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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Beschluss verkündet am 26.09.1988
Aktenzeichen: 229/88 R
Rechtsgebiete: EWGV, VerfOEuGH


Vorschriften:

EWGV Art. 173
EWGV Art. 185
EWGV Art. 186
VerfOEuGH Art. 83
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Die Dringlichkeit eines Antrags auf einstweilige Anordnung im Sinne von Artikel 83 § 2 der Verfahrensordnung ist danach zu beurteilen, ob eine einstweilige Entscheidung notwendig ist, um zu verhindern, daß der Partei, die die Anordnung beantragt, ein schwerer und nicht wiedergutzumachender Schaden entsteht. Ein finanzieller Schaden wird grundsätzlich nur dann als ein schwerer und nicht wiedergutzumachender Schaden angesehen, wenn er im Falle eines Obsiegens des Antragstellers im Hauptsacheverfahren nicht vollständig ersetzt werden könnte.


BESCHLUSS DES PRAESIDENTEN DES GERICHTSHOFES VOM 26. SEPTEMBER 1988. - CARGILL BV. UND ANDERE GEGEN KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN. - BEIHILFE FUER OELSAATEN - VORAUSFESTSETZUNG - AUSSETZUNG. - RECHTSSACHE 229/88 R.

Entscheidungsgründe:

1 Die Antragstellerinnen haben mit Klageschrift, die am 10. August 1988 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 173 Absatz 2 EWG-Vertrag Klage erhoben auf Nichtigerklärung der Verordnung Nr. 1587/88 der Kommission vom 7. Juni 1988 über die Aussetzung der Vorausfestsetzung der Beihilfe für Raps - und Rübsensamen sowie Sonnenblumenkerne ( ABl. L 141, S. 55 ).

2 Mit Antragsschrift, die am 31. August 1988 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, haben die Antragstellerinnen gemäß den Artikeln 185 und 186 EWG-Vertrag und Artikel 83 der Verfahrensordnung beantragt, im Wege der einstweiligen Anordnung

a ) den Vollzug der erwähnten Verordnung Nr. 1587/88 auszusetzen;

b ) der Kommission aufzugeben, jede geeignete Maßnahme zu treffen, um sicherzustellen,

- daß den Antragstellerinnen am dritten Werktag nach der Aussetzung des Vollzugs Bescheinigungen über die Vorausfestsetzung für die Verarbeitung von Ölsaaten zu dem Beihilfesatz ausgestellt werden, der am 7. Juni 1988 für die Mengen an Raps - und Rübsensamen sowie Sonnenblumenkernen gegolten hat, die die Antragstellerinnen in ihren am 7. Juni 1988 eingereichten Anträgen auf Vorausfestsetzung angegeben hatten,

- und daß die Anträge auf Vorausfestsetzungsbescheinigungen, die nach dem 8. Juni 1988 verlangt und ausgestellt, jedoch noch nicht benutzt wurden, ohne Kautionsverlust insoweit aufgehoben werden, als sie die Mengen an Raps - und Rübsensamen sowie Sonnenblumenkernen betreffen, die die Mengen nicht überschreiten, für die Bescheinigungen in Ausführung der beantragten einstweiligen Anordnung ausgestellt werden.

3 Die Antragsgegnerin hat ihre schriftlichen Erklärungen am 13. September 1988 eingereicht. Da die schriftlichen Stellungnahmen der Parteien die zur Entscheidung über den Antrag auf einstweilige Anordnung notwendigen Informationen enthalten, erschien eine mündliche Anhörung der Parteien nicht geboten.

4 Bevor die Begründetheit des vorliegenden Antrags auf einstweilige Anordnung geprüft wird, erscheint es notwendig, kurz den Sachverhalt und den rechtlichen Rahmen dieser Rechtssache darzustellen.

5 Die Antragstellerinnen, deren Tätigkeit insbesondere darin besteht, Ölsaaten zu verarbeiten, haben am 7. Juni 1988 bei den zuständigen Behörden Anträge auf Vorausfestsetzung der Beihilfe für die Verarbeitung einer Menge von ca. 370 000 Tonnen Raps - und Rübsensamen und/oder Sonnenblumenkernen gestellt.

6 Artikel 27 der Verordnung Nr. 136/66 des Rates vom 22. September 1966 über die Errichtung einer gemeinsamen Marktorganisation für Fette ( ABl. L 1966, S. 3025 ) hat ein System der Gewährung von Beihilfen für die Verarbeitung bestimmter Ölsaaten, darunter die oben erwähnten, geschaffen. Artikel 27 Absatz 1 bestimmt, daß diese Beihilfe grundsätzlich gleich dem Unterschied zwischen dem für die fragliche Saatenart geltenden Richtpreis und dem Weltmarktpreis ist.

