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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 17.05.1988
Aktenzeichen: 84/87
Rechtsgebiete: Verordnung 857/84/EWG, EWGV


Vorschriften:

Verordnung 857/84/EWG Art. 2 Abs. 1
Verordnung 857/84/EWG Art. 3
Verordnung 857/84/EWG Art. 4
Verordnung 857/84/EWG Art. 4a
Verordnung 857/84/EWG Art. 5c
EWGV Art. 40 Abs. 3
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Zwar kann der Eintritt eines Falls von höherer Gewalt dazu führen, daß dem betroffenen Wirtschaftsteilnehmer bestimmte Folgen erspart bleiben, die die einschlägigen Rechtsvorschriften daran knüpfen, daß ein Tatbestand nicht verwirklicht oder eine Verpflichtung nicht eingehalten wurde; er kann jedoch diesem Wirtschaftsteilnehmer keinesfalls ein Recht verleihen, das in jenen Vorschriften nicht vorgesehen ist.

2. Die Verordnung Nr. 857/84 des Rates, ergänzt durch die Verordnung Nr. 1371/84 der Kommission, schließt es aus, daß ein Erzeuger, dessen Milcherzeugung während des gesamten Zeitraums 1981-1983 von einem aussergewöhnlichen Ereignis nachhaltig betroffen wurde, die Berücksichtigung der Milch - oder Milchäquivalenzmenge, die er in einem vor 1981 liegenden Jahr geliefert hat, oder einer theoretischen Menge erwirken kann, die im Wege der Extrapolation auf der Grundlage der normalen Entwicklung seiner Lieferungen während eines bestimmten, dem Eintreten des in Rede stehenden aussergewöhnlichen Ereignisses vorausgegangenen Zeitraums errechnet würde.

3. Das System der zusätzlichen Abgabe für Milch zielt darauf ab, auf dem durch strukturelle Überschüsse gekennzeichneten Milchmarkt mittels einer Beschränkung der Milcherzeugung das Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage wiederherzustellen. Es hält sich im Rahmen der Ziele, die Milcherzeugung zu rationalisieren und für die betroffene landwirtschaftliche Bevölkerung durch einen Beitrag zur Stabilisierung ihres Einkommens eine angemessene Lebenshaltung aufrechtzuerhalten. Es verkennt daher nicht die in Artikel 39 Absatz 1 Buchstaben a und b EWG-Vertrag niedergelegten Ziele der Gemeinsamen Agrarpolitik.

4. Angesichts des weiten Ermessens in bezug auf Art und Tragweite der zu treffenden Maßnahmen, das dem Gesetzgeber der Gemeinschaft bei der Durchführung der Gemeinsamen Agrarpolitik eingeräumt wurde, lässt sich nicht feststellen, daß das System der zusätzlichen Abgabe für Milch den Erzeugern, deren Milcherzeugung während des von dem Mitgliedstaat, in dem sie ansässig sind, gewählten Referenzjahres infolge eines aussergewöhnlichen Ereignisses nachhaltig zurückgegangen ist, Belastungen auferlegte, die in einem Mißverhältnis zu den angestrebten Zielen stuenden. Der Lage dieser Erzeuger ist unter Beachtung der zwingenden Erfordernisse der Rechtssicherheit und der Wirksamkeit des Systems der zusätzlichen Abgabe gebührend Rechnung getragen worden. So können sie zum einen ein Referenzjahr innerhalb des Zeitraums 1981-1983 wählen, zum anderen können ihnen die Mitgliedstaaten unter bestimmten Voraussetzungen nicht genutzte Referenzmengen neu zuteilen.

