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Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 12.12.1990
Aktenzeichen: 302/88
Rechtsgebiete: EWGV


Vorschriften:

EWGV Art. 177
EWGV Art. 34
EWGV Art. 95
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Wenn die Handlungen einer Einrichtung, die der Kontrolle und den Weisungen von Behörden unterliegt - welche Rechtsform diese Einrichtung auch haben mag -, den Handelsverkehr zwischen Mitgliedstaaten beeinflussen können, können sie "Maßnahmen" im Sinne von Artikel 34 EWG-Vertrag sein.

2. Artikel 34 EWG-Vertrag ist dahin auszulegen, daß er es nicht verbietet, daß Händler, die nicht einer Einrichtung angeschlossen sind, die gegründet wurde, um die gesetzlichen Verpflichtungen ihrer Mitglieder im Rahmen des Gesetzes zur Durchführung der Richtlinie 68/414, die die Bevorratung von Erdölerzeugnissen betrifft, zu erfuellen, und die auf dem Binnenmarkt gekaufte Erzeugnisse ausführen wollen, gegen diese Einrichtung keinerlei Anspruch auf Erstattung der Abgaben geltend machen können, die ihr Lieferant an diese Einrichtung abgeführt hat und die dieser auf seinen Verkaufspreis abgewälzt hat, oder dies nur unter bestimmten Voraussetzungen tun können, wenn kein Unterschied in der Behandlung von zur Ausfuhr bestimmten Erzeugnissen und Erzeugnissen, die in dem betroffenen Mitgliedstaat auf den Markt gebracht werden, besteht.


URTEIL DES GERICHTSHOFES (SECHSTE KAMMER) VOM 12. DEZEMBER 1990. - HENNEN OLIE BV GEGEN STICHTING INTERIM CENTRAAL ORGAAN VOORRAADVORMING AARDOLIEPRODUKTEN UND NIEDERLAENDISCHER STAAT. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: GERECHTSHOF'S-GRAVENHAGE - NIEDERLANDE. - AUSLEGUNG VON ARTIKEL 34 EWG-VERTRAG - UNTERBLIEBENE ODER TEILWEISE ERSTATTUNG EINER ABGABE BEI DER AUSFUHR VON ERDOELERZEUGNISSEN. - RECHTSSACHE 302/88.

Entscheidungsgründe:

1 Der Gerechtshof Den Haag hat mit Urteil vom 6. Oktober 1988, beim Gerichtshof eingegangen am 14. Oktober 1988, gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag Fragen nach der Auslegung von Artikel 34 EWG-Vertrag zur Vorabentscheidung vorgelegt, um beurteilen zu können, ob eine nationale Regelung zur Durchführung der Richtlinie 68/414/EWG des Rates vom 20. Dezember 1968 zur Verpflichtung der Mitgliedstaaten der EWG, Mindestvorräte an Erdöl und/oder Erdölerzeugnissen zu halten (ABl. L 308, S. 14; nachstehend: Richtlinie), mit dieser Bestimmung vereinbar ist.

2 Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen der Hennen Olie BV, einem in den Niederlanden niedergelassenen Unternehmen, das mit Erdölerzeugnissen handelt, und der Stichting Interim Centraal Orgaan Voorraadvorming Aardolieprodukten (Vorläufige Zentralstelle für die Vorratsbildung von Erdölerzeugnissen; ICOVA).

3 Das Königreich der Niederlande erließ zur Durchführung der Richtlinie die Wet Voorraadvorming Aardolieprodukten (Gesetz über die Vorratsbildung von Erdölerzeugnissen; Staatsblad 1976, 569; WVA). Durch dieses Gesetz wurde für Unternehmen, die Erdölerzeugnisse in den Niederlanden auf den Markt bringen, eine Verpflichtung zur Vorratsbildung eingeführt. Diese Vorräte müssen einem bestimmten Prozentsatz der Erdölerzeugnisse entsprechen, die im vorhergehenden Jahr auf dem niederländischen Markt in den Verkehr gebracht wurden. Hingegen werden die nach anderen Ländern ausgeführten Mengen für die Vorratsbildung nicht berücksichtigt.

