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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 30.05.1989
Aktenzeichen: 340/87
Rechtsgebiete: EWG-Vertrag, Richtlinie 83/643 des Rates vom 1. Dezember 1983


Vorschriften:

EWG-Vertrag Art. 9
EWG-Vertrag Art. 12
Richtlinie 83/643 des Rates vom 1. Dezember 1983 Art. 5
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Ein Mitgliedstaat verstösst gegen seine Verpflichtungen aus den Artikeln 9 und 12 EWG-Vertrag, wenn er im innergemeinschaftlichen Handel die Kosten der Kontrollen und Verwaltungsformalitäten während eines Teils der üblichen Öffnungszeiten der Zollstellen an den Grenzuebergängen, wie sie durch Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe a zweiter Gedankenstrich der Richtlinie 83/643 in der Fassung der Richtlinie 87/53 festgelegt worden sind, den Wirtschaftsteilnehmern auferlegt. Im Falle eines Verkehrsunternehmers, der sich bei einer Zolldienststelle innerhalb der üblichen Öffnungszeiten einfindet, liegt nämlich kein besonderer, dem Wirtschaftsteilnehmer tatsächlich und individuell geleisteter Dienst vor, für den ein dem Betrag nach angemessenes Entgelt verlangt werden könnte, ohne gegen die genannten Bestimmungen des EWG-Vertrags zu verstossen.


URTEIL DES GERICHTSHOFES VOM 30. MAI 1989. - KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN GEGEN ITALIENISCHE REPUBLIK. - VERTRAGSVERLETZUNG EINES MITGLIEDSTAATS - KONTROLLEN UND VERWALTUNGSFORMALITAETEN IM GUETERVERKEHR - MIT DEN GEMEINSCHAFTSRECHTLICHEN VERPFLICHTUNGEN NICHT ZU VEREINBARENDE RECHTSVORSCHRIFTEN. - RECHTSSACHE 340/87.

Entscheidungsgründe:

1 Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat mit Klageschrift, die am 2. November 1987 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 169 EWG-Vertrag Klage erhoben auf Feststellung, daß die Italienische Republik dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus den Artikeln 9 und 12 EWG-Vertrag, aus den Vorschriften der Verordnungen der EWG über die gemeinsamen Agrarmarktorganisationen und der von der Gemeinschaft mit bestimmten Drittländern abgeschlossenen Präferenzabkommen, die die Erhebung von Abgaben zollgleicher Wirkung verbieten, sowie aus Artikel 5 der Richtlinie 83/643 des Rates vom 1. Dezember 1983 zur Erleichterung der Kontrollen und Verwaltungsformalitäten im Güterverkehr zwischen den Mitgliedstaaten ( ABl. L 359, S. 8 ) in der Fassung der Richtlinie 87/53 des Rates vom 15. Dezember 1986 ( ABl. L 24, S. 33 ) verstossen hat, daß sie den Wirtschaftsteilnehmern die Kosten der Kontrollen und Verwaltungsformalitäten während eines Teils der üblichen Öffnungszeiten der Zollstellen an den Grenzuebergängen auferlegt hat.

2 Artikel 11 des Dekrets des Präsidenten der Italienischen Republik Nr. 43 vom 23. Januar 1973 mit dem Testo unico der zollrechtlichen Bestimmungen in der Fassung des Artikels 1 Punkt 2 des Dekrets Nr. 254 vom 8. Mai 1985 bestimmt, daß die Öffnungszeiten der Grenzzollstellen und ihrer verschiedenen Dienststellen an den Zollstrassen, an Zollandungsplätzen und an Zollflugplätzen, sofern das Verkehrsaufkommen es rechtfertigt, so festzulegen sind, daß die Kontrollen und Formalitäten beim Verkehr von Fahrzeugen und von Waren, die sich nicht im Durchfuhrverfahren befinden, von Montag bis Freitag mindestens zehn Stunden durchgehend vorgenommen werden können, ausser wenn es sich bei diesen Tagen um Feiertage handelt. Nach dieser Vorschrift wird ein den Kosten des Dienstes entsprechender Betrag für die Amtshandlungen der Zollbehörden erhoben, die während des Teils der Öffnungszeit der Zollstellen erfolgen, der die übliche Dienstzeit der staatlichen Verwaltungsbediensteten - in Italien sechs Stunden täglich von Montag bis Samstag - übersteigt. Artikel 15 des Dekrets Nr. 254 bestimmt allgemein, daß die in diesem Dekret geregelten Kontrollen und Verwaltungsformalitäten, die während der die übliche Dienstzeit der staatlichen Bediensteten übersteigenden Öffnungszeiten durchgeführt werden, gegen Bezahlung der Kosten des Dienstes erfolgen.

