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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 14.02.1990
Aktenzeichen: 350/88
Rechtsgebiete: Verordnung Nr. 570/88/EWG vom 16.02.1988, Verordnung Nr. 804/68/EWG vom 27.06.1968, EWGV


Vorschriften:

Verordnung Nr. 570/88/EWG vom 16.02.1988
Verordnung Nr. 804/68/EWG vom 27.06.1968
EWGV Art. 39 Abs. 1
EWGV Art. 190
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Eine Entscheidung, die eine ständige Entscheidungspraxis fortsetzt, kann summarisch, insbesondere unter Bezugnahme auf diese Praxis begründet werden, während die Gemeinschaftsbehörde ihren Gedankengang ausdrücklich darlegen muß, wenn eine Entscheidung erheblich weiter geht als die früheren Entscheidungen. Jedoch brauchen dann nicht alle tatsächlich oder rechtlich einschlägigen Gesichtspunkte genannt zu werden. Ob nämlich die Begründung einer Entscheidung den Erfordernissen des Artikels 190 genügt, ist nicht nur im Hinblick auf ihren Wortlaut zu beurteilen, sondern auch aufgrund ihres Zusammenhangs sowie sämtlicher Rechtsvorschriften auf dem betreffenden Gebiet. Ausserdem müssen die Anforderungen, die an die Begründung einer Entscheidung zu stellen sind, den tatsächlichen Möglichkeiten sowie den technischen und zeitlichen Bedingungen angepasst werden, unter denen die Entscheidung ergeht.

2. Im Hinblick auf die mit der Verordnung Nr. 570/88 über den Verkauf von Billigbutter und die Gewährung einer Beihilfe für Butter und Butterfett für die Herstellung von Backwaren, Speiseeis und anderen Lebensmitteln verfolgte Zweckbestimmung, die zu normalen Bedingungen nicht absetzbaren Butterbestände abzubauen, konnte die Kommission von dem Zeitpunkt an, in dem sie glaubte, daß die Verringerung der Bestände es weniger erforderlich mache, den Kauf von Marktbutter durch Subventionen zu fördern, die nach der genannten Verordnung für diese Kaufgeschäfte gewährte Hoechstbeihilfe völlig zu Recht schrittweise herabsetzen.

3. Die Wirtschaftsteilnehmer dürfen nicht auf die Beibehaltung einer bestehenden Situation vertrauen, die die Gemeinschaftsorgane im Rahmen ihres Ermessens ändern können. Dies gilt insbesondere auf einem Gebiet wie dem der gemeinsamen Marktorganisationen, deren Zweck eine ständige Anpassung an die Veränderungen der wirtschaftlichen Lage mit sich bringt. Die Wirtschaftsteilnehmer können sich daher nicht auf ein wohlerworbenes Recht auf Beibehaltung eines Vorteils berufen, der sich für sie aus der Einführung der gemeinsamen Marktorganisation ergibt und der ihnen zu einem bestimmten Zeitpunkt zugute gekommen ist.

Dies gilt erst recht, wenn der betreffende Vorteil aus einer Sonderregelung folgt, die von den normalen Regeln des Marktes abweicht und zu deren Anpassung die Kommission verpflichtet ist, sobald der Zustand des Marktes sich wieder normalisiert, und wenn die Verringerung des Vorteils für einen umsichtigen und besonnenen Wirtschaftsteilnehmer vorhersehbar ist.


URTEIL DES GERICHTSHOFES (ZWEITE KAMMER) VOM 14. FEBRUAR 1990. - SOCIETE FRANCAISE DES BISCUITS DELACRE SA UND SOCIETE ETABLISSEMENTS J. LE SCAO SA UND SOCIETE BISCUITERIE DE L'ABBAYE SARL GEGEN KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN. - LANDWIRTSCHAFT - BEIHILFE FUER BUTTER FUER DIE HERSTELLUNG VON BACKWAREN - AUSSREIBUNGEN - ENTSCHEIDUNG UEBER DIE KUERZUNG DER BEIHILFE - NICHTIGKEITSKLAGE. - RECHTSSACHE 350/88.

