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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 14.07.1988
Aktenzeichen: 298/86
Rechtsgebiete: EWGV, RL 72/464/EWG


Vorschriften:

EWGV Art. 169
EWGV Art. 30
RL 72/464/EWG Art. 30
RL 72/464/EWG Art. 5
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Der Gegenstand einer Klage nach Artikel 169 EWG-Vertrag wird durch das in dieser Vorschrift vorgesehene vorprozessuale Verfahren umschrieben. Das Aufforderungsschreiben und die mit Gründen versehene Stellungnahme der Kommission einerseits sowie die Klage andererseits müssen daher auf dieselben Gründe und Angriffsmittel gestützt werden. Soweit die Klage Rügen enthält, die nicht Gegenstand des vorprozessualen Verfahrens waren, ist sie unzulässig; ebenso unzulässig ist eine Rüge, die vor dem Gerichtshof erhoben wird, ohne daß sie in der Klageschrift enthalten war.

2. Nach Artikel 169 Absatz 2 EWG-Vertrag kann ein Vertragsverletzungsverfahren beim Gerichtshof nur anhängig gemacht werden, wenn der betreffende Mitgliedstaat der mit Gründen versehenen Stellungnahme innerhalb der von der Kommission gesetzten Frist nicht nachgekommen ist. Hat der Mitgliedstaat, an den eine mit Gründen versehene Stellungnahme gerichtet ist, in seiner Antwort zugesagt, die beanstandete Vertragsverletzung zu beseitigen, hat die Kommission zu beweisen, daß die Vertragsverletzung trotz der Zusagen nach Ablauf dieser Frist fortbesteht. Wird dieser Beweis nicht erbracht, ist die Klage unbegründet.


URTEIL DES GERICHTSHOFES VOM 14. JULI 1988. - KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN GEGEN KOENIGREICH BELGIEN. - EINZELHANDELSPREISREGELUNG FUER TABAKWAREN. - RECHTSSACHE 298/86.

Entscheidungsgründe:

1 Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat mit Klageschrift, die am 28. November 1986 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 169 EWG-Vertrag Klage auf Feststellung erhoben, daß das Königreich Belgien gegen seine Verpflichtungen aus dem EWG-Vertrag, insbesondere Artikel 30, und aus Artikel 5 Absatz 1 der Richtlinie 72/464 des Rates vom 19. Dezember 1972 über die anderen Verbrauchsteuern auf Tabakwaren als die Umsatzsteuer ( ABl. L 303, S. 1 ) verstossen hat, indem es für bestimmte Gruppen von Tabakwaren andere Kleinverkaufspreise als die von den Herstellern und Importeuren frei bestimmten Preise festgesetzt hat.

2 Tabakwaren unterliegen in Belgien der Verbrauchsteuer nach einem System, das durch die Erhebung einer wertabhängigen Steuer gekennzeichnet ist, die auf der Grundlage des Kleinverkaufspreises einschließlich Mehrwertsteuer berechnet wird. Der Hersteller oder Importeur hat die Summe beider Steuerbeträge beim Erwerb der Steuerbanderolen bei der nationalen Verwaltung zu entrichten; die Banderolen sind auf den verschiedenen hergestellten oder eingeführten Tabakwaren anzubringen und geben den Kleinverkaufspreis an. Nach Anbringung der Banderole müssen die Erzeugnisse an den Verbraucher unbedingt zu einem Preis verkauft werden, der den auf der Banderole angegebenen Preis nicht übersteigt.

3 Die vorliegende Klage geht auf die Feststellung der Kommission zurück, daß diese Rechtsvorschriften von der belgischen Verwaltung dahin ausgelegt würden, daß sie sie berechtigten, für jede Tabakware derselben Gruppe und derselben Marke selbst einen einheitlichen Kleinverkaufspreis festzusetzen. Dieser einheitliche Preis, der die Bemessungsgrundlage für die Mehrwertsteuer und die Verbrauchsteuer darstelle, sei der höchste der Preise, die vom Hersteller oder von den Importeuren des Erzeugnisses für den Kauf der Banderolen genannt würden. Daher müssten die Wirtschaftsteilnehmer, die einen niedrigeren Verkaufspreis als den ihrer Mitbewerber festsetzen wollten, die beiden Steuern auf der Grundlage eines Preises zahlen, den sie nicht frei bestimmt hätten.

