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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Beschluss verkündet am 23.11.1995
Aktenzeichen: C-10/95 P
Rechtsgebiete: Richtlinie 85/73/EWG


Vorschriften:

Richtlinie 85/73/EWG Art. 2
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Die Richtlinie 93/118 über die Finanzierung der Untersuchungen und Hygienekontrollen von frischem Fleisch und Gefluegelfleisch enthält keine spezielle Vorschrift, die den Charakter einer individuellen Entscheidung hätte, und stellt, obwohl sie eine Entscheidung aufhebt und ersetzt, eine Handlung mit allgemeiner normativer Geltung dar, die allgemein und abstrakt alle Wirtschaftsteilnehmer der Mitgliedstaaten betrifft, die bei Ablauf der Umsetzungsfristen die in der Richtlinie festgelegten Bedingungen erfuellen; sie muß ausserdem in die jeweilige innerstaatliche Rechtsordnung umgesetzt werden, um anwendbar zu sein, und kann daher keine "verschleierte" Entscheidung darstellen, die in Wirklichkeit an die Wirtschaftsteilnehmer des betreffenden Wirtschaftssektors oder an den Verband gerichtet wäre, in dem sie sich zusammengeschlossen haben, so daß dieser gemäß Artikel 173 des Vertrages befugt wäre, sie im Wege der Nichtigkeitsklage anzufechten.

2. Daß eine natürliche Person an der Vorbereitung einer gesetzgeberischen Handlung wie einer aufgrund von Artikel 43 des Vertrages erlassenen Richtlinie beteiligt war, d. h. im Rahmen eines Verfahrens, in dem keine Beteiligung einzelner vorgesehen ist, kann ihr im Gegensatz zu einer Beteiligung in einem Verfahren, in dem eine solche Beteiligung vorgesehen ist, wie z. B. dem bei Beihilfen vorgesehenen Verfahren nach Artikel 93 Absatz 2 des Vertrages, kein Klagerecht gegen diese Handlung verschaffen.

3. Die Richtlinie 93/118 über die Finanzierung der Untersuchungen und Hygienekontrollen von frischem Fleisch und Gefluegelfleisch betrifft die Wirtschaftsteilnehmer des betreffenden Wirtschaftssektors und einen Verband, in dem sie sich zusammengeschlossen haben, nur aufgrund ihrer objektiven Eigenschaft als Wirtschaftsteilnehmer, die in einem Sektor tätig sind, in dem sie ihre Wirkungen entfaltet, also in gleicher Weise wie alle anderen Wirtschaftsteilnehmer der Gemeinschaft, die dieselbe Tätigkeit ausüben; die Richtlinie beeinträchtigt keine ihnen speziell zustehenden Rechte, so daß sie sie nicht im Sinne von Artikel 173 Absatz 4 des Vertrages individuell betrifft.


Beschluss des Gerichtshofes (Zweite Kammer) vom 23. November 1995. - Asociación Española de Empresas de la Carne (Asocarne) gegen Rat der Europäischen Union. - Landwirtschaft - Finanzierung der Untersuchungen und Hygienekontrollen von frischem Fleisch und Geflügelfleisch - Nichtigkeitsklage gegen eine Richtlinie - Natürliche oder juristische Personen - Handlungen, die sie unmittelbar und individuell betreffen - Offensichtlich unbegründetes Rechtsmittel. - Rechtssache C-10/95 P.

Entscheidungsgründe:

1 Die Asociación Española de Empresas de la Carne (Asocarne; im folgenden: Rechtsmittelführerin) hat mit Rechtsmittelschrift, die am 12. Januar 1995 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, ein Rechtsmittel gegen den Beschluß des Gerichts erster Instanz vom 20. Oktober 1994 in der Rechtssache T-99/94 (Asocarne/Rat, Slg. 1994, II-871) eingelegt, mit dem das Gericht ihre Klage auf Nichtigerklärung der Richtlinie 93/118/EG des Rates vom 22. Dezember 1993 zur Änderung der Richtlinie 85/73/EWG über die Finanzierung der Untersuchungen und Hygienekontrollen von frischem Fleisch und Gefluegelfleisch (ABl. L 340, S. 15) als unzulässig abgewiesen hat.

