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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 04.07.1990
Aktenzeichen: 354/88
Rechtsgebiete: EWG-Vertrag, VO 3602/82, VO 2759/75


Vorschriften:

EWG-Vertrag Art. 177
VO 3602/82 Art. 2 Abs. 2
VO 2759/75 Art. 15 Abs. 1
VO 2759/75 Art. 17 Abs. 1
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Das Erfordernis des Artikels 2 Absatz 2 Unterabsatz 1 und des die Zusätzliche Vorschrift Nr. 2 zu Kapitel 2 des Gemeinsamen Zolltarifs einführenden Artikels 3 der Verordnung Nr. 3602/82, wonach Teile von Teilstücken nur zu derselben Tarifstelle wie diese gehören und deshalb gemäß der Verordnung Nr. 263/83 Anspruch auf Ausfuhrerstattungen eröffnen, wenn sie Muskelgewebe und Knochen "entsprechend dem natürlichen Verhältnis in den vollständigen Teilstücken" enthalten, ist dahin auszulegen, daß nach der Zerlegung das natürliche Gleichgewicht zwischen Muskelgewebe und Knochen in den durch die Zerlegung gewonnenen Teilen nicht verändert werden darf.


URTEIL DES GERICHTSHOFES (ERSTE KAMMER) VOM 4. JULI 1990. - VLEESWARENBEDRIJF ROERMOND BV UND SLEEGERS VLEESWARENFABRIEK BV UND KUEHNE EN HEITZ BV GEGEN PRODUKTSCHAP VOOR VEE EN VLEES. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: COLLEGE VAN BEROEP VOOR HET BEDRIJFSLEVEN - NIEDERLANDE. - GEMEINSAMER ZOLLTARIF - AUSFUHRERSTATTUNGEN FUER SCHWEINEFLEISCH - VORDERTEIL ODER SCHULTER - KOTELETTSTRANG. - VERBUNDENE RECHTSSACHEN 354/88, 355/88 UND 356/88.

Entscheidungsgründe:

1 Das College van Beroep voor het Bedrijfsleven, Den Haag, hat mit Beschlüssen vom 16. September 1988, beim Gerichtshof eingegangen am 12. Dezember 1988, gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag zwei Fragen nach der Gültigkeit und der Auslegung des Artikels 2 Absatz 2 Unterabsatz 1 der Verordnung ( EWG ) Nr. 3602/82 der Kommission vom 21. Dezember 1982 zur Festsetzung der Koeffizienten zur Berechnung der Abschöpfungen für Schweinefleischerzeugnisse mit Ausnahme von geschlachteten Schweinen, zur Änderung des Anhangs der Verordnung ( EWG ) Nr. 950/68 des Rates über den Gemeinsamen Zolltarif und zur Aufhebung der Verordnung ( EWG ) Nr. 747/79 ( ABl. L 376, S. 23 ) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Fragen stellen sich im Rahmen von drei Rechtsstreitigkeiten zwischen drei Fleischexporteuren und der Produktschap voor Vee en Vlees wegen der Zahlung von Ausfuhrerstattungen und, in einigen Fällen, von Währungsausgleichsbeträgen, auf die die Klägerinnen des Ausgangsverfahrens aufgrund der Ausfuhr mehrerer Sendungen Schweinefleisch in Drittländer Anspruch zu haben glauben.

3 Gemäß Artikel 15 Absatz 1 der Verordnung ( EWG ) Nr. 2759/75 des Rates vom 29. Oktober 1975 über die gemeinsame Marktorganisation für Schweinefleisch ( ABl. L 282, S. 1 ) kann, um die Ausfuhr der unter diese Marktorganisation fallenden Erzeugnisse "auf der Grundlage der Notierungen oder Preise zu ermöglichen, die auf dem Weltmarkt für diese Erzeugnisse gelten,... der Unterschied zwischen diesen Notierungen oder Preisen und den Preisen der Gemeinschaft durch eine Erstattung bei der Ausfuhr ausgeglichen werden ".

4 Gemäß Artikel 17 Absatz 1 dieser Verordnung gelten für die Tarifierung der unter diese Verordnung fallenden Erzeugnisse die allgemeinen Tarifierungsvorschriften und die besonderen Vorschriften über die Anwendung des Gemeinsamen Zolltarifs und wird das Zolltarifschema, das sich aus der Anwendung dieser Verordnung ergibt, in den Gemeinsamen Zolltarif übernommen.

