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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 19.04.1988
Aktenzeichen: 319/85
Rechtsgebiete: Beamtenstatut


Vorschriften:

Beamtenstatut Art. 86 Abs. 2
Beamtenstatut Art. 87 Abs. 1
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Der Anspruch auf rechtliches Gehör und der kontradiktorische Charakter des Disziplinarverfahrens sind nicht nur im Verfahren vor dem Disziplinarrat nach Artikel 87 Absatz 2 und Anhang IX des Statuts, sondern auch im Verfahren vor der Anstellungsbehörde nach Artikel 87 Absatz 1 zu beachten. Der Anspruch auf Anhörung nach dieser Vorschrift setzt nämlich voraus, daß dem Betroffenen zuvor die Vorwürfe, die die Anstellungsbehörde gegen ihn erhebt, mitgeteilt werden und daß er über eine angemessene Frist für die Vorbereitung seiner Verteidigung verfügt.


URTEIL DES GERICHTSHOFES (ZWEITE KAMMER) VOM 19. APRIL 1988. - R. MISSET GEGEN RAT DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN. - BEAMTER - DISZIPLINARMASSNAHMEN. - RECHTSSACHE 319/85.

Entscheidungsgründe:

1 Der Kläger, Beamter des Rates der Europäischen Gemeinschaften, hat mit Klageschrift, die am 25. Oktober 1985 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, Klage erhoben auf Aufhebung der Entscheidung vom 9. Januar 1985, mit der der Generalsekretär des Rates als Anstellungsbehörde ihm nach Artikel 86 Absatz 2 Buchstabe b und Artikel 87 Absatz 1 des Beamtenstatuts einen Verweis erteilte.

2 Aus den Akten geht hervor, daß der Kläger 1984 dreimal, nämlich vom 18. Juli bis zum 3. August, vom 12. August bis zum 7. September und am 17. September, ohne Entschuldigung dem Dienst fernblieb. Was den erstgenannten Zeitraum angeht, so wurde dem Kläger wegen Verspätung nicht erlaubt, eine ärztliche Bescheinigung zur Entschuldigung seines Fernbleibens vom Dienst vorzulegen. Seine Klage gegen diese Entscheidung wurde mit Urteil des Gerichtshofes vom 15. Januar 1987 in der Rechtssache 152/85 ( Misset/Rat, Slg. 1987, 223 ) ebenfalls wegen Verspätung abgewiesen. Beim zweiten Zeitraum handelte es sich um einen Sonderurlaub, der dem Kläger gewährt worden war, damit er an einem Sprachkurs in Griechenland teilnimmt. Dies tat er jedoch, ohne den Rat zu unterrichten, nicht. Schließlich irrte sich der Kläger in bezug auf den 17. September bei der Berechnung seiner Urlaubstage.

3 Nach einer Unterredung zwischen dem Kläger und seinen Vorgesetzten am 25. September 1984 übersandten diese der Anstellungsbehörde ein Schreiben, in dem sie vorschlugen, gegen den Kläger eine Disziplinarstrafe zu verhängen. Am 8. Januar 1985 wurde der Kläger telefonisch zu einer Unterredung mit dem Generalsekretär am selben Tag geladen, der ihm dann seine Absicht bekanntgab, als Anstellungsbehörde gegen ihn die Disziplinarstrafe eines Verweises zu verhängen. Diese Entscheidung wurde dem Kläger am 9. Januar 1985 schriftlich mitgeteilt.

4 Gegen diese Entscheidung macht der Kläger zwei Rügen geltend, von denen eine das angewandte Verfahren betrifft, durch das sein Anspruch auf rechtliches Gehör nach Artikel 87 und Anhang IX des Statuts verletzt worden sei, während sich die andere gegen die Begründung der Entscheidung richtet, die unzureichend und widersprüchlich sei.

5 Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts und des Parteivorbringens wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt ist im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

6 Was das Verfahren angeht, wirft der Kläger dem Rat insbesondere vor, daß er ihn nicht schriftlich über den ihm zur Last gelegten Sachverhalt informiert und ihn zu der Unterredung mit der Anstellungsbehörde am 8. Januar 1985 verspätet geladen habe.

7 Diese Rüge ist begründet. Wie der Gerichtshof unter anderem in seinem Urteil vom 17. Dezember 1981 in der Rechtssache 115/80 ( Demont/Kommission, Slg. 1981, 3147 ) entschieden hat, sind der Anspruch auf rechtliches Gehör und der kontradiktorische Charakter des Disziplinarverfahrens nicht nur im Verfahren vor dem Disziplinarrat nach Artikel 87 Absatz 2 und Anhang IX des Statuts, sondern auch im Disziplinarverfahren vor der Anstellungsbehörde nach Artikel 87 Absatz 1 zu beachten. Der Anspruch auf Anhörung nach dieser Vorschrift setzt nämlich voraus, daß dem Betroffenen zuvor die Vorwürfe, die die Anstellungsbehörde gegen ihn erhebt, mitgeteilt werden und daß er über eine angemessene Frist für die Vorbereitung seiner Verteidigung verfügt.

8 Im vorliegenden Fall hat die Anstellungsbehörde diesen Erfordernissen nicht genügt. Dem Kläger wurden die von der Anstellungsbehörde erhobenen Vorwürfe nicht zuvor mitgeteilt, und zwar nicht einmal in Form einer Unterrichtung über das der Anstellungsbehörde von seinen Vorgesetzten übermittelte Schreiben, und die telefonische Ladung des Klägers zu einer Unterredung mit der Anstellungsbehörde am selben Tag gewährte ihm keine ausreichende Frist für die Vorbereitung seiner Verteidigung.

9 Unter diesen Umständen ist die Entscheidung der Anstellungsbehörde vom 9. Januar 1985 aufzuheben, ohne daß die anderen Beanstandungen des Disziplinarverfahrens und die Rüge der unzureichenden Begründung untersucht zu werden brauchen.

Kostenentscheidung:

Kosten

10 Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da der Beklagte mit seinem Vorbringen unterlegen ist, sind ihm die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF ( Zweite Kammer )

für Recht erkannt und entschieden :

1 ) Die Entscheidung vom 9. Januar 1985, mit der der Generalsekretär des Rates dem Kläger als Disziplinarstrafe einen "Verweis" erteilt hat, wird aufgehoben.

2 ) Der Rat trägt die Kosten des Verfahrens.

Ende der Entscheidung

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