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Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 28.11.1989
Aktenzeichen: 379/87
Rechtsgebiete: EWGV, VO Nr. 1612/68/EWG


Vorschriften:

EWGV Art. 177
EWGV Art. 48
VO Nr. 1612/68/EWG Art. 3
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Die Vollzeitdauerplanstelle eines Dozenten an einer öffentlichen Berufsbildungseinrichtung ist eine Stelle, deren Besonderheit es im Sinne von Artikel 3 Absatz 1 Unterabsatz 2 der Verordnung Nr. 1612/68 rechtfertigt, Sprachkenntnisse zu verlangen, sofern dieses Verlangen Teil einer Politik zur Förderung der National - und ersten Amtssprache ist und verhältnismässig und ohne Diskriminierung durchgeführt wird.


URTEIL DES GERICHTSHOFES VOM 28. NOVEMBER 1989. - ANITA GROENER GEGEN MINISTER FOR EDUCATION UND CITY OF DUBLIN VOCATIONAL EDUCATIONAL COMMITTEE. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: HIGH COURT - IRLAND. - FREIZUEGIGKEIT DER ARBEITNEHMER - KENNTNIS EINER AMTSSPRACHE DES AUFNAHMELANDES. - RECHTSSACHE 379/87.

Entscheidungsgründe:

1 Der High Court, Dublin, hat mit Beschluß vom 3. Dezember 1987, beim Gerichtshof eingegangen am 21. Dezember 1987, gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag drei Fragen nach der Auslegung des Artikels 48 Absatz 3 EWG-Vertrag und des Artikels 3 der Verordnung Nr. 1612/68 des Rates vom 15. Oktober 1968 über die Freizuegigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft ( ABl. L 257, S. 2 ) zur Vorabentscheidung vorgelegt, um die Vereinbarkeit einer nationalen Regelung mit diesen Bestimmungen beurteilen zu können, nach der die Ernennung auf eine Vollzeitdauerplanstelle als Dozent an öffentlichen Berufsbildungseinrichtungen vom Nachweis hinreichender Irischkenntnisse abhängig gemacht wird.

2 Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen der niederländischen Staatsangehörigen Anita Gröner ( Klägerin ) und dem irischen Erziehungsminister ( Minister ) sowie dem Berufsschulausschuß der Stadt Dublin. Der Rechtsstreit findet seinen Ursprung in der Weigerung des Ministers, die Klägerin auf eine Vollzeitdauerplanstelle als Kunstdozentin ( Lecturer 1 Painting ) beim Zweitbeklagten zu ernennen, da sie eine Irischprüfung nicht bestand.

3 Wie sich aus den Akten ergibt, wird nach Section 23 ( 1 ) und ( 2 ) das Vocational Education Act 1930 ( Gesetz über die berufliche Bildung ) die Zahl, die Besoldung und die Ernennung aller Bediensteten der Vocational Education Committees ( Berufsschulausschüsse ) vom Minister festgesetzt. Aufgrund dieser Ermächtigung erließ der Minister insbesondere zwei Rundschreiben.

4 Nach dem Rundschreiben Nr. V 7, das am 1. September 1974 in Kraft trat, kann der zuständige Ausschuß niemanden auf eine Vollzeitdauerplanstelle in bestimmten Erziehungsgebieten, darunter dem Kunstunterricht, ernennen, der nicht Inhaber der Ceard-Teastas Gäilge ( Irischzeugnis ) ist und auch keine entsprechende, vom Minister anerkannte Bescheinigung besitzt. In diesem Rundschreiben hat sich der Minister ausserdem vorbehalten, Ausländer vom Nachweis der Irischkenntnisse zu befreien, sofern kein anderer vollqualifizierter Bewerber um die Stelle zur Verfügung stand.