5. Artikel 40 Absatz 3 EWG-Vertrag als spezifischer Ausdruck des allgemeinen Gleichheitssatzes untersagt es, vergleichbare Sachverhalte unterschiedlich zu behandeln, es sei denn, daß eine Differenzierung objektiv gerechtfertigt wäre. Daher kann eine Verletzung dieser Bestimmung nicht in der Tatsache erblickt werden, daß die Regelung über die zusätzliche Abgabe für Milch Erzeuger, deren Milcherzeugung während des gesamten Zeitraums 1981-1983 nachhaltig zurückgegangen ist, stärker belastet als solche, die für diesen Zeitraum eine repräsentative Erzeugung aufweisen können, denn diese unterschiedliche Behandlung ist objektiv durch die Notwendigkeit gerechtfertigt, im Interesse sowohl der Rechtssicherheit als auch der Wirksamkeit der Rechtsvorschriften über die zusätzliche Abgabe die Zahl der als Referenzjahre in Betracht kommenden Jahre zu beschränken.


URTEIL DES GERICHTSHOFES (FUENFTE KAMMER) VOM 17. MAI 1988. - MARCEL ERPELDING GEGEN SECRETAIRE D'ETAT A L'AGRICULTURE ET A LA VITICULTURE. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG, VORGELEGT VOM CONSEIL D'ETAT - GROSSHERZOGTUM LUXEMBURG. - ERGAENZUNGSABGABE AUF MILCH. - RECHTSSACHE 84/87.

Entscheidungsgründe:

1 Der Conseil d' État des Großherzogtums Luxemburg hat mit Urteil vom 10. März 1987, beim Gerichtshof eingegangen am 20. März 1987, gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag zwei Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt; sie betreffen Auslegung und Gültigkeit der Verordnung Nr. 857/84 des Rates vom 31. März 1984 über die Grundregeln für die Anwendung der Abgabe gemäß Artikel 5 c der Verordnung Nr. 804/68 im Sektor Milch und Milcherzeugnisse ( ABl. L 90, S. 13 ), ergänzt durch die Verordnung Nr. 1371/84 der Kommission vom 16. Mai 1984 mit den Durchführungsbestimmungen für die Zusatzabgabe nach Artikel 5 c der Verordnung Nr. 804/68 ( ABl. L 132, S. 11 ).

2 Diese Fragen stellen sich im Rahmen einer Nichtigkeitsklage, die Herr Erpelding, Landwirt, gegen eine Entscheidung des Secrétaire d' État à l' agriculture et à la viticulture ( Statssekretär für Landwirtschaft und Weinbau ) des Großherzogtums Luxemburg erhoben hat, mit der dem Kläger eine zusätzliche individuelle Milchreferenzmenge zugeteilt wurde.

3 Aus den Akten geht hervor, daß Herr Erpelding die Milcherzeugung seines Betriebs seit 1975 regelmässig gesteigert hatte, so daß sie sich von 145 093 kg im Jahre 1975 auf 178 969 kg im Jahre 1979 erhöhte. Ab 1980 verringerte sie sich jedoch, und zwar von 139 969 kg im Jahre 1980 auf 84 567 kg im Jahre 1982. Dieser Rückgang war darauf zurückzuführen, daß die Milchkühe von Herrn Erpelding von einer chronischen Euterentzuendung befallen waren, deren Ursache erst Anfang 1983 ermittelt werden konnte. Die Milcherzeugung des Betriebs wurde Ende 1983 erneut gebremst, und zwar durch eine kanadische Grippe, von der ein Teil der Kühe von Herrn Erpelding befallen wurde. Erst seit 1985 stieg die Milcherzeugung des Betriebs wieder an, um im Laufe jenes Jahres ungefähr 160 000 kg zu erreichen.

4 Im Hinblick auf diese Vorgänge forderte Herr Erpelding den Staatssekretär für Landwirtschaft und Weinbau auf, ihm eine zusätzliche individuelle Milchreferenzmenge zuzuteilen; er beantragte insoweit die Berücksichtigung einer theoretischen, aufgrund der normalen Entwicklung seiner Erzeugung von 1975 bis 1979 im Wege der Extrapolation zu errechnenden Referenzmenge. Mit Entscheidung vom 28. Januar 1985 teilte der Staatssekretär für Landwirtschaft und Weinbau Herrn Erpelding zu seiner individuellen Referenzmenge eine zusätzliche Menge in Höhe von 1 779 kg Milch zu; diese Zahl entspricht der Differenz zwischen der Erzeugung von 1981 und der von 1983.

