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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Beschluss verkündet am 16.03.1988
Aktenzeichen: 44/88 R
Rechtsgebiete: Verfahrensordnung


Vorschriften:

Verfahrensordnung Art. 83 § 2
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Die Frage der Dringlichkeit einer einstweiligen Anordnung im Sinne des Artikels 83 § 2 der Verfahrensordnung ist danach zu beurteilen, ob die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes erforderlich ist, um zu verhindern, daß dem Antragsteller ein schwerer und nicht wiedergutzumachender Schaden entsteht.

Ein bloß finanzieller Schaden kann dann nicht als nicht wiedergutzumachen oder auch nur kaum wiedergutzumachen angesehen werden, wenn ein späterer finanzieller Ausgleich möglich ist. Der Richter im Verfahren der einstweiligen Anordnung hat jedoch die Umstände des Einzelfalls zu prüfen. Hierbei hat er zu untersuchen, ob es Anhaltspunkte dafür gibt, daß der sofortige Vollzug der Entscheidung, auf die sich der Aussetzungsantrag bezieht, geeignet ist, dem Antragsteller irreversible Schäden zuzufügen, die auch dann nicht wiedergutgemacht werden könnten, wenn die Entscheidung aufgehoben werden sollte, oder die trotz ihrer vorläufigen Natur ausser Verhältnis zum Interesse des betreffenden Organs daran stuenden, daß seine Entscheidungen gemäß Artikel 185 EWG-Vertrag durchgeführt werden, auch wenn sie im Klagewege angefochten werden.


BESCHLUSS DES PRAESIDENTEN DER VIERTEN KAMMER VOM 16. MAERZ 1988. - HENRI DE COMPTE GEGEN EUROPAEISCHES PARLAMENT. - VORLAEUFIGER RECHTSSCHUTZ - BEAMTE - AUSSETZUNG DES VOLLZUGS - DISZIPLINARSTRAFE DER RUECKSTUFUNG. - RECHTSSACHE 44/88 R.

Entscheidungsgründe:

1 Der Antragsteller, Beamter des Europäischen Parlaments, hat mit Schriftsatz, der am 10. Februar 1988 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, einen Antrag auf einstweilige Anordnung gegen die Entscheidung des Präsidenten des Europäischen Parlaments vom 18. Januar 1988 eingereicht, mit der er - auf einstimmige Empfehlung des Disziplinarrats - im Wege der Disziplinarstrafe von der Besoldungsgruppe A 3, Dienstaltersstufe 8, in die Besoldungsgruppe A 7, Dienstaltersstufe 6, zurückgestuft wurde. Gegen den Antragsteller sind folgende Vorwürfe erhoben worden :

- Mißbrauch von Befugnissen in seiner Eigenschaft als Rechnungsführer beim Parlament und Verstoß gegen die Verpflichtung, die Wirtschaftlichkeit der Haushaltsführung zu gewährleisten;

- Einrichtung eines Kontos bei der Midland Bank in London am 21. Juli 1981 mit einer Summe von 400 000 UKL, zu einem Zinssatz von 16 % im Jahr, wobei dieser Betrag 13 Monate ohne Rechtfertigung festlag, ohne daß eine entsprechende Eintragung über diese Vorgänge in die Bücher des Europäischen Parlaments vorgenommen wurde, wie es die Artikel 63 der Haushaltsordnung und 50 und 51 der Ausführungsbestimmungen verlangen;

- Verstoß gegen die Verpflichtung, die Zahlungsermächtigungen ordnungsgemäß zu verwalten ( Artikel 20 Absatz 2, 63, 64 Absatz 2 und 70 Absatz 1 Unterabsatz 3 der Haushaltsordnung );

- Verstoß gegen die Verpflichtung, Ausgaben nur auf Vorlage ordnungsgemässer Belege zu tätigen und diese aufzubewahren.

2 Aus der Akte geht hervor, daß der Präsident des Europäischen Parlaments dem Antragsteller am 14. Januar 1983 mitteilte, es lägen bestimmte Umstände vor, die zur Einleitung eines Disziplinarverfahrens gegen ihn führen könnten.

3 Der Antragsteller wurde am 28. Januar 1983 vom Generaldirektor für Verwaltung, Personal und Finanzen des Europäischen Parlaments gemäß Artikel 87 des Beamtenstatuts ( im folgenden : Statut ) gehört.

4 Der Präsident des Parlaments befasste am 13. April 1983 gemäß Artikel 87 Absatz 2 des Statuts den Vorsitzenden des Disziplinarrats mit einem Bericht über die gegen den Antragsteller erhobenen Vorwürfe.