Entscheidungsgründe:

1 Die Société française des Biscuits Delacre, die Etablissements J. Le Scao und die Biscuiterie de l' Abbaye ( Klägerinnen ) haben mit Klageschrift, die am 2. Dezember 1988 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 173 Absatz 2 EWG-Vertrag die Nichtigerklärung der Entscheidung beantragt, die die Kommission am 30. September 1988 für die Ausschreibung Nr. 8 im Rahmen der Dauerausschreibung gemäß der Verordnung ( EWG ) Nr. 570/88 der Kommission vom 16. Februar 1988 über den Verkauf von Billigbutter und die Gewährung einer Beihilfe für Butter und Butterfett für die Herstellung von Backwaren, Speiseeis und anderen Lebensmitteln ( ABl. L 55, S. 31 ) erlassen hat.

2 Die Klägerinnen, die Backwaren herstellen, beteiligten sich an einer Dauerausschreibung für die Gewährung einer Beihilfe für Butter gemäß der Verordnung Nr. 570/88. Im Rahmen der Einzelausschreibung Nr. 8 für das Jahr 1988 reichten sie am 23. September 1988 bei der französischen Interventionsstelle Angebote über Gesamtmengen von 110 t, 80 t bzw. 10 t Butter mit einem Milchfettgehalt von 82 % ohne Kennzeichnungsmittel mit einer Beihilfe von 1 334,44 FF ohne Steuern und Abgaben je 100 kg ein.

3 Mit Entscheidung vom 30. September 1988, die an die Mitgliedstaaten gerichtet war und die auszugsweise in Form einer Tabelle, in die nur die Preise und Beihilfebeträge der Kommission aufgenommen waren, im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften, Reihe C, veröffentlicht wurde ( ABl. C 259, S. 9 ), setzte die Kommission die Hoechstbeihilfe für die Ausschreibung Nr. 8 auf 154 ECU je 100 kg, also 1 151,28 FF je 100 kg, fest.

4 Mit Schreiben vom 3. Oktober 1988 unterrichtete die französische Interventionsstelle die Klägerinnen darüber, daß ihre Angebote abgelehnt worden seien, da ihre Beihilfeanträge über dem von der Kommission am 30. September 1988 festgesetzten Hoechstbetrag lägen.

5 Aus den Akten geht hervor, daß die Hoechstbeihilfe für Butter seit der Ausschreibung Nr. 4 für das Jahr 1988, bei der sie sich auf 167 ECU je 100 kg Butter belaufen hatte, ( ABl. 1988, C 204, S. 12 ), infolge eines spürbaren Abbaus der Butterbestände, der zu einem erheblichen Preisanstieg für Marktbutter führte, ständig zurückging. Während die Beihilfe bei der Ausschreibung Nr. 5 noch 166 ECU betrug ( ABl. 1988, C 217, S. 20 ), wurde sie später auf 163 ECU ( Ausschreibung Nr. 6, ABl. 1988, C 226, S. 4 ) und dann auf 159 ECU ( Ausschreibung Nr. 7, ABl. 1988, C 249, S. 4 ) festgesetzt. Nach den 154 ECU bei der Ausschreibung Nr. 8 ging die Beihilfe bei der Ausschreibung Nr. 9 noch einmal auf 150 ECU zurück ( ABl. 1988, C 273, S. 2 ).

6 Zur Begründung ihrer Klage berufen sich die Klägerinnen zum einen auf die Verletzung wesentlicher Formvorschriften, die in einem Begründungsmangel der angefochtenen Entscheidung bestuende, und zum anderen auf die Nichtbeachtung der Grundsätze der Verhältnismässigkeit und des Vertrauensschutzes sowie des Diskriminierungsverbots.

7 Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts, des Verfahrensablaufs und des Parteivorbringens wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt wird im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

Zur Frage des Begründungsmangels

8 Die Klägerinnen machen geltend, die angefochtene Entscheidung werde der Begründungspflicht nach Artikel 190 EWG-Vertrag nicht gerecht, da sie zum einen nicht erwähne, daß sie nach Stellungnahme des Verwaltungsausschusses erlassen worden sei, und zum anderen die Gründe für die Herabsetzung der Hoechstbeihilfe gegenüber den vorangegangenen Ausschreibungen nicht angebe.

