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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 05.07.1990
Aktenzeichen: 304/88
Rechtsgebiete: EWGV, RL Nr. 64/432/EWG


Vorschriften:

EWGV Art. 169
EWGV Art. 30
EWGV Art. 36
EWGV Art. 100
RL Nr. 64/432/EWG Art. 3
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Die Tatsache, daß ein Mitgliedstaat die Einfuhren von lebenden Tieren aus anderen Mitgliedstaaten von einer vorherigen, gegebenenfalls automatisch erteilten Einfuhrgenehmigung abhängig macht, verstösst gegen Artikel 30 EWG-Vertrag und kann nicht Gegenstand einer Ausnahme gemäß Artikel 36 EWG-Vertrag sein.

Hinsichtlich der Einfuhr von anderen lebenden Tieren als Rindern und Schweinen steht eine solche Maßnahme nämlich ausser Verhältnis zu den Erfordernissen des Schutzes der Gesundheit und des Lebens von Menschen und Tieren, da ein Mitgliedstaat weniger restriktive Maßnahmen vorsehen kann, z. B. von den Importeuren unterzeichnete Erklärungen, gegebenenfalls in Verbindung mit vom Versandmitgliedstaat erteilten geeigneten Bescheinigungen.

Hinsichtlich der Einfuhr von Rindern und Schweinen hat die Richtlinie 64/432 eine vollständige Harmonisierung der viehseuchenrechtlichen Maßnahmen verwirklicht, die die Mitgliedstaaten im Rahmen des innergemeinschaftlichen Handels treffen können, so daß jetzt nur noch die Schutzmaßnahmen getroffen werden können, die in der Richtlinie abschließend vorgesehen sind, und die Berufung auf Artikel 36 EWG-Vertrag nicht mehr gerechtfertigt ist.


URTEIL DES GERICHTSHOFES VOM 5. JULI 1990. - KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN GEGEN KOENIGREICH BELGIEN. - VERTRAGSVERLETZUNGSVERFAHREN - EINFUHRGENEHMIGUNG FUER AUS ANDEREN MIGLIEDSTAATEN STAMMENDE LEBENDE TIERE UND FRISCHES FLEISCH. - RECHTSSACHE 304/88.

Entscheidungsgründe:

1 Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat mit Klageschrift, die am 18. Oktober 1988 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 169 EWG-Vertrag Klage erhoben auf Feststellung, daß das Königreich Belgien gegen seine Verpflichtungen aus Artikel 30 EWG-Vertrag und aus den Richtlinien 64/432/EWG des Rates vom 26. Juni 1964 zur Regelung viehseuchenrechtlicher Fragen beim innergemeinschaftlichen Handelsverkehr mit Rindern und Schweinen ( ABl. Nr. 121, S. 1977 ) und 64/433/EWG des Rates vom 26. Juni 1964 zur Regelung gesundheitlicher Fragen beim innergemeinschaftlichen Handelsverkehr mit frischem Fleisch ( ABl. Nr. 121, S. 2012 ) verstossen hat, indem es die Einfuhr von lebenden Tieren und frischem Fleisch aus anderen Mitgliedstaaten von einer vorherigen, gegebenenfalls automatisch erteilten Einfuhrgenehmigung abhängig gemacht hat.

2 Hinsichtlich des frischen Fleischs hat die Kommission in der mündlichen Verhandlung erklärt, die vorgesehene Genehmigung sei abgeschafft worden und sie nehme die Klage deshalb insoweit zurück.

3 Hinsichtlich der lebenden Tiere ergibt sich aus den Artikeln 5 und 6 der belgischen Ministerialverordnung vom 22. Juni 1965 über die Einfuhr, die Durchfuhr und die Ausfuhr von lebenden Tieren ( Belgisch Staatsblad 1965, S. 10238 ) und aus den Artikeln 2, 3 Absatz 7, 15, 20, 23, 36 und 64 der belgischen Ministerialverordnung vom 28. Juli 1971 über die Einfuhr, die Durchfuhr und die Ausfuhr von sowie den Handel zwischen den Beneluxstaaten mit lebenden Tieren und bestimmten Erzeugnissen tierischer und pflanzlicher Herkunft ( Belgisch Staatsblad 1971, S. 13370 ), daß die Einfuhr von lebenden Rindern, Schweinen, Schafen, Ziegen, als Haustier gehaltenen Einhufern und Gefluegel aus anderen Mitgliedstaaten von einer vorherigen, vom Landwirtschaftsministerium erteilten Genehmigung abhängig ist.