7 Der Rat legte die Regeln für die Gewährung der Beihilfe für Ölsaaten durch die Verordnung Nr. 1594/83 vom 14. Juni 1983 über die Beihilfe für Ölsaaten ( ABl. L 163, S. 44 ), geändert durch die Verordnung Nr. 935/86 des Rates vom 25. März 1986 ( ABl. L 87, S. 5 ), fest. Die Durchführungsbestimmungen zu dieser Beihilferegelung wurden durch die Verordnung Nr. 2681/83 der Kommission vom 21. September 1983 ( ABl. L 266, S. 1 ) erlassen.

8 Gemäß Artikel 3 Absatz 2 Unterabsatz 2 der Verordnung Nr. 1594/83 in der Fassung der Verordnung Nr. 935/86 gilt als Beihilfebetrag der Betrag, der an dem Tag gültig ist, an dem der Mitgliedstaat die Saaten identifiziert. Artikel 4 sieht jedoch die Möglichkeit vor, daß der Betroffene die Vorausfestsetzung des Beihilfebetrages beantragt. In einem solchen Fall ist, wie sich aus Artikel 3 Absatz 2 Unterabsatz 3 ergibt, der Beihilfebetrag derjenige, der am Tag der Beantragung der Vorausfestsetzung gilt. Er wird auf die Ölsaaten angewandt, die während der Gültigkeitsdauer des die Vorausfestsetzung betreffenden Teils der Bescheinigung identifiziert werden. Die Gültigkeitsdauer beträgt gemäß Artikel 11 der Verordnung Nr. 2681/83 grundsätzlich, ausser bei von der Kommission zugelassenen Ausnahmen, fünf Monate für Raps - und Rübsensamen und vier Monate für Sonnenblumenkerne, wobei die Frist in dem Monat nach demjenigen, in dem der Antrag eingegangen ist, beginnt.

9 Der die Vorausfestsetzung der Bescheinigung betreffende Teil wird grundsätzlich am ersten Werktag nach dem Tag der Beantragung ausgestellt, vorbehaltlich des Artikels 8 der Verordnung Nr. 1594/83, wonach die Kommission im Falle anomaler Verhältnisse, die eine Störung auf dem gemeinsamen Ölsaatenmarkt verursachen oder verursachen können, die Vorausfestsetzung des Beihilfebetrages unter bestimmten Voraussetzungen aussetzen kann.

10 Da die Kommission der Auffassung war, daß die Voraussetzungen von Artikel 8 der Verordnung Nr. 1594/83 erfuellt seien, erließ sie am 7. Juni 1988 die Verordnung, mit der die Vorausfestsetzung der Beihilfe für Raps - und Rübsensamen sowie Sonnenblumenkerne bei den Bescheinigungen ausgesetzt wurde, die vom 7. bis 11. Juni 1988 beantragt wurden.

11 Die Kommission erließ am selben Tag die Verordnung Nr. 1584/88 vom 7. Juni 1988 ( ABl. L 141, S. 48 ), mit der die Beihilfe für Ölsaaten, insbesondere Raps - und Rübsensamen sowie Sonnenblumenkerne, auf einen niedrigeren Betrag als den am 7. Juni 1988 geltenden festgesetzt wurde.

12 Gemäß Artikel 185 EWG-Vertrag haben Klagen bei dem Gerichtshof keine aufschiebende Wirkung. Der Gerichtshof kann jedoch, wenn er dies den Umständen nach für nötig hält, die Durchführung der angefochtenen Handlung aussetzen. Der Gerichtshof kann ausserdem gemäß Artikel 186 EWG-Vertrag in den bei ihm anhängigen Sachen die erforderlichen einstweiligen Anordnungen treffen.

13 Damit eine einstweilige Anordnung wie die beantragte erlassen werden kann, müssen nach Artikel 83 § 2 der Verfahrensordnung die entsprechenden Anträge die Umstände anführen, aus denen sich die Dringlichkeit ergibt, und es muß die Notwendigkeit der beantragten einstweiligen Anordnung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht glaubhaft gemacht werden.

14 Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes können derartige Anordnungen nur erlassen werden, wenn sie eine einstweilige Regelung darstellen in dem Sinne, daß sie der Entscheidung in der Hauptsache nicht vorgreifen ( vgl. insbesondere den Beschluß des Präsidenten des Gerichtshofes vom 7. Juli 1981 in den verbundenen Rechtssachen 60 und 190/81 R, IBM/Kommission, Slg. 1981, 1862 ), und die Dringlichkeit eines Antrags auf einstweilige Anordnung im Sinne von Artikel 83 § 2 der Verfahrensordnung ist danach zu beurteilen, ob eine einstweilige Entscheidung notwendig ist, um zu verhindern, daß der Partei, die die Anordnung beantragt, ein schwerer und nicht wiedergutzumachender Schaden entsteht.