9 Für die Beurteilung der Begründetheit der ersten im Rahmen dieses Klagegrundes erhobenen Rüge ist darauf hinzuweisen, daß gemäß Artikel 18 Absatz 1 Unterabsatz 1 der Verordnung Nr. 570/88 der Mindestverkaufspreis für die Butter und die Hoechstbeihilfe für die Butter und das Butterfett nach dem sogenannten Verwaltungsausschußverfahren des Artikels 30 der Verordnung ( EWG ) Nr. 804/68 des Rates vom 27. Juni 1968 über die gemeinsame Marktorganisation für Milch und Milcherzeugnisse ( ABl. L 148, S. 13 ) festgesetzt werden.

10 Hierzu ist festzustellen, daß sich die Rüge der Klägerinnen auf die fehlende Erwähnung der Konsultation des Verwaltungsausschusses in der Veröffentlichung der Entscheidung der Kommission in der Reihe C des Amtsblatts bezieht.

11 Gemäß einer Mitteilung der Kommission ( ABl. 1982, L 360, S. 43 ) gibt diese Veröffentlichung nicht die gesamte Entscheidung der Kommission wieder, sondern nur die Angaben, die erforderlich sind, um die betreffenden Wirtschaftskreise über die Ergebnisse der jeweiligen Ausschreibung zu unterrichten, da die vollständige Entscheidung der Kommission den Mitgliedstaaten notifiziert und mit dieser Notifizierung wirksam wird.

12 Aus den Akten geht hervor, daß in der Entscheidung, wie sie der ständigen Vertretung Frankreichs notifiziert wurde, die Konsultation des Verwaltungsausschusses ausdrücklich erwähnt wird; es heisst nämlich in der zweiten Begründungserwägung, daß "der Verwaltungsausschuß für Milch und Milcherzeugnisse... nicht innerhalb der ihm von seinem Vorsitzenden gesetzten Frist Stellung genommen" hat.

13 Daraus folgt, daß die Rüge, die Konsultation des Verwaltungsausschusses sei nicht erwähnt worden, zurückzuweisen ist.

14 Die zweite Rüge der Klägerinnen, die der fehlenden Angabe der Gründe für die Senkung der Hoechstbeihilfe gegenüber dem Betrag bei den vorangegangenen Einzelausschreibungen, geht dahin, die angefochtene Entscheidung nehme nur auf die durchgeführte Verordnung Bezug; insbesondere hätte die Kommission ihren Gedankengang explizit darlegen müssen, wenn sie, wie im vorliegenden Fall, von einer bisherigen ständigen Praxis abrücke.

15 Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes muß die nach Artikel 190 EWG-Vertrag notwendige Begründung die Überlegungen der Gemeinschaftsbehörde, die den angefochtenen Rechtsakt erlassen hat, so klar und unzweideutig wiedergeben, daß es den Betroffenen möglich ist, zur Wahrnehmung ihrer Rechte die tragenden Gründe für die Maßnahme kennenzulernen, und daß der Gerichtshof seine Kontrolle ausüben kann ( siehe das Urteil vom 30. September 1982 in der Rechtssache 108/81, Amylum, Slg. 1982, 3107, Randnr. 19; das Urteil vom 8. November 1983 in den verbundenen Rechtssachen 96/82 bis 102/82, 104/82, 105/82, 108/82 und 110/82, IAZ u. a., Slg. 1983, 3369, Randnr. 37; sowie das Urteil vom 25. Oktober 1984 in der Rechtssache 185/83, Rijksuniversiteit Groningen, Slg. 1984, 3623, Randnr. 38 ). Nach der Rechtsprechung kann weiter die Entscheidung, die eine ständige Entscheidungspraxis fortsetzt, summarisch, insbesondere unter Bezugnahme auf diese Praxis begründet werden, während die Gemeinschaftsbehörde ihren Gedankengang ausdrücklich darlegen muß, wenn die Entscheidung erheblich weiter geht als die früheren Entscheidungen ( siehe das Urteil vom 26. November 1975 in der Rechtssache 73/74, Groupement des Fabricants de Papiers Peints de Belgique u. a., Slg. 1975, 1491, Randnr. 31 ).

