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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 14.07.1988
Aktenzeichen: 23/87
Rechtsgebiete: EWG/EAG BeamtStat


Vorschriften:

EWG/EAG BeamtStat Art. 90 Abs. 2
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Ein Beamter kann vor dem Gerichtshof nur Anträge stellen, die denselben Gegenstand haben wie die in der vorherigen Verwaltungsbeschwerde enthaltenen Anträge, und nur solche Rügen erheben, die auf demselben Grund beruhen wie die in der Beschwerde genannten Rügen.

2. Die Versetzung eines Beamten an einen anderen Dienstort kann für den Betroffenen familiäre Schwierigkeiten und wirtschaftliche Belastungen mit sich bringen, stellt aber kein ungewöhnliches und unvorhersehbares Ereignis in seiner Laufbahn dar, da die Dienstorte, an die er versetzt werden kann, auf mehrere Mitgliedstaaten verteilt sind und die Anstellungsbehörde möglicherweise dienstlichen Erfordernissen gerecht werden muß, die eine solche Versetzung unumgänglich machen.

Eine solche Schlußfolgerung drängt sich erst recht auf, wenn es sich um einen Bediensteten auf Zeit handelt, dessen Beschäftigungsvertrag unter Beachtung einer Kündigungsfrist aufgelöst werden kann und dem eine angemessene Frist zur Durchführung der Entscheidung über die Versetzung gewährt worden ist.


URTEIL DES GERICHTSHOFES (ERSTE KAMMER) VOM 14. JULI 1988. - MAREILE ALDINGER, VERHEIRATETE TZIOVAS UND GABRIELLA VIRGILI, VERHEIRATETE SCHETTINI GEGEN EUROPAEISCHES PARLAMENT. - BEDIENSTETE - AENDERUNG DES DIENSTORTES. - VERBUNDENE RECHTSSACHEN 23 UND 24/87.

Entscheidungsgründe:

1 Frau Mareile Aldinger und Frau Gabriella Virgili haben mit Klageschriften, die am 28. Januar 1987 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen sind, Klagen erhoben auf Aufhebung einer Reihe von Entscheidungen, mit denen die Fraktion der Europäischen Volkspartei des Europäischen Parlaments ( im folgenden : Fraktion der EVP ) die für die Arbeiten der Parlamentsausschüsse verwendeten Bediensteten nach Brüssel versetzt hat.

2 Durch Vertrag vom 8. Mai und vom 1. April 1981 wurden Frau Aldinger und Frau Virgili vom Europäischen Parlament als Bedienstete auf Zeit eingestellt und der Fraktion der EVP in Luxemburg zugewiesen.

3 Im Anschluß an Erörterungen im Jahre 1984 beschloß das Büro der Fraktion der EVP am 10. Juli 1985, die Berater bei den parlamentarischen Ausschüssen und ihre Sekretärinnen nach Brüssel zu versetzen, sobald die notwendigen Diensträume zur Verfügung stuenden. Diese Entscheidung wurde zweimal vom Vorstand der Fraktion der EVP bestätigt, und zwar in seinen Sitzungen vom 17. Juni und vom 1. Juli 1986. In der letzten Sitzung legte der Vorstand der Fraktion der EVP fest, daß "die Versetzung, um die sozialen Probleme der Betroffenen und insbesondere die schulischen Probleme voll zu berücksichtigen, im Juli 1987 erfolgen wird ".

4 Mit Schreiben vom 16. Juli 1986 benachrichtigte Sergio Guccione, Generalsekretär der Fraktion der EVP, die betroffenen Bediensteten, unter ihnen die beiden Klägerinnen, davon, daß die Versetzung im Juli 1987, am Ende des Schuljahres, erfolgen werde. In diesem Schreiben erklärte Herr Guccione ausserdem, daß er bereit sei, gegebenenfalls die Lösung der persönlichen Probleme der Betroffenen zu erörtern, und hob hervor, daß bei der Durchführung der Versetzungsmaßnahmen den Vorschlägen des Personalausschusses Rechnung getragen werde.