5 Dann erließ der Minister am 26. Juni 1979 das Rundschreiben Nr. 28/79. Nach dessen Paragraphen 2 und 3 ist für Stellen eines Assistant Lecturer und eines Lecturer 1. Stufe qualifizierten Bewerbern mit einem Ceard-Teastas Gäilge der Vorzug zu geben. Von Bewerbern, die dieses Zeugnis nicht besitzen, kann die Ablegung einer mündlichen Sonderprüfung in Irisch ( Sonderprüfung ) verlangt werden. Bewerber können erst nach erfolgreicher Ablegung der Sonderprüfung auf eine temporäre oder dauernde Vollzeitplanstelle ernannt werden. Nach Paragraph 5 dieses Rundschreibens bleiben die Bestimmungen des Rundschreibens Nr. V 7 in Kraft, wonach von den Sprachanforderungen eine Ausnahme möglich ist, wenn andere vollqualifizierte Bewerber nicht zur Verfügung stehen.

6 Im September 1982 wurde die Klägerin vorübergehend als Teilzeitkunstdozentin am College of Marketing and Design in Dublin angestellt, das dem Berufsschulausschuß der Stadt Dublin untersteht. Im Juli 1984 bewarb sich die Klägerin um die Vollzeitdauerplanstelle eines Kunstdozenten an diesem College. Da sie den Ceard-Teastas Gäilge nicht besaß, bat die Klägerin um Befreiung, wurde jedoch abschlägig beschieden. Dieser Bescheid wurde damit begründet, daß sich andere vollqualifizierte Personen auf die fragliche Stelle beworben hätten. Der Minister stimmte jedoch ihrer Ernennung mit der Maßgabe zu, daß sie die Sonderprüfung bestehe.

7 Die Klägerin folgte einem vierwöchigen Kurs für Anfänger beim Gäl Linn Institute und unterzog sich während der letzten Woche dieses Kurses erfolglos der Prüfung.

8 Bemühungen der Klägerin und ihres Arbeitgebers, des College, mit dem Ziel, ihre Einstellung für das akademische Jahr 1985/86 als temporäre Vollzeitdozentin zu ermöglichen oder sie vom Nachweis der Irischkenntnisse zu befreien, blieben erfolglos.

9 Daraufhin hat die Klägerin beim High Court, Dublin, Klage in Form der "judicial review" gegen den Minister und den Berufsschulausschuß der Stadt Dublin erhoben mit der Begründung, die im Rundschreiben Nr. 28/79 und im Rundschreiben V 7 aufgestellten Bedingungen widersprächen Gemeinschaftsrecht, insbesondere Artikel 48 EWG-Vertrag und der Verordnung Nr. 1612/68.

10 Der High Court, Dublin, gelangte zu dem Ergebnis, daß dieses Vorbringen Fragen der Auslegung von Gemeinschaftsrecht aufwerfe, und legte dem Gerichtshof folgende Fragen vor :

"1. Ist Artikel 3 der Verordnung ( EWG ) Nr. 1612/68 des Rates auf auf diese Vorschriften anwendbar, nach denen für die Beschäftigung auf einer bestimmten Stelle Voraussetzung ist, daß der Bewerber über qualifizierte Kenntnisse einer der beiden Amtssprachen dieses Mitgliedstaats verfügt, in der Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten normalerweise keine Kenntnisse haben und die von ihnen nur erlernt werden müsste, um die Voraussetzungen zu erfuellen, weil Rechts - und Verwaltungsvorschriften oder die Verwaltungspraktiken eines Mitgliedstaates ausschließlich oder hauptsächlich bewirken, daß Angehörige der anderen Mitgliedstaaten von der angebotenen Beschäftigung ferngehalten werden?

2. Kommt bei der Frage nach der Bedeutung des Ausdrucks 'Besonderheit der zu vergebenden Stelle' in Artikel 3 der Verordnung ( EWG ) Nr. 1612/68 des Rates einer Politik des irischen Staates Bedeutung zu, wonach die Stelleninhaber über qualifizierte Kenntnisse des Irischen verfügen müssen, wenn eine derartige Kenntnis für die Wahrnehmung der mit der Stelle verbundenen Aufgaben nicht erforderlich ist?

3. 1 ) Erfasst der Ausdruck 'öffentliche Ordnung' in Artikel 48 Absatz 3 EWG-Vertrag die Politik des irischen Staates, die Stellung des Irischen als erster Amtssprache zu unterstützen und zu fördern?