4 Am 18. April 1984 richtete die Kommission an die belgische Regierung ein Aufforderungsschreiben gemäß Artikel 169 Absatz 1 EWG-Vertrag. Sie wies darauf hin, daß die von der belgischen Verwaltung angewandte Preisregelung gegen Artikel 5 Absatz 1 der Richtlinie 72/464 verstosse, wonach "die Hersteller und Importeure... frei für jedes ihrer Erzeugnisse den Kleinverkaufshöchstpreis" bestimmten. Ausserdem verstosse Artikel 58 des belgischen Mehrwertsteuergesetzes, der die Erhebung der Mehrwertsteuer auf Tabakwaren regele, gegen Artikel 30 EWG-Vertrag, da er unter anderem die Parallelimporteure daran hindere, niedrigere Preise als die vom Hersteller angewandten festzusetzen und dadurch ihren Anteil am belgischen Markt zu vergrössern. Da dieses Schreiben unbeantwortet blieb, gab die Kommission am 5. Dezember 1984 eine mit Gründen versehene Stellungnahme ab, in der sie ihren Standpunkt wiederholte und die belgische Regierung aufforderte, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um der Stellungnahme binnen einem Monat nachzukommen.

5 Die belgische Regierung antwortete auf die mit Gründen versehene Stellungnahme mit Schreiben vom 13. Dezember 1984. Sie teilte der Kommission unter anderem mit, daß sie bereit sei, einem Importeur zu gestatten, daß er einen niedrigeren Kleinverkaufspreis als den seines Mitbewerbers festsetze, und damit unterschiedliche Hoechstpreise für gleiche Erzeugnisse zu akzeptieren. Zur Vereinbarkeit des Artikels 58 des Mehrwertsteuergesetzes mit Artikel 30 EWG-Vertrag trug die belgische Regierung vor, die belgische Steuerregelung unterscheide nicht zwischen den einzelnen Importeuren. Da die Kommission die Antwort der belgischen Regierung auf die mit Gründen versehene Stellungnahme nicht für ausreichend hielt, hat sie die vorliegende Klage erhoben.

6 Wegen weiterer Einzelheiten der nationalen Rechtsvorschriften, des Verfahrensablaufs und des Vorbringens der Parteien wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt wird im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

7 Auf Verlangen des Gerichtshofes hat die Kommission den genauen Gegenstand ihrer Klage insbesondere dahin verdeutlicht, daß sie folgendes als Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht ansehe :

1 ) Die belgischen Behörden ließen die Hersteller und Importeure von Tabakwaren die Kleinverkaufshöchstpreise für jedes ihrer Erzeugnisse nicht frei bestimmen.

Unter diese Rüge falle die Weigerung der belgischen Behörden,

a ) an Parallelimporteure Steuerbanderolen für niedrigere Kleinverkaufspreise abzugeben, als sie der Alleinimporteur des betreffenden Erzeugnisses festgesetzt habe;

b ) Steuerbanderolen für höhere Kleinverkaufspreise abzugeben, als sie bei dem ersten Inverkehrbringen festgesetzt worden seien, wenn der Importeur oder Hersteller die Preise seiner Erzeugnisse erhöhen wolle;

c ) Steuerbanderolen für niedrigere Kleinverkaufspreise abzugeben, als sie in der "Tabelle der Steuerbanderolen für Tabakwaren" vorgesehen seien.

2 ) Die nationalen Rechtsvorschriften über das System der Kleinverkaufspreise für Tabakerzeugnisse informierten die betroffenen Rechtsbürger nicht darüber, daß die inländischen Hersteller und Importeure nach der Richtlinie 72/464, insbesondere Artikel 5 Absatz 1, berechtigt seien, die Kleinverkaufshöchstpreise für jede ihrer Tabakwaren frei zu bestimmen. Insoweit müssten die betreffenden Rechtsvorschriften angepasst werden.

8 Zunächst ist festzustellen, daß die Rüge, die nationalen Rechtsvorschriften seien so anzupassen, daß sie die betroffenen Wirtschaftsteilnehmer über ihre Rechte informierten ( Rüge 2 ), nicht geprüft werden kann; sie ist nämlich nicht in dem Antrag der Kommission, wie sie ihn in der Klageschrift gestellt hat, enthalten. Dieser Antrag bezieht sich nur auf eine Praxis der belgischen Behörden bei der Preisfestsetzung, ohne den geringsten Hinweis auf die Notwendigkeit einer Änderung der nationalen Rechtsvorschriften.

9 Was die Weigerung der belgischen Behörden betrifft, Steuerbanderolen für niedrigere Kleinverkaufspreise als die in der "Tabelle der Steuerbanderolen für Tabakwaren" vorgesehenen abzugeben ( Rüge 1 c ), so macht die belgische Regierung geltend, daß diese Rüge nicht Gegenstand des vorprozessualen Verfahrens gewesen sei; der Umfang der Skala der Steuerbanderolen sei weder in dem Aufforderungsschreiben noch in der mit Gründen versehenen Stellungnahme beanstandet worden.