2 Die Richtlinie 85/73 vom 29. Januar 1985 (ABl. L 32, S. 14) bezweckte die Harmonisierung der verschiedenen Gebühren, die für diese Untersuchungen und Hygienekontrollen erhoben wurden.

3 Diese Richtlinie in der Fassung der Richtlinie 88/409/EWG des Rates vom 15. Juni 1988 mit Hygienevorschriften für Fleisch für den Inlandsmarkt und zur Festlegung der gemäß der Richtlinie 85/73/EWG für die Untersuchung dieses Fleisches zu erhebenden Gebühren (ABl. L 194, S. 28) sah vor der Anwendbarkeit der Richtlinie 93/118 vor, daß die Mitgliedstaaten dafür Sorge tragen, daß bei der Schlachtung von Tieren verschiedener Gattungen, insbesondere von Rindern, Schweinen und Ziegen, eine Gebühr erhoben wird, um die Kosten zu decken, die durch die Untersuchungen und Hygienekontrollen gemäß den gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften entstehen, genauer, gemäß der Richtlinie 64/433/EWG des Rates vom 26. Juni 1964 zur Regelung gesundheitlicher Fragen beim innergemeinschaftlichen Handelsverkehr mit frischem Fleisch (ABl. 1964, Nr. 121, S. 2012), der Richtlinie 71/118/EWG des Rates vom 15. Februar 1971 zur Regelung gesundheitlicher Fragen beim Handelsverkehr mit frischem Gefluegelfleisch (ABl. L 55, S. 23), der Richtlinie 72/462/EWG des Rates vom 12. Dezember 1972 zur Regelung viehseuchenrechtlicher und gesundheitlicher Fragen bei der Einfuhr von Rindern und Schweinen und von frischem Fleisch aus Drittländern (ABl. L 302, S. 28) sowie der Richtlinie 86/469/EWG des Rates vom 16. September 1986 über die Untersuchung von Tieren und frischem Fleisch auf Rückstände (ABl. L 275, S. 36).

4 Am 15. Juni 1988 erließ der Rat die Entscheidung 88/408/EWG über die Beträge der für die Untersuchungen und Hygienekontrollen von frischem Fleisch zu erhebenden Gebühren gemäß der Richtlinie 85/73/EWG (ABl. L 194, S. 24) und insbesondere deren Artikel 2. Diese Entscheidung war an die Mitgliedstaaten gerichtet.

5 Durch Artikel 1 der Richtlinie 93/118 wurde die Richtlinie 85/73 in mehrfacher Hinsicht geändert. So werden in deren geändertem Artikel 1 zum einen die Kosten für die Kontrollen gemäß der Richtlinie 93/118 aufgeführt, zum anderen ist dort vorgesehen, daß die Mitgliedstaaten die Finanzierung folgender Kontrollen sichern: sonstige veterinär- und hygienerechtliche Kontrollen für die Erzeugnisse im Sinne der Richtlinien in Anhang A der Richtlinie 89/662/EWG des Rates vom 11. Dezember 1989 zur Regelung der veterinärrechtlichen Kontrollen im innergemeinschaftlichen Handel im Hinblick auf den gemeinsamen Binnenmarkt (ABl. L 395, S. 13) sowie die Kontrollen, die in der Richtlinie 90/675/EWG des Rates vom 10. Dezember 1990 zur Festlegung von Grundregeln für die Veterinärkontrollen von aus Drittländern in die Gemeinschaft eingeführten Erzeugnissen (ABl. L 373, S. 1) für Erzeugnisse tierischen Ursprungs, ausgenommen Fleisch von Tieren gemäß dem ersten Gedankenstrich, vorgesehen sind, einschließlich der Rückstandskontrollen. Ebenso wurde Artikel 2 der Richtlinie 85/73 durch die Richtlinie 93/118 geändert und ein Anhang zur Regelung der Gebühren auf Fleisch im Sinne der Richtlinien 64/433, 71/118 und 72/462 angefügt. Nach diesem Anhang werden die Gebühren grundsätzlich aufgrund von Pauschalbeträgen berechnet, doch können die Mitgliedstaaten diese Beträge unter bestimmten Umständen ändern.

