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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 22.09.1988
Aktenzeichen: 358/85
Rechtsgebiete: EGKS-Vertrag, EWG-Vertrag, EAG-Vertrag


Vorschriften:

EGKS-Vertrag Art. 25
EGKS-Vertrag Art. 77
EWG-Vertrag Art. 5
EWG-Vertrag Art. 142
EWG-Vertrag Art. 216
EAG-Vertrag Art. 112
EAG-Vertrag Art. 189
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Wenn bei zwei nacheinander eingereichten Klagen die Parteien, der Gegenstand und die Klagegründe identisch sind, ist die später eingereichte Klage als unzulässig abzuweisen.

2. Der gegen die Gültigkeit einer Entschließung des Parlaments vorgebrachte Klagegrund der Verletzung wesentlicher Formvorschriften, der auf deren Annahme im Dringlichkeitsverfahren gestützt wird, ist zurückzuweisen. Der Beschluß des Parlaments, eine parlamentarische Debatte über aktuelle und dringliche Fragen im Rahmen eines Entschließungsantrags zu einem bestimmten Thema abzuhalten, gehört nämlich zur internen Organisation der Parlamentsarbeiten und kann daher nicht Gegenstand einer gerichtlichen Kontrolle sein.

3. Die Regierungen der Mitgliedstaaten haben im Rahmen der ihnen durch die Artikel 77 EGKS-Vertrag, 216 EWG-Vertrag und 189 EAG-Vertrag übertragenen Zuständigkeit für die Festlegung des Sitzes der Organe Beschlüsse über deren vorläufige Arbeitsorte gefasst. Die Beschlüsse, durch die Straßburg als vorläufiger Sitzungsort für die Plenartagungen des Parlaments bestimmt wird, sind im Lichte des insbesondere Artikel 5 EWG-Vertrag zugrundeliegenden Grundsatzes auszulegen, der den Mitgliedstaaten und den Organen der Gemeinschaft gegenseitige Pflichten zur loyalen Zusammenarbeit auferlegt. Was die Arbeitsbedingungen des Parlaments angeht, gewinnt dieser Grundsatz besondere Bedeutung in einer Situation, in der die Regierungen der Mitgliedstaaten ihrer Pflicht zur Festlegung des Sitzes der Organe noch nicht nachgekommen sind und noch nicht einmal einen einzigen vorläufigen Arbeitsort des Parlaments bestimmt haben. Die Beschlüsse schließen es nicht aus, daß das Parlament in Ausübung der ihm durch die Artikel 25 EGKS-Vertrag, 142 EWG-Vertrag und 112 EAG-Vertrag zugebilligten internen Organisationsgewalt die Abhaltung einer Plenartagung ausserhalb Straßburgs beschließt, wenn eine solche Entscheidung Ausnahmecharakter behält und die Stellung dieser Stadt als gewöhnlicher Sitzungsort gewahrt bleibt und wenn die Entscheidung aus objektiven, mit dem ordnungsgemässen Funktionieren des Parlaments zusammenhängenden Gründen gerechtfertigt ist.

Eine Entschließung des Parlaments, die den Willen zum Ausdruck bringt, in Brüssel während der zum grossen Teil Ausschuß - oder Fraktionssitzungen vorbehaltenen Wochen Sondertagungen beziehungsweise zusätzliche Plenartagungen abzuhalten, bleibt innerhalb der genannten Grenzen.


URTEIL DES GERICHTSHOFES VOM 22. SEPTEMBER 1988. - FRANZOESISCHE REPUBLIK GEGEN EUROPAEISCHES PARLAMENT. - ARBEITSORTE DES EUROPAEISCHEN PARLAMENTS - ENTSCHLIESSUNG ZU DEN ERFORDERLICHEN SITZUNGSSAELEN IN BRUESSEL - RECHTMAESSIGKEIT - RECHTSHAENGIGKEIT. - VERBUNDENE RECHTSSACHEN 358/85 UND 51/86.