16 Jedoch brauchen danach nicht alle tatsächlich oder rechtlich einschlägigen Gesichtspunkte genannt zu werden. Ob nämlich die Begründung einer Entscheidung den Erfordernissen des Artikels 190 EWG-Vertrag genügt, ist nach ständiger Rechtsprechung nicht nur im Hinblick auf ihren Wortlaut zu beurteilen, sondern auch aufgrund ihres Zusammenhangs sowie sämtlicher Rechtsvorschriften auf dem betreffenden Gebiet ( siehe das Urteil Rijksuniversiteit Groningen, a. a. O., Randnr. 38; das Urteil vom 23. Februar 1978 in der Rechtssache 92/77, An Bord Bainne, Slg. 1978, 497, Randnrn. 36 und 37; sowie das Urteil vom 25. Oktober 1978 in der Rechtssache 125/77, Scholten-Honig, Slg. 1978, 1991, Randnrn. 18 bis 22 ). Ausserdem müssen die Anforderungen, die an die Begründung einer Entscheidung zu stellen sind, den tatsächlichen Möglichkeiten sowie den technischen und zeitlichen Bedingungen angepasst werden, unter denen die Entscheidung ergeht ( siehe das Urteil vom 1. Dezember 1965 in der Rechtssache 16/65, Schwarze, Slg. 1965, 1151 ).

17 Im vorliegenden Fall ist festzustellen, daß die angefochtene Entscheidung mit den Bestimmungen in Zusammenhang steht, die den Abbau der Butterbestände bezwecken. Insbesondere stellt die Festsetzung der Mindestverkaufspreise für die Butter und der Hoechstbeihilfe für die Butter und das Butterfett gemäß der Verordnung Nr. 570/88 ein gleichförmiges Verfahren dar, das sich ungefähr alle 14 Tage wiederholt, wobei die Entscheidungen aufgrund ausdrücklicher Kriterien einer - überdies den betroffenen Kreisen bestens bekannten - Verordnung ergehen und weder in der Art und Weise ihres Ergehens noch in ihrem Inhalt wesentlich voneinander abweichen.

18 Ausserdem ist die Änderung des Mindestverkaufspreises und der Hoechstbeihilfe der Verordnung Nr. 570/88 systemimmanent. Die im Rahmen der Einzelausschreibungen nacheinander getroffenen Entscheidungen sollen nämlich eine flexible Reaktion auf tatsächliche Umstände ermöglichen, auf die die Gemeinschaftsbehörde keinen Einfluß hat, indem die Kommission nach Eingang aller für eine Einzelausschreibung eingereichten Gebote unter Berücksichtigung der vorhandenen Lagerbestände und des Preises für Marktbutter entscheidet. Im vorliegenden Fall wird im übrigen nicht bestritten, daß sich die Butterbestände seit Ende 1986 erheblich verringert haben.

19 Unter diesen Umständen genügt die Bezugnahme der angefochtenen Entscheidung auf die für die Festsetzung der Hoechstbeihilfe für die Butter geltenden Rechtsgrundlagen dem Begründungserfordernis des Artikels 190 EWG-Vertrag; die Änderung des Beihilfebetrags gegenüber den vorangegangenen Einzelausschreibungen musste nicht besonders begründet werden.

20 Die zweite Rüge der Klägerinnen ist daher ebenfalls zurückzuweisen.

21 Aus dem Vorstehenden folgt, daß die angefochtene Entscheidung ausreichend begründet ist. Der erste Klagegrund ist daher zurückzuweisen.

Zum Grundsatz der Verhältnismässigkeit

22 Zur Begründung dieses Klagegrundes machen die Klägerinnen geltend, die angefochtene Entscheidung habe dadurch gegen den Grundsatz der Verhältnismässigkeit verstossen, daß sie entgegen den Zielen des Artikels 39 Absatz 1 Buchstaben c, d und e EWG-Vertrag und der Verordnung Nr. 570/88, die Märkte zu stabilisieren, die Versorgung sicherzustellen und für die Belieferung der Verbraucher zu angemessenen Preisen Sorge zu tragen, mit der Festsetzung der Hoechstbeihilfe für die von den Backwarenherstellern verwendete Butter auf 154 ECU je 100 kg abrupt und unvorhersehbar eine Erhöhung des Butterpreises von 55 % seit Anfang 1988 festgeschrieben habe.

23 Aus der zweiten Begründungserwägung der Verordnung Nr. 570/88 ergibt sich, daß es das Ziel dieser Verordnung war, den Butterabsatz und -verbrauch zu fördern, um die Lage auf dem Buttermarkt in der Gemeinschaft zu verbessern, die durch umfangreiche Bestände gekennzeichnet war, die zu normalen Bedingungen nicht abgesetzt werden konnten.