5 Der Disziplinarrat trat zwischen dem 2. Juni 1983 und dem 10. Februar 1984 mehrfach zusammen. Er schlug am 10. Februar 1984 mit drei gegen zwei Stimmen vor, gegen den Antragsteller die Disziplinarstrafe des Verweises zu verhängen. Die beiden Mitglieder des Disziplinarrats, die sich gegen eine solche Strafe gewandt hatten, sprachen sich für den Freispruch des beschuldigten Beamten aus.

6 Der Präsident des Europäischen Parlaments als Anstellungsbehörde hörte den Antragsteller am 8. März 1984 gemäß Artikel 7 Absatz 3 des Anhangs IX des Statuts.

7 Er beschloß am 16. März 1984, gegen den Antragsteller die Disziplinarstrafe der Entfernung aus dem Dienst ohne Kürzung oder Aberkennung der Ruhegehaltsansprüche zu verhängen.

8 Der Antragsteller legte am 21. März 1984 beim Präsidenten des Parlaments gemäß Artikel 90 Absatz 2 des Statuts eine Beschwerde gegen die Entscheidung vom 16. März 1984 über die Entfernung aus dem Dienst ein; diese Beschwerde wurde durch eine zusätzliche Beschwerde vom 11. April 1984 ergänzt.

9 Das Europäische Parlament erteilte dem Antragsteller am 10. April 1984 mit sehr grosser Mehrheit die Entlastung für das Haushaltsjahr 1981.

10 Der Präsident des Europäischen Parlaments beschloß am 24. Mai 1984 auf die bei ihm eingelegte anfängliche und zusätzliche Beschwerde, die Disziplinarstrafe der Entfernung aus dem Dienst in die Strafe der Rückstufung in die Besoldungsgruppe A 7, Dienstaltersstufe 6, umzuwandeln. Diese Entscheidung ist durch Bezugnahme auf die Begründung, die für die ursprüngliche Disziplinarstrafe der Entfernung aus dem Dienst gegeben worden war, begründet worden.

11 Am 4. Juni 1984

- legte der Antragsteller eine Beschwerde beim Präsidenten des Europäischen Parlaments ein und begründete diese damit, die einfache Begründung mittels Bezugnahme auf die ursprüngliche Entscheidung über die Entfernung aus dem Dienst sei nicht mehr angemessen, da das Europäische Parlament ihm inzwischen für das streitige Haushaltsjahr Entlastung erteilt und damit anerkannt habe, daß seine Rechnungsführung korrekt gewesen und nicht zu beanstanden sei;

- erhob der Antragsteller Klage beim Gerichtshof auf Aufhebung der vorerwähnten Entscheidung vom 24. Mai 1984 über die Einstufung in eine niedrigere Besoldungsgruppe;

- stellte der Antragsteller den Antrag, den Vollzug dieser Entscheidung durch einstweilige Anordnung bis zum Erlaß des Urteils des Gerichtshofes über die Klage auszusetzen.

12 Der Präsident der Dritten Kammer des Gerichtshofes ordnete durch Beschluß vom 3. Juli 1984 in der Rechtssache 141/84 R ( Slg. 1984, 2575 ) die Aussetzung des Vollzugs der Entscheidung vom 24. Mai 1984 bis zum Erlaß des Urteils an.

13 Der Präsident des Europäischen Parlaments wies die Beschwerde des Antragstellers vom 4. Juni 1984 durch Entscheidung vom 4. Juli 1984 zurück.

14 Der Gerichtshof entschied durch Urteil vom 20. Juni 1985 in der Rechtssache 141/84 ( Slg. 1985, 1951 ), daß das vom Disziplinarrat angewandte Verfahren mit einem wesentlichen Mangel ( Anhörung der Zeugen in Abwesenheit des Beschuldigten oder seines Verteidigers ) behaftet sei, und hob daher die Entscheidung der Anstellungsbehörde vom 24. Mai 1984 auf.

15 Der Präsident des Europäischen Parlaments übersandte dem Rechnungshof mit Schreiben vom 24. Juli 1985 das vom Haushaltskontrollausschuß des Parlaments formulierte Ersuchen um Abgabe einer neuen Stellungnahme dazu, wie das festgestellte Defizit in der Kasse der Abgeordneten im Haushaltsjahr 1982 am besten ausgeglichen werden könne.