Entscheidungsgründe:

1 Die Französische Republik hat mit zwei Klageschriften, die am 20. November 1985 ( Rechtssache 358/85 ) und am 20. Februar 1986 ( Rechtssache 51/86 ) bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen sind, gemäß den Artikeln 38 EGKS-Vertrag, 173 EWG-Vertrag und 146 EAG-Vertrag zwei Klagen erhoben auf Nichtigerklärung der Entschließung des Europäischen Parlaments vom 24. Oktober 1985 zu den Sitzungssälen in Brüssel ( ABl. C 343 vom 31. 12. 1985, S. 84 ). Mit Beschluß vom 8. Juli 1987 hat der Gerichtshof diese beiden Rechtssachen zu gemeinsamer mündlicher Verhandlung und Entscheidung verbunden.

2 In der beanstandeten Entschließung, die im Rahmen einer Debatte über aktuelle und dringliche Fragen in dem in Artikel 48 der Geschäftsordnung des Parlaments vorgesehenen Verfahren angenommen wurde, heisst es :

"Das Europäische Parlament,

A. unter Hinweis darauf, daß der grösste Sitzungssaal des Parlaments in Brüssel lediglich 187 Sitzplätze... umfasst und daß es in Brüssel keinen wesentlich grösseren Konferenzraum mit (( den notwendigen )) Einrichtungen... gibt,

B. besorgt darüber, daß die bestehenden Sitzungssäle in Brüssel nach der Erweiterung zu klein sein werden, um den reibungslosen Ablauf der Sitzungen einer bestimmten Fraktion zu gewährleisten, und daß sich im Zuge künftiger Wahlen oder der Verschmelzung von Fraktionen die vorhandenen Einrichtungen auch für andere Fraktionen als unzureichend erweisen könnten,

C. unter Hinweis darauf, daß es bereits jetzt unmöglich ist, daß zwei oder mehrere der grösseren Fraktionen gleichzeitig im Gebäude des Parlaments oder anderen ständigen Einrichtungen in Brüssel zusammentreten,

D. ferner besorgt darüber, daß der Arbeitsplan des Parlaments unflexibel ist, weil es keine ständigen Einrichtungen in Brüssel gibt, die die Abhaltung einer Sondertagung bzw. einer zusätzlichen Plenartagung während einer Woche ermöglichen, die weitgehend Ausschuß - oder Fraktionssitzungen vorbehalten ist,

E. im Bewusstsein der Rolle des Europäischen Parlaments als Institution, die besonders eng mit den Bürgern Europas verbunden ist, und in dem Wunsch, die vorhandenen Einrichtungen zu verbessern, damit sich die Bürger, die gemeinsame Interessen haben und in gemeinschaftsweiten Organisationen zusammengeschlossen sind, zu Begegnungen zusammenfinden können,

F. unter Hinweis darauf, daß sich eine wachsende Zahl solcher Organisationen in Brüssel niederlässt,

G. überzeugt davon, daß ein einziger Konferenzsaal alle Bedürfnisse abdecken könnte,

...

1 ) beschließt, den Bau eines Gebäudes zu veranlassen, das einen Saal mit Sitzplätzen für mindestens 600 Personen, eine Besuchertribüne und zusätzliche Einrichtungen umfasst und für die oben genannten Zwecke geeignet ist; beschließt, daß dieses Gebäude so nahe wie möglich am bestehenden Gebäude in der Rü Belliard liegen muß;

2 ) beauftragt das Präsidium und das Kollegium der Quästoren, entsprechende Pläne auszuarbeiten,... und zu gewährleisten, daß das Projekt so schnell wie möglich - spätestens bis zum 31. August 1988 abgeschlossen wird; erteilt dem Präsidenten, dem Präsidium und dem Kollegium der Quästoren das Mandat, entsprechende Verhandlungen aufzunehmen und alle erforderlichen Verträge abzuschließen;

3 ) verpflichtet sich, die erforderlichen Vorkehrungen im Haushaltsplan zu treffen, und beauftragt den Präsidenten, das Präsidium und den Generalsekretär, zu diesem Zweck alle erforderlichen Vorschläge zu unterbreiten..."