6 Durch Artikel 2 der Richtlinie 93/118 wurde ausserdem die Entscheidung 88/408, die inhaltlich nunmehr in der Richtlinie 85/73, insbesondere in deren Anhang enthalten ist, mit Wirkung vom 1. Januar 1994 aufgehoben.

7 Nach Artikel 3 der Richtlinie 93/118 erlassen die Mitgliedstaaten schließlich die erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften, um der Richtlinie spätestens am 31. Dezember 1993 hinsichtlich der Anforderungen des Anhangs und des Artikels 5 und spätestens am 31. Dezember 1994 hinsichtlich der anderen Bestimmungen nachzukommen.

8 Am 10. März 1994 hat die Rechtsmittelführerin nach Artikel 173 Absatz 4 EG-Vertrag Klage auf Nichtigerklärung der Richtlinie 93/118 erhoben.

9 Gegen diese Klage hat der Rat eine Einrede der Unzulässigkeit gemäß Artikel 114 § 1 der Verfahrensordnung des Gerichts erhoben.

10 Am 26. Juli 1994 hat die Kommission gemäß Artikel 115 dieser Verfahrensordnung einen Streithilfeantrag zur Unterstützung der Anträge des Rates gestellt. Am 16. August 1994 haben die Federació Catalana d' Industries de la Carn (Fecic) und die Asociación Profesional de Salas de Despiece y Empresas Cárnicas (Aprosa-Anec) Streithilfeanträge zur Unterstützung der Anträge der Rechtsmittelführerin gestellt.

Der Beschluß des Gerichts

11 Mit Beschluß vom 20. Oktober 1994 hat das Gericht die Klage gemäß Artikel 111 seiner Verfahrensordnung als unzulässig abgewiesen.

12 Erstens stellt nach Auffassung des Gerichts, selbst wenn man ° entgegen dem Wortlaut von Artikel 173 Absatz 4 des Vertrages ° davon ausgehe, daß die Richtlinien den Verordnungen gleichgesetzt werden könnten, um eine Klage gegen eine "als" Richtlinie ergangene Entscheidung zuzulassen, die angefochtene Richtlinie keine "verschleierte" Entscheidung dar und enthält keine spezielle Vorschrift, die den Charakter einer individuellen Entscheidung hätte. Die angefochtene Richtlinie sei nämlich eine Handlung mit allgemeiner normativer Geltung, die allgemein und abstrakt alle Unternehmer der Mitgliedstaaten betreffe, die am 1. Januar 1994 die in der Richtlinie 85/73 festgelegten Bedingungen erfuellten, und die ausserdem durch nationale Durchführungsbestimmungen in die jeweilige innerstaatliche Rechtsordnung umgesetzt werden müsse, um innerhalb der Mitgliedstaaten anwendbar zu sein (Randnr. 18).

13 Zweitens ist die Rechtsmittelführerin nach Ansicht des Gerichts nicht individuell von der Richtlinie betroffen, da diese keine spezifischen Rechte der Rechtsmittelführerin oder ihrer Mitglieder berühre (Randnr. 20). Zudem seien die Rechtsmittelführerin und ihre Mitglieder den nationalen Maßnahmen, die zur Umsetzung der Richtlinie getroffen würden, ebenso unterworfen wie alle Wirtschaftsteilnehmer der Gemeinschaft, die ihre Tätigkeiten in dem betreffenden Sektor ausübten; die Rechtsmittelführerin gehöre folglich nicht zu einem "individualisierten geschlossenen Kreis" und sei somit von der angefochtenen Richtlinie nicht individuell betroffen (Randnr. 21).

14 Das Gericht hat deshalb eine Prüfung der Frage, ob die Rechtsmittelführerin von dieser Richtlinie unmittelbar betroffen sei, und eine Entscheidung über die Streithilfeanträge der Fecic, der Kommission und der Aprosa-Anec nicht für erforderlich gehalten (Randnr. 22).

