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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 21.06.1988
Aktenzeichen: 39/86
Rechtsgebiete: EWG-Vertrag, Verordnung Nr. 1612/86, BAföG


Vorschriften:

EWG-Vertrag Art. 7 Abs. 1
EWG-Vertrag Art. 128
EWG-Vertrag Art. 177
Verordnung Nr. 1612/86 Art. 7 Abs. 2
BAföG § 1
BAföG § 7
BAföG § 8
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Zwar fallen die Voraussetzungen für den Zugang zur Berufsausbildung, einschließlich der Hochschulstudiengänge im allgemeinen, in den Anwendungsbereich des EWG-Vertrags im Sinne seines Artikels 7, doch gilt dies beim gegenwärtigen Entwicklungsstand des Gemeinschaftsrechts nicht für eine Förderung, die ein Mitgliedstaat seinen Staatsangehörigen gewährt, wenn sie ein solches Studium aufnehmen, es sei denn, eine solche Förderung dient der Deckung von Einschreibegebühren oder anderen Gebühren, insbesondere von Studiengebühren, die für den Zugang zum Unterricht verlangt werden.

2. Eine Förderung, die für den Lebensunterhalt und die Ausbildung zur Durchführung eines Hochschulstudiums gewährt wird, das zu einem berufsqualifizierenden Abschluß führt, stellt eine soziale Vergünstigung im Sinne von Artikel 7 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1612/68 dar.

3. Ein Angehöriger eines anderen Mitgliedstaats, der im Aufnahmestaat nach Ausübung einer Berufstätigkeit ein Hochschulstudium aufnimmt, das zu einem berufsqualifizierenden Abschluß führt, ist dann weiterhin als Arbeitnehmer anzusehen, der sich als solcher auf Artikel 7 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1612/68 berufen kann, wenn zwischen der früheren Berufstätigkeit und dem betreffenden Studium ein Zusammenhang besteht.

4. Der Aufnahmemitgliedstaat darf den Anspruch auf die gleichen sozialen Vergünstigungen im Sinne von Artikel 7 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1612/68 nicht von der Voraussetzung abhängig machen, daß zuvor im Hoheitsgebiet dieses Staates eine Berufstätigkeit von einer bestimmten Mindestdauer ausgeuebt worden ist.


URTEIL DES GERICHTSHOFES VOM 21. JUNI 1988. - SYLVIE LAIR GEGEN UNIVERSITAET HANNOVER. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG, VORGELEGT VOM VERWALTUNGSGERICHT HANNOVER. - DISKRIMINIERUNGSVERBOT - ZUGANG ZUM HOCHSCHULUNTERRICHT - AUSBILDUNGSFOERDERUNG. - RECHTSSACHE 39/86.

Entscheidungsgründe:

1 Das Verwaltungsgericht Hannover hat mit Beschluß, der auf die mündliche Verhandlung vom 19. November 1985 ergangen und am 12. Februar 1986 beim Gerichtshof eingegangen ist, gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag zwei Fragen nach der Auslegung von Artikel 7 EWG-Vertrag und Artikel 7 der Verordnung Nr. 1612/68 des Rates vom 15. Oktober 1968 über die Freizuegigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft ( ABl. L 257, S. 2 ) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen Frau Lair, der Klägerin des Ausgangsverfahrens ( im folgenden : Klägerin ), und der Universität Hannover, der Beklagten des Ausgangsverfahrens ( im folgenden : Beklagte ), in dem die Klägerin die Weigerung der Beklagten anficht, ihr zur Durchführung ihres Hochschulstudiums eine Förderung für den Lebensunterhalt und die Ausbildung zu gewähren.

3 Wie sich aus den Akten ergibt, ist die Klägerin französische Staatsangehörige und hält sich seit dem 1. Januar 1979 in der Bundesrepublik Deutschland auf, wo sie bis zum 30. Juni 1981 als Bankangestellte gearbeitet hat. In der Zeit vom 1. Juli 1981 bis zum 30. September 1984 war sie überwiegend arbeitslos oder befand sich in einer Umschulung; dazwischen lagen kurze Beschäftigungszeiten, deren letzte am 21. Juli 1983 endete. Seit dem 1. Oktober 1984 studiert sie an der beklagten Universität Romanistik und Germanistik. Im Ausgangsverfahren ist unstreitig, daß dieses Studium zu einem berufsqualifizierenden Abschluß führt.