3 Die französische Regierung bestreitet die Befugnis des Europäischen Parlaments, den Bau eines Sitzungssaals mit 600 oder mehr Plätzen in Brüssel zu beschließen, um dort einige Plenartagungen abzuhalten.

4 Die französische Regierung stützt die erste Klage ( Rechtssache 358/85 ) auf zwei Klagegründe, nämlich Verletzung wesentlicher Formvorschriften, da die Entschließung nicht im Dringlichkeitsverfahren hätte angenommen werden dürfen, und Unzuständigkeit des Parlaments, da die Festlegung des Sitzes der Organe gemäß den Verträgen in die ausschließliche Zuständigkeit der Regierungen der Mitgliedstaaten falle. In ihrer zweiten Klage ( Rechtssache 51/86 ) wiederholt sie diese Klagegründe und macht ausserdem geltend, die Entschließung verstosse gegen den Grundsatz der Verhältnismässigkeit, da die vorgesehenen Einrichtungen weit über das für die Arbeit des Parlaments in Brüssel Erforderliche hinausgingen. Dieses Argument wird auch in der Erwiderung in der Rechtssache 358/85 vorgebracht.

5 Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts und der Vorgeschichte des Rechtsstreits, des Verfahrensablaufs und des Parteivorbringens wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt wird im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

Zur Zulässigkeit

6 Das Parlament erhebt zwei Einreden der Unzulässigkeit. Die erste ist gegen die Klage 51/86 gerichtet und wird darauf gestützt, daß diese Klage mit der zuvor von derselben Klägerin eingereichten Klage 358/85 identisch sei. Die zweite Einrede, die gegenüber beiden Klagen erhoben wird, wird darauf gestützt, daß die streitige Entschließung keine vor dem Gerichtshof anfechtbare Handlung sei.

a ) Zur Rechtshängigkeit

7 Das Parlament macht geltend, daß bei beiden Klagen die Parteien, der Gegenstand und die Klagegründe identisch seien, da der Klagegrund der Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismässigkeit, auf den die zweite Klage ( 51/86 ) gestützt sei, von der klagenden Regierung in der Erwiderung in der ersten Rechtssache ( 358/85 ) ebenfalls vorgebracht worden sei. Was die Zulässigkeit dieses dritten Klagegrundes im Rahmen dieser Rechtssache betrifft, so stellt das Parlament dem Gerichtshof die Entscheidung darüber anheim.

8 Die französische Regierung erhebt keine Einwände dagegen, daß die zweite Klage für unzulässig erklärt werde, sofern der Gerichtshof das auf den Grundsatz der Verhältnismässigkeit gestützte Argument nicht als neuen im Rahmen der ersten Klage unzulässigen Klagegrund ansehe. Tü er dies jedoch, so bestuende im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofes ( siehe insbesondere Urteil vom 19. September 1985 in den verbundenen Rechtssachen 172 und 226/83, Hoogovens Gröp/Kommission, Slg. 1985, 2831 ) keine Rechtshängigkeit, da diese die Identität der beiden Klagen auch hinsichtlich der Klagegründe voraussetzen würde.

9 Hierzu ist festzustellen, daß der Klagegrund der Unzuständigkeit des Parlaments im Kern in der Behauptung besteht, daß es das Ziel der Entschließung sei, dem Parlament die Durchführung von Plenartagungen in Brüssel zu ermöglichen, womit die Zuständigkeit des Parlaments überschritten werde, da allein die Regierungen der Mitgliedstaaten für die Festlegung des Tagungsortes des Parlaments zuständig seien.

