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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Beschluss verkündet am 12.07.2001
Aktenzeichen: C-102/00
Rechtsgebiete: EGV, Verfahrensordnung, Sechste Richtlinie 77/388/EWG


Vorschriften:

EGV Art. 234
Verfahrensordnung Art. 104 § 3
Sechste Richtlinie 77/388/EWG Art. 4
Sechste Richtlinie 77/388/EWG Art. 11 Teil A Abs. 1 a
Sechste Richtlinie 77/388/EWG Art. 13 Teil B d Nr. 5
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Beschluss des Gerichtshofes (Erste Kammer) vom 12. Juli 2001. - Welthgrove BV gegen Staatssecretaris van Financiën. - Ersuchen um Vorabentscheidung: Hoge Raad der Nederlanden - Niederlande. - Artikel 104 § 3 der Verfahrensordnung - Artikel 4 der Sechsten Mehrwertsteuerrichtlinie - Wirtschaftliche Tätigkeit - Eingriff einer Holdinggesellschaft in die Verwaltung ihrer Tochtergesellschaften. - Rechtssache C-102/00.

Parteien:

In der Rechtssache C-102/00

betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 234 EG vom Hoge Raad der Nederlanden (Niederlande) in dem bei diesem anhängigen Rechtsstreit

Welthgrove BV

gegen

Staatssecretaris van Financiën

vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung der Artikel 4, 11 Teil A Absatz 1 Buchstabe a und 13 Teil B Buchstabe d Nummer 5 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145 vom 13. Juni 1977, S. 1)

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Wathelet sowie der Richter P. Jann und L. Sevón (Berichterstatter),

Generalanwältin: C. Stix-Hackl

Kanzler: R. Grass

nachdem das vorlegende Gericht davon unterrichtet worden ist, dass der Gerichtshof beabsichtigt, gemäß Artikel 104 § 3 seiner Verfahrensordnung durch mit Gründen versehenen Beschluss zu entscheiden,

nachdem den in Artikel 20 der EG-Satzung des Gerichtshofes bezeichneten Beteiligten Gelegenheit zur Äußerung gegeben worden ist,

nach Anhörung des Generalanwalts,

folgenden

Beschluss

Entscheidungsgründe:

1 Der Hoge Raad der Nederlanden hat mit Urteil vom 28. April 1999, beim Gerichtshof eingegangen am 20. März 2000, gemäß Artikel 234 EG drei Fragen nach der Auslegung der Artikel 4, 11 Teil A Absatz 1 Buchstabe a und 13 Teil B Buchstabe d Nummer 5 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145 vom 13. Juni 1977, S. 1) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Fragen stellten sich in einem Rechtsstreit zwischen der Welthgrove BV (nachfolgend: Welthgrove) und dem Staatssecretaris van Financiën (Staatssekretär für Finanzen) wegen der Berechtigung einer Holdinggesellschaft zum Abzug der auf Eingangsumsätze entrichteten Mehrwertsteuer.

Gemeinschaftsrecht

3 Artikel 2 Nummer 1 der Sechsten Richtlinie unterwirft Lieferungen von Gegenständen sowie Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Inland gegen Entgelt ausführt, der Mehrwertsteuer und schließt damit Tätigkeiten, die keinen wirtschaftlichen Charakter haben, vom Anwendungsbereich dieser Steuer aus. Nach Artikel 4 Absatz 1 dieser Richtlinie gilt als Steuerpflichtiger, wer eine der in Absatz 2 dieser Vorschrift genannten wirtschaftlichen Tätigkeiten selbstständig ausübt. Der Begriff wirtschaftliche Tätigkeiten" erfasst nach Artikel 4 Absatz 2 alle Tätigkeiten eines Erzeugers, Händlers oder Dienstleistenden und auch Leistungen, die die Nutzung von körperlichen oder nicht körperlichen Gegenständen zur nachhaltigen Erzielung von Einnahmen umfassen.

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

4 Aus dem Vorlageurteil ergibt sich, dass es sich bei Welthgrove um eine Zwischenholding handelt, die Beteiligungen an einer Reihe in der Europäischen Gemeinschaft niedergelassener Gesellschaften hält, die auf dem Gebiet der Fertigung von Plastikverpackungen tätig sind.

5 Während des im Ausgangsverfahren erheblichen Zeitraums verfügte Welthgrove nicht über Personal. Die Mitglieder ihres Verwaltungsrats beschäftigten sich mit der aktiven Betreuung ihrer Tochtergesellschaften, doch erhielt Welthgrove hierfür keine Vergütung. Sie bezog jedoch von ihren Tochtergesellschaften Dividenden.