4 Nach der WVA kann unter Voraussetzungen, die der Wirtschaftsminister festlegt, die Vorratsverpflichtung ganz oder teilweise von einem Dritten übernommen werden, wodurch der ursprüngliche Vorratspflichtige von seiner Verpflichtung befreit wird. Dazu wurde am 7. September 1978 die ICOVA errichtet, die den Zweck verfolgt, die Vorratsverpflichtung ihrer Mitglieder zu erfuellen. Mit Wirkung vom 1. Oktober 1980 waren die vorratspflichtigen Unternehmen berechtigt, ihre Vorratsverpflichtung auf die ICOVA zu übertragen.

5 Die der ICOVA angeschlossenen Unternehmen decken die der ICOVA durch die Vorratshaltung entstehenden Kosten durch einen Beitrag, die sogenannte "verplichte voorraadafdracht" (Vorratspflichtabgabe; VVA), deren Höhe nach der Menge der Erdölerzeugnisse berechnet wird, die jedes Unternehmen auf den Binnenmarkt bringt. Da jedoch die ausgeführten Erdölerzeugnisse bei der Festlegung des Umfangs der Vorratsverpflichtung nicht mitberücksichtigt werden, sind die der ICOVA angeschlossenen Unternehmen nicht verpflichtet, die VVA auf die für eigene Rechnung ausgeführten Erzeugnisse zu entrichten.

6 Nach den Akten wälzen die der ICOVA angeschlossenen Unternehmen, obgleich dazu keine gesetzliche Verpflichtung besteht, die VVA in der Praxis auf ihre Abnehmer ab, indem sie sie in den Verkaufspreis einbeziehen.

7 Aus der Begründung des Vorlageurteils ergibt sich, daß in den Niederlanden niedergelassene Erdölerzeugnishändler, die Erzeugnisse, die von der ICOVA angeschlossenen Unternehmen auf den niederländischen Markt gebracht worden waren, zu einem Preis kauften, in den die Kosten der Vorratsbildung einbezogen waren, seit dem 1. Oktober 1980 bei der Ausfuhr dieser Erzeugnisse in eine ungünstige Wettbewerbsposition gegenüber den der ICOVA angeschlossenen Unternehmen gerieten. Von diesem Zeitpunkt an brauchten die letztgenannten Unternehmen nämlich keine VVA auf die von ihnen unmittelbar ausgeführten Erzeugnisse zu entrichten. Nach dem Vorlageurteil konnte diese ungünstige Position für die betroffenen Händler ein Ausfuhrhindernis darstellen.

8 Seit dem 1. Januar 1981 konnten die nicht der ICOVA angeschlossenen Ausfuhrhändler Erstattung der VVA erhalten, sofern sie eine Reihe von Voraussetzungen erfuellten. Am 1. Januar 1987 wurde die ICOVA aufgrund einer Gesetzesänderung durch eine ständige Einrichtung, die COVA, ersetzt, so daß die unterschiedliche Behandlung von der ICOVA angeschlossenen und ihr nicht angeschlossenen Unternehmen aufgehoben wurde. Nach dieser neuen Regelung wird die Vorratsbildung durch eine von der nationalen Steuerverwaltung erhobene Vorratsabgabe finanziert, die bei der Ausfuhr des Erzeugnisses erstattet wird.

9 Die Firma Hennen Olie liefert keine Erdölerzeugnisse auf den niederländischen Markt und ist deshalb nicht vorratspflichtig. Kaufte sie zum Zweck der Ausfuhr Erdölerzeugnisse, die von der ICOVA angeschlossenen Unternehmen auf den niederländischen Markt gebracht worden waren, konnte sie, da sie dieser Einrichtung nicht angeschlossen war, bis zum 1. Januar 1981 keine Erstattung der in den Kaufpreis der Erzeugnisse einbezogenen VVA verlangen. Diese Möglichkeit wurde ihr dann bis zum 31. Dezember 1986 gewährt, jedoch nur unter bestimmten Voraussetzungen.

