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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 13.07.1989
Aktenzeichen: 4/88
Rechtsgebiete: EWG-Vertrag


Vorschriften:

EWG-Vertrag Art. 177
EWG-Vertrag Art. 75 Abs. 1 a
EWG-Vertrag Art. 75 Abs. 1 b
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Der Umstand, daß der Rat gegen seine Verpflichtungen aus Artikel 75 EWG-Vertrag verstossen hat, indem er es unterließ, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um die Dienstleistungsfreiheit vor Ablauf der Übergangszeit auf den Verkehrssektor zu erstrecken, hat nicht zur unmittelbaren Anwendbarkeit der Artikel 59 und 60 EWG-Vertrag im Verkehrssektor geführt.

Auch Artikel 75 Absatz 1 Buchstaben a und b EWG-Vertrag selbst gewährt den Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten keine Rechte, auf die sie sich gegenüber Entscheidungen, die von nationalen Behörden getroffen wurden, vor den nationalen Gerichten berufen können.


URTEIL DES GERICHTSHOFES (SECHSTE KAMMER) VOM 13. JULI 1989. - LAMBREGTS TRANSPORTBEDRIJF PVBA GEGEN BELGISCHER STAAT. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: RAAD VAN STATE - BELGIEN. - VERKEHR - GENEHMIGUNGEN FUER DEN INNERSTAATLICHEN UND GRENZUEBERSCHREITENDEN KRAFTVERKEHR. - RECHTSSACHE 4/88.

Entscheidungsgründe:

1 Der belgische Raad van State hat mit Urteil vom 1. Dezember 1987, beim Gerichtshof eingegangen am 8. Januar 1988, gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag zwei Fragen nach der Auslegung des Artikels 75 Absatz 1 EWG-Vertrag zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen dem Kraftverkehrsunternehmen Lambregts Transportbedrijf ( im weiteren : Firma Lambregts ) und dem Belgischen Staat.

3 Die Firma Lambregts war Inhaberin einer Reihe von Genehmigungen, die ihr von den belgischen Behörden erteilt worden waren, um vom belgischen Hoheitsgebiet aus oder nach dort mit auf ihren Namen zugelassenen Fahrzeugen innerstaatliche und internationale Beförderungen vorzunehmen. Im Zuge von Ermittlungen, die im Jahre 1981 durchgeführt wurden, um festzustellen, ob diese Firma noch als in Belgien niedergelassen angesehen werden könne, stellten die zuständigen Behörden fest, daß die Firma Lambregts in Belgien keinen tatsächlichen Firmensitz im Sinne des belgischen Gesellschaftsrechts besaß.

4 Aufgrund dieser Feststellung zog der belgische Minister für Verkehr am 24. Februar 1982 alle der Firma Lambregts früher erteilten Verkehrsgenehmigungen ein.

5 Am 4. März 1982 erhob die Firma Lambregts beim Raad van State eine Klage gegen diese Verfügung, in der sie die Unvereinbarkeit der Einziehung der Verkehrsgenehmigungen mit dem Gemeinschaftsrecht geltend machte. Der Raad van State hat daraufhin das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt :

"1 ) Gewährt Artikel 75 Absatz 1 Buchstaben a und b EWG-Vertrag, jedenfalls soweit er den Rat dazu verpflichtet, die Dienstleistungsfreiheit auf dem Gebiet des Verkehrs zu verwirklichen, den Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten Rechte, auf die sie sich im Zusammenhang mit Maßnahmen, die am 24. Februar 1982 getroffen wurden, vor den nationalen Gerichten berufen können?

2 ) Für den Fall, daß die erste Frage bejaht wird : Schließen es die genannten Bestimmungen aus, daß die Aufrechterhaltung von Genehmigungen für den innerstaatlichen oder internationalen Verkehr, die die Behörden eines Mitgliedstaats einem in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Verkehrsunternehmen erteilt haben, von der Voraussetzung abhängig gemacht wird, daß das betreffende Unternehmen einen 'Mittelpunkt der Geschäftstätigkeit' im erstgenannten Staat hat oder daß das Unternehmen, anders ausgedrückt, in diesem Staat regelmässig Handlungen vornimmt, die in den Rahmen seiner geschäftlichen Tätigkeit fallen, und daß es dort durch einen Bevollmächtigten vertreten wird, der es Dritten gegenüber verpflichten kann?"