4 Nach § 8 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes ( BAföG ) in der Fassung der Bekanntmachung vom 6. Juni 1983 ( BGBl. I S. 645, berichtigt S. 1680 ) mit späteren Änderungen wird Ausbildungsförderung, einschließlich der Förderung einer Hochschulausbildung, neben Deutschen auch bestimmten Kategorien von Ausländern geleistet, darunter solchen, die sich vor Beginn des förderungsfähigen Teils des Ausbildungsabschnitts insgesamt fünf Jahre im Geltungsbereich des Gesetzes aufgehalten haben und rechtmässig erwerbstätig gewesen sind; Deutsche brauchen demgegenüber keine vorherige Erwerbstätigkeit nachzuweisen.

5 Nach § 1 BAföG besteht ein Anspruch auf Ausbildungsförderung, wenn dem Auszubildenden die für seinen Lebensunterhalt und seine Ausbildung erforderlichen Mittel anderweitig nicht zur Verfügung stehen. Die Förderung wird unter anderem für eine "berufsbildende" Ausbildung bis zu einem daran anschließenden berufsqualifizierenden Abschluß geleistet (§ 7 BAföG ). Sie wird für den Lebensunterhalt und die Ausbildung gewährt und ist in den §§ 12 bis 14 a für verschiedene Kategorien von Leistungsempfängern pauschal und ohne Unterscheidung zwischen dem Bedarf für den Lebensunterhalt und dem für die Ausbildung festgelegt. Beim Besuch von Hochschulen wird Ausbildungsförderung gemäß § 17 BAföG als zinsloses Darlehen geleistet, das in Raten zurückzuzahlen ist, wobei die erste Rate fünf Jahre nach dem Ende der Förderungshöchstdauer der geförderten Ausbildung zu leisten ist. Nach § 10 Absatz 3 BAföG wird Ausbildungsförderung grundsätzlich nicht geleistet, wenn der Auszubildende bei Beginn des zu fördernden Ausbildungsabschnitts das 30. Lebensjahr vollendet hat.

6 Der Antrag der Klägerin auf Ausbildungsförderung wurde von der Beklagten mit der Begründung abgelehnt, daß die Klägerin die Voraussetzung für die Gewährung von Ausbildungsförderung an Ausländer in der Form einer wenigstens fünfjährigen Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet nicht erfuelle. Als Zeiten der Erwerbstätigkeit im Sinne von § 8 BAföG könnten nämlich nur solche Zeiten berücksichtigt werden, in denen der Ausländer einer vollen Erwerbstätigkeit nachgehe und dabei auch Steuern und Sozialabgaben entrichte, die letztlich der Bundesrepublik Sozialinvestitionen wie die Ausbildungsförderung ermöglichten.

7 Das innerstaatliche Gericht, vor dem die Klägerin diese Entscheidung anficht, fragt sich, ob die Klägerin Anspruch auf Ausbildungsförderung gemäß § 8 BAföG in Verbindung mit den Artikeln 48 und 49 EWG-Vertrag und Artikel 7 der Verordnung Nr. 1612/68 hat, oder ob, so dies nicht der Fall ist, die Nichtgewährung von Ausbildungsförderung einen Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot des Artikels 7 Absatz 1 EWG-Vertrag darstellt.

8 Das innerstaatliche Gericht hat dem Gerichtshof daher folgende Fragen vorgelegt :

"1 ) Ist nach dem Gemeinschaftsrecht davon auszugehen, daß Staatsangehörige der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft, die sich in das Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats als Arbeitnehmer begeben haben und dort unter Aufgabe ihrer Erwerbstätigkeit ein Hochschulstudium aufnehmen, das zu einem berufsqualifizierenden Abschluß führt ( hier Hochschulstudium der Fachrichtungen Romanistik und Germanistik ), hierzu einen Anspruch auf die Gewährung von Ausbildungsförderung haben, wie sie als soziale Vergünstigung allen Staatsangehörigen des anderen Mitgliedstaats nach Maßgabe von deren Eignung und Bedürftigkeit gewährt wird?

