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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 13.07.1989
Aktenzeichen: 5/88
Rechtsgebiete: EWGV, VO Nr. 804/68/EWG, VO Nr. 1371/84/EWG


Vorschriften:

EWGV Art. 177
VO Nr. 857/84/EWG Art. 12
VO Nr. 857/84/EWG Art. 5c
VO Nr. 1371/84/EWG Art. 5 Nr. 3
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Der Begriff "Betrieb" im Sinne von Artikel 12 Buchstabe d der Verordnung Nr. 857/84, die die Erhebung der zusätzlichen Abgabe für Milch betrifft, umfasst eine verpachtete Gesamtheit landwirtschaftlicher Produktionseinheiten auch dann, wenn zu dieser Gesamtheit, so wie sie verpachtet worden war, weder Milchkühe noch die zur Milcherzeugung erforderlichen technischen Anlagen gehörten und der Pachtvertrag keine Verpflichtung des Pächters zur Milcherzeugung vorsah.

2. Die vom Gerichtshof anerkannten Grundrechte können keine uneingeschränkte Geltung beanspruchen, sondern sind im Zusammenhang mit ihrer gesellschaftlichen Funktion zu sehen. Daher kann die Ausübung dieser Rechte, insbesondere im Rahmen einer gemeinsamen Marktorganisation, Beschränkungen unterworfen werden, sofern diese tatsächlich dem Gemeinwohl dienenden Zielen der Gemeinschaft entsprechen und nicht einen im Hinblick auf den verfolgten Zweck unverhältnismässigen, nicht tragbaren Eingriff darstellen, der diese Rechte in ihrem Wesensgehalt antastet.

Unter Berücksichtigung dieser Kriterien wäre eine gemeinschaftsrechtliche Regelung, die dazu führen würde, daß der Pächter nach Ablauf des Pachtverhältnisses entschädigungslos um die Früchte seiner Arbeit und der von ihm in dem verpachteten Betrieb vorgenommenen Investitionen gebracht würde, mit den Erfordernissen des Grundrechtsschutzes in der Gemeinschaftsrechtsordnung unvereinbar. Auch die Mitgliedstaaten haben diese Erfordernisse bei der Durchführung einer gemeinschaftsrechtlichen Regelung zu beachten.

Hinsichtlich der Frage, ob bei Verpachtung eines Betriebs die auf diesen entfallenden Referenzmengen, die von der zusätzlichen Abgabe für Milch befreit sind, nach Ablauf des Pachtverhältnisses an den Pächter übergehen, lässt die Verordnung Nr. 857/84 den zuständigen nationalen Behörden einen Ermessensspielraum, der weit genug ist, um ihnen die Anwendung dieser Verordnung in einer mit den Erfordernissen des Grundrechtsschutzes in Einklang stehenden Weise zu ermöglichen, indem sie dem Pächter entweder die Möglichkeit geben, die Referenzmenge ganz oder zum Teil zu behalten, wenn er die Milcherzeugung fortsetzen will, oder ihm eine Entschädigung gewähren, wenn er sich zur endgültigen Aufgabe der Milcherzeugung verpflichtet.

3. Artikel 5 Nr. 3 der Verordnung Nr. 1371/84, der im Rahmen der Regelung über die zusätzliche Abgabe für Milch den Übergang der von dieser Abgabe befreiten Referenzmengen im Fall der Übertragung des Eigentums oder des Besitzes an dem Betrieb betrifft, ist dahin gehend auszulegen, daß er für die Rückgewähr einer verpachteten Gesamtheit landwirtschaftlicher Produktionseinheiten nach Ablauf des Pachtverhältnisses auch dann gilt, wenn zu dieser Gesamtheit, so wie sie verpachtet worden war, weder Milchkühe noch die zur Milcherzeugung erforderlichen technischen Anlagen gehörten und der Pachtvertrag keine Verpflichtung des Pächters zur Milcherzeugung vorsah.


URTEIL DES GERICHTSHOFES (DRITTE KAMMER) VOM 13. JULI 1989. - HUBERT WACHAUF GEGEN BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: VERWALTUNGSGERICHT FRANKFURT AM MAIN - DEUTSCHLAND. - LANDWIRTSCHAFT - ZUSAETZLICHE ABGABE AUF MILCH. - RECHTSSACHE 5/88.