24 Aus den von der Kommission eingereichten und von den Klägerinnen nicht bestrittenen Statistiken geht aber hervor, daß die Butterbestände in der Gemeinschaft im Laufe des Jahres 1988 beträchtlich abnahmen, wobei diese Entwicklung im übrigen bereits Ende 1986 einsetzte. So waren die Lagerbestände in der Gemeinschaft im September 1988 gegenüber den Mengen im Septemer 1986 auf weniger als ein Drittel geschrumpft ( 1 473 000 t gegenüber 439 000 t, Quelle : Eurostat ).

25 Die Entwicklung bei den öffentlichen Butterbeständen war sogar noch eindrucksvoller. Nach den Angaben der Generaldirektion Landwirtschaft der Kommission sank nämlich der Vorrat von 1 323 000 t im September 1986 auf 206 000 t im September 1988, also auf weniger als ein Sechstel. Die Butterbestände gingen im übrigen auch nach September 1988 ständig zurück. Einhergehend mit dem Sinken der Lagerbestände stiegen die Preise für Butter und Butterfett seit Anfang 1988 ständig an.

26 Angesichts dessen musste die Kommission aufgrund ihrer Verpflichtung, die vorhandenen Butterbestände wirksam zu verwalten und zu den günstigsten Bedingungen abzusetzen, ihre Beihilfepolitik für den Butterverbrauch der Backwarenhersteller der Entwicklung der Marktlage anpassen.

27 Da die Kommission also zu Recht der Ansicht sein konnte, daß die Verringerung des Butterbestands es weniger erforderlich mache, den Kauf von Marktbutter durch Subventionen zu fördern, weicht die beanstandete Entscheidung nicht von der Zweckbestimmung der Verordnung ab, die die Kommission durchführen musste.

28 Zudem bezeichnen die Klägerinnen die Herabsetzung der Hoechstbeihilfe durch die streitige Entscheidung völlig zu Unrecht als plötzlich und unvorhersehbar. Denn zum einen sank das Beihilfeniveau von der Einzelausschreibung Nr. 5 ( Entscheidung der Kommission vom 12. August 1988 ) an ständig ab, und diese Tendenz setzte sich sogar im Rahmen der Einzelausschreibung Nr. 9 ( Entscheidung der Kommission vom 17. Oktober 1988 ) fort. Zum anderen bewegte sich der jeweilige Rückgang im Rahmen von 1 bis 5 ECU pro 100 kg Butter.

29 Im übrigen machte die Beihilfe für den Kauf von Marktbutter selbst nach der Kürzung, die 1988 wegen des Rückgangs der Butterbestände erfolgte, noch 50 % des Interventionspreises für Butter aus, so daß den Klägerinnen kein Nachteil zugefügt wurde, sondern ihnen lediglich im Rahmen des sehr günstigen Systems der Verordnung Nr. 570/88 ein geringerer Vorteil gewährt wurde.

30 Daraus folgt, daß der Klagegrund der Verletzung des Verhältnismässigkeitsgrundsatzes zurückzuweisen ist.

Zum Grundsatz des Vertrauensschutzes

31 Nach Ansicht der Klägerinnen hat die angefochtene Entscheidung den Grundsatz des Vertrauensschutzes dadurch verletzt, daß sie eine bisherige ständige Praxis, die die Ausrichtung ihrer Produktion bestimmt habe, abrupt und nicht vorhersehbar tiefgreifend geändert habe. Wegen der Regelung über den Verkauf zu herabgesetztem Preis und der Gemeinschaftsbeihilfe hätten die Klägerinnen ihre Geschäftspolitik auf die Herstellung von Erzeugnissen auf Butterbasis gegründet, indem sie aus dem Verhalten der Kommission die Zusicherung hergeleitet hätten, daß die Gemeinschaftsregelung betreffend die Gewährung einer Beihilfe für Butter für die Herstellung von Backwaren ohne abrupte tiefgreifende Änderungen fortgeführt werde.