Vorbringen der Parteien

15 Die Rechtsmittelführerin stützt ihre Anträge auf Aufhebung des Beschlusses vom 20. Oktober 1994 im wesentlichen auf vier Rechtsmittelgründe, mit denen sie einen Verstoß gegen Artikel 173 Absatz 4 des Vertrages geltend macht.

16 Erstens garantiert nach ihrer Meinung das spanische Gerichtssystem dem einzelnen wegen der allgemein verbreiteten, strukturell bedingten Verzögerungen bei den Verfahren vor den Gerichten, die für das durch die streitige Richtlinie geregelte Gebiet zuständig seien, keinen ausreichenden Rechtsschutz.

17 Zweitens habe die Richtlinie 93/118 Entscheidungscharakter, denn sie decke sich inhaltlich mit der Entscheidung 88/408, die sie aufhebe und ersetze.

18 Drittens ist die Rechtsmittelführerin der Ansicht, sie sei von der streitigen Handlung individuell betroffen. Zum einen macht sie unter Berufung auf das Urteil des Gerichtshofes vom 24. Mai 1993 in der Rechtssache C-313/90 (CIRFS u. a./Kommission, Slg. 1993, I-1125) geltend, sie habe über die Vereinigung der Verbände dieses Sektors in Europa Kontakte zur Kommission unterhalten, bei dieser eine Beschwerde gegen die Anwendung der Richtlinie 85/73 eingereicht, der Kommission während der Ausarbeitung dieser Richtlinie schriftliche Stellungnahmen unterbreitet und engen Kontakt zu den zuständigen Dienststellen gehalten. Zum anderen gehörten ihre Mitglieder einem individualisierten geschlossenen Kreis an, vor allem weil die von der angefochtenen Richtlinie betroffenen Personen bei Erlaß der Richtlinie durch ihre Eintragung im "Registro Sanitario" und in der Liste der Gebührenpflichtigen bestimmbar gewesen seien.

19 Schließlich trägt die Rechtsmittelführerin vor, sie sei von der fraglichen Richtlinie unmittelbar betroffen, denn diese lege sehr genau fest, aus welchen Bestandteilen sich die Gebühr zusammensetze, ohne den Mitgliedstaaten einen Beurteilungsspielraum zu lassen.

20 Der Rat beantragt in seiner Rechtsmittelbeantwortung, das Rechtsmittel zurückzuweisen.

21 Erstens habe die Rechtsmittelführerin mit ihrem Vorbringen, daß es zwar möglich gewesen wäre, die Ungültigkeit der Richtlinie 93/118 vor den nationalen Gerichten geltend zu machen, daß diese Möglichkeit aber wegen der allgemein verbreiteten und strukturell bedingten Verzögerungen bei den Verfahren vor den Gerichten, die für das durch die streitige Richtlinie geregelte Gebiet zuständig seien, nicht in Betracht gekommen sei, selbst den Rückgriff auf Verfahren eingeräumt, die zur Erreichung ihrer Zwecke ungeeignet seien.

22 Zweitens könne die Tatsache, daß die Richtlinie 93/118 eine Entscheidung ersetzt habe, keine Auswirkungen auf den allgemeinen und abstrakten Charakter ihres Inhalts haben.

23 Drittens stellten die Mitglieder der Rechtsmittelführerin entgegen ihren Behauptungen keinen "individualisierten geschlossenen Kreis" dar, da die Rechtsmittelführerin oder ihre Mitglieder entgegen den Erfordernissen einer ständigen Rechtsprechung von der streitigen Handlung nicht aufgrund bestimmter besonderer Eigenschaften oder einer tatsächlichen Situation, die sie im Vergleich zu allen anderen kennzeichne, betroffen seien.

24 Viertens ergebe sich die Notwendigkeit nationaler Maßnahmen aus dem Gestaltungsspielraum, der den Mitgliedstaaten im Hinblick auf die Anwendung der Richtlinie gelassen worden sei. Die Rechtsmittelführerin könne daher nicht davon ausgehen, sie sei von der Richtlinie 93/118 unmittelbar betroffen.