2 ) Stellt es eine gegen Artikel 7 EWG-Vertrag verstossende Diskriminierung dar, wenn ein Mitgliedstaat Inländern nach Maßgabe von deren Eignung und Bedürftigkeit Ausbildungsförderung für die Durchführung eines Hochschulstudiums gewährt, das zu einem berufsqualifizierenden Abschluß führt, die Gewährung von Ausbildungsförderung für ein solches Hochschulstudium an Staatsangehörige eines anderen Mitgliedstaats aber zusätzlich davon abhängig macht, daß diese vor Beginn der Ausbildung wenigstens fünf Jahre in seinem Staatsgebiet einer Erwerbstätigkeit nachgegangen sind?"

9 Wegen weiterer Einzelheiten des rechtlichen Rahmens und des Sachverhalts des Ausgangsverfahrens sowie der beim Gerichtshof eingereichten Erklärungen wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt ist im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

10 Zunächst ist die zweite Frage des innerstaatlichen Gerichts zu behandeln, mit der das allgemeine Problem aufgeworfen wird, ob ein Student schon in seiner Eigenschaft als Angehöriger eines anderen Mitgliedstaats Anspruch auf die in Rede stehende Förderung hat.

Zur Auslegung von Artikel 7 EWG-Vertrag ( zweite Frage )

11 Diese Frage geht im wesentlichen dahin, ob Artikel 7 Absatz 1 EWG-Vertrag für eine Förderung gilt, die ein Mitgliedstaat seinen eigenen Staatsangehörigen zur Durchführung eines Hochschulstudiums für den Lebensunterhalt und die Ausbildung gewährt.

12 Zunächst ist auf das Urteil vom 13. Februar 1985 in der Rechtssache 293/83 ( Gravier, Slg. 1985, 593 ) hinzuweisen, in dem der Gerichtshof entschieden hat, daß eine Ungleichbehandlung aus Gründen der Staatsangehörigkeit eine nach Artikel 7 EWG-Vertrag verbotene Diskriminierung darstellt, sofern sie in den Anwendungsbereich des Vertrages fällt, und daß die Voraussetzungen für den Zugang zur Berufsausbildung in diesen Anwendungsbereich fallen. Im Urteil vom 2. Februar 1988 in der Rechtssache 24/86 ( Blaizot, Slg. 1988, 379 ) hat der Gerichtshof festgestellt, daß Hochschulstudiengänge im allgemeinen die Voraussetzungen dafür erfuellen, als Berufsausbildung im Sinne des EWG-Vertrags angesehen zu werden.

13 Dagegen brauchte sich der Gerichtshof in den genannten Urteilen nicht zu der Frage zu äussern, ob ein Angehöriger eines anderen Mitgliedstaats, der ein solches Studium aufnimmt, Anspruch auf eine Inländern gewährte staatliche Förderung hat.

14 Nur insoweit, als eine solche Förderung der Deckung von Einschreibegebühren oder anderen Gebühren, insbesondere von Studiengebühren dient, die für den Zugang zum Unterricht verlangt werden, ergibt sich aus dem genannten Urteil vom 13. Februar 1985, daß diese Förderung unter dem Gesichtspunkt, daß sie die Voraussetzungen für den Zugang zur Berufsausbildung betrifft, in den Anwendungsbereich des EWG-Vertrags fällt und daß insoweit folglich das in Artikel 7 EWG-Vertrag verankerte Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit Anwendung findet.