4 Die Kommission war der Auffassung, das Erfordernis einer vorherigen Einfuhrgenehmigung verstosse hinsichtlich der Einfuhr von Rindern und Schweinen gegen die Richtlinie 64/432 des Rates und hinsichtlich der Einfuhr von anderen lebenden Tieren als Rindern und Schweinen gegen Artikel 30 EWG-Vertrag. Sie setzte daher der belgischen Regierung mit Schreiben vom 13. Dezember 1985 eine Frist zur Äusserung.

5 Mit Schreiben vom 14. April 1986 teilte die belgische Regierung der Kommission mit, sie beabsichtige, die für die Einfuhr von lebenden Tieren vorgesehene vorherige Genehmigung aufrechtzuerhalten, da diese rechtmässig sei, automatisch erteilt werde und den Handelsverkehr nicht beschränke.

6 Am 9. März 1987 richtete die Kommission eine mit Gründen versehene Stellungnahme an die belgische Regierung, in der sie diese aufforderte, innerhalb eines Monats die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um die ihr vorgeworfene Vertragsverletzung abzustellen. In ihrer Antwort vom 2. Juli 1987 erhielt die belgische Regierung ihren im Schreiben vom 14. April 1986 dargelegten Standpunkt aufrecht.

7 Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts, des Verfahrensablaufs und des Parteivorbringens wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt wird im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

Zur Qualifizierung der vorherigen Einfuhrgenehmigung im Hinblick auf die Bestimmungen des EWG-Vertrags

8 Die belgische Regierung macht zunächst geltend, die vorherige Einfuhrgenehmigung stelle keine beschränkende Maßnahme dar, da sie automatisch erteilt werde.

9 Hierzu ist lediglich festzustellen, daß ein Genehmigungssystem grundsätzlich gegen Artikel 30 EWG-Vertrag verstösst. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes steht diese Bestimmung nämlich der Anwendung solcher nationalen Rechtsvorschriften in den innergemeinschaftlichen Beziehungen entgegen, die, auch nur als reine Formalität, Einfuhrlizenzen oder irgendein anderes ähnliches Verfahren verlangen ( Urteil vom 8. Februar 1983 in der Rechtssache 124/81, Kommission/Vereinigtes Königreich ((" UHT ")), Slg. 1983, 203 ).

10 Die belgische Regierung macht jedoch geltend, mit dem angewandten System würden Informationszwecke im Gesundheitsbereich verfolgt. Insbesondere ermögliche es die vorherige Genehmigung dem Einführer, festzustellen, daß die Einfuhr nicht aus viehseuchenrechtlichen Gründen verboten sei, und den nationalen Behörden, den Gesundheitszustand der Tiere nach ihrer Einfuhr zu überwachen.

11 Zu dem ersten Punkt dieser Argumentation ist festzustellen, daß es nicht erforderlich ist, den Einführer mittels einer vorherigen Einfuhrgenehmigung von einem Recht zu unterrichten, von dem er weiß, daß er es schon gemäß Artikel 30 EWG-Vertrag besitzt, weil die einzuführenden Rinder und Schweine von einer von den Behörden des Versandmitgliedstaats ausgestellten Gesundheitsbescheinigung begleitet werden.

12 Der zweite Punkt des Vorbringens der belgischen Regierung ist dahin zu verstehen, daß mit ihm das System einer vorherigen Einfuhrgenehmigung im Hinblick auf Artikel 36 EWG-Vertrag gerechtfertigt werden soll, wonach Einfuhrbeschränkungen unter anderem dann zulässig sind, wenn sie zum Schutz der Gesundheit und des Lebens von Menschen und Tieren gerechtfertigt sind.