10 Die Firma Hennen Olie erhob gegen die ICOVA bei der Arrondissementsrechtbank Rotterdam Schadensersatzklage mit der Begründung, daß die Diskriminierung, deren Opfer sie als nicht der ICOVA angeschlossenes Unternehmen geworden sei, unter anderem gegen Artikel 34 EWG-Vertrag verstosse. Die Klage wurde abgewiesen. Der mit der Berufung hiergegen befasste Gerechtshof Den Haag hat das Verfahren ausgesetzt, bis der Gerichtshof im Wege der Vorabentscheidung über folgende Fragen befunden hat:

"1) Ist Artikel 34 EWG-Vertrag dahin auszulegen, daß eine nationale gesetzliche Regelung wie die ((im Vorlageurteil)) beschriebene mit diesem Artikel unvereinbar ist?

2) Ist es für die Beantwortung der Frage 1 von Bedeutung, ob der obengenannte Unterschied in der Wettbewerbsposition ganz oder teilweise durch Regelungen über die Erstattung der genannten VVA, die nicht von dem betreffenden Mitgliedstaat selbst erlassen worden sind, beseitigt wird?"

11 Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts des Ausgangsverfahrens, des Verfahrensablaufs und der beim Gerichtshof abgegebenen Erklärungen wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt ist im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

12 Das vorlegende Gericht möchte mit seinen Fragen im wesentlichen wissen, ob Artikel 34 es verbietet, daß nicht der ICOVA angeschlossene Händler, die auf dem Binnenmarkt gekaufte Erdölerzeugnisse ausführen wollen, gegen diese Einrichtung keinerlei Anspruch auf Erstattung der Abgaben geltend machen können oder dies nur unter bestimmten Voraussetzungen tun können, wenn kein Unterschied in der Behandlung von zur Ausfuhr bestimmten Erzeugnissen und Erzeugnissen, die in dem betroffenen Mitgliedstaat auf den Markt gebracht werden, besteht.

13 Vorab ist zu bemerken, daß die vorliegende Rechtssache die Frage aufwirft, ob von einer Organisation wie der ICOVA getroffene Maßnahmen unter das Verbot des Artikels 34 fallen können.

14 Die ICOVA war zur Zeit der maßgebenden Ereignisse der einzige "Dritte" im Sinne der WVA. Sie war errichtet worden, um die ihr durch das Gesetz zugewiesenen Aufgaben auszuführen, nämlich die Haltung von Vorräten an Erdölerzeugnissen für die ihr angeschlossenen Unternehmen. Sie spielte deshalb bei der Verwaltung der niederländischen Erdölreserve eine wichtige Rolle und erfuellte somit in bedeutendem Umfang die den Niederlanden aufgrund der Richtlinie obliegende Verpflichtung.

15 Nach den Akten stand die ICOVA unter der Kontrolle der Behörden und war an deren Weisungen gebunden, auch wenn sie nicht formal zur Staatsverwaltung gehörte. Die Vorstandsmitglieder wurden vom Wirtschaftsminister ernannt, und dieser war ausserdem befugt, der ICOVA verbindliche Weisungen zu erteilen, ihre Auflösung zu beschließen sowie ihren Haushaltsentwurf und ihren Jahresabschluß zu genehmigen.

16 Wenn die Handlungen einer Einrichtung, die einer solchen behördlichen Kontrolle unterliegt - welche Rechtsform diese Einrichtung auch haben mag -, den Handelsverkehr zwischen Mitgliedstaaten beeinflussen können, können sie "Maßnahmen" im Sinne von Artikel 34 EWG-Vertrag sein.

