als tatsächlich anomale Verhältnisse eingetreten waren. Hilfsweise fragt das vorlegende Gericht, ob bei Erlaß der Verordnung Nr. 756/85 Artikel 8 Absatz 3 der Verordnung Nr. 1594/83 des Rates beachtet worden ist, d. h., ob ein dringender Fall vorlag, der die Kommission von der Anhörung des Verwaltungsausschusses befreite.

16 Zum ersten Teil der Frage ist festzustellen, daß nach der siebten Begründungserwägung der Verordnung Nr. 1594/83 des Rates die Möglichkeit, die Vorausfestsetzung der Beihilfe auszusetzen, eine anomale Lage auf dem Ölsaatenmarkt "beheben" soll. Des weiteren bestimmt Artikel 8 Absatz 1 dieser Verordnung, daß im Falle anomaler Verhältnisse auf dem Ölsaatenmarkt beschlossen werden kann, daß die Vorausfestsetzung des Beihilfebetrags ausgesetzt wird, soweit dies zur "Wiederherstellung" des Gleichgewichts zwischen dem Markt der Gemeinschaft und dem Weltmarkt erforderlich ist. Schließlich ist Artikel 8 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1594/83 des Rates nach den streitigen Vorgängen in der Weise geändert worden, daß er eine Aussetzung der Vorausfestsetzung im Falle anomaler Verhältnisse zulässt, die auf dem Ölsaatenmarkt der Gemeinschaft zu einer Störung führen "oder führen könnten" ( Verordnung Nr. 935/86 des Rates vom 25. März 1986 zur Änderung der Verordnung Nr. 1594/83 über die Beihilfe für Ölsaaten, ABl. L 87, S. 5 ).

17 Aus dem Vorstehenden folgt, daß die Kommission zur Zeit des Erlasses der Verordnung Nr. 756/85 die Aussetzung der Vorausfestsetzung nur wirksam beschließen konnte, wenn der Ölsaatenmarkt der Gemeinschaft tatsächlich durch eine anomale Lage des Ungleichgewichts gekennzeichnet war.

18 Es steht fest, daß im vorliegenden Fall keine derartige anomale Lage eingetreten ist. Eine blosse Unrichtigkeit stellt nämlich nicht als solche eine anomale Marktlage dar und bringt, wie die vorliegende Rechtssache zeigt, nicht notwendigerweise als solche die Gefahr mit sich, daß eine derartige Lage eintritt. Die blosse Möglichkeit, daß infolge einer Unrichtigkeit bei den Umrechnungskursen für die Beihilfe eine anomale Lage entstand, konnte daher die streitige Aussetzungsmaßnahme nicht rechtfertigen. Im übrigen hat die vorgenannte Verordnung Nr. 935/86 des Rates nach den streitigen Vorgängen einen Absatz in Artikel 8 der Verordung Nr. 1594/83 eingefügt, der die Aussetzung der Vorausfestsetzung der Beihilfe für den Fall zulässt, daß "der veröffentlichte Beihilfesatz einen sachlichen Fehler enthält ". Zur Zeit des Erlasses der Verordnung, mit der die beanstandete Aussetzung beschlossen wurde, stellte daher das Vorliegen eines derartigen Fehlers keinen triftigen Grund für die Aussetzung der Vorausfestsetzung dar.

19 Unter diesen Umständen ist auf die erste Frage zu antworten, daß die Verordnung Nr. 756/85 der Kommission im Hinblick auf Artikel 8 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1594/83 des Rates ungültig ist.

Zur zweiten Frage

20 Die zweite Frage des vorlegenden Gerichts geht dahin, ob die Ungültigkeit der Verordnung Nr. 756/85 der Kommission dazu führe, daß die Produktschap verpflichtet ist, der Cargill BV rückwirkend die am 22. März 1985 beantragten Vorausfestsetzungsbescheinigungen auszustellen und ihr die Beihilfe in Höhe des in der Verordnung Nr. 735/85 der Kommission festgesetzten Betrags zu zahlen.

21 Die Ungültigkeit der Verordnung über die Aussetzung der Vorausfestsetzung impliziert, daß die Cargill BV einen Anspruch darauf hat, in die Lage versetzt zu werden, in der sie sich befunden hätte, wenn die Vorausfestsetzung nicht ausgesetzt worden wäre. Was die Verordnung Nr. 735/85 der Kommission angeht, die nach dem Vortrag der Parteien einen Fehler enthält, so ist sie als gültig anzusehen, solange ihre Ungültigkeit nicht festgestellt worden ist. Die Frage der Gültigkeit dieser Verordnung ist im vorliegenden Vorentscheidungsverfahren nicht gestellt worden.

22 Daher ist auf die zweite Frage zu antworten, daß, solange nicht die Ungültigkeit der Verordnung Nr. 735/85 der Kommission festgestellt worden ist, die Ungültigkeit der Verordnung Nr. 756/85 der Kommission dazu führt, daß die Produktschap verpflichtet ist, der Cargill BV rückwirkend die am 22. März 1985 beantragten Vorausfestsetzungsbescheinigungen auszustellen und ihr die Beihilfe in Höhe des in der Verordnung Nr. 735/85 der Kommission festgesetzten Betrags zu zahlen.

Kostenentscheidung:

Kosten

23 Die Auslagen der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die Erklärungen vor dem Gerichtshof abgegeben hat, sind nicht erstattungsfähig. Für die Cargill BV ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem vor dem nationalen Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF ( Erste Kammer )

auf die ihm vom College van Beroep voor het Bedrijfsleven mit Urteil vom 10. Juni 1987 vorgelegten Fragen für Recht erkannt :

1 ) Die Verordnung Nr. 756/85 der Kommission ist im Hinblick auf Artikel 8 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1594/83 des Rates ungültig.

2)Solange nicht die Ungültigkeit der Verordnung Nr. 735/85 der Kommission festgestellt worden ist, führt die Ungültigkeit der Verordnung Nr. 756/85 der Kommission dazu, daß die Produktschap verpflichtet ist, der Cargill BV rückwirkend die am 22. März 1985 beantragten Vorausfestsetzungsbescheinigungen auszustellen und ihr die Beihilfe in Höhe des in der Verordnung Nr. 735/85 der Kommission festgesetzten Betrags zu zahlen.

Ende der Entscheidung

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