6 Wegen weiterer Einzelheiten des rechtlichen Rahmens und des Sachverhalts des Ausgangsrechtsstreits, des Verfahrensablaufs sowie der beim Gerichtshof eingereichten schriftlichen Erklärungen wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt wird im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

7 Mit der ersten Vorlagefrage wird das Problem aufgeworfen, ob sich ein in einem Mitgliedstaat nicht ansässiger einzelner gegenüber einer im Jahre 1982 von einer Verwaltung dieses Mitgliedstaats getroffenen Entscheidung, die ihm die Vornahme von Beförderungshandlungen innerhalb dieses Mitgliedstaats, von dort aus oder dorthin verbietet, unter Berücksichtigung der Verpflichtung des Rates, gemäß den Artikeln 74 und 75 EWG-Vertrag eine gemeinsame Verkehrspolitik durchzuführen, auf den Grundsatz des freien Dienstleistungsverkehrs berufen kann.

8 Einleitend ist hierzu darauf hinzuweisen, daß, wie der Gerichtshof in seinem Urteil vom 17. Dezember 1981 in der Rechtssache 279/80 ( Webb, Slg. 1981, 3305 ) festgestellt hat, Artikel 59 EWG-Vertrag, der den freien Dienstleistungsverkehr innerhalb der Gemeinschaft gewährleistet, mit Ablauf der in Artikel 8 EWG-Vertrag geregelten Übergangszeit unmittelbar und unbedingt anwendbar geworden ist. In diesem Urteil hat der Gerichtshof ebenfalls festgestellt, daß diese Freiheit die Beseitigung sämtlicher Diskriminierungen des Leistungserbringers aufgrund des Umstands, daß er in einem anderen Mitgliedstaat als demjenigen ansässig ist, in dem die Dienstleistung erbracht werden soll, umfasst.

9 Jedoch ist darauf hinzuweisen, daß für die Dienstleistungsfreiheit auf dem Gebiet des Verkehrs gemäß Artikel 61 Absatz 1 EWG-Vertrag die Bestimmungen des Titels über den Verkehr, also die Artikel 74 ff. EWG-Vertrag, gelten. Gemäß Artikel 75 Absatz 1 EWG-Vertrag muß der Rat für den internationalen Verkehr aus oder nach dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats oder für den Durchgangsverkehr durch das Hoheitsgebiet eines oder mehrerer Mitgliedstaaten gemeinsame Regeln aufstellen, die Bedingungen für die Zulassung von Verkehrsunternehmern zum Verkehr innerhalb eines Mitgliedstaats festlegen, in dem sie nicht ansässig sind, und alle sonstigen zweckdienlichen Vorschriften erlassen.

10 Nach den gemeinsamen Regeln für den internationalen Verkehr, wie sie während des im Ausgangsrechtsstreit betroffenen Zeitraums galten und im übrigen auch heute noch gelten, dürfen Beförderungshandlungen in diesem Bereich nur vorgenommen werden, wenn eine entsprechende Genehmigung vorliegt und wenn das betroffene Unternehmen in dem Mitgliedstaat ansässig ist, der diese Genehmigung ausstellt. Diese Genehmigungen werden entweder auf der Grundlage eines Systems bilateraler Kontingente, die nur den Verkehr zwischen zwei Mitgliedstaaten betreffen, oder aufgrund eines gemeinschaftlichen Kontingentierungssystems ausgestellt, das die Inhaber einer Genehmigung berechtigt, Beförderungen auf sämtlichen Verkehrsverbindungen zwischen den Mitgliedstaaten durchzuführen. Das letztere System wurde durch die Verordnung ( EWG ) Nr. 3164/76 des Rates vom 16. Dezember 1976 über das Gemeinschaftskontingent für den Güterkraftverkehr zwischen den Mitgliedstaaten ( ABl. L 357, S. 1 ) eingeführt.