5 Mit Schreiben vom 7. und 17. September 1986 antworteten Frau Aldinger und Frau Virgili auf diese Mitteilung. Frau Aldinger erklärte in ihrem Schreiben, sie nehme ihre für Juli 1987 vorgesehene Versetzung nach Brüssel "zur Kenntnis ". Sie bat gleichwohl die Anstellungsbehörde, "präzise auf (( ihre )) Belange einzugehen" und unter Berücksichtigung ihrer familiären Situation "ihren Aufenthalt am Dienstort Luxemburg mindestens bis zum Ablauf der Arbeitsvertragsfrist ihres Mannes - Anfang 1989 - zu verlängern ".

6 Frau Virgili legte mit ihrem Schreiben "offizielle Beschwerde im Sinne der Artikel 90 ff. des Statuts" gegen die Mitteilung ihrer Versetzung nach Brüssel ein, betonte jedoch, daß sich ihre Beschwerde nicht gegen "die Versetzung an sich" richte, sondern eher einen "ausreichenden Aufschub" zur "Lösung bestimmter familiärer Probleme" anstrebe.

7 Am 29. Oktober 1986 antwortete der Vorsitzende der Fraktion der EVP in seiner Eigenschaft als Anstellungsbehörde auf die Schreiben der Klägerinnen. Er bestätigte die erneute Prüfung ihrer Angelegenheit, hob jedoch hervor, daß die betreffenden Versetzungsentscheidungen "Ausfluß der Organisationsbefugnis (( sind )), die das Beamtenstatut, insbesondere Artikel 7, der Anstellungsbehörde einräumt", und daß die Versetzung nach Brüssel "den Erfordernissen der Rationalisierung und der Effektivität des Dienstes Parlamentarische Arbeiten entspricht ". Er wies schließlich darauf hin, daß die Frist bis zum 1. Juli 1987 für die Versetzung auf dem Willen beruhe, "die persönlichen und familiären Probleme" der betroffenen Beamten "voll zu berücksichtigen ".

8 Im Anschluß an diese Antworten haben Frau Aldinger und Frau Virgili die vorliegenden Klagen erhoben.

9 Mit Beschluß vom 13. Mai 1987 hat der Gerichtshof ( Erste Kammer ) die Rechtssachen zu gemeinsamem Verfahren und gemeinsamer Entscheidung verbunden. Die Entscheidung über eine vom Europäischen Parlament erhobene Einrede der Unzulässigkeit ist durch Entscheidung des Gerichtshofes vom 6. Juli 1987 dem Endurteil vorbehalten worden.

10 Mit Anträgen vom 4. Juni 1987 haben die Klägerinnen die Aussetzung des Vollzugs der angefochtenen Entscheidungen beantragt. Durch Beschlüsse vom 22. Juni 1987 in den Rechtssachen 23/87 R ( Slg. 1987, 2841 ) und 24/87 R ( Slg. 1987, 2847 ) hat der Präsident der Ersten Kammer den Vollzug der in den Schreiben des Generalsekretärs der Fraktion der EVP vom 16. Juli 1986 und des Vorsitzenden der Fraktion der EVP vom 29. Oktober 1986 enthaltenen Entscheidungen über die Versetzung der Klägerinnen nach Brüssel zum 1. Juli 1987 ausgesetzt und die Entscheidung über die Kosten der Verfahren der einstweiligen Anordnung vorbehalten.

11 Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts, des Verfahrensablaufs und des Parteivorbringens wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt wird im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

Zur Zulässigkeit

12 Das Europäische Parlament wendet die Unzulässigkeit der Klagen ein und macht geltend, die Schreiben von Frau Aldinger und Frau Virgili vom 7. und 17. September 1986 seien angesichts ihrer Fassung keine Verwaltungsbeschwerden im Sinne von Artikel 90 Absatz 2 des Statuts, sondern Anträge im Sinne von Absatz 1 dieses Artikels. Da die Klägerinnen auf die negative Antwort des Vorsitzenden der Fraktion der EVP vom 29. Oktober 1986 sofort Klage erhoben hätten, seien diese folglich wegen Fehlens einer vorherigen Verwaltungsbeschwerde unzulässig.