13 Hierzu ist festzustellen, daß die viehseuchenrechtlichen Maßnahmen auf dem Gebiet des innergemeinschaftlichen Handels mit Rindern und Schweinen im Unterschied zum Handel mit anderen lebenden Tieren, der bisher noch nicht Gegenstand von Harmonisierungsmaßnahmen ist, in der Richtlinie 64/432 des Rates geregelt sind. Nach ständiger Rechtsprechung ist aber dann, wenn in Anwendung des Artikels 100 EWG-Vertrag Richtlinien der Gemeinschaft die Harmonisierung der - unter anderem - zur Gewährleistung des Schutzes der Gesundheit von Tieren und Menschen notwendigen Maßnahmen vorsehen und gemeinschaftliche Verfahren zur Kontrolle ihrer Einhaltung regeln, der Rückgriff auf Artikel 36 nicht mehr gerechtfertigt und der von der Harmonisierungsrichtlinie gezogene Rahmen nunmehr maßgeblich für den Erlaß von Schutzmaßnahmen ( siehe Urteil vom 20. September 1988 in der Rechtssache 190/87, Handelsonderneming Moormann, Slg. 1988, 4689 ). Folglich ist die Frage, ob die in den belgischen Rechtsvorschriften vorgesehene vorherige Einfuhrgenehmigung Gegenstand einer Ausnahme sein kann, getrennt danach zu prüfen, ob die betreffende Genehmigung die Einfuhr von Rindern und Schweinen oder aber die Einfuhr von anderen lebenden Tieren betrifft.

Zur Einfuhr von anderen lebenden Tieren als Rindern und Schweinen

14 Hierzu ist lediglich festzustellen, daß ein System einer vorherigen Einfuhrgenehmigung eine Maßnahme darstellt, die ausser Verhältnis zum Schutz der Gesundheit von Tieren und Menschen steht. Aus dem schon zitierten Urteil des Gerichtshofes vom 8. Februar 1983 in der Rechtssache Kommission/Vereinigtes Königreich ergibt sich nämlich, daß ein Mitgliedstaat zum Schutz dieser Interessen weniger restriktive Maßnahmen als ein System vorheriger Einfuhrgenehmigungen treffen kann, indem er sich darauf beschränkt, die für ihn nützlichen Auskünfte einzuholen, z. B. durch von den Importeuren unterzeichnete Erklärungen, gegebenenfalls in Verbindung mit vom Versandmitgliedstaat erteilten geeigneten Bescheinigungen.

15 Demgemäß kann die in der belgischen Regelung für die Einfuhr von anderen lebenden Tieren als Rindern und Schweinen verlangte Genehmigung nicht Gegenstand einer Ausnahme gemäß Artikel 36 EWG-Vertrag sein.

Zur Einfuhr von Rindern und Schweinen

16 Hierzu ist festzustellen, daß die Richtlinie 64/432 des Rates eine vollständige Harmonisierung der viehseuchenrechtlichen Maßnahmen verwirklicht hat, die die Mitgliedstaaten im Rahmen des innergemeinschaftlichen Handels mit Rindern und Schweinen treffen können.

17 Diese Harmonisierung wurde insbesondere durch Artikel 3 der Richtlinie 64/432 bewirkt, der die Versandmitgliedstaaten verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, daß bestimmte viehseuchenrechtliche Maßnahmen eingehalten werden, durch die unter anderem gewährleistet werden soll, daß die ausgeführten Tiere keine Quelle für die Verbreitung ansteckender Krankheiten werden. Um den zuständigen Behörden der Bestimmungsmitgliedstaaten die Gewißheit zu geben, daß die eingeführten Tiere den vorgesehenen viehseuchenrechtlichen Anforderungen genügen, verlangt Artikel 3 Absatz 2 Buchstabe h der Richtlinie, daß die Tiere von einer Gesundheitsbescheinigung begleitet werden, in der die Beachtung und die Erfuellung der viehseuchenrechtlichen Kontrollen bestätigt werden.