15 Unter diesem Vorbehalt ist festzustellen, daß beim gegenwärtigen Entwicklungsstand des Gemeinschaftsrechts eine Förderung, die Studenten für den Lebensunterhalt und die Ausbildung gewährt wird, grundsätzlich ausserhalb des Anwendungsbereichs des EWG-Vertrags im Sinne von dessen Artikel 7 liegt. Sie fällt nämlich zum einen in den Bereich der Bildungspolitik, die als solche nicht der Zuständigkeit der Gemeinschaftsorgane unterstellt worden ist ( s. das genannte Urteil vom 13. Februar 1985 ) und zum anderen in den der Sozialpolitik, die zur Zuständigkeit der Mitgliedstaaten gehört, soweit sie nicht Gegenstand besonderer Vorschriften des EWG-Vertrags ist ( siehe das Urteil vom 9. Juli 1987 in den verbundenen Rechtssachen 281, 283, 284, 285 und 287/85, Wanderungspolitik, Slg. 1987, 3203 ).

16 Auf die zweite Frage ist daher zu antworten, daß Artikel 7 Absatz 1 EWG-Vertrag beim gegenwärtigen Entwicklungsstand des Gemeinschaftsrechts nur insoweit für eine Förderung gilt, die ein Mitgliedstaat seinen eigenen Staatsangehörigen zur Durchführung eines Hochschulstudiums für den Lebensunterhalt und die Ausbildung gewährt, als eine solche Förderung der Deckung von Einschreibegebühren oder anderen Gebühren, insbesondere von Studiengebühren, dient, die für den Zugang zum Unterricht verlangt werden.

Zur Auslegung von Artikel 7 der Verordnung Nr. 1612/68

( erste Frage )

17 Die erste Frage, die die Auslegung von Artikel 7 der Verordnung Nr. 1612/68 betrifft, gliedert sich in die folgenden drei Teilfragen :

- Stellt eine Förderung, die für den Lebensunterhalt und die Ausbildung zur Durchführung eines Hochschulstudiums gewährt wird, das zu einem berufsqualifizierenden Abschluß führt, eine "soziale Vergünstigung" im Sinne von Artikel 7 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1612/68 dar?

- Ist der Angehörige eines anderen Mitgliedstaats, der im Aufnahmemitgliedstaat nach Ausübung einer Erwerbstätigkeit ein Hochschulstudium aufnimmt, weiterhin als "Arbeitnehmer" anzusehen, der sich in dieser Eigenschaft auf Artikel 7 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1612/68 berufen kann?

- Kann ein Aufnahmemitgliedstaat den Anspruch auf "die gleichen sozialen Vergünstigungen" im Sinne von Artikel 7 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1612/68 davon abhängig machen, daß in seinem Gebiet zuvor eine Erwerbstätigkeit von einer bestimmten Mindestdauer ausgeuebt worden ist?

Zum Begriff der sozialen Vergünstigung

18 Zur Bestimmung des Begriffs der sozialen Vergünstigung im Sinne von Artikel 7 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1612/68 ist zunächst daran zu erinnern, daß diese Verordnung der Verwirklichung der Ziele dient, die in den Artikeln 48 und 49 EWG-Vertrag im Bereich der Freizuegigkeit der Arbeitnehmer niedergelegt sind. Dieser Bereich gehört zum freien Personenverkehr im Sinne von Artikel 3 Buchstabe c EWG-Vertrag und zu den von diesem Vertrag gewährleisteten Grundfreiheiten.

19 Ein Arbeitnehmer, der Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats ist und diese Grundfreiheit in Anspruch genommen hat, genießt nach Artikel 7 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1612/68 im Aufnahmemitgliedstaat "die gleichen sozialen... Vergünstigungen wie die inländischen Arbeitnehmer ".

20 Zu den "sozialen Vergünstigungen" gehören neben dem spezifischen in Artikel 7 Absatz 1 dieser Verordnung genannten Recht, nämlich dem Recht, hinsichtlich der Beschäftigungs - und Arbeitsbedingungen, insbesondere im Hinblick auf berufliche Wiedereingliederung oder Wiedereinstellung, nicht anders behandelt zu werden als die inländischen Arbeitnehmer, alle sonstigen Vergünstigungen, die dem Wanderarbeitnehmer entsprechend der dritten Begründungserwägung der Verordnung, die Möglichkeit einer Verbesserung der Lebens - und Arbeitsbedingungen garantieren und damit auch seinen sozialen Aufstieg erleichtern.