5 Mit seiner vor dem Conseil d' État des Großherzogtums Luxemburg erhobenen Klage beantragt Herr Erpelding die Nichtigerklärung dieser Entscheidung, soweit ihm mit ihr die Zuteilung einer aufgrund seiner Milcherzeugung während des Zeitraums 1975-1979 berechneten zusätzlichen Menge verweigert wird.

6 Da der Conseil d' État der Ansicht ist, daß die Entscheidung des Rechtsstreits von Auslegung und Gültigkeit der Rechtsvorschriften der Gemeinschaft über die zusätzliche Abgabe für Milch abhängt, hat er das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt :

" Ist es gemäß Artikel 3 Nr. 3 der Verordnung ( EWG ) Nr. 857/84 des Rates vom 31. März 1984 und Artikel 3 der Verordnung ( EWG ) Nr. 1371/84 der Kommission vom 16. Mai 1984 - wonach bei einem Erzeuger, dessen Milcherzeugung in dem nach Artikel 2 der Verordnung Nr. 857/84 gewählten Referenzjahr von aussergewöhnlichen, vor oder in diesem Jahr eingetretenen Ereignissen nachhaltig betroffen wurde, auf Antrag ein anderes Kalenderreferenzjahr innerhalb des Zeitraums 1981-1983 berücksichtigt werden kann - ausgeschlossen, aus Gründen der Billigkeit und der Nichtdiskriminierung zwischen Erzeugern die Erzeugung eines vor 1981 liegenden Jahres oder eine theoretische Erzeugung zu berücksichtigen, die im Wege der Extrapolation aufgrund der normalen Entwicklung der Milcherzeugung des betroffenen Erzeugers während eines vor dem Eintritt des Schadens bei diesem Erzeuger liegenden Zeitraums zu errechnen wäre, wenn dessen Erzeugung infolge eines aussergewöhnlichen Ereignisses und ohne sein Verschulden während des gesamten Zeitraums 1981-1983 nachhaltig zurückgegangen war?

Falls die erste Frage... zu bejahen ist :

Sind Artikel 3 Nr. 3 der Verordnung ( EWG ) Nr. 857/84 und Artikel 3 der Verordnung ( EWG ) Nr. 1371/84 mit Artikel 39 Buchstaben a und b des Vertrages von Rom - der die Rationalisierung der landwirtschaftlichen Erzeugung und den bestmöglichen Einsatz der Produktionsfaktoren, insbesondere der Arbeitskräfte, sichert sowie der landwirtschaftlichen Bevölkerung, insbesondere durch Erhöhung des Pro-Kopf-Einkommens der in der Landwirtschaft tätigen Personen, eine angemessene Lebenshaltung gewährleistet - vereinbar, obwohl sie im Falle eines Milcherzeugers, dessen Betrieb durch in den beanstandeten Verordnungsbestimmungen aufgeführte aussergewöhnliche Ereignisse nicht nur 1981, sondern auch 1982 und 1983 betroffen wurde, die Verwaltung eines Mitgliedstaats daran hindern, ein Referenzjahr zu wählen, in dem in diesem Betrieb normale Verhältnisse herrschten?"

7 Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts des Ausgangsverfahrens, der in Rede stehenden gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen, der zu deren Durchführung erlassenen luxemburgischen Rechtsvorschriften sowie des Ablaufs des Verfahrens vor dem Gerichtshof und der in diesem Verfahren eingereichten Erklärungen wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt ist im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

Zum rechtlichen Rahmen des Rechtsstreits

8 Zur sachdienlichen Beantwortung der vorgelegten Fragen ist es zunächst angebracht, die anwendbare gemeinschaftsrechtliche Regelung darzustellen.

