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Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 08.02.1990
Aktenzeichen: 233/88
Rechtsgebiete: EWGV


Vorschriften:

EWGV Art. 177
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Die Auslegung des mit dem Brüsseler Abkommen vom 15. Dezember 1950 eingeführten Zolltarifschemas für die Einreihung der Waren in die Zolltarife durch den Rat für die Zusammenarbeit auf dem Gebiete des Zollwesens ist für die Gemeinschaft verbindlich, wenn sie sich mit der in den Mitgliedstaaten herrschenden Praxis deckt und wenn sie dem Wortlaut der fraglichen Tarifnummer nicht zuwiderläuft oder nicht offensichtlich die dem Rat eingeräumten Ermessensbefugnisse überschreitet.

In den Fällen, in denen die Auslegung des Zolltarifschemas durch den Rat für die Zusammenarbeit auf dem Gebiete des Zollwesens für die Gemeinschaft nicht verbindlich ist, oder wenn eine solche Auslegung fehlt, ist der Gemeinschaftsgesetzgeber befugt, das Zolltarifschema - unter der Kontrolle des Gerichtshofes - im Verordnungswege so auszulegen, wie es von der Gemeinschaft anzuwenden ist. Bei der Ausübung dieser Befugnis hat er das in dem genannten Abkommen ausgesprochene Verbot, Änderungen in den Anmerkungen zu den Kapiteln oder Abschnitten vorzunehmen, die die Tragweite der Kapitel, Abschnitte und Positionen verändern könnten, zu beachten.

2. Die Gültigkeit der Zusätzlichen Vorschrift 6 Buchstabe a zu Kapitel 2 des Gemeinsamen Zolltarifs, wonach als "gewürztes Fleisch" ungegartes Fleisch gilt, das im Inneren oder auf der ganzen Oberfläche derart gewürzt ist, daß die Würzstoffe mit blossem Auge oder deutlich durch Geschmack wahrnehmbar sind, kann nicht mit der Begründung bestritten werden, sie führe subjektive Kriterien ein und entferne sich von der Auslegung, die der Rat für die Zusammenarbeit auf dem Gebiete des Zollwesens vorgenommen habe. Diese Vorschrift präzisiert nämlich nur die für die Zuordnung bestimmter Waren zu einer bestimmten Tarifnummer des Gemeinsamen Zolltarifs zu berücksichtigenden Kriterien im Einklang mit der Auslegung durch diesen Rat und zieht Kriterien heran, die - in Anbetracht dessen, daß es objektive sensorische Analysemethoden gibt, die in nationalen und internationalen Normen niedergelegt wurden - die objektiven Beschaffenheitsmerkmale und Eigenschaften der Ware, deren Vorliegen im Zeitpunkt der Verzollung nachgeprüft werden kann, berücksichtigt.


URTEIL DES GERICHTSHOFES (FUENFTE KAMMER) VOM 8. FEBRUAR 1990. - GIJS VAN DE KOLK-DOUANE EXPEDITEUR BV GEGEN INSPECTEUR DER INVOERRECHTEN EN ACCIJNZEN. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: TARIEFCOMMISSIE - NIEDERLANDE. - GEMEINSAMER ZOLLTARIF - TARIFIERUNG - ZOLLTARIFSCHEMA - GEWUERZTES FLEISCH. - RECHTSSACHE 233/88.

Entscheidungsgründe:

1 Die Tariefcommissie Amsterdam hat mit Beschluß vom 28. Juni 1988, beim Gerichtshof eingegangen am 16. August 1988, gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag eine Frage nach der Gültigkeit der durch die Verordnung ( EWG ) Nr. 3400/84 des Rates vom 27. November 1984 zur Änderung der Verordnung ( EWG ) Nr. 950/68 über den Gemeinsamen Zolltarif ( ABl. L 320, S. 1 ) eingefügten Zusätzlichen Vorschrift 6 Buchstabe a zu Kapitel 2 ( in Teil II Abschnitt I ) des Gemeinsamen Zolltarifs zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Die Zusätzliche Vorschrift 6 Buchstabe a lautet : "' Gewürztes Fleisch' von Gefluegel, Schweinen sowie Rindern gehört - ausser den unter Buchstabe c beschriebenen Erzeugnissen - zu den Tarifstellen 16.02 B I, 16.02 B III a bzw. 16.02 B III b 1 aa. Als 'gewürztes Fleisch' gilt ungegartes Fleisch, das im Inneren oder auf der ganzen Oberfläche derart gewürzt ist, daß die Würzstoffe mit blossem Auge oder deutlich durch Geschmack wahrnehmbar sind."