Entscheidungsgründe:

1 Das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main hat mit Beschluß vom 17. Dezember 1987, beim Gerichtshof eingegangen am 8. Januar 1988, gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag zwei Fragen nach der Auslegung von Artikel 12 Buchstabe d der Verordnung Nr. 857/84 des Rates vom 31. März 1984 über Grundregeln für die Anwendung der Abgabe gemäß Artikel 5 c der Verordnung Nr. 804/68 im Sektor Milch und Milcherzeugnisse ( ABl. L 90, S. 13 ) und von Artikel 5 Nr. 3 der Verordnung Nr. 1371/84 der Kommission vom 16. Mai 1984 mit den Durchführungsbestimmungen für die Zusatzabgabe nach Artikel 5 c der Verordnung Nr. 804/68 ( ABl. L 132, S. 11 ) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Die Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen dem Landwirt Hubert Wachauf ( im folgenden : der Landwirt ) und dem Bundesamt für Ernährung und Forstwirtschaft ( im folgenden : das Bundesamt ). Ersterer bewirtschaftete einen von ihm gepachteten Bauernhof. Nach Beendigung des Pachtverhältnisses beantragte er eine Vergütung für die endgültige Aufgabe der Milcherzeugung nach dem Gesetz über die Gewährung einer Vergütung für die Aufgabe der Milcherzeugung für den Markt vom 17. Juli 1984 und der dazu erlassenen Durchführungsverordnung vom 20. Juli 1984. Diese aufgrund einer Ermächtigung in Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe a der Verordnung Nr. 857/84 ergangenen Rechtsakte sehen im wesentlichen vor, daß Personen, die Milcherzeuger im Sinne des Artikels 12 Buchstabe c der Verordnung Nr. 857/84 sind, auf Antrag eine Vergütung gewährt werden kann, wenn sie sich verpflichten, binnen sechs Monaten nach Bewilligung der Vergütung die Milcherzeugung endgültig aufzugeben. Ausserdem muß der Antragsteller, wenn er Pächter eines Betriebs im Sinne von Artikel 12 Buchstabe d der Verordnung Nr. 857/84 ist, die schriftliche Einwilligung des Verpächters beifügen.

3 Aufgrund der letztgenannten Regelung verweigerte das Bundesamt dem Landwirt die beantragte Vergütung, nachdem die Verpächterin des fraglichen Bauernhofs die ursprünglich von ihr erteilte Einwilligungserklärung widerrufen hatte.

4 Gegen diese Entscheidung des Bundesamts erhob der Landwirt Klage beim Verwaltungsgericht Frankfurt am Main. Dieses hegt Zweifel, ob der Kläger überhaupt Pächter eines Betriebs im Sinne von Artikel 12 Buchstabe d der Verordnung Nr. 857/84 ist, da die Verpächterin des Bauernhofs auf dem verpachteten Hof niemals selbst Milchwirtschaft betrieben habe und ausserdem die essentiellen Bestandteile eines Milcherzeugungsbetriebs, nämlich das Milchvieh und die zur Milcherzeugung erforderlichen technischen Einrichtungen stets im Eigentum des Pächters gestanden hätten. Für den Fall, daß ein solcher Hof dennoch als "Betrieb" anzusehen sein sollte, fragt das vorlegende Gericht, ob Artikel 5 Nr. 3 der Verordnung Nr. 1371/84 auch für die Rückgewähr eines verpachteten Bauernhofs gilt.

5 Vor diesem Hintergrund hat das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt :

"a ) Ist eine Gesamtheit landwirtschaftlicher Produktionseinheiten, zu denen weder Milchkühe noch die ausschließlich zur Milcherzeugung erforderlichen technischen Einrichtungen ( z. B. Melkanlagen ) gehören, ein Betrieb im Sinne des Artikels 12 Buchstabe d der Verordnung ( EWG ) Nr. 857/84 des Rates vom 31. März 1984 ( ABl. L 90 vom 1. 4. 1984, S. 13 )?