Würdigung durch den Gerichtshof

25 Ist das Rechtsmittel offensichtlich unzulässig oder offensichtlich unbegründet, kann es der Gerichtshof gemäß Artikel 119 seiner Verfahrensordnung jederzeit durch Beschluß, der mit Gründen zu versehen ist, zurückweisen.

Zum ersten Rechtsmittelgrund

26 Was den Rechtsmittelgrund der strukturell bedingten, dauernden Verzögerungen betrifft, die bei den Verfahren vor den zuständigen nationalen Gerichten zu beachten seien, so ist festzustellen, daß ein solcher Umstand, selbst wenn er bewiesen wäre, keine Änderung des in den Artikeln 173, 177 und 178 des Vertrages geregelten Rechtsschutz- und Verfahrenssystems rechtfertigen könnte, das dem Gerichtshof die Rechtmässigkeitskontrolle der Handlungen der Organe überträgt. Keinesfalls kann deshalb eine Nichtigkeitsklage einer natürlichen oder juristischen Person für zulässig erklärt werden, die nicht die in Artikel 173 Absatz 4 vorgesehenen Voraussetzungen erfuellt. Das Gericht konnte daher einen solchen Umstand im angefochtenen Beschluß unberücksichtigt lassen.

27 Der erste Rechtsmittelgrund ist daher zurückzuweisen.

Zum zweiten Rechtsmittelgrund

28 Zu dem Rechtsmittelgrund des angeblichen Entscheidungscharakters der Richtlinie 93/118 ist zu bemerken, daß der Gerichtshof in seinem Urteil vom 14. Dezember 1962 in den verbundenen Rechtssachen 16/62 und 17/62 (Confédération nationale des producteurs de fruits et légumes u. a./Rat, Slg. 1962, 963) festgestellt hat, daß der Ausdruck "Entscheidung" in Artikel 173 Absatz 2 EWG-Vertrag, jetzt Artikel 173 Absatz 4 EG-Vertrag, in dem technischen Sinne zu verstehen ist, den ihm Artikel 189 dieses Vertrages verleiht, und daß Handlungen mit normativem Charakter und Entscheidungen im Sinne des letztgenannten Artikels danach voneinander abzugrenzen sind, ob die betreffende Handlung allgemeine Geltung hat oder nicht.

29 Eine Richtlinie stellt, selbst wenn sie grundsätzlich nur für ihre Adressaten, die Mitgliedstaaten, verbindlich ist, normalerweise eine Form der mittelbaren Gesetzgebung oder Regelung dar. Der Gerichtshof hat Richtlinien im übrigen mehrfach als allgemeingültige Handlungen qualifiziert (vgl. insbesondere Urteil vom 22. Februar 1984 in der Rechtssache 70/83, Kloppenburg, Slg. 1984, 1075, Randnr. 11, Beschluß vom 13. Juli 1988 in der Rechtssache 160/88 R, Fédération européenne de la santé animale u. a./Rat, Slg. 1988, 4121, Randnr. 28, und Urteil vom 29. Juni 1993 in der Rechtssache C-298/89, Regierung von Gibraltar/Rat, Slg. 1993, I-3605, Randnr. 16).

30 Ausserdem verliert eine Handlung nach ständiger Rechtsprechung ihren normativen Charakter nicht dadurch, daß sich die Rechtssubjekte, für die sie gilt, nach Zahl oder sogar Identität mit mehr oder weniger grosser Genauigkeit bestimmen lassen (Urteile vom 11. Juli 1968 in der Rechtssache 6/68, Zuckerfabrik Watenstedt/Rat, Slg. 1968, 611, vom 16. April 1970 in der Rechtssache 64/69, Compagnie française commerciale et financière/Kommission, Slg. 1970, 221, Randnr. 11, vom 30. September 1982 in der Rechtssache 242/81, Roquette Frères/Rat, Slg. 1982, 3213, Randnr. 7, und vom 26. April 1988 in den verbundenen Rechtssachen 97/86, 99/86, 193/86 und 215/86, Asteris u. a./Kommission, Slg. 1988, 2181, Randnr. 13, Beschluß vom 13. Juli 1988 in der Rechtssache 160/88 R, Fédération européenne de la santé animale u. a./Rat, a. a. O., Randnr. 29, Urteile vom 24. November 1992 in den verbundenen Rechtssachen C-15/91 und C-108/91, Buckl u. a./Kommission, Slg. 1992, I-6061, Randnr. 25, vom 15. Juni 1993 in der Rechtssache C-264/91, Abertal u. a./Rat, Slg. 1993, I-3265, Randnr. 16, und vom 29. Juni 1993, Regierung von Gibraltar/Rat, a. a. O., Randnr. 17).