21 Wie der Gerichtshof dazu entschieden hat, ergibt sich aus der Gesamtheit der Vorschriften dieser Verordnung sowie aus ihrer Zielsetzung, daß zu den Vergünstigungen, die sie auf Arbeitnehmer ausdehnt, die Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten sind, alle Vergünstigungen gehören, die - ob sie an einen Arbeitsvertrag anknüpfen oder nicht - den inländischen Arbeitnehmern hauptsächlich wegen ihrer objektiven Arbeitnehmereigenschaft oder einfach wegen ihres Wohnorts im Inland gewährt werden und deren Ausdehnung auf die Arbeitnehmer, die Staatsangehörige eines anderen Mitgliedstaats sind, deshalb als geeignet erscheint, deren Mobilität innerhalb der Gemeinschaft zu erleichtern ( Urteile vom 27. März 1985 in den Rechtssachen 249/83, Höckx, Slg. 1985, 972, und 122/84, Scrivener, Slg. 1985, 1027 ).

22 Daraus folgt, daß ein Arbeitnehmer, der Staatsangehöriger eines anderen Mitgliedstaats ist und als solcher sein Recht auf Freizuegigkeit in Anspruch genommen hat, den gleichen Anspruch wie die inländischen Arbeitnehmer auf alle Vergünstigungen hat, die deren berufliche Qualifikation und sozialen Aufstieg erleichtern.

23 Zu prüfen ist nun, ob eine Förderung der hier in Rede stehenden Art von dem in dieser Weise ausgelegten Begriff der sozialen Vergünstigung erfasst wird. Hierzu ist festzustellen, daß eine solche Förderung, die für den Lebensunterhalt des Studenten und seine Ausbildung gewährt wird, namentlich aus der Sicht des Arbeitnehmers besonders geeignet ist, zu seiner beruflichen Qualifizierung beizutragen und seinen sozialen Aufstieg zu erleichtern. Zudem ist die Förderung wie auch die Rückzahlung der empfangenen Leistungen nach innerstaatlichem Recht an die dem Geförderten zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel geknüpft und hängt somit von sozialen Kriterien ab.

24 Folglich stellt eine solche Förderung eine soziale Vergünstigung im Sinne von Artikel 7 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1612/68 dar.

25 Vor dem Gerichtshof ist vorgetragen worden, daß die Anwendung von Artikel 7 Absatz 2 durch die Sonderregelung des Artikels 7 Absatz 3 der Verordnung Nr. 1612/68 ausgeschlossen sei, wonach ein Arbeitnehmer, der Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats ist, "mit dem gleichen Recht und unter den gleichen Bedingungen wie die inländischen Arbeitnehmer Berufsschulen und Umschulungszentren in Anspruch nehmen" kann.

26 Hierzu ist festzustellen, daß eine Bildungseinrichtung nicht schon dann als Berufsschule im Sinne dieser Vorschrift angesehen werden kann, wenn dort eine gewisse berufliche Ausbildung vermittelt wird. Der Begriff der Berufsschule ist enger und umfasst ausschließlich Einrichtungen, die nur eine Ausbildung vermitteln, die entweder in eine Berufstätigkeit eingebettet oder mit einer solchen, insbesondere während einer Lehre, eng verbunden ist. Das ist bei Hochschulen nicht der Fall.

27 Artikel 7 Absatz 3 der Verordnung Nr. 1612/68 sieht zwar eine besondere soziale Vergünstigung vor, doch folgt daraus nicht, daß eine Förderung, die für den Lebensunterhalt und die Ausbildung zur Durchführung eines Studiums an einer Einrichtung gewährt wird, die nicht unter den Begriff der Berufsschule im Sinne dieser Bestimmung fällt, nicht als eine soziale Vergünstigung im Sinne von Artikel 7 Absatz 2 dieser Verordnung angesehen werden kann.