3 Nach Ansicht der Kommission sind diese Bestimmungen der Italienischen Republik, soweit sie zu Lasten der Wirtschaftsteilnehmer, die sich an den Zollstellen der Grenzuebergänge während deren üblichen Öffnungszeiten, wie sie durch die Richtlinie 83/643 in der Fassung der Richtlinie 87/53 festgelegt seien, einfänden, die Bezahlung der Dienste des Zollpersonals von Montag bis Freitag für die vier die übliche Dienstzeit der staatlichen Verwaltungsbediensteten der Italienischen Republik übersteigenden Stunden vorschreiben, nicht nur mit Artikel 5 Absätze 1 und 4 der Richtlinie 83/643 in der Fassung der Richtlinie 87/53 unvereinbar, sondern führen auch eine Abgabe zollgleicher Wirkung ein, die für den innergemeinschaftlichen Handel gemäß den Artikeln 9 und 12 EWG-Vertrag verboten sei. Darüber hinaus verletzten die streitigen Bestimmungen der Italienischen Republik im Bereich des Handels mit Drittländern auch die Verbote der Erhebung von Abgaben zollgleicher Wirkung, die in den Verordnungen der EWG über die gemeinsamen Agrarmarktorganisationen und den zwischen der Gemeinschaft und bestimmten Drittländern abgeschlossenen Präferenzabkommen enthalten seien.

4 Die Kommission forderte daher mit Schreiben vom 28. April 1986 die Regierung der Italienischen Republik zur Äusserung auf und eröffnete damit das Verfahren des Artikels 169 EWG-Vertrag.

5 Da dieses Schreiben unbeantwortet blieb, übermittelte die Kommission der Regierung der Italienischen Republik am 31. Oktober 1986 die gemäß Artikel 169 Absatz 1 EWG-Vertrag vorgesehene mit Gründen versehene Stellungnahme.

6 Am 21. Mai 1987 teilte die Italienische Republik der Kommission mit, daß interministerielle Gespräche zwecks vertiefter Prüfung des Problems stattfänden und die Ergebnisse dieser Prüfung der Kommission sofort mitgeteilt würden.

7 Da sie keine entsprechende Mitteilung erhielt, hat die Kommission die vorliegende Klage erhoben.

8 Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts, des Verfahrensablaufs und des Parteivorbringens wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt ist im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

9 Bezueglich des innergemeinschaftlichen Handels ist zunächst zu untersuchen, ob die streitige Gebühr eine Abgabe zollgleicher Wirkung darstellt, die gemäß den Artikeln 9 und 12 EWG-Vertrag in Verbindung mit Artikel 5 der Richtlinie 83/643 in der Fassung der Richtlinie 87/53 verboten ist.

10 Artikel 9 EWG-Vertrag verbietet zwischen den Mitgliedstaaten die Erhebung von Zöllen im eigentlichen Sinne und von Abgaben gleicher Wirkung.

11 Wie der Gerichtshof bereits mehrfach festgestellt hat ( vgl. zuletzt das Urteil vom 27. September 1988 in der Rechtssache 18/87, Kommission/Bundesrepublik Deutschland, Slg. 1988, 5427 ), liegt die Rechtfertigung für das Verbot von Abgaben zollgleicher Wirkung darin, daß finanzielle Belastungen, die ihren Grund im Überschreiten der Grenzen haben, auch wenn sie noch so geringfügig sind, eine Behinderung des freien Warenverkehrs darstellen, weil sie den Preis ein - oder ausgeführter Waren im Verhältnis zu einheimischen Waren künstlich erhöhen. Folglich stellt jede den Waren wegen des Überschreitens der Grenze einseitig auferlegte finanzielle Belastung unabhängig von ihrer Bezeichnung und der Art ihrer Erhebung eine Abgabe zollgleicher Wirkung im Sinne der Artikel 9, 12, 13 und 16 EWG-Vertrag dar.