10 Wie der Vertreter der französischen Regierung in der mündlichen Verhandlung erklärt hat, soll durch den Hinweis auf den Grundsatz der Verhältnismässigkeit nur betont werden, daß das Gebäude, dessen Errichtung in der Entschließung beschlossen wird, ausser Verhältnis zu den übrigen in der Entschließung angesprochenen Nutzungen, insbesondere für Fraktionssitzungen, stehe, daß diese Verwendungszwecke die Errichtung eines derartigen Gebäudes nicht rechtfertigten und daß als triftiger Grund für den entsprechenden Durchführungsbeschluß einzig und allein die Abhaltung von Plenartagungen in Brüssel in Frage komme.

11 Dieses so erläuterte Vorbringen kann nicht als ein vom Klagegrund der Unzuständigkeit verschiedener Klagegrund angesehen werden, da mit ihm dargetan werden soll, daß mit der streitigen Entschließung nur eine Nutzung der entsprechenden Einrichtungen ins Auge gefasst sein kann, über die das Parlament nach Auffassung der klagenden Regierung nicht zu entscheiden befugt ist.

12 Es ist demgemäß festzustellen, daß die später eingereichte Klage 51/86 dieselben Parteien betrifft und, gestützt auf dieselben Klagegründe wie die Klage 358/85, auf die Nichtigerklärung derselben Entschließung abzielt. Die Klage 51/86 ist deshalb als unzulässig abzuweisen.

b ) Zur Anfechtbarkeit der Entschließung

13 Das Parlament macht geltend, daß die angenommene Entschließung keine anfechtbare Handlung darstelle. Gemäß der jüngeren Rechtsprechung des Gerichtshofes könne vor dem Gerichtshof nur gegen die Handlungen des Parlaments Klage erhoben werden, die Rechtswirkungen gegenüber Dritten entfalten könnten. Die streitige Entschließung könne jedoch, insbesondere, soweit sie auch den Erwerb von Immobilien betreffe, keine solchen Wirkungen entfalten, da das Parlament allein einen solchen Erwerb, der gemäß Artikel 211 EWG-Vertrag zumindest die Mitwirkung der Kommission voraussetze, nicht beschließen könne.

14 Hierzu ist darauf hinzuweisen, daß sich die von der französischen Regierung gegenüber der angefochtenen Entschließung erhobenen Rügen weder auf den Erwerb einer Immobilie durch das Parlament noch auf die Errichtung von Gebäuden in Brüssel beziehen, sondern auf die in der Entschließung bekundete Absicht des Parlaments, Plenartagungen in Brüssel abzuhalten und sich die dafür erforderliche Infrastruktur zu schaffen. Nach Auffassung der französischen Regierung versucht das Parlament auf diese Weise, anstelle der in der Frage des Sitzes der Organe allein zuständigen Regierungen der Mitgliedstaaten zu handeln.

15 Da eine Entscheidung über die Zulässigkeit der Klage somit eine Prüfung des Inhalts und der Tragweite der Entschließung erfordert, ist die Begründetheit der Klage 358/85 zu prüfen.

Zur Begründetheit

a ) Zur Verletzung wesentlicher Formvorschriften

16 Die französische Regierung macht geltend, die streitige Entschließung habe nicht rechtmässig in dem in Artikel 48 der Geschäftsordnung des Parlaments vorgesehenen Dringlichkeitsverfahren angenommen werden können. Dieses Verfahren betreffe nur die Anträge auf Abhaltung einer Aussprache über ein aktuelles und dringliches Thema und die entsprechenden Entschließungsanträge. Die angefochtene Entschließung habe keine aktuelle und dringliche Frage betroffen und habe deshalb nicht in diesem Verfahren angenommen werden können.

17 In dieser Hinsicht genügt die Feststellung, daß der Beschluß des Parlaments, eine parlamentarische Debatte über aktuelle und dringliche Fragen im Rahmen eines Entschließungsantrags zu einem bestimmten Thema abzuhalten, zur internen Organisation der Parlamentsarbeiten gehört und daher nicht Gegenstand einer gerichtlichen Kontrolle sein kann.