3 Im Ausgangsverfahren geht es um die Tarifierung von Gefluegelfleisch, das als "Junghühnerbrüste ohne Knochen, ohne Haut, gewürzt" eingeführt wurde. Das Laboratorium des Finanzministeriums stellte in seinem Bericht über die von ihm durchgeführte Untersuchung fest, "daß die Gewürze nur auf der Oberseite aufgetragen wurden und deshalb nicht jedes Teil sichtbar auf der ganzen Oberfläche oder deutlich durch Geschmack wahrnehmbar gewürzt wurde ". Die fraglichen Erzeugnisse erfuellten daher nicht die Voraussetzungen der Vorschrift 6 Buchstabe a und konnten somit nicht als gewürztes Fleisch der Tarifnummer 16.02 angesehen werden. Die niederländischen Behörden lehnten eine neue Untersuchung der Waren ab, weil der darauf gerichtete Antrag zu spät eingereicht wurde, und wiesen die Waren der Tarifstelle 02.02 B I c zu.

4 Diese Tarifierung nach Tarifnummer 02.02 (" Hausgefluegel, nicht lebend, und genießbarer Schlachtabfall hiervon..., frisch, gekühlt oder gefroren ") hatte zur Folge, daß der Importeur einen Betrag von 50 675,70 HFL an Agrarabschöpfungen und Währungsausgleichsbeträgen zu entrichten hatte, während die letztgenannten Beträge für Fleisch der Tarifnummer 16.02 (" Fleisch und Schlachtabfall, anders zubereitet oder haltbar gemacht ") nicht angefallen wären.

5 Die mit dem Rechtsstreit befasste Tariefcommissie war der Ansicht, daß die Gültigkeit der Vorschrift 6 Buchstabe a zweifelhaft sei, da sie von den Kriterien des vorliegend anwendbaren Brüsseler Abkommens vom 15. Dezember 1950 über das Zolltarifschema für die Einreihung der Waren in die Zolltarife ( Recüil des traités des Nations unies, Band 347, S. 127; hiernach : Zolltarifschema-Abkommen ) abweiche, die die Abgrenzung der Tarifnummern 02.02 und 16.02 erlaubten und deren Inhalt der Gerichtshof im Urteil vom 17. März 1983 in der Rechtssache 175/82 ( Dinter, Slg. 1983, 969 ) beschrieben habe; daher hat sie dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt :

"Ist die Zusätzliche Vorschrift 6 Buchstabe a zu Kapitel 2 des Gemeinsamen Zolltarifs, wie sie vom Rat im Anhang der Verordnung ( EWG ) Nr. 3400/84 erlassen worden ist, gültig?"

6 Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts und des rechtlichen Rahmens des Ausgangsverfahrens sowie des Verfahrensablaufs und der beim Gerichtshof eingereichten Erklärungen wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt wird im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

7 Für die Beantwortung der Frage des vorlegenden Gerichts ist zunächst zu prüfen, ob der Rat mit dem Erlaß der strittigen Vorschrift den Ermessensspielraum überschritten hat, über den er bei der Auslegung des Gemeinsamen Zolltarifs verfügt.

8 Nach den Erläuterungen des Rates für die Zusammenarbeit auf dem Gebiete des Zollwesens, der durch Abkommen vom selben Tag wie das Zolltarifschema-Abkommen gegründet wurde und der unter anderem die Aufgabe hat, Avise zur Auslegung des Zolltarifschemas abzugeben, gehören zu Tarifnummer 16.02 "Fleisch und Schlachtabfall aller Art, durch andere als im Kapitel 2 vorgesehene Verfahren zubereitet oder haltbar gemacht, einschließlich solchem Fleisch usw., das lediglich mit Teig umhüllt oder mit Paniermehl bestreut ( paniert ), getrüffelt oder gewürzt ( z. B. mit Pfeffer und Salz ) ist ".

9 Wie der Gerichtshof in seinem Urteil vom 19. November 1975 in der Rechtssache 38/75 ( Nederlandse Spoorwegen, Slg. 1975, 1439, Randnr. 25 ) ausgeführt hat, ist die Auslegung des Zolltarifschemas durch den Rat für die Zusammenarbeit auf dem Gebiete des Zollwesens für die Gemeinschaft verbindlich, wenn sie sich mit der in den Mitgliedstaaten herrschenden Praxis deckt, dem Wortlaut der fraglichen Tarifnummer nicht zuwiderläuft oder nicht offensichtlich die dem Rat für die Zusammenarbeit auf dem Gebiete des Zollwesens eingeräumten Ermessensbefugnisse überschreitet.

10 In den Fällen, in denen die Auslegung des Zolltarifschemas durch den Rat für die Zusammenarbeit auf dem Gebiete des Zollwesens für die Gemeinschaft nicht verbindlich ist, oder wenn eine solche Auslegung fehlt, ist der Gemeinschaftsgesetzgeber befugt, das Zolltarifschema - unter der Kontrolle des Gerichtshofes - im Verordnungswege so auszulegen, wie es von der Gemeinschaft anzuwenden ist.

11 Mit der streitigen Vorschrift soll näher bestimmt werden, was unter gewürztem Fleisch oder Schlachtabfall im Sinne der genannten Erläuterungen des Rates für die Zusammenarbeit auf dem Gebiete des Zollwesens zu verstehen ist. Dazu sind Tarifierungskriterien auf der Grundlage sensorischer Analysemethoden für die Waren festgelegt worden.