12 Vorliegend ist unbestritten, daß die in den Vorschriften der Italienischen Republik vorgesehene Abgabe den Waren wegen des Überschreitens der Grenze auferlegt wird und zu den Kosten der Beförderung hinzutritt, so daß der Preis der beförderten Waren belastet wird.

13 Es ist nicht vorgetragen worden, daß die wegen des Grenzuebertritts durchgeführten Formalitäten und Maßnahmen, die Anlaß für die Erhebung der Abgabe sind, vom Gemeinschaftsrecht vorgeschrieben seien. Daher ist davon auszugehen, daß es sich um Formalitäten und Maßnahmen handelt, die sich allein auf innerstaatliche Vorschriften stützen.

14 Nach Auffassung der Regierung der Italienischen Republik ist die Erhebung der in ihren Vorschriften vorgesehenen Abgabe gleichwohl gerechtfertigt, weil die Abgabe, die aus Anlaß der Formalitäten und Maßnahmen ausserhalb der üblichen Dienststunden der Bediensteten der Zolldienststellen an den Grenzuebergängen erhoben werde, die Gegenleistung für einen im Interesse des Verkehrsunternehmens erbrachten Dienst darstelle und dem Wert dieser Dienstleistung enspreche.

15 Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes kann eine finanzielle Belastung, die den Waren wegen des Überschreitens der Grenze auferlegt wird, dann nicht als Abgabe zollgleicher Wirkung angesehen werden, wenn sie das dem Betrag nach angemessene Entgelt für einen dem Wirtschaftsteilnehmer tatsächlich und individuell geleisteten Dienst darstellt ( vgl. Urteil vom 26. Februar 1975 in der Rechtssache 63/74, Cadsky, Slg. 1975, 281 ). Dies ist nur dann der Fall, wenn es sich um einen besonderen oder individuellen Vorteil zugunsten des Wirtschaftsteilnehmers handelt.

16 Es ist allerdings festzustellen, daß ein solcher besonderer Dienst nicht vorliegt, wenn ein Verkehrsunternehmer sich bei einer Zolldienststelle innerhalb der üblichen Öffnungszeiten einfindet, deren Dauer gemäß Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe a zweiter Gedankenstrich der Richtlinie 83/643 in der Fassung der Richtlinie 87/53 auf mindestens zehn Stunden durchgehend von Montag bis Freitag und samstags auf mindestens sechs Stunden durchgehend festgesetzt ist, ausser wenn es sich bei diesen Tagen um Feiertage handelt.

17 Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich, daß die Italienische Republik dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus den Artikeln 9 und 12 EWG-Vertrag verstossen hat, daß sie im innergemeinschaftlichen Handel die Kosten der Kontrollen und Verwaltungsformalitäten während eines Teils der üblichen Öffnungszeiten der Zollstellen an den Grenzuebergängen, wie sie gemäß Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe a zweiter Gedankenstrich in der Richtlinie 83/643 in der Fassung der Richtlinie 87/53 festgelegt worden sind, den Wirtschaftsteilnehmern auferlegt hat.

18 Bezueglich der Amtshandlungen der Zollbehörden im Handelsverkehr mit Drittländern vertritt die Kommission in ihrem Aufforderungsschreiben an die Regierung der Italienischen Republik die Auffassung, daß "die Erhebung besonderer Gebühren bei Wirtschaftsteilnehmern, die unter den Voraussetzungen des Artikels 5 Absatz 1 Buchstabe a zweiter Gedankenstrich der Richtlinie 83/643 tätig werden, als Entgelt für Dienste des Zollpersonals von Montag bis Freitag während vier Stunden innerhalb der üblichen täglichen Öffnungseiten der Zolldienststellen... eine Abgabe zollgleicher Wirkung (( darstellt )), die nach den Verordnungen der EWG über die gemeinsamen Marktorganisationen im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik sowie durch die von der Gemeinschaft mit bestimmten Drittländern abgeschlossenen Präferenzabkommen verboten ist ".