28 Auf den ersten Teil der ersten Frage ist daher zu antworten, daß eine Förderung, die für den Lebensunterhalt und die Ausbildung zur Durchführung eines Hochschulstudiums gewährt wird, das zu einem berufsqualifizierenden Abschluß führt, eine soziale Vergünstigung im Sinne von Artikel 7 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1612/68 darstellt.

Zum Begriff des Arbeitnehmers

29 Hierzu machen die drei Mitgliedstaaten, die Erklärungen abgegeben haben, geltend, eine Person verliere die Arbeitnehmereigenschaft, an die die sozialen Vergünstigungen geknüpft seien, wenn sie im Aufnahmestaat ihre bisherige Berufstätigkeit oder, falls sie arbeitslos ist, die Suche nach einer Beschäftigung aufgebe, um dort eine Vollzeitausbildung aufzunehmen. Die Kommission widerspricht dieser Auffassung.

30 Zunächst ist festzustellen, daß weder Artikel 7 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1612/68 noch die Artikel 48 oder 49 EWG-Vertrag eine ausdrückliche Antwort auf die Frage enthalten, ob ein Wanderarbeitnehmer, der seine Berufstätigkeit im Aufnahmestaat unterbrochen hat, um dort ein Hochschulstudium aufzunehmen, das zu einem berufsqualifizierenden Abschluß führt, weiterhin als Wanderarbeitnehmer im Sinne des Artikels 7 der Verordnung Nr. 1612/68 anzusehen ist.

31 Wenn auch der Wortlaut dieser Vorschriften keine ausdrückliche Antwort auf diese Frage gibt, so enthält das Gemeinschaftsrecht gleichwohl Anhaltspunkte dafür, daß die den Wanderarbeitnehmern garantierten Rechte nicht unbedingt vom Bestehen oder vom Fortbestehen eines Arbeitsverhältnisses abhängen.

32 Was die Staatsangehörigen eines anderen Mitgliedstaats angeht, die im Aufnahmestaat noch kein Arbeitsverhältnis eingegangen sind, ist zunächst darauf hinzuweisen, daß Artikel 48 Absatz 3 Buchstaben a und b EWG-Vertrag ihnen das Recht garantiert, sich um tatsächlich angebotene Stellen zu bewerben und sich zu diesem Zweck im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen. Diese Bestimmungen sind mit Titel I des Ersten Teils der Verordnung Nr. 1612/68 durchgeführt worden.

33 Die Personen, die im Aufnahmemitgliedstaat tatsächlich eine echte Berufstätigkeit im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofes ( Urteile vom 23. März 1982 in der Rechtssache 53/81, Levin, Slg. 1982, 1035, und vom 3. Juni 1986 in der Rechtssache 139/85, Kempf, Slg. 1986, 1741 ) ausgeuebt haben, aber nicht mehr in einem Arbeitsverhältnis stehen, gelten gemäß bestimmten Vorschriften des Gemeinschaftsrechts gleichwohl als Arbeitnehmer.

34 So gelten erstens nach Artikel 48 Absatz 3 Buchstabe d EWG-Vertrag als Arbeitnehmer Personen, die nach Beendigung einer Beschäftigung im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats dort verbleiben. Die Verordnung Nr. 1251/70 der Kommission vom 29. Juni 1970 über das Recht der Arbeitnehmer, nach Beendigung einer Beschäftigung im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats zu verbleiben ( ABl. L 142, S. 24 ), mit der diese Vorschrift des Vertrages durchgeführt worden ist, sichert dem Arbeitnehmer, der seine Berufstätigkeit aufgibt, und seinen Familienangehörigen das Recht, unter bestimmten Voraussetzungen ständig im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats zu verbleiben. Zweitens verbietet die Richtlinie 68/360 des Rates vom 15. Oktober 1968 zur Aufhebung der Reise - und Aufenthaltsbeschränkungen für Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten und ihre Familienangehörigen innerhalb der Gemeinschaft ( ABl. L 257, S. 13 ) den Mitgliedstaaten unter bestimmten Voraussetzungen, einem Wanderarbeitnehmer nur deshalb die Aufenthaltserlaubnis zu entziehen, weil er keine Beschäftigung mehr hat. Drittens darf gemäß Artikel 7 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1612/68 schließlich ein arbeitslos gewordener Wanderarbeitnehmer im Hinblick auf seine berufliche Wiedereingliederung oder Wiedereinstellung nicht anders behandelt werden als die inländischen Arbeitnehmer in gleicher Lage.