16 Der Rechnungshof gab am 7. November 1985 seine Stellungnahme ab und sprach sich für die Verantwortlichkeit des Rechnungsführers und des Zahlstellenverwalters im Hinblick auf Artikel 70 der Haushaltsordnung aus.

17 Das Europäische Parlament lehnte durch Entscheidung vom 11. Juli 1986 die Entlastung des Antragstellers für das Haushaltsjahr 1982 "wegen der Differenz zwischen der Kasse und der allgemeinen Rechnungsführung in Höhe von 4 136 125 BFR" ab und ersuchte seinen Präsidenten, die zur Lösung des offenen Problems gebotenen Maßnahmen zu ergreifen.

18 Die Anstellungsbehörde wies den Antragsteller mit Schreiben vom 9. Dezember 1986 darauf hin, daß sie beabsichtige, das Disziplinarverfahren gegen ihn wiederzueröffnen.

19 Der Disziplinarrat wurde am 24. Juni 1987 auf der Grundlage des Berichts, der ihm am 13. April 1983 übermittelt worden war, erneut mit dieser Sache befasst.

20 Er empfahl dem Präsidenten des Europäischen Parlaments in seiner mit Gründen versehenen Stellungnahme vom 27. November 1987 einstimmig die Anwendung von Artikel 86 Absatz 2 Buchstabe e des Statuts ( Einstufung in eine niedrigere Besoldungsgruppe ), da einige der dem Antragsteller zur Last gelegten Verfehlungen begründet seien.

21 Der Präsident des Europäischen Parlaments beschloß durch Entscheidung vom 18. Januar 1988, die durch Schreiben vom selben Tage mitgeteilt wurde und am 1. Februar 1988 in Kraft treten sollte, die Rückstufung des Antragstellers von Besoldungsgruppe A 3, Dienstaltersstufe 8, in Besoldungsgruppe A 7, Dienstaltersstufe 6.

22 Der Antragsteller, der zuvor eine Beschwerde bei der Anstellungsbehörde im Sinne von Artikel 90 Absatz 2 des Statuts eingereicht hatte, hat am 10. Februar 1988 gemäß Artikel 91 Absatz 4 des Statuts Klage erhoben auf Aufhebung der vorerwähnten Entscheidung vom 18. Januar 1988 und den vorliegenden Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung gestellt, um die Aussetzung des Vollzugs dieser Entscheidung bis zum Erlaß der Entscheidung zur Hauptsache zu erwirken.

23 Nach Auffassung des Antragstellers ist die Voraussetzung der Dringlichkeit, die für die Aussetzung des Vollzugs einer Entscheidung notwendig sei, im vorliegenden Fall aus den gleichen Gründen erfuellt, über die im Beschluß des Gerichtshofes vom 3. Juli 1984 betreffend das vorangegangene Disziplinarverfahren entschieden worden sei. Die beträchtliche, sofortige Herabsetzung seiner Dienstbezuege, die die ihm gegenüber getroffene Entscheidung zur Folge hätte, zwänge ihn in Anbetracht seiner finanziellen Lage, zumindest eine der ihm gehörenden drei Wohnungen in kürzester Zeit zu verkaufen, um verschiedenen Verbindlichkeiten nachkommen zu können. Im Gegensatz dazu sei für den Antragsgegner der Vollzug seiner Entscheidung keineswegs dringlich. Denn wenn das Parlament mit der Eröffnung oder Wiedereröffnung des Disziplinarverfahrens nach dem vorerwähnten Urteil vom 20. Juni 1985 zwei Jahre habe warten können, könne es auch mit dem Vollzug der angegriffenen Entscheidung bis zum Abschluß des Verfahrens zur Hauptsache warten. Schließlich, so fügt der Antragsteller hinzu, verletze der Einkommensverlust infolge des Vollzugs der streitigen Entscheidung den Anspruch auf rechtliches Gehör, da er nicht mehr über hinreichende Mittel zur Begleichung der Kosten seiner Verteidigung verfüge.

24 Was das Vorliegen von Umständen angeht, die die Notwendigkeit der beantragten Anordnung glaubhaft machen, hebt der Antragsteller verschiedene Tatsachen hervor, die nach seiner Ansicht zumindest die Ernsthaftigkeit des eingeleiteten Verfahrens und die Stichhaltigkeit seiner Argumentation beweisen. Darunter nennt der Antragsteller

- erstens die Tatsache, daß das Disziplinarverfahren mit einer unangemessenen Verspätung eröffnet und betrieben worden sei;

- zweitens den Umstand, daß ihm das Europäische Parlament unter Berufung auf den Bericht seines Haushaltskontrollausschusses ( Bericht Saby ) am 10. April 1984 mit sehr grosser Mehrheit die Entlastung für das Haushaltsjahr 1981 erteilt habe;

- drittens die Tatsache, daß zumindest Anlaß bestehe, ernsthaft über die Verhältnismässigkeit zwischen der verhängten Strafe und den Vorwürfen, die ihm gemacht würden, nachzudenken.