31 Im vorliegenden Fall enthält die streitige Richtlinie keine spezielle Vorschrift, die den Charakter einer individuellen Entscheidung hätte, sie stellt eine Handlung mit allgemeiner normativer Geltung dar, die allgemein und abstrakt alle Unternehmer der Mitgliedstaaten betrifft, die bei Ablauf der Umsetzungsfristen die in der Richtlinie festgelegten Bedingungen erfuellen, und muß ausserdem in die jeweilige innerstaatliche Rechtsordnung umgesetzt werden, um anwendbar zu sein.

32 Daher hat das Gericht die Auffassung vertreten können, daß die fragliche Richtlinie keine "verschleierte" Entscheidung darstelle, und brauchte nicht zu prüfen, ob Richtlinien für die Entscheidung über die Zulässigkeit einer Klage natürlicher oder juristischer Personen gegen eine als Richtlinie ergangene Entscheidung Verordnungen gleichgesetzt werden können.

33 Diese Feststellung wird auch nicht dadurch entkräftet, daß die betreffende Richtlinie eine Entscheidung aufhebt und ersetzt. Wie das Gericht ebenfalls ausgeführt hat, hat dieser Umstand keine Auswirkung auf den allgemeinen und abstrakten Charakter der betreffenden Handlung.

34 Der zweite Rechtsmittelgrund ist daher ebenfalls zurückzuweisen.

Zum dritten Rechtsmittelgrund

35 Was den Rechtsmittelgrund des Vorliegens eines individuellen Interesses im Sinne des Artikels 173 Absatz 4 EG-Vertrag betrifft, so ist zunächst die Lage der Rechtsmittelführerin und dann die ihrer Mitglieder zu prüfen.

36 Der Gerichtshof hat in seinen Urteilen vom 2. Februar 1988 in den verbundenen Rechtssachen 67/85, 68/85 und 70/85 (Van der Kooy/Kommission, Slg. 1988, 219) und vom 24. März 1993 in der Rechtssache C-313/90 (CIRFS u. a./Kommission, a. a. O.) in der Tat anerkannt, daß Verbände oder Einrichtungen zur Wahrnehmung kollektiver Interessen individuell von Entscheidungen betroffen sein können, mit denen Beihilfen abgeschafft werden oder die Einleitung des in Artikel 93 Absatz 2 EG-Vertrag vorgesehenen Verfahrens abgelehnt wird.

37 Wie das Gericht jedoch zutreffend ausgeführt hat, kann diese Rechtsprechung nicht auf die vorliegende Rechtssache übertragen werden, in der es um eine Richtlinie, also um eine normative, allgemeine und abstrakte Handlung geht.

38 Insbesondere nimmt die Rechtsmittelführerin im vorliegenden Fall, was ihre Beteiligung an der Vorbereitung der Richtlinie 85/73 angeht, eine ganz andere Stellung ein als die Klägerinnen in der Rechtssache CIRFS u. a./Kommission, a. a. O.

39 In dieser Rechtssache hat der Gerichtshof in der Tat anerkannt, daß die Entscheidung der Kommission, die Einleitung des in Artikel 93 Absatz 2 des Vertrages vorgesehenen Verfahrens abzulehnen, einen Verband individuell betraf, dem die wichtigsten Unternehmen des betreffenden Wirtschaftssektors angehörten, der mit der Kommission Gespräche über die Einführung, Verlängerung und Neufassung einer Regelung geführt hatte, die staatliche Beihilfen in diesem Sektor betraf, und der in dem Verfahren, das dem Rechtsstreit vorausging, aktiv Verhandlungen mit der Kommission geführt hatte, insbesondere durch Unterbreitung schriftlicher Stellungnahmen und durch Aufrechterhaltung enger Kontakte zu den zuständigen Dienststellen. Im vorliegenden Fall betrifft die Klage dagegen eine Richtlinie, die der Rat auf der Rechtsgrundlage des Artikels 43 EG-Vertrag erlassen hat, also im Rahmen eines Verfahrens, in dem anders als im Verfahren nach Artikel 93 eine Beteiligung einzelner nicht vorgesehen ist.