18 Der erste Klagegrund der französischen Regierung ist daher zurückzuweisen.

b ) Zur Unzuständigkeit

19 Vor der Prüfung des Vorbringens der Parteien hierzu ist, soweit notwendig, auf die Bestimmungen der Verträge und die Beschlüsse der Regierungen der Mitgliedstaaten über den Sitz und die vorläufigen Arbeitsorte der Organe der Gemeinschaften hinzuweisen.

20 Gemäß den Artikeln 77 EGKS-Vertrag, 216 EWG-Vertrag und 189 EAG-Vertrag wird der Sitz der Organe im Einvernehmen zwischen den Regierungen der Mitgliedstaaten bestimmt.

21 Am 25. Juli 1952 beschlossen die Aussenminister der Mitgliedstaaten anläßlich des Inkrafttretens des EGKS-Vertrags unter anderem, daß die Versammlung ihre erste Tagung in Straßburg abhalten und daß ein endgültiger Beschluß über den Sitz zu einem späteren Zeitpunkt gefasst werden sollte.

22 Am 7. Januar 1958 kamen die Aussenminister der Mitgliedstaaten anläßlich des Inkrafttretens des EWG-Vertrags und des EAG-Vertrags gemäß der im Anschluß an die Tagung dieser Minister herausgegebenen Pressemitteilung überein, sämtliche europäischen Organisationen der sechs Länder im Einklang mit den Bestimmungen der Verträge an einem einzigen Ort zusammenzufassen, sobald diese Konzentration tatsächlich durchführbar sei; sie beschlossen unter anderem : "Die Versammlung tritt in Straßburg zusammen."

23 Artikel 37 des Vertrags vom 8. April 1965 zur Einsetzung eines gemeinsamen Rates und einer gemeinsamen Kommission der Europäischen Gemeinschaften sieht vor, daß die Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten, unbeschadet der Anwendung der obengenannten Bestimmungen der Verträge über den Sitz der Organe, die Vorschriften erlassen, die zur Regelung einiger besonderer Probleme des Großherzogtums Luxemburg erforderlich sind, die sich aus der Einsetzung eines gemeinsamen Rates und einer gemeinsamen Kommission der Europäischen Gemeinschaften ergeben.

24 Anläßlich der Unterzeichung dieses Vertrags fassten die Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten am 8. April 1965 aufgrund des genannten Artikels 37 einen Beschluß ( ABl. 1967, L 152, S. 18 ), dessen Artikel 1 folgendes besagt : "Luxemburg, Brüssel und Straßburg bleiben vorläufige Arbeitsorte der Organe der Gemeinschaften"; Artikel 4 dieses Beschlusses lautet : "Das Generalsekretariat des Europäischen Parlaments und seine Dienststellen bleiben in Luxemburg." In Artikel 12 wurde festgelegt, daß vorbehaltlich der für den Rat und die Kommission vorgesehenen Änderungen die sich aus früheren Beschlüssen der Regierungen ergebenden vorläufigen Arbeitsorte der Organe von diesem Beschluß nicht berührt werden.

25 In Beantwortung eines Schreibens des Präsidenten des Parlaments, in dem die Probleme der Arbeit des Parlaments aufgrund der Erhöhung der Zahl seiner Mitglieder nach den allgemeinen Wahlen erläutert wurden, teilte der Präsident des Rates dem Parlamentspräsidenten am 22. September 1977 mit, daß die Regierungen der Mitgliedstaaten keine Gründe sähen, die derzeit geltenden Regelungen über die vorläufigen Arbeitsorte der Versammlung in rechtlicher oder tatsächlicher Hinsicht zu ändern; diese Orte seien Straßburg sowie Luxemburg, wo das Generalsekretariat und die Dienststellen der Versammlung untergebracht blieben, während die Parlamentsausschüsse inzwischen in Brüssel zusammenzutreten pflegten, und zwar mit dem Mindestmaß an Infrastruktur, das erforderlich sei, um den reibungslosen Ablauf dieser Sitzungen zu gewährleisten.