b ) Ist die Rückgewähr einer Pachtsache nach Ablauf des Pachtverhältnisses ein hinsichtlich der rechtlichen Folgen vergleichbarer Fall im Sinne des Artikels 5 Nr. 3 der Verordnung ( EWG ) Nr. 1371/84 der Kommission vom 16. Mai 1984 ( ABl. L 132 vom 18. 5. 1984 S. 11 ), wenn es sich bei der Pachtsache um einen landwirtschaftlichen Betrieb ohne Milchkühe und ohne die ausschließlich zur Milcherzeugung erforderlichen Anlagen ( z. B. Melkanlagen ) handelt und wenn der Pachtvertrag keine Verpflichtung des Pächters zur Milcherzeugung vorsah?"

6 Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts des Ausgangsverfahrens, der fraglichen gemeinschaftsrechtlichen und innerstaatlichen Vorschriften sowie des Verfahrensablaufs und der beim Gerichtshof eingereichten Erklärungen wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt wird im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

Zur ersten Frage

7 Unter Berücksichtigung des Sachverhalts des Ausgangsverfahrens ist die erste Frage so zu verstehen, daß das vorlegende Gericht wissen will, ob der Begriff "Betrieb" im Sinne von Artikel 12 Buchstabe d der Verordnung Nr. 857/84 des Rates eine verpachtete Gesamtheit landwirtschaftlicher Produktionseinheiten auch dann umfasst, wenn zu dieser Gesamtheit, so wie sie verpachtet worden war, weder Milchkühe noch die zur Milcherzeugung erforderlichen technischen Anlagen gehörten und der Pachtvertrag keine Verpflichtung des Pächters zur Milcherzeugung vorsah.

8 Der Begriff "Betrieb" ist in Artikel 12 Buchstabe d der Verordnung Nr. 857/84 definiert als "die im geographischen Gebiet der Gemeinschaft gelegene Gesamtheit der vom Erzeuger bewirtschafteten Produktionseinheiten ".

9 Schon dem Wortlaut dieser Vorschrift lässt sich entnehmen, daß sie sich auf alle Gesamtheiten von Produktionseinheiten bezieht, die zwei Voraussetzungen erfuellen, nämlich daß sie von einem Erzeuger bewirtschaftet werden, d. h. von einer Person, die Milch oder andere Milcherzeugnisse unmittelbar an den Verbraucher verkauft oder an den Käufer liefert ( Artikel 12 Buchstabe c der Verordnung Nr. 857/84 ), und daß sie im geographischen Gebiet der Gemeinschaft liegen. Der Begriff des Betriebs setzt hingegen weder voraus, daß das Milchvieh und die zur Milcherzeugung erforderlichen technischen Anlagen im Falle der Verpachtung der fraglichen Produktionseinheiten vom Verpächter gestellt worden sind noch daß diese Produktionseinheiten aufgrund des Pachtvertrags eigens zur Milcherzeugung bestimmt sind.

10 Die Richtigkeit dieser auf den Wortlaut des Artikels 12 Buchstabe d der Verordnung Nr. 857/84 gestützten Auslegung wird durch den Zweck dieser Vorschrift bestätigt. Artikel 12 Buchstabe d dient nämlich, worauf das Vereinigte Königreich und die Kommission zu Recht hingewiesen haben, der Festlegung des Anwendungsbereichs der Vorschriften über die Übertragung der Referenzmenge bei einem Wechsel des Eigentums oder des Besitzes an dem Betrieb. Daher würde eine enge Auslegung dieser Vorschrift, die dahin ginge, daß nur eine zur Milcherzeugung besonders geeignete oder besonders bestimmte Gesamtheit von landwirtschaftlichen Produktionseinheiten erfasst würde, dazu führen, daß zahlreiche Bauernhöfe, insbesondere die sogenannten "Mischbetriebe", in denen neben Milchwirtschaft auch Ackerbau oder andere Formen der Landwirtschaft betrieben werden, vom Anwendungsbereich der genannten Übertragungsvorschriften ausgeschlossen wären. Ein solcher Ausschluß würde aber die praktische Wirksamkeit dieser Vorschriften beeinträchtigen.