10 Diesem Argument der belgischen Regierung ist zu folgen. Eine Rüge bezueglich des Umfangs der Skala ist nämlich weder in dem Aufforderungsschreiben noch in der mit Gründen versehenen Stellungnahme erhoben worden. Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes wird der Gegenstand einer Klage nach Artikel 169 EWG-Vertrag aber durch das in dieser Vorschrift vorgesehene vorprozessuale Verfahren umschrieben; die mit Gründen versehene Stellungnahme der Kommission und die Klage müssen daher auf dieselben Gründe und Angriffsmittel gestützt werden.

11 Die Klage ist also unzulässig, soweit sie den Umfang der Skala der Steuerbanderolen betrifft.

12 Somit sind nur die Probleme zu untersuchen, die die Möglichkeit, Steuerbanderolen für einen niedrigeren Kleinverkaufspreis zu erhalten, als ihn der Hersteller oder Hauptimporteur festgesetzt hat, sowie die Möglichkeit betreffen, den Preis eines Erzeugnisses nach dem ersten Inverkehrbringen zu ändern ( Rügen 1 a und 1 b ).

13 Zu diesen beiden Punkten trägt die Kommission vor, das von den belgischen Behörden angewandte Preissystem erlaube es den Herstellern und Importeuren nicht, ihre Preise frei zu bestimmen. In der mündlichen Verhandlung hat die Kommission geltend gemacht, die betreffenden Praktiken hätten insbesondere zur Folge, daß den Verbrauchermärkten, die zugleich Einzelhändler und Importeur sein könnten, eine Absatzförderung über den Preis praktisch unmöglich sei. Eine solche Absatzförderung könne nur durch den Verkauf zu einem niedrigeren als dem auf der Steuerbanderole angegebenen Preis und durch Zahlung der Verbrauch - und der Mehrwertsteuer auf der Grundlage dieses letzteren, höheren Preises erfolgen.

14 Nach Ansicht der belgischen Regierung sind diese Rügen gegenstandslos geworden. In ihrer Antwort auf die mit Gründen versehene Stellungnahme habe sie sich bereit erklärt, den Parallelimporteuren zu gestatten, daß sie für ihr Erzeugnis einen niedrigeren Kleinverkaufspreis als den ihres Mitbewerbers bestimmten, und somit auf dem belgischen Markt unterschiedliche Preise für gleiche Erzeugnisse zu akzeptieren. Bezueglich der Möglichkeit, die Preise nach dem ersten Inverkehrbringen des Erzeugnisses zu ändern, habe sie der Kommission schon im Mai 1979 mitgeteilt, daß der Kleinverkaufspreis der Erzeugnisse sowohl nach unten als auch nach oben geändert werden könne.

15 Die belgische Regierung bestreitet mit ihrer Verteidigung letztlich, daß die beanstandeten Praktiken nach Ablauf der in der mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzten Frist beibehalten worden seien. Nach Artikel 169 Absatz 2 EWG-Vertrag kann ein Vertragsverletzungsverfahren beim Gerichtshof aber nur anhängig gemacht werden, wenn der betreffende Mitgliedstaat der mit Gründen versehenen Stellungnahme innerhalb der von der Kommission gesetzten Frist nicht nachgekommen ist. Die Kommission hatte daher zu beweisen, daß die beanstandeten Verwaltungspraktiken trotz der Zusagen der belgischen Regierung nach Ablauf dieser Frist weiter angewandt worden sind. Es ist festzustellen, daß die Kommission diesen Beweis nicht erbracht hat.

16 Was die Möglichkeit angeht, den Kleinverkaufspreis eines Erzeugnisses nach dem ersten Inverkehrbringen zu ändern, so hat die Kommission nichts vorgetragen, was das Vorhandensein einer Verwaltungspraxis, die einer solchen Änderung entgegenstuende, dartun könnte. Das gleiche gilt für die angebliche Weigerung der nationalen Behörden, Steuerbanderolen für niedrigere Kleinverkaufspreise abzugeben, als sie der Hersteller oder Hauptimporteur festgesetzt hat. Auch wenn die Kommission - allgemein - erklärt hat, daß Wirtschaftsteilnehmer, insbesondere Verbrauchermärkte, in vielen Fällen keine solchen Banderolen hätten erhalten können, was von der belgischen Regierung bestritten wird, so hat sie für diese Rüge doch keinen konkreten, vom Gerichtshof überprüfbaren Beweis erbracht.

17 Somit ist die Klage, soweit sie sich auf diese beiden Rügen bezieht, als unbegründet abzuweisen.

18 Nach allem ist die Klage insgesamt abzuweisen.

Kostenentscheidung:

Kosten

19 Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Kommission mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr die Kosten aufzuerlegen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

für Recht erkannt und entschieden :

1 ) Die Klage wird abgewiesen.

2 ) Die Kommission trägt die Kosten des Verfahrens.

Ende der Entscheidung

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