9 Angesichts einer stetig steigenden Milcherzeugung führte der Rat mit seiner Verordnung Nr. 856/84 vom 31. März 1984 zur Änderung der Verordnung Nr. 804/68 über die gemeinsame Marktorganisation für Milch und Milcherzeugnisse ( ABl. L 90, S. 10 ) eine zusätzliche Abgabe ein, die gemäß Artikel 1 dieser Verordnung für die gelieferten Milchmengen erhoben wird, die eine zu bestimmende Referenzmenge überschreiten; die Abgabe wird entweder bei den Milcherzeugern ( Formel A ) oder bei den Käufern von Milch oder anderen Milcherzeugnissen erhoben, die sie auf die Erzeuger abwälzen, die ihre Lieferungen erhöht haben, und zwar im Verhältnis zu ihrem Beitrag an der Überschreitung der Referenzmenge des Käufers ( Formel B ).

10 Die Einzelheiten der Berechnung der Referenzmenge, das heisst der nicht der zusätzlichen Abgabe unterliegenden Mengen, wurden in der Verordnung Nr. 857/84 des Rates festgelegt. Nach Artikel 2 Absatz 1 dieser Verordnung entspricht die Referenzmenge der Milch - oder Milchäquivalenzmenge, die im Kalenderjahr 1981 geliefert oder gekauft wurde, zuzueglich 1 %. Die Mitgliedstaaten können jedoch gemäß Artikel 2 Absatz 2 vorsehen, daß die Referenzmenge auf ihrem Gebiet der im Kalenderjahr 1982 oder 1983 gelieferten Milch - oder Milchäquivalenzmenge unter Anwendung eines Prozentsatzes entspricht, der so festgesetzt wird, daß die Garantiemenge für den betreffenden Mitgliedstaat nicht überschritten wird. Das Großherzogtum Luxemburg hat sich, was das Jahr 1981 angeht, für die Formel B entschieden.

11 Für bestimmte besondere Situationen sehen die Artikel 3, 4 und 4 a dieser Verordnung Ausnahmen von diesen Regeln vor. So können nach Artikel 3 die Mitgliedstaaten Erzeugern, die sich zur Durchführung eines vor dem 1. März 1984 eingereichten Entwicklungsplans im Bereich der Milcherzeugung gemäß der Richtlinie 72/159 des Rates vom 17. April 1972 über die Modernisierung der landwirtschaftlichen Betriebe ( ABl. L 96, S. 1 ) verpflichtet haben, oder Erzeugern, die auch ohne Entwicklungsplan Investitionen getätigt haben ( Nummer 1 ), und Junglandwirten, die nach dem 31. Dezember 1980 einen Betrieb gegründet haben ( Nummer 2 ), eine spezifische Referenzmenge zuweisen.

12 Ferner können gemäß Artikel 3 Nr. 3 Unterabsatz 1 der Verordnung Nr. 857/84 "Erzeuger, deren Milcherzeugung in dem nach Artikel 2 gewählten Referenzjahr von aussergewöhnlichen Ereignissen nachhaltig betroffen wurde, die vor oder während des betreffenden Jahres eingetreten sind,... auf Antrag erwirken, daß ein anderes Kalenderreferenzjahr innerhalb des Zeitraums 1981-1983 berücksichtigt wird ". In Unterabsatz 2 dieser Vorschrift sind die Situationen aufgezählt, die die Berücksichtigung eines anderen Referenzjahres rechtfertigen; diese Liste wurde durch Artikel 3 der Verordnung Nr. 1371/84 der Kommission ergänzt.

13 Nach Artikel 4 Absatz 1 der Verordnung Nr. 857/84 können die Mitgliedstaaten zur erfolgreichen Umstrukturierung der Milcherzeugung unter anderem Erzeugern, die einen nach Inkraftsetzen dieser Verordnung gemäß der Richtlinie 72/159 genehmigten Entwicklungsplan im Bereich der Milcherzeugung durchführen, und Erzeugern, die hauptberuflich die Landwirtschaft betreiben, zusätzliche Referenzmengen zuweisen.