11 Auf die erste Frage ist daher zu antworten, daß der Begriff "Betrieb" im Sinne von Artikel 12 Buchstabe d der Verordnung Nr. 857/84 des Rates vom 31. März 1984 eine verpachtete Gesamtheit landwirtschaftlicher Produktionseinheiten auch dann umfasst, wenn zu dieser Gesamtheit, so wie sie verpachtet worden war, weder Milchkühe noch die zur Milcherzeugung erforderlichen technischen Anlagen gehörten und der Pachtvertrag keine Verpflichtung des Pächters zur Milcherzeugung vorsah.

Zur zweiten Frage

12 Die zweite Frage geht dahin, ob Artikel 5 Nr. 3 der Verordnung Nr. 1371/84 dahin gehend auszulegen ist, daß er für die Rückgewähr einer verpachteten Gesamtheit landwirtschaftlicher Produktionseinheiten nach Ablauf des Pachtverhältnisses auch dann gilt, wenn zu dieser Gesamtheit, so wie sie verpachtet worden war, weder Milchkühe noch die zur Milcherzeugung erforderlichen technischen Anlagen gehörten und der Pachtvertrag keine Verpflichtung des Pächters zur Milcherzeugung vorsah.

13 Nach Artikel 7 Absatz 1 der Verordnung Nr. 857/84 in der durch die Verordnung Nr. 590/85 des Rates vom 26. Februar 1985 ( ABl. L 68, S. 1 ) geänderten Fassung wird "im Falle des Verkaufs, der Verpachtung oder der Übertragung eines Betriebs in Erbfolge... die entsprechende Referenzmenge (( d. h. die von der zusätzlichen Abgabe befreite Menge )) nach festzulegenden Modalitäten ganz oder teilweise auf den Käufer, Pächter oder Erben übertragen ". Jedoch können nach Artikel 7 Absatz 4 "für auslaufende Pachtverträge, bei denen der Pächter keinen Anspruch auf Vertragsverlängerung unter entsprechenden Bedingungen hat,... die Mitgliedstaaten vorsehen, daß die auf den Betrieb bzw. den gepachteten Teil des Betriebs entfallende Referenzmenge ganz oder zum Teil dem ausscheidenden Pächter gutgeschrieben wird, sofern er die Milcherzeugung fortsetzen will ". Eine Gesamtbetrachtung der angeführten Vorschriften lässt erkennen, daß der Gemeinschaftsgesetzgeber die Referenzmenge - vorbehaltlich der Befugnis der Mitgliedstaaten, diese ganz oder zum Teil dem ausscheidenden Pächter zuzuteilen - nach Ablauf des Pachtverhältnisses grundsätzlich dem Verpächter zukommen lassen wollte, der wieder die Verfügungsgewalt über den Betrieb erlangt.

14 Artikel 5 der Verordnung Nr. 1371/84 der Kommission regelt die Einzelheiten der Übertragung der Referenzmengen nach einem Wechsel des Eigentums oder des Besitzes an dem Betrieb. Artikel 5 Nr. 1 bestimmt zu diesem Zweck, daß "im Falle des Verkaufs, der Verpachtung oder der Vererbung des gesamten Betriebes... die entsprechende Referenzmenge voll auf den den Betrieb übernehmenden Erzeuger übertragen" wird. Nach Artikel 5 Nr. 3 gilt die Nummer 1 "sinngemäß auch für andere Übergangsfälle, die nach den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften vergleichbare rechtliche Folgen für die Erzeuger mit sich bringen ".

15 Die Rückgewähr eines verpachteten Betriebs nach Ablauf des Pachtverhältnisses bringt Rechtsfolgen mit sich, die im Sinne von Artikel 5 Nr. 3 der Verordnung Nr. 1371/84 denen der Übertragung dieses Betriebs bei der Begründung des Pachtverhältnisses vergleichbar sind; denn mit beiden Vorgängen ist ein Wechsel des Besitzes an den fraglichen Produktionseinheiten im Rahmen der durch den Pachtvertrag begründeten vertraglichen Beziehungen verbunden. Daher stellt die Rückgewähr einer verpachteten Gesamtheit landwirtschaftlicher Produktionseinheiten nach Ablauf des Pachtverhältnisses einen Anwendungsfall des Artikels 5 Nr. 3 der Verordnung Nr. 1371/84 dar, soweit die Übertragung dieser Gesamtheit bei der Begründung des Pachtverhältnisses unter Artikel 5 Nr. 1 fällt. Dies ist dann der Fall, wenn es sich um einen Betrieb im Sinne von Artikel 12 Buchstabe d der Verordnung Nr. 857/84 in der in der Antwort auf die erste Frage gegebenen Auslegung handelt.