32 Für die Beurteilung der Stichhaltigkeit dieses Klagegrundes ist zunächst daran zu erinnern, daß die Gemeinschaftsorgane nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes mit Rücksicht auf die ihnen im EWG-Vertrag zugewiesene Verantwortung in der Gemeinsamen Agrarpolitik über ein weites Ermessen verfügen ( Urteil vom 11. März 1987 in den verbundenen Rechtssachen 279/84, 280/84, 285/84 und 286/84, Rau u. a., Slg. 1987, 1069, Randnr. 34 ). Dasselbe Ermessen bei der Wahl der zur Verwirklichung ihrer Politik erforderlichen Mittel muß der Kommission in ihrer Eigenschaft als der für die Verwaltung der Butterbestände Verantwortlichen zugestanden werden, aufgrund deren sie ihre Politik der Verbrauchsbeihilfen für dieses Erzeugnis den fluktuierenden Marktbedingungen anpasst.

33 Wenn der Grundsatz des Vertrauensschutzes auch zu den Grundprinzipien der Gemeinschaft gehört, so dürfen die Marktbürger doch nach ständiger Rechtsprechung nicht auf die Beibehaltung einer bestehenden Situation vertrauen, die die Gemeinschaftsorgane im Rahmen ihres Ermessens ändern können ( siehe das Urteil vom 15. Juli 1982 in der Rechtssache 245/81, Edeka, Slg. 1982, 2745, Randnr. 27; das Urteil vom 28. Oktober 1982 in der Rechtssache 52/81, Faust, Slg. 1982, 3745, Randnr. 27; sowie das Urteil vom 17. Juni 1987 in den verbundenen Rechtssachen 424/85 und 425/85, Frico, Slg. 1987, 2755, Randnr. 33 ). Dies gilt insbesondere auf einem Gebiet wie dem der gemeinsamen Marktorganisationen, deren Zweck eine ständige Anpassung an die Veränderungen der wirtschaftlichen Lage mit sich bringt ( siehe das Urteil vom 16. Mai 1979 in der Rechtssache 84/78, Tomadini, Slg. 1979, 1801, Randnr. 22; das Urteil vom 5. Mai 1981 in der Rechtssache 112/80, Dürbeck, Slg. 1981, 1095, Randnr. 48; sowie das Urteil Frico, a. a. O., Randnr. 33 ).

34 Daraus folgt, daß sich die Wirtschaftsteilnehmer nicht auf ein wohlerworbenes Recht auf Beibehaltung eines Vorteils berufen können, der sich für sie aus der Einführung der gemeinsamen Marktorganisation ergibt und der ihnen zu einem bestimmten Zeitpunkt zugute gekommen ist ( siehe das Urteil vom 27. September 1979 in der Rechtssache 230/78, Eridania, Slg. 1979, 2749, Randnr. 22; sowie das Urteil vom 21. Mai 1987 in den verbundenen Rechtssachen 133/85 bis 136/85, Rau und andere, Slg. 1987, 2289, Randnr. 18 ).

35 Dieser Schluß drängt sich ganz besonders in einem Fall wie dem vorliegenden auf.

36 Denn erstens ist festzustellen, daß es sich bei der Verordnung Nr. 570/88 um eine besondere Maßnahme handelt, die dazu bestimmt ist, Butter zu besonders günstigen Bedingungen abzusetzen, um eine aussergewöhnliche Marktsituation zu überwinden, die durch umfangreiche Bestände und durch die Unmöglichkeit, diese zu normalen Bedingungen abzusetzen, gekennzeichnet ist. Sobald aber der Zustand des Marktes sich wieder normalisiert, muß die Kommission bei ihrer Verwaltung der neuen Lage Rechnung tragen; sie ist dazu verpflichtet, die Sonderregelung, die von den normalen Regeln des Marktes abweicht, anzupassen. Unter diesen Umständen ist die Anpassung des Beihilfeniveaus an die Marktlage dem System der Verordnung Nr. 570/88 immanent; die Klägerinnen können nicht unter Berufung auf wohlerworbene Rechte die Aufrechterhaltung der Vorteile verlangen, die sie über einen bestimmten Zeitraum aus dem zur Absatzförderung des Butterüberschusses eingerichteten System gezogen haben. Dies gilt um so mehr, als im vorliegenden Fall das Beihilfesystem beibehalten und nur der Betrag der Beihilfe geändert wurde.