13 Diese Einrede ist zurückzuweisen. Die genannten Schreiben stellen nämlich sehr wohl Verwaltungsbeschwerden dar, da sie klar den Willen der Klägerinnen zum Ausdruck bringen, die Entscheidung der Anstellungsbehörde anzugreifen, mit der der Termin für die Durchführung der Versetzung nach Brüssel auf Juli 1987 festgelegt wurde, was im übrigen dadurch bestätigt wird, daß der Vorsitzende der Fraktion der EVP in seiner Antwort vom 29. Oktober 1986 diese Schreiben ausdrücklich als "Beschwerden gegen eine Entscheidung der Anstellungsbehörde" bezeichnete.

14 Es ist jedoch festzustellen, daß die Klägerinnen mit diesen Beschwerden lediglich die nach ihrer Meinung zu kurze Frist gerügt haben, die ihnen für die Versetzung zugestanden worden war, und klargestellt haben, daß sie nicht die Entscheidung über die Versetzung als solche in Frage stellen wollten. In ihren Klagen haben sie demgegenüber mehrere Klagegründe vorgebracht, mit denen die Rechtswidrigkeit der Versetzung nach Brüssel selbst geltend gemacht wird.

15 Unter diesen Umständen ist, ohne daß die Stichhaltigkeit dieser auf die Rechtswidrigkeit der Versetzungsentscheidung gestützten Klagegründe zu prüfen wäre, darauf hinzuweisen, daß sie in der Beschwerde nicht vorgetragen und erst im schriftlichen Verfahren vor dem Gerichtshof vorgebracht worden sind. Aus der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofes, zuletzt bestätigt im Urteil vom 20. Mai 1987 in der Rechtssache 242/85 ( Geist/Kommission, Slg. 1987, 2181 ), ergibt sich indessen, daß bei Klagen von Beamten die vor dem Gerichtshof gestellten Anträge nur denselben Gegenstand haben können wie die in der Beschwerde aufgeführten Anträge und nur solche Rügen enthalten können, die auf demselben Grund beruhen wie die in der Beschwerde genannten Rügen. Hieraus folgt, daß die Klagegründe, mit denen die Rechtswidrigkeit der Entscheidung über die Versetzung nach Brüssel geltend gemacht wird, für unzulässig zu erklären sind, weil sie in der vorherigen Verwaltungsbeschwerde nicht angeführt worden sind.

Zu der Frist für die Durchführung der Versetzung

16 Die Klägerinnen sind der Auffassung, daß die einjährige Frist, die ihnen zur Durchführung der Entscheidung über die Versetzung nach Brüssel eingeräumt worden ist, insbesondere in Anbetracht ihrer familiären Bedürfnisse nicht angemessen sei.

17 Diesem Argument kann nicht gefolgt werden. Hierzu ist festzustellen, daß, wie der Gerichtshof bereits in seinem Urteil vom 14. Juli 1977 in der Rechtssache 61/76 ( Geist/Kommission, Slg. 1977, 1419 ) entschieden hat, "die Versetzung eines Gemeinschaftsbeamten, mag sie ihm auch familiäre Schwierigkeiten und wirtschaftliche Belastungen bereiten, kein ungewöhnliches, unvorhersehbares Ereignis in seiner Laufbahn darstellt, da die Dienstorte, an die er versetzt werden kann, sich auf verschiedene Staaten verteilen und der Dienstherr möglicherweise dienstlichen Erfordernissen gerecht werden muß, die eine solche Versetzung unumgänglich machen ".

18 Eine solche Schlußfolgerung drängt sich erst recht auf, wenn es sich um Bedienstete auf Zeit handelt, deren Beschäftigungsvertrag mit einer Frist von drei Monaten gekündigt werden kann.

19 Unter diesen Umständen ist festzustellen, daß die einjährige Frist, die zur Durchführung der streitigen Versetzung eingeräumt worden ist, unter Berücksichtigung der persönlichen Bedürfnisse der durch diese Maßnahme betroffenen Bediensteten auf Zeit angemessen ist. Die Klagen sind mithin abzuweisen.

Kostenentscheidung:

Kosten

20 Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Nach Artikel 70 der Verfahrensordnung tragen jedoch die Organe in Rechtsstreitigkeiten mit Bediensteten der Gemeinschaften ihre Kosten selbst.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF ( Erste Kammer )

für Recht erkannt und entschieden :

1 ) Die Klagen werden abgewiesen.

2 ) Jede Partei trägt ihre eigenen Kosten einschließlich der Kosten des Verfahrens der einstweiligen Anordnung.

Ende der Entscheidung

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