16 Im Vorlagebeschluß führt das Verwaltungsgericht aus, wenn die fragliche Regelung dahin gehend auszulegen sein sollte, daß sie den Übergang der Referenzmenge auf den Verpächter vorsehe, so würde dies dazu führen, daß der Pächter nicht in den Genuß der Regelung über die Vergütung wegen Aufgabe der Milcherzeugung komme, sofern der Verpächter sich widersetze. Eine solche Folge wäre aber, wenn der Verpächter, wie im vorliegenden Fall, nie Milch erzeugt und nie einen Beitrag zum Aufbau eines Milcherzeugungsbetriebs geleistet habe, nicht vertretbar, weil dann der Pächter, der sich die Referenzmenge erarbeitet habe, unter Verstoß gegen verfassungsrechtliche Garantien entschädigungslos um die Früchte seiner Arbeit gebracht würde.

17 Nach ständiger Rechtsprechung, insbesondere nach dem Urteil vom 13. Dezember 1979 in der Rechtssache 44/79 ( Hauer, Slg. 1979, 3727 ), gehören die Grundrechte zu den allgemeinen Rechtsgrundsätzen, die der Gerichtshof zu wahren hat. Bei der Gewährleistung dieser Rechte hat der Gerichtshof von den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten auszugehen, so daß in der Gemeinschaft keine Maßnahmen als Rechtens anerkannt werden können, die mit den von den Verfassungen dieser Staaten geschützten Grundrechten unvereinbar sind. Auch die völkerrechtlichen Verträge über den Schutz der Menschenrechte, an deren Abschluß die Mitgliedstaaten beteiligt waren oder denen sie beigetreten sind, können Hinweise geben, die im Rahmen des Gemeinschaftsrechts zu berücksichtigen sind.

18 Die vom Gerichtshof anerkannten Grundrechte können jedoch keine uneingeschränkte Geltung beanspruchen, sondern sind im Zusammenhang mit ihrer gesellschaftlichen Funktion zu sehen. Daher kann die Ausübung dieser Rechte, insbesondere im Rahmen einer gemeinsamen Marktorganisation, Beschränkungen unterworfen werden, sofern diese tatsächlich dem Gemeinwohl dienenden Zielen der Gemeinschaft entsprechen und nicht einen im Hinblick auf den verfolgten Zweck unverhältnismässigen, nicht tragbaren Eingriff darstellen, der diese Rechte in ihrem Wesensgehalt antastet.

19 Unter Berücksichtigung dieser Kriterien ist festzustellen, daß eine gemeinschaftsrechtliche Regelung, die dazu führen würde, daß der Pächter nach Ablauf des Pachtverhältnisses entschädigungslos um die Früchte seiner Arbeit und der von ihm in dem verpachteten Betrieb vorgenommenen Investitionen gebracht würde, mit den Erfordernissen des Grundrechtsschutzes in der Gemeinschaftsrechtsordnung unvereinbar wäre. Da auch die Mitgliedstaaten diese Erfordernisse bei der Durchführung der gemeinschaftsrechtlichen Regelungen zu beachten haben, müssen sie diese, soweit irgend möglich, in Übereinstimmung mit diesen Erfordernissen anwenden.

20 Im vorliegenden Fall ergibt sich zum einen aus Artikel 7 Absatz 4 der Verordnung Nr. 857/84 in ihrer geänderten Fassung, daß die Mitgliedstaaten für auslaufende Pachtverträge ohne Verlängerungsmöglichkeit vorsehen können, daß die Referenzmenge ganz oder zum Teil dem Pächter erhalten bleibt, wenn er die Milcherzeugung fortsetzen will. Zum anderen ergibt sich aus Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe a der Verordnung Nr. 857/84, daß die Mitgliedstaaten zur erfolgreichen Umstrukturierung der Milcherzeugung Erzeugern, die sich zur endgültigen Aufgabe der Milcherzeugung verpflichten, eine Vergütung gewähren können. Zwar folgt aus einer Gesamtbetrachtung dieser Vorschrift und des Artikels 4 Absatz 2 derselben Verordnung, wonach die so freigesetzten Referenzmengen erforderlichenfalls der nationalen Reserve hinzugefügt werden, daß die auf den Betrieb entfallende Referenzmenge bei der Gewährung der Vergütung nicht berücksichtigt werden kann, soweit sie dem Verpächter zufällt.