14 Ausserdem können die Mitgliedstaaten nach Artikel 4 a, der durch die Änderungsverordnung Nr. 590/85 des Rates vom 26. Februar 1985 ( ABl. L 68, S. 1 ) eingefügt wurde, während eines begrenzten Zeitraums die von Erzeugern oder Käufern nicht genutzten Referenzmengen Erzeugern oder Käufern derselben Region und gegebenenfalls auch anderer Regionen zuteilen. Gemäß Artikel 7 schließlich wird im Falle des Verkaufs, der Verpachtung oder der Übertragung eines Betriebs in Erbfolge die entsprechende Referenzmenge ganz oder teilweise auf den Käufer, Pächter oder Erben übertragen.

Zur ersten Frage

15 Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht im wesentlichen wissen, ob die Verordnung Nr. 857/84 des Rates vom 31. März 1984, ergänzt durch die Verordnung Nr. 1371/84 der Kommission vom 16. Mai 1984, es ausschließt, daß ein Erzeuger, dessen Milcherzeugung während des gesamten Zeitraums 1981-1983 von einem aussergewöhnlichen Ereignis nachhaltig betroffen wurde, die Berücksichtigung entweder der Milch - oder Milchäquivalenzmenge, die er in einem vor 1981 liegenden Jahr geliefert hat, oder einer theoretischen Menge erwirken kann, die im Wege der Extrapolation auf der Grundlage der normalen Entwicklung seiner Lieferungen während eines bestimmten, dem Eintritt des in Rede stehenden aussergewöhnlichen Ereignisses vorausgegangenen Zeitraums zu errechnen wäre.

16 Hierzu vertritt Herr Erpelding die Auffassung, es entspreche dem Geist der Rechtsvorschriften, um die es geht, daß es einem Erzeuger, der während der drei Referenzjahre ( 1981-1983 ) von aussergewöhnlichen Ereignissen betroffen worden sei, möglich sein müsse, die Berücksichtigung entweder der Erzeugung eines früheren Jahres oder einer theoretischen Erzeugung zu verlangen, die im Wege der Extrapolation der Produktionsmengen früherer Jahre auf der Grundlage einer normalen Entwicklung der Milcherzeugung des Betriebs bis zu dem betreffenden Referenzjahr zu berechnen wäre. Nur durch diese Auslegung lasse sich den in Rede stehenden Bestimmungen eine nützliche Wirkung sichern und eine Verletzung der Grundsätze der Verhältnismässigkeit und der Gleichbehandlung vermeiden. Überdies stelle eine aussergewöhnliche Situation wie diejenige, in der er sich befunden habe, einen Fall höherer Gewalt dar und rechtfertige unter diesem Gesichtspunkt aus Billigkeitsgründen eine besondere Behandlung des Betroffenen.

17 Die luxemburgische und die französische Regierung, der Rat und die Kommission treten dieser Auffassung mit der Feststellung entgegen, Artikel 3 Nr. 3 der Verordnung Nr. 857/84, der die Berücksichtigung eines anderen Referenzjahres innerhalb des Zeitraums 1981-1983 gestattet, habe Ausnahmecharakter und sei deshalb eng auszulegen. Infolgedessen schließe diese Bestimmung es aus, ein ausserhalb dieses Zeitraums liegendes Jahr als Referenzjahr zu berücksichtigen oder eine im Wege der Extrapolation zu errechnende theoretische Produktion zugrunde zu legen. Die luxemburgische und die französische Regierung, der Rat und die Kommission betonen jedoch, eine Reihe anderer Bestimmungen der in Rede stehenden Regelung, insbesondere die Artikel 3 Nr. 1, 4 Absatz 1 und 4 a der Verordnung Nr. 857/84, gestatteten es unter bestimmten Voraussetzungen, Erzeugern, die sich in einer Situation befänden, wie sie Gegenstand des Ausgangsverfahrens sei, spezifische oder zusätzliche Mengen zuzuteilen.