35 Ferner ist darauf hinzuweisen, daß Artikel 7 Absatz 3 der Verordnung Nr. 1612/68 den Wanderarbeitnehmern garantiert, daß sie mit dem gleichen Recht und unter den gleichen Bedingungen wie die inländischen Arbeitnehmer Berufsschulen und Umschulungszentren in Anspruch nehmen können. Dieses vom Gemeinschaftsrecht garantierte Recht auf eine besondere Ausbildung hängt nicht vom Fortbestehen eines Arbeitsverhältnisses ab.

36 Daher ist festzustellen, daß bestimmte mit der Arbeitnehmereigenschaft zusammenhängende Rechte den Wanderarbeitnehmern auch dann garantiert sind, wenn diese nicht in einem Arbeitsverhältnis stehen.

37 Im Bereich der Hochschulausbildungsförderung setzt ein solcher Zusammenhang zwischen der Arbeitnehmereigenschaft und einer Förderung, die für den Lebensunterhalt und die Ausbildung zur Durchführung eines Hochschulstudiums gewährt wird, jedoch eine Kontinuität zwischen der zuvor ausgeuebten Berufstätigkeit und dem aufgenommenen Studium in dem Sinne voraus, daß zwischen dem Gegenstand des Studiums und der früheren Berufstätigkeit ein Zusammenhang bestehen muß. Eine solche Kontinuität kann allerdings nicht verlangt werden im Falle eines Wanderarbeitnehmers, der unfreiwillig arbeitslos geworden ist und den die Lage auf dem Arbeitsmarkt zu einer beruflichen Umschulung in einem anderen Berufszweig zwingt.

38 Dieses Verständnis der Freizuegigkeit der Wanderarbeitnehmer entspricht im übrigen einer aktuellen Entwicklung; kontinuierliche berufliche Laufbahnen sind seltener als früher. Es kommt also vor, daß eine Berufstätigkeit durch Zeiten der Ausbildung, der Umschulung oder der Wiedereingliederung unterbrochen wird.

39 Auf den zweiten Teil der ersten Frage ist demnach zu antworten, daß ein Angehöriger eines anderen Mitgliedstaats, der im Aufnahmestaat nach Ausübung einer Berufstätigkeit ein Hochschulstudium aufnimmt, das zu einem berufsqualifizierenden Abschluß führt, dann weiterhin als Arbeitnehmer anzusehen ist, der sich als solcher auf Artikel 7 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1612/68 berufen kann, wenn zwischen der früheren Berufstätigkeit und dem betreffenden Studium ein Zusammenhang besteht.

Zur Festlegung einer Mindestdauer der früheren Berufstätigkeit als Voraussetzung für die Gewährung gleicher sozialer Vergünstigungen

40 Hierzu machen die drei Mitgliedstaaten, die Erklärungen abgegeben haben, geltend, jeder Mitgliedstaat könne von einem Angehörigen eines anderen Mitgliedstaats, der die Gewährung einer Förderung beantragt, die für den Lebensunterhalt und die Ausbildung zur Durchführung eines Hochschulstudiums gewährt wird, verlangen, daß er zuvor in seinem Hoheitsgebiet während eines bestimmten Mindestzeitraums eine Berufstätigkeit ausgeuebt hat. Die Kommission widerspricht dieser Auffassung.

41 Insoweit ist hervorzuheben, daß ein Student, der Staatsangehöriger eines anderen Mitgliedstaats ist, nur in seiner Eigenschaft als Arbeitnehmer im Sinne des Artikels 48 EWG-Vertrag und der Verordnung Nr. 1612/68 Anspruch auf eine solche Förderung einer Hochschulausbildung hat. Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofes ( siehe die Urteile vom 19. März 1964 in der Rechtssache 75/63, Unger, Slg. 1964, 381, und vom 23. März 1982 in der Rechtssache 53/81, Levin, Slg. 1982, 1035 ) ergibt sich, daß dieser Begriff des Arbeitnehmers gemeinschaftsrechtliche Bedeutung hat und daß seine Bestimmung nicht von den in den Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten definierten Kriterien abhängen kann.