26 1980 nahmen die Regierungen der Mitgliedstaaten auf Initiative der französischen Regierung im Rahmen einer Konferenz über den Sitz der Organe der Gemeinschaft Gespräche über eine endgültige Lösung dieses Problems auf. Die Konferenz stellte jedoch fest, daß die Meinungsverschiedenheiten zwischen den Regierungen nach wie vor bestuenden, und gelangte zu der Auffassung, daß die zufriedenstellendste unter den verschiedenen, unvollkommenen Lösungen noch die Aufrechterhaltung des Status quo sei, d. h. die Beibehaltung der verschiedenen vorläufigen Arbeitsorte. Auf der Tagung des Europäischen Rates in Maastricht vom 23. und 24. März 1981 beschlossen die Staats - und Regierungschefs der Mitgliedstaaten einstimmig, "den Status quo bezueglich der vorläufigen Arbeitsorte der Europäischen Organe zu bestätigen ".

27 Am 30. Juni 1981 endete die Konferenz über den Sitz der Organe der Gemeinschaft mit der Annahme des folgenden - in Kenntnis dieses Beschlusses der Staats - und Regierungschefs gefassten - Beschlusses :

"1 ) Die Regierungen der Mitgliedstaaten stellen fest, daß sie nach Artikel 216 des Vertrages ausschließlich für die Festlegung des Sitzes der Organe der Gemeinschaft zuständig sind.

2 ) Der Beschluß der am 23. und 24. März 1981 in Maastricht zusammengekommenen Regierungen der Mitgliedstaaten, den Status quo bezueglich der vorläufigen Arbeitsorte aufrechtzuerhalten, ist in Ausübung dieser Zuständigkeit ergangen. Er greift der Festlegung des Sitzes der Organe nicht vor."

28 Seitdem ist kein weiterer Beschluß der Regierungen der Mitgliedstaaten über den Sitz oder die vorläufigen Arbeitsorte der Organe ergangen.

29 Angesichts der vorstehenden Erwägungen muß, wie es der Gerichtshof bereits in seinem Urteil vom 10. Februar 1983 in der Rechtssache 230/81 ( Großherzogtum Luxemburg/Parlament, Slg. 1983, 255 ) getan hat, zunächst festgestellt werden, daß die Regierungen der Mitgliedstaaten ihrer Verpflichtung zur Festlegung des Sitzes der Organe gemäß den Artikeln 77 EGKS-Vertrag, 216 EWG-Vertrag und 189 EAG-Vertrag noch nicht nachgekommen sind. Sie haben jedoch mehrfach Beschlüsse zur Festlegung der vorläufigen Arbeitsorte der Organe gefasst, wobei sie sich auf die gleiche Zuständigkeit sowie - im Falle des Beschlusses vom 8. April 1965 - auf die in Artikel 37 des Vertrags zur Einsetzung eines gemeinsamen Rates und einer gemeinsamen Kommission der Europäischen Gemeinschaften ausdrücklich vorgesehene Zuständigkeit gestützt haben.

30 Zwar mögen die Erklärungen der Aussenminister der sechs Gründungsmitgliedstaaten von 1952 und 1958 Zweifel an der Tragweite der über den Sitzungsort des Parlaments gefassten Beschlüsse aufkommen lassen, doch gilt dies nicht für den Beschluß vom 8. April 1965, dem zufolge "Luxemburg, Brüssel und Straßburg... vorläufige Arbeitsorte der Organe der Gemeinschaften (( bleiben ))". Wie der Gerichtshof in dem erwähnten Urteil vom 10. Februar 1983 ausgeführt hat, war nämlich die Abhaltung der Plenarsitzungen des Parlaments die einzige Tätigkeit der Gemeinschaftsorgane, die damals regelmässig in Straßburg stattfand.

31 Wie der Gerichtshof in dem genannten Urteil ausserdem festgestellt hat, können die von den Regierungen der Mitgliedstaaten 1981 gefassten Beschlüsse "über die Aufrechterhaltung des Status quo" nur als Ausdruck ihres Willens verstanden werden, die bestehende Rechtslage nicht zu ändern. Im gleichen Sinne muß im übrigen das Schreiben des Präsidenten des Rates an den Präsidenten des Parlaments vom 22. September 1977 ausgelegt werden. Somit ist festzustellen, daß Straßburg tatsächlich als vorläufiger Sitzungsort für die Plenarsitzungen des Parlaments bestimmt wurde.