5 Die Definition einiger der Erzeugnisse dieses Sektors wurde durch Artikel 2 der Verordnung Nr. 3602/82 der Kommission geändert. Gemäß Absatz 2 Unterabsatz 1 dieser Vorschrift gehören Teile u. a. der Teilstücke "Vorderteil", "Schulter" und "Kotelettstrang" nur zu denselben Tarifstellen wie die vollständigen Teilstücke, "wenn sie Muskelgewebe und Knochen entsprechend dem natürlichen Verhältnis in den vollständigen Teilstücken enthalten ".

6 Gemäß dem erwähnten Artikel 17 Absatz 1 der Verordnung Nr. 2759/75 waren einige Änderungen des Zolltarifschemas und der besonderen Vorschriften über die Anwendung des Gemeinsamen Zolltarifs erforderlich. Diese Änderungen erfolgten durch Artikel 3 der Verordnung Nr. 3602/82, durch den eine Zusätzliche Vorschrift Nr. 2 zu Kapitel 2 des Gemeinsamen Zolltarifs in diesen eingefügt und der Wortlaut des Artikels 2 in den GZT übernommen wurde.

7 Die Anpassung des Verzeichnisses der Erzeugnisse, für die Ausfuhrerstattungen gewährt werden, erfolgte durch die Verordnung ( EWG ) Nr. 263/83 der Kommission vom 28. Januar 1983 ( ABl. L 30, S. 72 ), die am 1. Februar 1983 in Kraft trat. Gemäß dem Anhang dieser Verordnung wird eine Erstattung u. a. für die Erzeugnisse gewährt, die unter die Tarifstellen 02.01 A III a ) 3 ( Vorderteile oder Schultern, auch Teile davon ) und 02.01 A III a ) 4 ( Kotelettstränge, auch Teile davon ) fallen, nicht jedoch für die unter die Tarifstelle 02.01 A III a ) 6 bb ) ( anderes ) fallenden Erzeugnisse.

8 Während vorher die Teile des Vorderteils, der Schulter und des Kotelettstrangs immer zu derselben Tarifstelle wie die entsprechenden vollständigen Teilstücke gehörten, hatten die genannten Änderungen zur Folge, daß diese Teile nur dann in dieselbe Tarifstelle wie die vollständigen Teilstücke einzureihen sind, "wenn sie Muskelgewebe und Knochen entsprechend dem natürlichen Verhältnis in den vollständigen Teilstücken enthalten ". Ist diese Voraussetzung nicht erfuellt, so gehören sie zur Tarifstelle 02.01 A III a ) 6 bb ), und es wird keine Ausfuhrerstattung für sie gewährt.

9 Die Klägerinnen in den drei Ausgangsverfahren führten zwischen Anfang Februar 1983 und Ende März 1986 eine Reihe Schweinefleischpartien in Drittländer aus, die zum Zwecke der Zahlung von Ausfuhrerstattungen unter den Tarifstellen 02.01 A III a ) 3 ( Vorderteile oder Schultern, auch Teile davon ) und 02.01 A III a ) 4 ( Kotelettstränge, auch Teile davon ) angemeldet wurden.

10 Die Zollbehörden waren jedoch der Ansicht, die fraglichen Partien seien in die Tarifstelle 02.01 A III a ) 6 bb ) einzureihen. Sie lehnten daher mehrere Anträge auf Zahlung von Erstattungen und, in bestimmten Fällen, von Währungsausgleichsbeträgen ab und forderten die schon gezahlten Beträge zurück. Die Klägerinnen der Ausgangsverfahren klagten gegen die betreffenden Bescheide beim College van Beroep voor het Bedrijfsleven. Dieses forderte ein Gutachten insbesondere zu dem Begriff "natürliches Verhältnis" zwischen Muskelgewebe und Knochen in den Schweine-Teilstücken "Vorderteil", "Schulter" und "Kotelettstrang" sowie zu der Möglichkeit an, das tatsächliche Verhältnis zwischen Muskelgewebe und Knochen in den Rippenstücken, aus denen sich die streitigen Partien zusammensetzten, objektiv festzustellen.