11 Mit der Verordnung ( EWG ) Nr. 1841/88 des Rates vom 21. Juni 1988 zur Änderung des Gemeinschaftskontingents ( ABl. L 163, S. 1 ) wurde dieses System aufrechterhalten, jedoch gleichzeitig bestimmt, daß das Gemeinschaftskontingent und die bilateralen Kontingente zwischen Mitgliedstaaten ab 1. Januar 1993 für Transportunternehmer der Gemeinschaft aufgehoben werden und daß ab diesem Zeitpunkt eine auf qualitativen Kriterien beruhende Marktzugangsregelung für den grenzueberschreitenden Güterkraftverkehr innerhalb der Gemeinschaft eingeführt wird.

12 Hieraus folgt, daß es die gemeinsamen Regeln für den internationalen Verkehr während des entscheidungserheblichen Zeitraums, d. h. im Jahre 1982, einem Unternehmen, das in einem anderen Mitgliedstat als demjenigen ansässig war, von dem aus oder nach dem es Beförderungshandlungen vorzunehmen beabsichtigte, nicht gestatteten, sich auf die Vorschriften über den freien Dienstleistungsverkehr zu berufen.

13 Das gleiche galt für die Befugnis eines Unternehmens, innerhalb eines anderen Mitgliedstaats, in dem es nicht ansässig war, Beförderungshandlungen vorzunehmen, weil der Rat die Bedingungen für die Zulassung von Verkehrsunternehmern zum Verkehr innerhalb eines Mitgliedstaats, in dem sie nicht ansässig sind, nicht festgelegt hatte.

14 Hinsichtlich der Rechtsfolgen, die sich daraus ergeben, daß der Grundsatz des freien Dienstleistungsverkehrs auf dem Gebiet des internationalen und des innerstaatlichen Verkehrs nicht durchgeführt ist, ist darauf hinzuweisen, daß der Gerichtshof in seinem Urteil vom 22. Mai 1985 in der Rechtssache 13/83 ( Parlament/Rat, Slg. 1985, 1513 ) festgestellt hat, daß der Rat gegen seine Verpflichtungen aus Artikel 75 EWG-Vertrag verstossen hat, wobei er jedoch klargestellt hat, daß dieser Umstand nicht zur unmittelbaren Anwendbarkeit der Artikel 59 und 60 EWG-Vertrag im Verkehrssektor führen konnte. Während des entscheidungserheblichen Zeitraums, d. h. im Jahre 1982, war der freie Dienstleistungsverkehr im Bereich des internationalen Verkehrs somit nur innerhalb des Mitgliedstaats, in dem das Unternehmen ansässig war, sowie von dort aus und dorthin und vorbehaltlich der Erlangung einer Genehmigung für den Verkehr gemäß den in diesem Mitgliedstaat geltenden bilateralen oder gemeinschaftlichen Kontingenten gewährleistet.

15 Die erste Vorlagefrage ist demgemäß dahin zu beantworten, daß Artikel 75 Absatz 1 Buchstaben a und b EWG-Vertrag den Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten keine Rechte gewährt, auf die sie sich gegenüber Entscheidungen, die von nationalen Behörden im Jahre 1982 getroffen wurden, vor den nationalen Gerichten berufen können.

16 Im Hinblick auf diese Beantwortung der ersten Frage erübrigt sich die Beantwortung der zweiten Frage des vorlegenden Gerichts.

Kostenentscheidung:

Kosten

17 Die Auslagen der Regierungen des Königreichs Belgien und des Königreichs der Niederlande sowie der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die Erklärungen vor dem Gerichtshof abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF ( Sechste Kammer )

für Recht erkannt :

Artikel 75 Absatz 1 Buchstaben a und b EWG-Vertrag gewährt den Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten keine Rechte, auf die sie sich gegenüber Entscheidungen, die von nationalen Behörden im Jahre 1982 getroffen wurden, vor den nationalen Gerichten berufen können.

Ende der Entscheidung

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