32 Die Bestimmung des vorläufigen Sitzungsortes eines Organs bedeutet jedoch nicht zwangsläufig, daß die Mitglieder dieses Organs niemals Sitzungen an einem anderen Ort abhalten dürfen. Zu prüfen ist deshalb, ob die Beschlüsse der Regierungen der Mitgliedstaaten so zu verstehen sind, daß sie das Parlament daran hindern, aufgrund der ihm durch die Artikel 25 EGKS-Vertrag, 142 EWG-Vertrag und 112 EAG-Vertrag zugebilligten internen Organisationsgewalt die Abhaltung einer Plenartagung ausserhalb Straßburgs zu beschließen.

33 In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, daß das Parlament damals, als die Regierungen diese Beschlüsse fassten, tatsächlich Plenartagungen in Rom, in Brüssel und insbesondere in Luxemburg abgehalten hatte. In Luxemburg hatte das Parlament sogar einen wesentlichen Teil seiner Plenartagungen, speziell die Tagungen von kurzer Dauer, abgehalten. Zwar protestierte die französische Regierung mehrmals gegen die Abhaltung solcher Tagungen, doch schlugen sich diese Proteste nicht in den Beschlüssen der Regierungen nieder. In diesen Beschlüssen findet sich keinerlei positive oder negative Wertung der damaligen Praxis des Parlaments und keinerlei Bestimmung, mit der für die Zukunft die Abhaltung von Plenartagungen ausserhalb Straßburgs ausgeschlossen werden sollte.

34 Um die Tragweite der Beschlüsse der Regierungen der Mitgliedstaaten zu ermitteln, ist ausserdem der insbesondere Artikel 5 EWG-Vertrag zugrundeliegende Grundsatz hervorzuheben, der den Mitgliedstaaten und den Organen der Gemeinschaft gegenseitige Pflichten zur loyalen Zusammenarbeit auferlegt. Was die Arbeitsbedingungen des Parlaments angeht, gewinnt dieser Grundsatz besondere Bedeutung in einer Situation, in der die Regierungen der Mitgliedstaaten ihrer Pflicht zur Festlegung des Sitzes der Organe noch nicht nachgekommen sind und noch nicht einmal einen einzigen vorläufigen Arbeitsort des Parlaments bestimmt haben.

35 In dem genannten Urteil vom 10. Februar 1983 hat der Gerichtshof aus diesem Grundsatz zum einen die Verpflichtung des Parlaments abgeleitet, bei der Ausübung seiner Zuständigkeit für die Regelung seiner internen Organisation die Zuständigkeit der Regierungen der Mitgliedstaaten für die Festlegung des Sitzes der Organe und die zwischenzeitlich getroffenen vorläufigen Entscheidungen zu beachten, und zum anderen die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, bei derartigen Beschlüssen diese Zuständigkeit des Parlaments zu beachten und sicherzustellen, daß derartige Beschlüsse das ordnungsgemässe Funktionieren dieses Organs nicht beeinträchtigen.

36 Aus diesen Überlegungen ist der Schluß zu ziehen, daß die Beschlüsse der Regierungen der Mitgliedstaaten es nicht ausschließen, daß das Parlament in Ausübung seiner Zuständigkeit für die Regelung seiner internen Organisation die Abhaltung einer Plenartagung ausserhalb Straßburgs beschließt, wenn eine solche Entscheidung Ausnahmecharakter behält und die Stellung dieser Stadt als gewöhnlicher Sitzungsort gewahrt bleibt und wenn die Entscheidung aus objektiven, mit dem ordnungsgemässen Funktionieren des Parlaments zusammenhängenden Gründen gerechtfertigt ist.