15 Insoweit machen die Antragstellerinnen geltend, da sie Unternehmen seien, die fortgesetzt Rohstoffe kauften, verarbeiteten und die Endprodukte verkauften, seien sie zur Sicherstellung der Kontinuität ihrer Tätigkeiten gezwungen, die nach dem 8. Juni 1988 erhaltenen Bescheinigungen über die Gewährung niedrigerer Beihilfebeträge als die von ihnen am 7. Juni 1988 beantragten unverzueglich zu verwenden. Sobald sie die Bescheinigungen verwendet hätten, sei es unmöglich, ihre ursprüngliche Lage wiederherzustellen. Es bleibe ihnen daher nur die Möglichkeit, Ersatz der endgültig erlittenen Verluste zu verlangen, die sie auf etwa 24 Mio ECU schätzten. Aufgrund dieser unausweichlichen Änderung ihrer Lage in naher Zukunft, durch die sich die Schäden, die gegenwärtig noch verhindert werden könnten, in irreversibler Weise konkretisierten, könne die "restitutio in integrum", die nicht mehr möglich sei, wenn der Gerichtshof über die Hauptsache entscheide, nur durch den Erlaß einer einstweiligen Anordnung verwirklicht werden, mit der die Kommission gezwungen werde, sicherzustellen, daß ihnen Bescheinigungen für die fraglichen Mengen zu dem am 7. Juni 1988 geltenden Beihilfesatz ausgestellt würden.

16 Aus dem Vorstehenden ergibt sich, daß der einzige geltend gemachte Schaden ein finanzieller Schaden ist, der dem Unterschied zwischen dem Beihilfebetrag für die fraglichen Mengen gemäß dem am 7. Juni 1988 geltenden Satz und dem Betrag entspricht, der sich aus den seit dem 8. Juni 1988 aufgrund der Verordnung Nr. 1584/88 der Kommission geltenden neuen Sätzen ergibt.

17 Wie sich insbesondere aus dem Beschluß des Präsidenten des Gerichtshofes vom 16. Oktober 1977 in der Rechtssache 113/77 R ( NTN Toyo Bearing/Kommission, Slg. 1977, 1721 ) ergibt, wird ein solcher Schaden grundsätzlich nur dann als ein schwerer und nicht wiedergutzumachender Schaden angesehen, wenn er im Falle eines Obsiegens des Antragstellers im Hauptsacheverfahren nicht vollständig ersetzt werden könnte.

18 Vorliegend scheint dies nicht der Fall zu sein. Für einen solchen Schaden könnte nämlich gegebenenfalls im Rahmen einer Schadensersatzklage der Antragstellerinnen gemäß den Artikeln 178 und 215 Absatz 2 EWG-Vertrag Ersatz erlangt werden, so daß er nicht als irreparabel angesehen werden kann ( vgl. insbesondere die Beschlüsse des Präsidenten des Gerichtshofes vom 15. Juli 1983 in der Rechtssache 120/83 R, Raznoimport, Slg. 1983, 2573, und vom 17. Dezember 1986 in der Rechtssache 294/86 R, Technointorg, Slg. 1986, 3979 ).

19 Wie die Kommission hervorgehoben hat, wäre sie ausserdem, falls der Gerichtshof die in der Hauptsache angefochtene Verordnung für nichtig erklärt, verpflichtet, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um die Wirkungen der für nichtig erklärten Verordnung zu beseitigen, was sie durch die rückwirkende Gewährung der Beihilfe zu dem am 7. Juni 1988 geltenden Satz tun würde.

20 Aus dem Vorstehenden ergibt sich, daß die Antragstellerinnen den Beweis schuldig geblieben sind, daß sie einen schweren und nicht wiedergutzumachenden Schaden erleiden würden, wenn die beantragten einstweiligen Anordnungen nicht erlassen würden, und daß sie daher keine Umstände anführen konnten, aus denen sich die Dringlichkeit ergibt.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

der Präsident

im Verfahren der einstweiligen Anordnung

beschlossen :

1 ) Der Antrag auf einstweilige Anordnung wird zurückgewiesen.

2 ) Die Kostenentscheidung bleibt vorbehalten.

Luxemburg, den 26. September 1988.

Ende der Entscheidung

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