11 Die Gutachter antworteten, daß das natürliche Verhältnis zwischen Muskelgewebe und Knochen nicht durch einen allgemein gültigen Prozentsatz ausgedrückt und keine dabei zu berücksichtigende Toleranz angegeben werden könne, da es vielfache Ursachen für Unterschiede gebe, wie unterschiedliche Zerlegungsmethoden, Rasse, Alter, Geschlecht und Art und Weise der Aufzucht und Mast des Schweins.

12 Das nationale Gericht hat demgemäß das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt :

"1 ) Ist Artikel 2 Absatz 2 Unterabsatz 1 der Verordnung ( EWG ) Nr. 3602/82 gültig?

2 ) Wenn ja, anhand welcher Kriterien ist das natürliche Verhältnis zwischen Muskelgewebe und Knochen im vollständigen Teilstück im Sinne der in der Frage 1 angegebenen Vorschrift festzustellen?"

13 Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts und des rechtlichen Rahmens der Ausgangsverfahren, des Verfahrensablaufs und des Parteivorbringens wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt wird im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

14 Einleitend ist festzustellen, daß die Vorlagefragen, obwohl das vorlegende Gericht in den Vorlagebeschlüssen nur Artikel 2 Absatz 2 Unterabsatz 1 der Verordnung Nr. 3602/82 genannt hat, auch Artikel 3 dieser Verordnung betreffen, durch den die Zusätzliche Vorschrift Nr. 2 zu Kapitel 2 des Gemeinsamen Zolltarifs in diesen eingefügt und der Wortlaut dieses Artikels 2 in den GZT übernommen wurde.

15 Aus den Vorlagebeschlüssen ergibt sich, daß die Frage der Gültigkeit des Artikels 2 Absatz 2 Unterabsatz 1 und des Artikels 3 der Verordnung von der Auslegung dieser Artikel abhängt. Somit ist zuerst die zweite Frage zu beantworten.

Zur zweiten Frage

16 Aus den Akten ergibt sich, daß diese Frage im wesentlichen dahin geht, wie das Erfordernis des Artikels 2 Absatz 2 Unterabsatz 1 und des Artikels 3 der Verordnung Nr. 3602/82 auszulegen ist, wonach Teile von Teilstücken Muskelgewebe und Knochen entsprechend dem natürlichen Verhältnis in den vollständigen Teilstücken enthalten müssen.

17 Die Kommission schlägt vor, auf das natürliche Verhältnis in den vollständigen Teilstücken abzustellen, die vergleichbar mit den Teilstücken sind, aus denen die Teile entnommen wurden und die von einem normalen Schlachtschwein stammen, und zwar in den möglichen unterschiedlichen Zusammensetzungen der Vorderteile, der Schultern und der Kotelettstränge, wie sie in den Gemeinschaftsvorschriften definiert werden. Die nationalen Behörden könnten so mit ausreichender Genauigkeit die oberen und unteren Grenzwerte des natürlichen Verhältnisses feststellen.

18 Dieser Auslegung kann nicht gefolgt werden. Erstens würde sie bewirken, daß die Ausfuhrerstattung nicht nur für solche Teile von Teilstücken nicht gewährt würde, die einen im Verhältnis zum Fleisch hohen Knochenanteil aufweisen, sondern auch für solche mit einem im Verhältnis zu den Knochen hohen Fleischanteil. Zweitens würde sie eine grosse Unsicherheit für die Exporteure schaffen, die im Zeitpunkt ihrer Vertragsabschlüsse mit Abnehmern aus Drittländern nicht mit Sicherheit wissen könnten, ob sie Anspruch auf eine Ausfuhrerstattung haben werden, obwohl es doch gerade der Zweck dieser Erstattung ist, die Ausfuhr der Erzeugnisse in Drittländer zu ermöglichen, indem die Unterschiede zwischen ihren Preisen in der Gemeinschaft und den Preisen auf dem Weltmarkt ausgeglichen werden.