18 Struktur und Ziel der vorliegend erörterten Regelung lassen erkennen, daß sie eine erschöpfende Aufzählung der Situationen enthält, in denen Referenzmengen oder individuelle Mengen zugeteilt werden können, und daß sie genaue Regeln für die Festsetzung dieser Mengen aufstellt. Da keine dieser Bestimmungen den Erzeugern die Möglichkeit einräumt, die Berücksichtigung ihrer Milchlieferungen ausserhalb des Zeitraums 1981-1983 zu erwirken, ist eine solche Möglichkeit als ausgeschlossen anzusehen, und zwar selbst für den Fall, daß die Betroffenen für diesen gesamten Zeitraum keine repräsentative Erzeugung aufzuweisen haben.

19 Diese Auslegung ist um so zwingender, als der durch Artikel 3 der Verordnung Nr. 1371/84 der Kommission ergänzte Artikel 3 Nr. 3 der Verordnung Nr. 857/84 des Rates - die einzige Bestimmung, die es den Erzeugern gestattet, ein anderes Referenzjahr innerhalb des Zeitraums 1981-1983 zu wählen als dasjenige, für das sich der betroffene Mitgliedstaat entschieden hat - diese Wahl ausdrücklich auf eines der beiden anderen innerhalb dieses Zeitraums liegenden Jahre beschränkt.

20 Dieser Auslegung lässt sich nicht entgegenhalten, sie sei deshalb mit den sich aus dem Begriff der höheren Gewalt ergebenden Erfordernissen unvereinbar, weil ein im Rahmen des Gemeinschaftsrechts zu berücksichtigender Fall höherer Gewalt vorliege, wenn die Produktion eines Erzeugers ohne dessen Verschulden infolge eines aussergewöhnlichen Ereignisses nachhaltig zurückgehe. Zwar kann der Eintritt eines Falls von höherer Gewalt nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofes dazu führen, daß dem betroffenen Wirtschaftsteilnehmer bestimmte Folgen erspart bleiben, die die einschlägigen Rechtsvorschriften daran knüpfen, daß ein Tatbestand nicht verwirklicht oder eine Verpflichtung nicht eingehalten wurde; er kann jedoch diesem Wirtschaftsteilnehmer keinesfalls ein Recht verleihen, das in jener Regelung nicht vorgesehen ist.

21 Allerdings verwehrt die Tatsache, daß es die in dieser Weise ausgelegte Regelung nicht gestattet, die individuellen Mengen der Erzeuger auf der Grundlage ihrer Lieferungen ausserhalb des Zeitraums 1981-1983 zu berechnen, es den Mitgliedstaaten nicht, zum Zwecke der Zuteilung spezifischer oder zusätzlicher Mengen die Lage eines Erzeugers zu berücksichtigen, der für diesen Zeitraum keine repäsentative Erzeugung aufzuweisen hat, soweit der Betroffene unter einen oder mehrere der in dieser Regelung vorgesehenen spezifischen Tatbestände fällt. Insbesondere Artikel 4 a der Verordnung Nr. 857/84 erlaubt es den Mitgliedstaaten, auf der Grundlage eines Zwölfmonatszeitraums im Rahmen der nicht genutzten Referenzmengen für einzelne Erzeuger, die sich in aussergewöhnlichen Situationen befinden, Abhilfe zu schaffen.

22 Auf die erste Frage ist deshalb zu antworten, daß die Verordnung Nr. 857/84 des Rates vom 31. März 1984, ergänzt durch die Verordnung Nr. 1371/84 der Kommission vom 16. Mai 1984, es ausschließt, daß ein Erzeuger, dessen Milcherzeugung während des gesamten Zeitraums 1981-1983 von einem aussergewöhnlichen Ereignis nachhaltig betroffen wurde, die Berücksichtigung der Milch - oder Milchäquivalenzmenge, die er in einem vor 1981 liegenden Jahr geliefert hat, oder einer theoretischen Menge erwirken kann, die im Wege der Extrapolation auf der Grundlage der normalen Entwicklung seiner Lieferungen während eines bestimmten, dem Eintritt des in Rede stehenden aussergewöhnlichen Ereignisses vorausgegangenen Zeitraums errechnet würde.