2 ) Ist es bejahendenfalls eine aus Gründen der öffentlichen Ordnung gerechtfertigte Beschränkung, daß Personen, die sich um Dozentenstellen an Berufsschulen in Irland bewerben und keinen 'Ceard-Teastas Gäilge' besitzen, eine besondere Prüfung in Irisch abzulegen haben, um dem Department of Education ihre qualifizierten Irischkenntnisse nachzuweisen?"

11 Weitere Einzelheiten des Sachverhalts des Ausgangsverfahrens, des Verfahrensablaufs sowie der beim Gerichtshof eingereichten schriftlichen Erklärungen finden sich im Sitzungsbericht, auf den verwiesen wird. Der Inhalt der Akten ist im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

12 Nach Artikel 3 Absatz 1 zweiter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1612/68 finden Rechts - und Verwaltungsvorschriften oder Verwaltungspraktiken eines Mitgliedstaats keine Anwendung, "die, ohne auf die Staatsangehörigkeit abzustellen, ausschließlich oder hauptsächlich bezwecken oder bewirken, daß Angehörige der übrigen Mitgliedstaaten von der angebotenen Stelle ferngehalten werden ". Nach Absatz 1 Unterabsatz 2 gilt diese Bestimmung jedoch "nicht für Bedingungen, welche die in Anbetracht der Besonderheit der zu vergebenden Stelle erforderlichen Sprachkenntnisse betreffen ".

13 Nach den Akten wird der Nachweis einer Kenntnis des Irischen nach dem einschlägigen nationalen Recht ohne Unterschied von Staats - und Gemeinschaftsangehörigen verlangt, wobei jedoch für Angehörige der anderen Mitgliedstaaten Befreiungen möglich sind.

14 Da Artikel 3 Absatz 1 zweiter Gedankenstrich auf Sprachkenntnisse nicht anwendbar ist, die in Anbetracht der Besonderheit der Stelle erforderlich sind, ist zunächst die zweite Vorlagefrage zu untersuchen, die im wesentlichen dahin geht, ob die Vollzeitdauerplanstelle eines Kunstdozenten an einer öffentlichen Berufsbildungseinrichtung eine Stelle ist, deren Besonderheit Kenntnisse des Irischen voraussetzt.

15 Nach den Akten wird der Kunstunterricht wie die Mehrzahl der übrigen Unterrichtsgegenstände an den öffentlichen Berufsbildungseinrichtungen im wesentlichen, wenn nicht ausschließlich, auf Englisch erbracht. Hieraus ergibt sich, was bereits in der zweiten Frage angesprochen wird, daß eine Kenntnis des Irischen für die Wahrnehmung der mit einem Unterricht der fraglichen Art verbundenen Aufgaben nicht unbedingt erforderlich ist.

16 Diese Feststellung erlaubt dem vorlegenden Gericht jedoch noch keine Entscheidung der Frage, ob die hier verlangten Sprachkenntnisse "in Anbetracht der Besonderheit der zu vergebenden Stelle" im Sinne des Artikels 3 Absatz 1 Unterabsatz 2 der Verordnung Nr. 1612/68 erforderlich sind.

17 Die Bedeutung der zweiten Frage lässt sich nur ermessen, wenn vorab die sprachliche Sonderstellung Irlands betont wird, wie sie sich aus den Akten ergibt. Artikel 8 des "Bunreacht na hEireann" ( der Verfassung Irlands ) bestimmt folgendes :

"1 ) Irisch als Nationalsprache ist die erste Amtssprache.

2 ) Englisch wird als zweite Amtssprache anerkannt.

3 ) Für bestimmte amtliche Belange kann jedoch die ausschließliche Verwendung einer dieser beiden Sprachen im gesamten Staatsgebiet oder in Teilen davon gesetzlich vorgeschrieben werden."

18 Nach den Akten wird Irisch zwar nicht von der gesamten irischen Bevölkerung gesprochen; gleichwohl war es seit vielen Jahren die Politik der irischen Regierung, die Verwendung des Irischen als eines Mittels des Ausdrucks der nationalen Identität und Kultur nicht nur zu wahren, sondern auch zu fördern. Aus diesen Gründen ist Irischunterricht für Primarschulkinder Pflicht und in der Sekundarstufe Wahlfach. Eine der Maßnahmen der irischen Regierung zur Unterstützung dieser Politik ist es, von Dozenten an öffentlichen Berufsbildungseinrichtungen gewisse Kenntnisse des Irischen zu verlangen.