42 Folglich dürfen die Mitgliedstaaten die Gewährung der in Artikel 7 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1612/68 vorgesehenen sozialen Vergünstigungen nicht einseitig von einem bestimmten Zeitraum der Berufstätigkeit abhängig machen ( siehe das Urteil vom 6. Juni 1985 in der Rechtssache 157/84, Frascogna, Slg. 1985, 1739 ).

43 Soweit das Vorbringen der drei genannten Mitgliedstaaten von der Sorge bestimmt ist, gewissen Mißbräuchen vorzubeugen, von denen etwa dann die Rede sein könnte, wenn sich anhand objektiver Merkmale nachweisen ließe, daß sich ein Arbeitnehmer nur in der Absicht in einen Mitgliedstaat begibt, dort nach einer sehr kurzen Berufstätigkeit eine Förderung für Studenten in Anspruch zu nehmen, ist festzustellen, daß solche Mißbräuche durch die in Rede stehenden gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen nicht gedeckt sind.

44 Auf den dritten Teil der ersten Frage ist daher zu antworten, daß der Aufnahmemitgliedstaat den Anspruch auf die gleichen sozialen Vergünstigungen im Sinne von Artikel 7 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1612/68 nicht von der Voraussetzung abhängig machen darf, daß zuvor im Hoheitsgebiet dieses Staates eine Berufstätigkeit von einer bestimmten Mindestdauer ausgeuebt worden ist.

Kostenentscheidung:

Kosten

45 Die Auslagen der Bundesrepublik Deutschland, des Königreichs Dänemark, des Vereinigten Königreichs und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die Erklärungen vor dem Gerichtshof abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem nationalen Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

auf die ihm vom Verwaltungsgericht Hannover mit auf die mündliche Verhandlung vom 19. November 1985 ergangenem Beschluß vorgelegten Fragen für Recht erkannt :

1 ) Artikel 7 Absatz 1 EWG-Vertrag gilt beim gegenwärtigen Entwicklungsstand des Gemeinschaftsrechts nur insoweit für eine Förderung, die ein Mitgliedstaat seinen eigenen Staatsangehörigen zur Durchführung eines Hochschulstudiums für den Lebensunterhalt und die Ausbildung gewährt, als eine solche Förderung der Deckung von Einschreibegebühren oder anderen Gebühren, insbesondere von Studiengebühren, dient, die für den Zugang zum Unterricht verlangt werden.

2 ) Eine Förderung, die für den Lebensunterhalt und die Ausbildung zur Durchführung eines Hochschulstudiums gewährt wird, das zu einem berufsqualifizierenden Abschluß führt, stellt eine soziale Vergünstigung im Sinne von Artikel 7 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1612/68 des Rates vom 15. Oktober 1968 über die Freizuegigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft ( ABl. L 257, S. 2 ) dar.

3 ) Ein Angehöriger eines anderen Mitgliedstaats, der im Aufnahmestaat nach Ausübung einer Berufstätigkeit ein Hochschulstudium aufnimmt, das zu einem berufsqualifizierenden Abschluß führt, ist dann weiterhin als Arbeitnehmer anzusehen, der sich als solcher auf Artikel 7 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1612/68 berufen kann, wenn zwischen der früheren Berufstätigkeit und dem betreffenden Studium ein Zusammenhang besteht.

4 ) Der Aufnahmemitgliedstaat darf den Anspruch auf die gleichen sozialen Vergünstigungen im Sinne von Artikel 7 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1612/68 nicht von der Voraussetzung abhängig machen, daß zuvor im Hoheitsgebiet dieses Staates eine Berufstätigkeit von einer bestimmten Mindestdauer ausgeuebt worden ist.

Ende der Entscheidung

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