37 Die streitige Entschließung ist im Lichte dieser Überlegungen und der daraus gezogenen Schlußfolgerung zu beurteilen.

38 In Punkt 1 dieser Entschließung "beschließt" das Parlament, "den Bau eines Gebäudes zu veranlassen, das... für die oben genannten Zwecke geeignet ist ". Zu den in den Begründungserwägungen genannten Zwecken gehört gemäß Buchstabe D "die Abhaltung einer Sondertagung bzw. einer zusätzlichen Plenartagung während einer Woche..., die weitgehend Ausschuß - oder Fraktionssitzungen vorbehalten ist ". Nur diese Nutzung des Gebäudes betrachtet die französische Regierung als den Beschlüssen der Regierungen der Mitgliedstaaten zuwiderlaufend und als Überschreitung der Zuständigkeit des Parlaments.

39 In der mündlichen Verhandlung hat der Bevollmächtigte des Parlaments den genannten Zweck mit der Notwendigkeit begründet, kurzfristig Tagungen von kurzer Dauer organisieren zu können, insbesondere im Rahmen des Haushaltsverfahrens und des in Artikel 149 Absatz 2 EWG-Vertrag in der Fassung der Einheitlichen Europäischen Akte vorgesehenen Verfahrens der Zusammenarbeit zwischen Rat und Parlament. Wenn diese kurzen Tagungen während einer Woche stattfinden müssten, die nach dem vom Parlament beschlossenen Arbeitsplan den gewöhnlich in Brüssel stattfindenden Ausschuß - oder Fraktionssitzungen vorbehalten sei, hält es das Parlament für wenig vernünftig, zu verlangen, daß sich seine Mitglieder, die sich zur Teilnahme an diesen Sitzungen in Brüssel befänden, zu einer kurzen Plenartagung nach Straßburg begäben, falls der Straßburger Plenarsaal in der betreffenden Woche überhaupt zur Verfügung stehe.

40 Zunächst ist festzustellen, daß der Wortlaut der Entschließung selbst durch die Wendung "Abhaltung einer Sondertagung bzw. einer zusätzlichen Plenartagung" den Ausnahmecharakter der geplanten Nutzung unterstreicht und daß der in der Entschließung genannte Zweck, so wie er vom Parlament in der mündlichen Verhandlung erläutert worden ist, einen objektiven Grund darstellt, der mit dem ordnungsgemässen Funktionieren des Parlaments zusammenhängt. Diese Zweckbestimmung geht nämlich darauf zurück, daß die Parlamentsarbeit dadurch behindert wird, daß die Mitgliedstaaten die ihnen nach den Verträgen obliegende Entscheidung über den Sitz der Organe noch nicht getroffen haben. Die geplante Nutzung bewegt sich somit innerhalb der oben genannten Grenzen der internen Organisationsgewalt des Parlaments.

41 Unter diesen Umständen ist festzustellen, daß die streitige Entschließung, soweit sie den Willen zum Ausdruck bringt, in Brüssel während der zum grossen Teil Ausschuß - oder Fraktionssitzungen vorbehaltenen Wochen Sondertagungen beziehungsweise zusätzliche Plenartagungen abzuhalten, nicht über die Maßnahmen hinausgeht, die das Parlament im Rahmen seiner internen Organisation treffen kann, und weder gegen die Beschlüsse der Regierungen der Mitgliedstaaten über die vorläufigen Arbeitsorte der Gemeinschaftsorgane verstösst noch in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten in diesem Bereich eingreift.

42 Die zweite Rüge der französischen Regierung ist somit zurückzuweisen; die Klage ist demgemäß insgesamt abzuweisen.

Kostenentscheidung:

Kosten

43 Gemäß Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Klägerin mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr die Kosten aufzuerlegen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

für Recht erkannt und entschieden :

1 ) Die Klage in der Rechtssache 51/86 wird als unzulässig abgewiesen.

2 ) Die Klage in der Rechtssache 358/85 wird als unbegründet abgewiesen.

3 ) Die Französische Republik trägt die Kosten des Verfahrens.

Ende der Entscheidung

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