19 Der EWG-Vertrag steht nicht dem entgegen, daß ein Mitgliedstaat eine Poltik zum Schutz und zur Förderung seiner National - und ersten Amtssprache betreibt. Die Durchführung dieser Politik darf jedoch eine Grundfreiheit wie die Freizuegigkeit der Arbeitnehmer nicht beeinträchtigen. Die Maßnahmen zur Durchführung einer solchen Politik dürfen somit in keinem Fall ausser Verhältnis zu dem verfolgten Ziel stehen. Ihre Anwendung darf nicht zur Diskriminierung von Angehörigen anderer Mitgliedstaaten führen.

20 Dem Unterricht kommt bei der Durchführung einer solchen Politik erhebliche Bedeutung zu. Die Dozenten spielen eine wesentliche Rolle nicht nur durch ihren Unterricht, sondern auch durch ihre Teilnahme am täglichen Leben der Schule und durch ihre privilegierten Beziehungen zu ihren Schülern. In diesem Zusammenhang ist es daher nicht unvernünftig, von ihnen eine gewisse Kenntnis der ersten Nationalsprache zu verlangen.

21 Angemessene Kenntnisse einer solchen Sprache sind also, sofern das Niveau der verlangten Kenntnisse nicht ausser Verhältnis zu dem verfolgten Ziel steht, in Anbetracht der Besonderheit der zur vergebenden Stelle im Sinne des Artikels 3 Absatz 1 Unterabsatz 2 der Verordnung Nr. 1612/68 erforderlich.

22 Im übrigen verlangt das Gemeinschaftsrecht, daß der Minister die ihm vom nationalen Recht eingeräumte Befugnis, vom Nachweis der Sprachkenntnisse zu befreien, wenn kein anderer vollqualifizierter Bewerber um die fragliche Stellung zur Verfügung steht, ohne Diskriminierung ausübt.

23 Dem Diskriminierungsverbot widerspricht es auch, wenn die fraglichen Sprachkenntnisse auf dem nationalen Hoheitsgebiet erworben werden müssen. Auch verlangt es, daß den Angehörigen der anderen Mitgliedstaaten die Möglichkeit eingeräumt wird, sich der mündlichen Prüfung erneut zu stellen, wenn sie sie nicht bestanden haben, aber sich erneut um die Stelle eines Lecturer oder Assistant Lecturer bewerben.

24 Auf die zweite Frage ist somit wie folgt zu antworten : Die Vollzeitdauerplanstelle eines Dozenten an einer öffentlichen Berufsbildungseinrichtung ist eine Stelle, deren Besonderheit es im Sinne von Artikel 3 Absatz 1 Unterabsatz 2 der Verordnung Nr. 1612/68 des Rates rechtfertigt, Sprachkenntnisse zu verlangen, sofern dieses Verlangen Teil einer Politik zur Förderung der National - und ersten Amtssprache ist und verhältnismässig und ohne Diskriminierung durchgeführt wird.

25 Diese Beantwortung der zweiten Frage erübrigt eine Beantwortung der ersten und der dritten Frage.

Kostenentscheidung:

Kosten

26 Die Auslagen Irlands und der Französischen Republik sowie der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die Erklärungen vor dem Gerichtshof abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem vor dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit. Die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

auf die ihm vom High Court, Dublin, mit Beschluß vom 3. Dezember 1987 vorgelegten Fragen für Recht erkannt :

Die Vollzeitdauerplanstelle eines Dozenten an einer öffentlichen Berufsbildungseinrichtung ist eine Stelle, deren Besonderheit es im Sinne von Artikel 3 Absatz 1 Unterabsatz 2 der Verordnung Nr. 1612/68 des Rates rechtfertigt, Sprachkenntnisse zu verlangen, sofern dieses Verlangen Teil einer Politik zur Förderung der National - und ersten Amtssprache ist und verhältnismässig und ohne Diskriminierung durchgeführt wird.

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