17 Sodann ist darauf hinzuweisen, daß der Gerichtshof wiederholt entschieden hat (vgl. insbesondere Urteil vom 7. Februar 1984 in der Rechtssache 237/83, Jongeneel Kaas, Slg. 1984, 483), daß sich Artikel 34 auf nationale Maßnahmen bezieht, die eine spezifische Beschränkung der Ausfuhrströme bezwecken oder bewirken und damit zu einer ungleichen Behandlung des Binnenhandels und des Aussenhandels eines Mitgliedstaats führen, so daß die inländische Produktion oder der Binnenmarkt des betroffenen Staates einen besonderen Vorteil erlangt. Im vorliegenden Fall bezieht sich die von der Firma Hennen Olie gerügte Diskriminierung nur auf Ausfuhren von Unternehmen, die der ICOVA angeschlossen oder nicht angeschlossen sind. Eine derartige unterschiedliche Behandlung zweier Gruppen von Exporteuren, die besondere Belastungen im Zusammenhang mit der Lagerung von Rohöl und/oder Erdölerzeugnissen betrifft, kann keinen Verstoß gegen Artikel 34 darstellen.

18 Somit ist auf die vorgelegten Fragen zu antworten, daß Artikel 34 EWG-Vertrag dahin auszulegen ist, daß er es nicht verbietet, daß Händler, die nicht einer Einrichtung angeschlossen sind, die gegründet wurde, um die gesetzlichen Verpflichtungen ihrer Mitglieder im Rahmen des Gesetzes zur Durchführung der Richtlinie 68/414 zu erfuellen, und die auf dem Binnenmarkt gekaufte Erzeugnisse ausführen wollen, gegen diese Einrichtung keinerlei Anspruch auf Erstattung der Abgaben geltend machen können oder dies nur unter bestimmten Voraussetzungen tun können, wenn kein Unterschied in der Behandlung von zur Ausfuhr bestimmten Erzeugnissen und Erzeugnissen, die in dem betroffenen Mitgliedstaat auf den Markt gebracht werden, besteht.

19 Die Kommission hat im übrigen vorgetragen, daß gegebenenfalls Artikel 95 EWG-Vertrag auf Abgaben anwendbar sein könne, die, obwohl sie nicht diskriminierend seien, dennoch den innergemeinschaftlichen Handel behindern könnten.

20 Hierzu ist zu sagen, daß das vorlegende Gericht keine Fragen nach der Anwendbarkeit von Artikel 95 EWG-Vertrag gestellt hat und daß auch aus dem Sachverhalt oder dem Vorbringen der Beteiligten im Laufe des Verfahrens nicht hervorgeht, daß die Nichterstattung oder die nur bedingte Erstattung der Abgaben im vorliegenden Fall als Abgabe im Sinne von Artikel 95 anzusehen ist. Deshalb ist der Gerichtshof der Ansicht, daß diese von der Kommission aufgeworfene Grundsatzfrage nicht geprüft zu werden braucht.

Kostenentscheidung:

Kosten

21 Die Auslagen der Kommission und der niederländischen Regierung, die beim Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem nationalen Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)

auf die ihm von Gerechtshof Den Haag mit Urteil vom 6. Oktober 1988 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:

Artikel 34 EWG-Vertrag ist dahin auszulegen, daß er es nicht verbietet, daß Händler, die nicht einer Einrichtung angeschlossen sind, die gegründet wurde, um die gesetzlichen Verpflichtungen ihrer Mitglieder im Rahmen des Gesetzes zur Durchführung der Richtlinie 68/414/EWG des Rates vom 20. Dezember 1968 zu erfuellen, und die auf dem Binnenmarkt gekaufte Erzeugnisse ausführen wollen, gegen diese Einrichtung keinerlei Anspruch auf Erstattung der Abgaben geltend machen können oder dies nur unter bestimmten Voraussetzungen tun können, wenn kein Unterschied in der Behandlung von zur Ausfuhr bestimmten Erzeugnissen und Erzeugnissen, die in dem betroffenen Mitgliedstaat auf den Markt gebracht werden, besteht.

Ende der Entscheidung

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