25 Zur Voraussetzung der Dringlichkeit trägt das Europäische Parlament vor, daß ein rein finanzieller Schaden grundsätzlich nicht als nicht wiedergutzumachen oder auch nur kaum wiedergutzumachen angesehen werden könne, wenn ein späterer finanzieller Ausgleich möglich sei, wie der Gerichtshof wiederholt entschieden habe. Der Antragsteller habe, anders als im vorangegangenen Verfahren der einstweiligen Anordnung, keine besonderen Umstände dargelegt, die eine Abweichung von dieser Rechtsprechung rechtfertigten.

26 Zu dem Argument der angeblichen fehlenden Dringlichkeit für den Antragsgegner trägt das Europäische Parlament vor, es gehe nicht darum, ob der Antragsgegner noch länger warten könne, sondern darum, ob für den Antragsteller eine Dringlichkeit bestehe, die Aussetzung des Vollzugs der Maßnahme zu erwirken; dies habe der Antragsteller keineswegs dargetan. Die Dauer des Disziplinarverfahrens habe dem Antragsteller keinerlei Schaden zugefügt, sondern ihn im Gegenteil finanziell begünstigt, da seine Rückstufung erst am 1. Februar 1988 statt, wie ursprünglich vorgesehen, am 15. Juni 1984 wirksam werde. Das Europäische Parlament ist andererseits der Auffassung, daß die Aussetzung des Verfahrens ihm einen Schaden zufüge : Das Vorbringen des Antragstellers laufe darauf hinaus, jede Disziplinarstrafe mit finanziellen Folgen automatisch auszusetzen, was der Bedeutung und Wirksamkeit des Disziplinarverfahrens schaden könne.

27 Zum Vorliegen von Umständen, die die Notwendigkeit der beantragten Anordnung glaubhaft machen, stellt das Europäische Parlament lediglich klar,

- daß die angegriffene Entscheidung nicht verspätet ergangen sei;

- daß sich der Antragsteller nicht auf eine Entlastungsentscheidung zu seinen Gunsten berufen könne, soweit die Entlastung für die Zeiträume, die Gegenstand des Disziplinarverfahrens seien, ausdrücklich abgelehnt worden sei;

- daß der Bericht Saby weder vom Haushaltskontrollausschuß noch von der Vollversammlung genehmigt worden sei;

- daß das Verfahren unter Berücksichtigung der Vielschichtigkeit der Frage und der Schwere der gegenüber dem Antragsteller erhobenen Vorwürfe in angemessener Frist durchgeführt worden sei;

- daß das Verfahren weder mit einem wesentlichen Formfehler behaftet sei, noch daß bei ihm der Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt worden sei;

- daß der Beweis eines Ermessensmißbrauchs nicht erbracht worden sei;

- daß die Strafe im Verhältnis zur Schwere der Vorwürfe angemessen sei.

28 Es ist daran zu erinnern, daß gemäß Artikel 185 EWG-Vertrag Klagen beim Gerichtshof keine aufschiebende Wirkung haben. Der Gerichtshof kann jedoch, wenn er dies den Umständen nach für nötig hält, die Durchführung der angefochtenen Handlung aussetzen. Er kann auch alle sonstigen erforderlichen einstweiligen Anordnungen treffen.

29 Nach Artikel 83 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichtshofes setzen die Aussetzung des Vollzugs und der Erlaß einstweiliger Anordnungen voraus, daß Umstände vorliegen, aus denen sich die Dringlichkeit ergibt, und daß die Notwendigkeit dieser Anordnungen glaubhaft gemacht wird.

30 Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes ist die Frage der Dringlichkeit einer einstweiligen Anordnung im Sinne des Artikels 83 § 2 der Verfahrensordnung danach zu beurteilen, ob die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes erforderlich ist, um zu verhindern, daß dem Antragsteller ein schwerer und nicht wiedergutzumachender Schaden entsteht ( siehe z. B. Beschluß vom 6. Februar 1986 in der Rechtssache 310/85 R, Deufil GmbH & Co. KG/Kommission, Slg. 1986, 537 ).