Zur zweiten Frage

23 Die zweite Frage geht dahin, ob die in Rede stehende Regelung, so wie sie in der Antwort auf die erste Frage ausgelegt wurde, gültig ist.

24 Herr Erpelding macht geltend, diese Vorschriften seien ungültig, soweit sie es Erzeugern, die während des gesamten Zeitraums 1981-1983 von einer aussergewöhnlichen Situation betroffen worden seien, unmöglich machten, ein Referenzjahr ausserhalb dieses Zeitraums zu wählen. Denn in diesem Falle wäre die streitige Regelung unvereinbar mit den in Artikel 39 Absatz 1 Buchstaben a und b EWG-Vertrag niedergelegten Zielen, nämlich der Rationalisierung der landwirtschaftlichen Erzeugung, dem bestmöglichen Einsatz der Produktionsfaktoren und der Gewährleistung einer angemessenen Lebenshaltung der in der Landwirtschaft tätigen Personen. Ausserdem würde die genannte Regelung gegen die Grundsätze der Verhältnismässigkeit und der Gleichbehandlung verstossen.

25 Dagegen tritt die Kommission für die Gültigkeit dieser Regelung ein, wobei sie hervorhebt, jede Regelung zur Regulierung der Erzeugung bringe deren Entwicklung notwendigerweise zum Stillstand. Überdies habe der Gerichtshof den Gemeinschaftsorganen für die Aufstellung der Regeln für die gemeinsame Marktorganisation einen weiten Ermessensspielraum zugestanden, der vorliegend nicht überschritten worden sei.

26 Was zunächst den Vorwurf einer Verletzung von Artikel 39 Absatz 1 Buchstaben a und b EWG-Vertrag betrifft, so ist darauf hinzuweisen, daß das System der zusätzlichen Abgabe darauf abzielt, auf dem durch strukturelle Überschüsse gekennzeichneten Milchmarkt mittels einer Beschränkung der Milcherzeugung das Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage wiederherzustellen. Diese Maßnahme hält sich daher im Rahmen der Ziele, die Milcherzeugung zu rationalisieren und für die betroffene landwirtschaftliche Bevölkerung durch einen Beitrag zur Stabilisierung ihres Einkommens eine angemessene Lebenshaltung aufrechtzuerhalten. Die Rüge der Verletzung von Artikel 39 Absatz 1 Buchstaben a und b greift daher nicht durch.

27 Was weiterhin den Vorwurf der Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismässigkeit betrifft, so verfügt der Gesetzgeber der Gemeinschaft nach ständiger Rechtsprechung über ein weites Ermessen in bezug auf Art und Tragweite der zu treffenden Maßnahmen, wenn er einen komplexen wirtschaftlichen Sachverhalt zu beurteilen hat, wie dies auf dem Gebiet der Gemeinsamen Agrarpolitik der Fall ist. Die besonderen Umstände, von denen im Vorlageurteil die Rede ist, gestatten nicht die Feststellung, daß die Grenzen dieses Ermessens im vorliegenden Falle überschritten worden wären.

28 Wenn der Gesetzgeber der Gemeinschaft nämlich den Erzeugern, deren Milchproduktion während des vom betroffenen Mitgliedstaat gewählten Referenzjahres infolge eines aussergewöhnlichen Ereignisses erheblich gesunken ist, das Recht zuerkennt, ein anderes Referenzjahr zu wählen, diese Wahlmöglichkeit jedoch auf die Jahre innerhalb des Zeitraums 1981-1983 beschränkt, so hat er damit der besonderen Lage dieser Wirtschaftsteilnehmer gebührend Rechnung getragen und zugleich die zwingenden Erfordernisse der Rechtssicherheit und der Wirksamkeit des Systems der zusätzlichen Abgabe beachtet. Im übrigen hat er es den Mitgliedstaaten gestattet, Erzeugern, die sich in einer besonderen Lage befinden, unter bestimmten Voraussetzungen nicht genutzte Referenzmengen neu zuzuteilen. Es kann ihm daher nicht vorgeworfen werden, er habe dadurch, daß er nicht alle denkbaren, insbesondere die im Vorlageurteil bezeichneten Sonderfälle berücksichtigt habe, den Wirtschaftsteilnehmern Belastungen auferlegt, die in einem Mißverhältnis zu den angestrebten Zielen stuenden.