21 Dies schließt jedoch nicht aus, daß der ausscheidende Pächter eine auf der Grundlage der Gesamtheit oder eines Teils der fraglichen Referenzmenge berechnete Vergütung erhalten kann, wenn der Umfang seines Beitrags zum Aufbau der Milchwirtschaft in dem Betrieb dies rechtfertigt. In diesem Fall ist die bei der Berechnung der Vergütung zugrunde gelegte Menge als freigesetzte Menge anzusehen und kann daher nicht dem Verpächter gutgeschrieben werden, der den Betrieb wieder übernimmt.

22 Die fragliche gemeinschaftsrechtliche Regelung lässt den zuständigen nationalen Behörden somit einen Ermessensspielraum, der weit genug ist, um ihnen die Anwendung dieser Regelung in einer mit den Erfordernissen des Grundrechtsschutzes im Einklang stehenden Weise zu ermöglichen, indem sie dem Pächter entweder die Möglichkeit geben, die Referenzmenge ganz oder zum Teil zu behalten, wenn er die Milcherzeugung fortsetzen will, oder ihm eine Entschädigung gewähren, wenn er sich zur endgültigen Aufgabe der Milcherzeugung verpflichtet.

23 Es besteht somit kein Widerspruch zwischen der fraglichen Regelung und den Erfordernissen des Grundrechtsschutzes in der Gemeinschaftsrechtsordnung.

24 Nach alledem ist auf die zweite Frage zu antworten, daß Artikel 5 Nr. 3 der Verordnung Nr. 1371/84 der Kommission vom 16. Mai 1984 dahin gehend auszulegen ist, daß er für die Rückgewähr einer verpachteten Gesamtheit landwirtschaftlicher Produktionseinheiten nach Ablauf des Pachtverhältnisses auch dann gilt, wenn zu dieser Gesamtheit, so wie sie verpachtet worden war, weder Milchkühe noch die zur Milcherzeugung erforderlichen technischen Anlagen gehörten und der Pachtvertrag keine Verpflichtung des Pächters zur Milcherzeugung vorsah.

Kostenentscheidung:

Kosten

25 Die Auslagen des Vereinigten Königreichs und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die Erklärungen vor dem Gerichtshof abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF ( Dritte Kammer )

auf die ihm vom Verwaltungsgericht Frankfurt am Main mit Beschluß vom 17. Dezember 1987 vorgelegten Fragen für Recht erkannt :

1 ) Der Begriff "Betrieb" im Sinne von Artikel 12 Buchstabe d der Verordnung Nr. 857/84 des Rates vom 31. März 1984 umfasst eine verpachtete Gesamtheit landwirtschaftlicher Produktionseinheiten auch dann, wenn zu dieser Gesamtheit, so wie sie verpachtet worden war, weder Milchkühe noch die zur Milcherzeugung erforderlichen technischen Anlagen gehörten und der Pachtvertrag keine Verpflichtung des Pächters zur Milcherzeugung vorsah.

2 ) Artikel 5 Nr. 3 der Verordnung Nr. 1371/84 der Kommission vom 16. Mai 1984 ist dahin gehend auszulegen, daß er für die Rückgewähr einer verpachteten Gesamtheit landwirtschaftlicher Produktionseinheiten nach Ablauf des Pachtverhältnisses auch dann gilt, wenn zu dieser Gesamtheit, so wie sie verpachtet worden war, weder Milchkühe noch die zur Milcherzeugung erforderlichen technischen Anlagen gehörten und der Pachtvertrag keine Verpflichtung des Pächters zur Milcherzeugung vorsah.

Ende der Entscheidung

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