12 Diese Tarifierungskriterien stehen im Einklang mit der Rechtsprechung des Gerichtshofes, wonach die Tarifierung von Waren im Interesse der Rechtssicherheit und leichten Nachprüfbarkeit aufgrund objektiver Beschaffenheitsmerkmale und Eigenschaften der Ware zu erfolgen hat, deren Vorliegen im Zeitpunkt der Verzollung nachgeprüft werden kann ( siehe u. a. das Urteil vom 16. Dezember 1976 in der Rechtssache 38/76, Luma, Slg. 1976, 2027, Randnr. 7 ).

13 Für die Anwendung von Kriterien, wie sie in der streitigen Vorschrift vorgesehen sind, gibt es objektive sensorische Analysemethoden, die kürzlich entwickelt wurden und die in nationalen und internationalen Normen niedergelegt sind, wie in der DIN 10954 in der Bundesrepublik Deutschland und der ISO-Norm 4120, die 1982 von der International Organization for Standardization in Genf den Mitgliederausschüssen vorgelegt wurde. Wie die Kommission ausgeführt hat, lassen sich mit diesen Analysemethoden bei Waren in dem Zustand, in dem sie zur Zollabfertigung gestellt werden, die vier Grundgeschmacksrichtungen - süß, sauer, salzig und bitter - auch bei sehr geringen Dosen der Geschmacksstoffe von einer statistisch als ausreichend anzusehenden Anzahl von Personen mit grosser Genauigkeit bestimmen.

14 Der Gerichtshof hat zwar in seinem genannten Urteil vom 17. März 1983 entschieden, daß ein so subjektives Kriterium wie der Geschmack nicht zur Beurteilung der Frage, ob Fleisch gewürzt ist, herangezogen werden kann und daß die Tarifnummer 16.02 des Gemeinsamen Zolltarifs in dem Sinne auszulegen ist, daß sie auch Gefluegelfleisch erfasst, dem Salz und Pfeffer hinzugefügt worden sind, selbst wenn der Pfeffer nur mikroskopisch feststellbar ist.

15 Die Umstände, unter denen dieses Urteil erging, unterscheiden sich jedoch von denen des vorliegenden Falles. Damals gab es nämlich noch keine Auslegungsverordnung für die betreffende Bestimmung des Gemeinsamen Zolltarifs, und zum Zeitpunkt der von den nationalen Behörden vorgenommenen Untersuchung der Waren war die ISO-Norm 4120 noch nicht erlassen.

16 Dies führt zu der Schlußfolgerung, daß der Rat mit der Aufstellung der genannten Kriterien weder den Grundsatz der Rechtssicherheit verletzt noch auf andere Weise den ihm in diesem Bereich zustehenden Ermessensspielraum überschritten hat.

17 Die streitige Vorschrift verstösst auch nicht gegen das Zolltarifschema-Abkommen, wonach die Vertragschließenden Teile verpflichtet sind, keine Änderungen in den Anmerkungen zu den Kapiteln oder Abschnitten vorzunehmen, die die Tragweite der Kapitel, Abschnitte und Positionen verändern könnten ( Artikel II Absatz b Ziffer ii ).

18 Diese Vorschrift verändert nämlich nicht die Tragweite der Kapitel, Abschnitte und Positionen des Zolltarifschemas. Sie präzisiert nur die für die Zuordnung bestimmter Waren zu einer bestimmten Tarifnummer des Gemeinsamen Zolltarifs zu berücksichtigenden Kriterien im Einklang mit der Auslegung dieser Tarifnummer durch den Rat für die Zusammenarbeit auf dem Gebiete des Zollwesens.

19 Somit ist zu antworten, daß die Prüfung der vorgelegten Frage nichts ergeben hat, was die Gültigkeit der Zusätzlichen Vorschrift 6 Buchstabe a zu Kapitel 2 ( in Teil II Abschnitt I ) des Gemeinsamen Zolltarifs in der Fassung der Verordnung Nr. 3400/84 des Rates vom 27. November 1984 beeinträchtigen könnte.

Kostenentscheidung:

Kosten

20 Die Auslagen des Rates und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die Erklärungen vor dem Gerichtshof abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF ( Fünfte Kammer )

auf die ihm von der Tariefcommissie Amsterdam mit Beschluß vom 28. Juni 1988 vorgelegte Frage für Recht erkannt :

Die Prüfung der vorgelegten Frage hat nichts ergeben, was die Gültigkeit der Zusätzlichen Vorschrift 6 Buchstabe a zu Kapitel 2 ( in Teil II Abschnitt I ) des Gemeinsamen Zolltarifs in der Fassung der Verordnung ( EWG ) Nr. 3400/84 des Rates vom 27. November 1984 zur Änderung der Verordnung ( EWG ) Nr. 950/68 über den Gemeinsamen Zolltarif beeinträchtigen könnte.

Ende der Entscheidung

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