29 Aus denselben Gründen lässt sich keine nach Artikel 40 Absatz 3 EWG-Vertrag verbotene Diskriminierung feststellen. Wie der Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung entschieden hat, untersagt es diese Bestimmung als spezifischer Ausdruck des allgemeinen Gleichheitssatzes, vergleichbare Sachverhalte unterschiedlich zu behandeln, es sei denn, daß eine Differenzierung objektiv gerechtfertigt wäre.

30 Im vorliegenden Fall ergibt sich die unterschiedliche Behandlung, die der Kläger des Ausgangsverfahrens rügt, daraus, daß die streitige Regelung den Erzeugern, deren Milchproduktion während des gesamten Zeitraums 1981-1983 erheblich zurückgegangen ist, nicht die Möglichkeit gewährt, eine sich auf eine repräsentative Produktionsmenge gründende individuelle Menge zugeteilt zu erhalten, und hierdurch diese Gruppe von Erzeugern stärker belastet als diejenigen, die für diesen Zeitraum eine repräsentative Produktion aufweisen können. Ein solches Ergebnis ist aber durch die Notwendigkeit gerechtfertigt, im Interesse sowohl der Rechtssicherheit als auch der Wirksamkeit der Rechtsvorschriften über die zusätzliche Abgabe die Zahl der als Referenzjahre in Betracht kommenden Jahre zu beschränken. Die sich hieraus ergebende unterschiedliche Behandlung ist somit objektiv gerechtfertigt und kann infolgedessen nicht als diskriminierend im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofes angesehen werden.

31 Aus diesen Gründen ist auf die zweite Frage zu antworten, daß die Prüfung der Verordnung Nr. 857/84 des Rates vom 31. März 1984, ergänzt durch die Verordnung Nr. 1371/84 der Kommission vom 16. Mai 1984, im Hinblick auf die in dem Vorlageurteil genannten Umstände nichts ergeben hat, was die Gültigkeit der in Rede stehenden Regelung beeinträchtigen könnte.

Kostenentscheidung:

Kosten

32 Die Auslagen der luxemburgischen und der französischen Regierung sowie des Rates und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit. Die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF ( Fünfte Kammer )

auf die ihm vom Conseil d' État des Großherzogtums Luxemburg mit Urteil vom 10. März 1987 vorgelegten Fragen für Recht erkannt :

1 ) Die Verordnung Nr. 857/84 des Rates vom 31. März 1984, ergänzt durch die Verordnung Nr. 1371/84 der Kommission vom 16. Mai 1984, schließt es aus, daß ein Erzeuger, dessen Milcherzeugung während des gesamten Zeitraums 1981-1983 von einem aussergewöhnlichen Ereignis nachhaltig betroffen wurde, die Berücksichtigung der Milch - oder Milchäquivalenzmenge, die er in einem vor 1981 liegenden Jahr geliefert hat, oder einer theoretischen Menge erwirken kann, die im Wege der Extrapolation auf der Grundlage der normalen Entwicklung seiner Lieferungen während eines bestimmten, dem Eintritt des in Rede stehenden aussergewöhnlichen Ereignisses vorausgegangenen Zeitraums errechnet würde.

2 ) Die Prüfung der Verordnung Nr. 857/84 des Rates vom 31. März 1984, ergänzt durch die Verordnung Nr. 1371/84 der Kommission vom 16. Mai 1984, im Hinblick auf die in dem Vorlageurteil genannten Umstände hat nichts ergeben, was die Gültigkeit der in Rede stehenden Regelung beeinträchtigen könnte.

Ende der Entscheidung

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