19 In der mit Gründen versehenen Stellungnahme ist die Rüge der Kommission ebenso formuliert.

20 In ihrer Klageschrift nimmt die Kommission die gleiche Formulierung wieder auf, fügt jedoch hinzu, daß die nach den Vorschriften der Italienischen Republik erhobene Gebühr insbesondere gegen Artikel 20 Absatz 2 der Verordnung Nr. 425/77 des Rates vom 14. Februar 1977 zur Änderung der Verordung Nr. 805/68 über die gemeinsame Marktorganisation für Rindfleisch und zur Anpassung der Verordnung Nr. 827/68 und der Verordnung Nr. 950/68 über den Gemeinsamen Zolltarif ( ABl. L 61, S. 1 ) sowie gegen Artikel 6 des Abkommens im Anhang der Verordnung Nr. 1691/73 des Rates vom 25. Juni 1973 über den Abschluß eines Abkommens zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und dem Königreich Norwegen sowie zur Festlegung von Durchführungsbestimmungen zu diesem Abkommen ( ABl. L 171, S. 1 ) verstosse.

21 Die Kommission hat jedoch nichts dafür vorgetragen, daß eine unter den vorstehend bezeichneten Voraussetzungen erhobene Gebühr eine vom Gemeinschaftsrecht verbotene Abgabe zollgleicher Wirkung darstellt. Da es sich vorliegend um Formalitäten und Maßnahmen handelt, deren Durchführung als Erfuellung gemeinschaftsrechtlicher Verpflichtungen - insbesondere aus Anlaß der Anwendung des Gemeinsamen Zolltarifs - angesehen werden kann, wäre es Sache der Kommission gewesen, darzulegen, weshalb und unter welchen Umständen die Erhebung einer solchen Gebühr einer Verpflichtung aus dem Vertrag oder aus einer abgeleiteten Rechtsvorschrift zuwiderlaufen soll.

22 Zwar sind die Mitgliedstaaten in der Regel nicht befugt, den auf Grund der Gemeinschaftsregelung geschuldeten Abgaben innerstaatliche Abgaben hinzuzufügen, weil sonst deren notwendige Einheitlichkeit verloren ging ( vgl. das Urteil vom 28. Juni 1978 in der Rechtssache 70/77, Simmenhal/Finanzverwaltung, Slg. 1978, 1453 ), doch hat die Kommission zur Stützung ihrer Rüge nichts vorgetragen, was erkennen ließe, ob und unter welchen Umständen die behauptete Vertragsverletzung als festgestellt angesehen werden könnte; dies gilt besonders angesichts des Vorbringens der Regierung der Italienischen Republik, daß die Erhebung der streitigen Gebühr als Gegenleistung für einen dem Importeur tatsächlich erbrachten Dienst zu betrachten sei.

23 Mit dieser Vorgehensweise hat die Kommission den Gerichtshof nicht in die Lage versetzt, mit der erforderlichen Genauigkeit festzustellen, worin der der Italienischen Republik vorgeworfene Rechtsverstoß bestehen soll.

24 Infolgedessen ist der Klageantrag der Kommission zurückzuweisen, soweit er die im Handel mit Drittländern geforderten Gebühren betrifft.

Kostenentscheidung:

Kosten

25 Gemäß Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Gemäß Artikel 69 § 3 Absatz 1 kann der Gerichtshof die Kosten ganz oder teilweise gegeneinander aufheben, wenn jede Partei teils obsiegt, teils unterliegt. Da die Kommission mit einem Teil ihres Klagebegehrens, die Italienische Republik mit einem ihrer Verteidigungsmittel unterlegen ist, sind die Kosten gegeneinander aufzuheben.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

für Recht erkannt und entschieden :

1 ) Die Italienische Republik hat dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus den Artikeln 9 und 12 EWG-Vertrag verstossen, daß sie im innergemeinschaftlichen Handel die Kosten der Kontrollen und Verwaltungsformalitäten während eines Teils der üblichen Öffnungszeiten der Zollstellen an den Grenzuebergängen, wie sie durch Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe a zweiter Gedankenstrich der Richtlinie 83/643 zur Erleichterung der Kontrollen und Verwaltungsformalitäten im Güterverkehr zwischen den Mitgliedstaaten in der Fassung der Richtlinie 87/53 festgelegt worden sind, den Wirtschaftsteilnehmern auferlegt hat.

2 ) Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

3 ) Jede Partei trägt ihre eigenen Kosten.

Ende der Entscheidung

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