31 Ein bloß finanzieller Schaden kann dann nicht als nicht wiedergutzumachen oder auch nur kaum wiedergutzumachen angesehen werden, wenn ein späterer finanzieller Ausgleich möglich ist, wie der Gerichtshof mehrfach entschieden hat ( Beschluß vom 17. September 1974 in der Rechtssache 62/74 R, Vellozzi/Kommission, Slg. 1974, 895; Beschluß vom 22. Mai 1980 in der Rechtssache 33/80 R, Albini/Rat und Kommission, Slg. 1980, 1671; Beschluß vom 3. Juli 1984 in der Rechtssache 141/84 R, De Compte/Kommission, Slg. 1984, 2575 ). Der Richter im Verfahren der einstweiligen Anordnung hat jedoch die Umstände des Einzelfalls zu prüfen. Hierbei hat er zu untersuchen, ob es Anhaltspunkte dafür gibt, daß der sofortige Vollzug der Entscheidung, auf die sich der Aussetzungsantrag bezieht, geeignet ist, dem Antragsteller irreversible Schäden zuzufügen, die auch dann nicht wiedergutgemacht werden könnten, wenn die Entscheidung aufgehoben werden sollte, oder die trotz ihrer vorläufigen Natur ausser Verhältnis zum Interesse des betreffenden Organs daran stuenden, daß seine Entscheidungen gemäß Artikel 185 EWG-Vertrag durchgeführt werden, auch wenn sie im Klagewege angefochten werden ( Beschluß vom 21. August 1980 in der Rechtssache 174/80 R, Reichardt/Kommission, Slg. 1980, 2665 ).

32 Die Tatsache, daß der Antragsteller bereits im vorangegangenen Verfahren der einstweiligen Anordnung durch den erwähnten Beschluß vom 3. Juli 1984 die Aussetzung des Vollzugs erwirkt hat, kann ihn nicht davon befreien, die Voraussetzungen für eine Ausnahme von dem in Artikel 185 EWG-Vertrag formulierten allgemeinen Prinzip nachzuweisen, da seit Erlaß dieses Beschlusses mehr als drei Jahre vergangen sind und die tatsächlichen und rechtlichen Umstände in der einen und der anderen Rechtssache nicht gleich sind.

33 Im vorliegenden Fall hat der Antragsteller zur Begründung seines Antrags auf einstweilige Anordnung ein Verzeichnis seiner finanziellen Belastungen vorgelegt, das er in der mündlichen Verhandlung über die einstweilige Anordnung geändert hat und mit dem er alle von ihm zu tragenden Kosten aufzeigt, ohne jedoch mehrere der darin aufgeführten Posten zu belegen.

34 Der Antragsteller hat nämlich dem Gerichtshof Bescheinigungen vorgelegt über ein hypothekarisches Darlehen der SA Caisse hypothécaire in Luxemburg mit einer monatlichen Tilgung von 50 000 BFR, über ein anderes Darlehen der Banque du crédit européen, dessen Monatsraten sich auf 18 303 BFR belaufen, und über eine Lohnforderungsabtretung in Höhe von 26 473 BFR; aber er hat weder die Entstehungsursache noch den Gegenstand dieser Darlehen erläutert. Er hat in der mündlichen Verhandlung Schriftstücke über verschiedene Kosten, z. B. für Miete, für Benzin und Unterhalt eines Wagens, sowie Verpflegungskosten vorgelegt.

35 Der Antragsteller hat praktisch keinen Nachweis über seine finanzielle Gesamtsituation erbracht; er hat dem Gerichtshof vor allem weder den Wert der ihm gehörenden Wohnungen in Nizza, Cagnes-sur-Mer und Conflans-Jarny noch das Einkommen, das er daraus beziehen konnte, nachgewiesen, sondern sich insoweit auf allgemeine Behauptungen beschränkt, ohne diese durch Beweise zu belegen.

36 Da es dem Antragsteller nicht gelungen ist, die in Artikel 83 § 2 der Verfahrensordnung geforderte Dringlichkeit darzulegen, braucht nicht geprüft zu werden, ob die Notwendigkeit der beantragten Anordnung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht glaubhaft gemacht worden ist.

37 Der Antrag auf einstweilige Anordnung ist daher zurückzuweisen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

der Präsident der Vierten Kammer

im Verfahren der einstweiligen Anordnung

nach Anhörung des Generalanwalts

beschlossen :

1 ) Der Antrag auf einstweilige Anordnung wird zurückgewiesen.

2 ) Die Kostenentscheidung bleibt vorbehalten.

Luxemburg, den 16. März 1988.

Ende der Entscheidung

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