37 Zweitens ist darauf hinzuweisen, daß die Klägerinnen angesichts der seit Ende 1986 rückläufigen Lagerbestände, die im Laufe des Jahres 1988 noch wesentlich schneller abnahmen, als umsichtige und besonnene Wirtschaftsteilnehmer den stetigen Anstieg des Butterverkaufspreises und die damit zusammenhängende Kürzung des Beihilfebetrages voraussehen mussten, die die unvermeidliche Folge einer Verringerung der Lagerbestände sind. Sie können sich daher nicht auf ein berechtigtes Vertrauen in die Aufrechterhaltung der Beihilfenhöhe berufen ( siehe das Urteil vom 1. Februar 1978 in der Rechtssache 78/77, Lührs, Slg. 1978, 169, Randnr. 6; sowie das Urteil Amylum, a. a. O., Randnr. 13 ).

38 Aus den vorstehenden Ausführungen ergibt sich, daß der Klagegrund der Verletzung des Grundsatzes des Vertrauensschutzes ebenfalls zurückzuweisen ist.

Zum Diskriminierungsverbot

39 Die Klägerinnen machen schließlich geltend, die streitige Entscheidung habe das Diskriminierungsverbot in zweifacher Hinsicht verletzt. Zum einen seien nach französischem Recht die Produkte, die unter der Bezeichnung "au beurre" (( mit Butter )) vermarktet würden, ausschließlich unter Verwendung von Butter herzustellen, während nach dem Recht anderer Mitgliedstaaten auch andere Fette verarbeitet werden dürften. Zum anderen sehen die Klägerinnen eine Ungleichbehandlung darin, daß sie als in Frankreich ansässige Unternehmen nur Informationen über die Butterbestände in Frankreich erhalten hätten. Aufgrund ungenügender Informationen hätten sie sich nicht wie Unternehmen anderer Mitgliedstaaten rechtzeitig in anderen Mitgliedstaaten mit Billigbutter versorgen können.

40 Was die erste Rüge betrifft, so genügt die Feststellung, daß die besondere Lage der französischen Buttergebäckhersteller nicht der angefochtenen Entscheidung zugeschrieben werden kann, sondern eine Folge der Unterschiede im Recht der Mitgliedstaaten über die Bezeichnung von Lebensmitteln ist. Das Gemeinschaftsrecht aber verhindert beim gegenwärtigen Stand seiner Entwicklung nicht, daß ein Mitgliedstaat seinen Wirtschaftsteilnehmern in dieser Hinsicht strengere Vorschriften auferlegt, als sie in anderen Mitgliedstaaten gelten.

41 Was die zweite Rüge betrifft, so ist darauf hinzuweisen, daß alle Interventionsstellen nach den Artikeln 13 Absatz 2 und 15 Absatz 1 der Verordnung Nr. 570/88 verpflichtet sind, in der Bekanntmachung der Ausschreibung die in jedem Kühlhaus zum Verkauf befindlichen Buttermengen anzugeben und ein regelmässig auf den neuesten Stand gebrachtes und veröffentlichtes Verzeichnis dieser Kühlhäuser für die Interessenten zur Verfügung zu halten.

42 Unter diesen Umständen konnten die Klägerinnen sich bei den Interventionsstellen anderer Mitgliedstaaten über die Höhe der verfügbaren Butterbestände erkundigen, um ihren Bedarf an Butter aus Lagerbeständen gegebenenfalls dort zu decken.

43 Die zusätzlichen Kosten, die sich hieraus ergeben können, entstehen gleichermassen jedem Wirtschaftsteilnehmer der Gemeinschaft, der in einem anderen Mitgliedstaat als dem seiner Niederlassung Angebote abgibt, so daß das Diskriminierungsverbot nicht verletzt ist.

44 Daher ist auch der vierte Klagegrund, auf den sich die Klägerinnen berufen, nicht stichhaltig.

45 Da keiner der von den Klägerinnen vorgebrachten Klagegründe durchgreift, ist die Klage vollständig abzuweisen.

Kostenentscheidung:

Kosten

46 Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Klägerinnen mit ihrem Vorbringen unterlegen sind, sind ihnen die Kosten aufzuerlegen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF ( Zweite Kammer )

für Recht erkannt und entschieden :

1 ) Die Klage wird abgewiesen.

2 ) Die Klägerinnen tragen die Kosten des Verfahrens als Gesamtschuldner.

Ende der Entscheidung

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