18 Was insbesondere die Maßnahmen betrifft, die die Einfuhrmitgliedstaaten treffen können, ist darauf hinzuweisen, daß Artikel 6 der Richtlinie es dem Bestimmungsland erlaubt, das Verbringen von Tieren in sein Hoheitsgebiet zu untersagen, wenn bei einer von einem amtlichen Tierarzt an der Grenzuebergangsstelle vorgenommenen Untersuchung festgestellt wurde, daß diese Tiere von einer anzeigepflichtigen Tierkrankheit befallen sind oder ein Krankheits - oder Ansteckungsverdacht besteht oder die Bestimmungen der Artikel 3 und 4 der Richtlinie bei diesen Tieren nicht beachtet worden sind. Ausserdem können die Bestimmungsländer gemäß Artikel 7 allgemeine Genehmigungen für die Einfuhr von Rindern in ihr Hoheitsgebiet erteilen, die bestimmte in Artikel 3 der Richtlinie vorgesehene Voraussetzungen nicht erfuellen. Schließlich kann der Bestimmungsmitgliedstaat gemäß Artikel 9 der Richtlinie bei Ausbruch einer Viehseuche oder beim Auftreten einer neuen schweren ansteckenden Tierkrankheit im Versandmitgliedstaat als Vorsichtsmaßnahme vorübergehend die Einfuhr von Rindern und Schweinen verbieten oder beschränken.

19 Angesichts eines so vollständigen Systems sind die Bestimmungsmitgliedstaaten nicht befugt, in dem durch die Richtlinie erfassten Bereich andere als die in ihr abschließend vorgesehenen Maßnahmen zu treffen.

20 Die belgische Regierung macht geltend, die durch die Richtlinie verwirklichte Harmonisierung sei nicht vollständig, da mit der Richtlinie kein vereinheitlichtes Informationssystem eingeführt worden sei. Durch die nach der belgischen Regelung erforderliche Genehmigung, bei der es sich im übrigen nicht um eine viehseuchenrechtliche Kontrollmaßnahme handele, solle gerade ein Ausgleich für das Fehlen eines solchen Informationssystems geschaffen werden. Daß die Richtlinie 64/432 in diesem Punkt unvollständig sei, offenbare sich in der Begründung der beiden Vorschläge für Verordnungen zur Regelung der viehseuchenrechtlichen Kontrollen, die in dem Dokument KOM(88 ) 383 endg. enthalten seien, wo die Kommission einräume, daß "ein System der gegenseitigen Information geschaffen und ausgebaut werden" müsse.

21 Hierzu ist erstens festzustellen, daß die Vorschläge für Verordnungen, auf die sich die belgische Regierung beruft, eine zukünftige vollständige Abschaffung der tierärztlichen Kontrollen an der Grenze zur Voraussetzung haben. Diese Verordnungsvorschläge sind also nicht auf eine Harmonisierung eines gegenwärtig möglicherweise unzureichenden Informationssystems gerichtet, sondern sehen Maßnahmen vor, die dem vorgeschlagenen neuen Kontext angepasst sind.

22 Zweitens ist darauf hinzuweisen, daß der Bestimmungsmitgliedstaat nach Artikel 6 Absatz 2 der Richtlinie vom Einführer verlangen kann, daß er ihm vor der Einfuhr innerhalb einer Hoechstfrist von 48 Stunden eine Mitteilung übermittelt. Der Bestimmungsmitgliedstaat kann also auf dieses Verfahren zurückgreifen, um den Gesundheitszustand der Tiere nach ihrer Einfuhr überwachen zu können.

23 Die nach der belgischen Regelung erforderliche Genehmigung für die Einfuhr von lebenden Rindern und Schweinen kann somit nicht Gegenstand einer Ausnahme von Artikel 30 EWG-Vertrag sein.

24 Nach alledem hat das Königreich Belgien gegen seine Verpflichtungen aus Artikel 30 EWG-Vertrag verstossen, indem es die Einfuhr von lebenden Tieren aus anderen Mitgliedstaaten von einer vorherigen, gegebenenfalls automatisch erteilten Einfuhrgenehmigung abhängig gemacht hat.

Kostenentscheidung:

Kosten

25 Gemäß Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da das Königreich Belgien mit seinem Vorbringen im wesentlichen unterlegen ist, sind ihm die Kosten aufzuerlegen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

für Recht erkannt und entschieden :

1 ) Das Königreich Belgien hat gegen seine Verpflichtungen aus Artikel 30 EWG-Vertrag verstossen, indem es die Einfuhr von lebenden Tieren aus anderen Mitgliedstaaten von einer vorherigen, gegebenenfalls automatisch erteilten Einfuhrgenehmigung abhängig gemacht hat.

2 ) Das Königreich Belgien trägt die Kosten des Verfahrens.

Ende der Entscheidung

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