19 Die Klägerinnen des Ausgangsverfahrens machen geltend, es sei auf die abgetrennten Teile und nicht auf das natürliche Verhältnis in den vollständigen Teilstücken abzustellen. Abgetrennte Teile könnten in dieselbe Tarifposition wie die vollständigen Teilstücke eingereiht werden, wenn sie Muskelgewebe und Knochen in demselben Verhältnis enthielten wie noch nicht abgetrennte Teile. Dies bedeute, daß das natürliche Gleichgewicht des Verhältnisses zwischen Muskelgewebe und Knochen in den abgetrennten Teilen nicht verändert werden dürfe. So dürfe nach der Abtrennung von der Schulter ein Schulterstück nicht entbeint und bei einem Brustrippenstück das zwischen den Rippen befindliche Muskelgewebe nicht entfernt werden.

20 Diese Auslegung ist geeignet, ein praktikables, einheitliches und nicht willkürliches Kriterium zu liefern.

21 Erstens verhindert sie, daß die Unterschiede hinsichtlich der Zerlegungsmethoden, der Rasse, des Alters, des Geschlechts und der Art und Weise der Aufzucht und der Mast des Schweines irgendeine Auswirkung auf die Gewährung von Ausfuhrerstattungen haben können.

22 Zweitens ermöglicht sie es den Exporteuren, wenn sie die Teile nach den marktüblichen Praktiken abtrennen, ohne an den Knochen befindliches Gewebe zu entfernen, mit Sicherheit zu wissen, ob sie Anspruch auf die Zahlung einer Ausfuhrerstattung haben. Dadurch wird Unsicherheit bei den Verhandlungen mit Abnehmern aus Drittländern ausgeräumt und kann der Zweck der Ausfuhrerstattungen, wie er in Artikel 15 der Verordnung Nr. 2759/75 niedergelegt ist, erreicht werden.

23 Auf die zweite Frage ist demgemäß zu antworten, daß das Erfordernis des Artikels 2 Absatz 2 Unterabsatz 1 und des Artikels 3 der Verordnung Nr. 3602/82, wonach Teile von Teilstücken nur zu derselben Tarifstelle gehören, wenn sie Muskelgewebe und Knochen "entsprechend dem natürlichen Verhältnis in den vollständigen Teilstücken" enthalten, dahin auszulegen ist, daß nach der Zerlegung das natürliche Gleichgewicht zwischen Muskelgewebe und Knochen in den durch die Zerlegung gewonnenen Teilen nicht verändert werden darf.

Zur ersten Frage

24 Aus den Vorlagebeschlüssen ergibt sich, daß das vorlegende Gericht die Frage der Gültigkeit der betreffenden Bestimmungen nur aufwirft, weil es das Kriterium des natürlichen Verhältnisses für nicht in der gesamten Gemeinschaft einheitlich anwendbar hält. Da diese Gefahr angesichts der Antwort auf die zweite Frage ausgeschlossen werden kann, ist die erste Frage gegenstandslos geworden.

Kostenentscheidung:

Kosten

25 Die Auslagen der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die Erklärungen vor dem Gerichtshof abgegeben hat, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien der Ausgangsverfahren ist das Verfahren ein Zwischenstreit in den bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreitigkeiten; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF ( Erste Kammer )

auf die ihm vom College van Beroep voor het Bedrijfsleven, Den Haag, durch Beschlüsse vom 16. September 1988 vorgelegten Fragen für Recht erkannt :

Das Erfordernis des Artikels 2 Absatz 2 Unterabsatz 1 und des die Zusätzliche Vorschrift Nr. 2 zu Kapitel 2 des Gemeinsamen Zolltarifs einführenden Artikels 3 der Verordnung ( EWG ) Nr. 3602/82 der Kommission vom 21. Dezember 1982 zur Festsetzung der Koeffizienten zur Berechnung der Abschöpfungen für Schweinefleischerzeugnisse mit Ausnahme von geschlachteten Schweinen, zur Änderung des Anhangs der Verordnung ( EWG ) Nr. 950/68 des Rates über den Gemeinsamen Zolltarif und zur Aufhebung der Verordnung ( EWG ) Nr. 747/79, wonach Teile von Teilstücken nur zu derselben Tarifstelle gehören, wenn sie Muskelgewebe und Knochen "entsprechend dem natürlichen Verhältnis in den vollständigen Teilstücken" enthalten, ist dahin auszulegen, daß nach der Zerlegung das natürliche Gleichgewicht zwischen Muskelgewebe und Knochen in den durch die Zerlegung gewonnenen Teilen nicht verändert werden darf.

Ende der Entscheidung

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