40 Es widerspräche daher dem Wortlaut und dem Geist des Artikels 173 EG-Vertrag, wenn ein einzelner schon aufgrund seiner Beteiligung an der Vorbereitung einer gesetzgeberischen Handlung später eine Klage gegen diese Handlung erheben dürfte.

41 Was die Behauptung der Rechtsmittelführerin angeht, ihre Mitglieder gehörten einem individualisierten geschlossenen Kreis an, so ergibt sich aus der ständigen Rechtsprechung, daß Personen nur dann als von einer Handlung individuell betroffen angesehen werden können, wenn sie in ihrer Rechtsstellung aufgrund von Umständen betroffen sind, die sie in ähnlicher Weise individualisieren wie den Adressaten (vgl. insbesondere Urteil vom 24. Februar 1987 in der Rechtssache 26/86, Deutz und Geldermann/Rat, Slg. 1987, 941, Randnr. 9, und Beschluß vom 24. Mai 1993 in der Rechtssache C-131/92, Arnaud u. a./Rat, Slg. 1993, 2573, Randnr. 14).

42 Dies trifft auf die Rechtsmittelführerin und ihre Mitglieder nicht zu. Letztere sind von der angefochtenen Richtline nämlich nur aufgrund ihrer objektiven Eigenschaft als Wirtschaftsteilnehmer betroffen, die in einem Sektor tätig sind, auf den sich die betreffende Richtlinie bezieht, also in gleicher Weise wie alle anderen Wirtschaftsteilnehmer der Gemeinschaft, die dieselbe Tätigkeit ausüben (vgl. insbesondere Beschlüsse vom 12. Oktober 1988 in der Rechtssache 34/88, Cevap u. a./Rat, Slg. 1988, 6265, Randnr. 15, und vom 7. Dezember 1988 in der Rechtssache 160/88, Fedesa u. a./Rat, Slg. 1988, 6399, Randnr. 14).

43 Zwar hat der Gerichtshof in seinem Urteil vom 18. Mai 1994 in der Rechtssache C-309/89 (Codorniu/Rat, Slg. 1994, I-1853) anerkannt, daß eine Bestimmung mit normativem Charakter unter bestimmten Umständen einige unter den fraglichen Wirtschaftsteilnehmern individuell betreffen kann. Wie das Gericht jedoch zutreffend ausgeführt hat, ist eine Berufung auf diese Rechtsprechung im vorliegenden Fall nicht möglich, da die in erster Instanz angefochtene Richtlinie im Unterschied zu der in der genannten Rechtssache beanstandeten Verordnung keine speziellen Rechte der Rechtsmittelführerin oder ihrer Mitglieder beeinträchtigt hat.

44 Der dritte Rechtsmittelgrund ist daher zurückzuweisen.

45 Aus alledem ergibt sich, daß die Rechtsmittelführerin von der in erster Instanz angefochtenen Handlung nicht individuell betroffen ist. Das Gericht hat daher zu Recht entschieden, daß ihre Klage unzulässig war. Der vierte Rechtsmittelgrund, der die Frage betrifft, ob die Rechtsmittelführerin von der fraglichen Handlung unmittelbar betroffen war, braucht daher nicht mehr geprüft zu werden.

46 Somit ist das Rechtsmittel gemäß Artikel 119 der Verfahrensordnung als offensichtlich unbegründet zurückzuweisen.

Kostenentscheidung:

Kosten

47 Gemäß Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Rechtsmittelführerin mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr die Kosten aufzuerlegen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

beschlossen:

1) Das Rechtsmittel wird zurückgewiesen.

2) Die Rechtsmittelführerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Luxemburg, den 23. November 1995

Ende der Entscheidung

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