6 Im selben Zeitraum brachte Welthgrove Mehrwertsteuer über ingesamt 8 114,00 NLG in ihrer Steuererklärung zum Abzug. Da die niederländische Finanzverwaltung der Ansicht war, dass Welthgrove nicht am Wirtschaftsverkehr teilnehme und deshalb nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt sei, erhob sie diesen Betrag nach. Diese Entscheidung hat sie auf Einspruch von Welthgrove bestätigt.

7 Die Berufung von Welthgrove wurde vom Gerechtshof te 's-Gravenhage (Niederlande) abgewiesen. Der Gerechtshof bestätigte zunächst, dass Welthgrove in die Verwaltung der Gesellschaften, an denen sie beteiligt war, im Sinne des Urteils vom 20. Juni 1991 in der Rechtssache C-60/90 (Polysar Investments Netherlands, Slg. 1991, I-3111) eingegriffen habe. Er stellte sodann fest, dass die Dividenden, die Welthgrove erhalten hatte, als Vergütung für diese Tätigkeiten einzustufen seien. Schließlich stellte er fest, dass gemäß der niederländischen Bestimmung zur Umsetzung von Artikel 13 Teil B Buchstabe d Nummer 5 der Sechsten Richtlinie diese Leistungen von der Mehrwertsteuer befreit seien.

8 Welthgrove legte hiergegen Kassationsbeschwerde vor dem Hoge Raad der Nederlanden ein. Dieser hat beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof die folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1. Ist, gestützt auf das Urteil Polysar - insbesondere auf dessen Randnummern 13 und 14 - dann, wenn eine Muttergesellschaft in die Verwaltung einer Tochtergesellschaft eingreift, die von dieser erhaltene Dividende als eine Gegenleistung für dieses Eingreifen im Sinne von Artikel 11 Teil A Absatz 1 Buchstabe a der Sechsten Richtlinie anzusehen?

2. Wenn die erste Frage verneint wird: Führt die bloße Tatsache, dass die Kassationsklägerin im Sinne von Randnummer 14 des Urteils Polysar in die Verwaltung ihrer Tochtergesellschaften eingreift, dazu, dass die Kassationsklägerin als Steuerpflichtige im Sinne von Artikel 4 der Sechsten Richtlinie anzusehen ist?

3. Wenn die erste oder die zweite Frage bejaht wird: Fällt das erwähnte Eingreifen unter den Ausnahmetatbestand des Artikels 13 Teil B Buchstabe d Nummer 5 der Sechsten Richtlinie, d. h. den dort aufgeführten Begriff der Verwaltung?

9 Mit Schreiben vom 14. Dezember 2000 hat die Kanzlei des Gerichtshofes dem vorlegenden Gericht eine Abschrift des Urteils vom 14. November 2000 in der Rechtssache C-142/99 (Floridienne und Berginvest, Slg. 2000, I-9567) zukommen lassen und es gebeten, der Kanzlei mitzuteilen, ob es angesichts dieses Urteils sein Vorabentscheidungsersuchen aufrecht erhalten wolle.

10 Mit Schreiben vom 10. Januar 2001 hat der Hoge Raad der Nederlanden dem Gerichtshof mitgeteilt, dass er die erste Vorlagefrage zurücknehme, jedoch an der zweiten und dritten Frage festhalte. Er betont, dass im Gegensatz zu den Holdinggesellschaften, deren Situation im Urteil Floridienne und Berginvest untersucht werde, Welthgrove in die Verwaltung ihrer Tochtergesellschaften eingreife, ohne Tätigkeiten auszuüben, die gemäß Artikel 2 der Sechsten Richtlinie der Mehrwertsteuer unterlägen.

Zur zweiten Frage

11 Das vorlegende Gericht fragt mit seiner zweiten Frage, ob die bloße Tatsache, dass eine Holdinggesellschaft in die Verwaltung ihrer Tochtergesellschaften eingreift, eine wirtschaftliche Tätigkeit im Sinne von Artikel 4 Absatz 2 der Sechsten Richtlinie darstellt.

12 Hierzu ist festzustellen, dass die Antwort auf diese Frage klar aus der Rechtsprechung abgeleitet werden kann, so dass gemäß Artikel 104 § 3 der Verfahrensordnung durch mit Gründen versehenem Beschluss zu entscheiden war.

13 Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes ist Artikel 4 der Sechsten Richtlinie dahin gehend auszulegen, dass eine Holdinggesellschaft, deren einziger Zweck der Erwerb von Beteiligungen an anderen Unternehmen ist, ohne dass sie - unbeschadet ihrer Rechte als Aktionärin oder Gesellschafterin - unmittelbar oder mittelbar in die Verwaltung dieser Gesellschaften eingreift, nicht Mehrwertsteuerpflichtiger und nicht zum Vorsteuerabzug gemäß Artikel 17 der Sechsten Richtlinie berechtigt ist (vgl. insbesondere die Urteile Polysar Investments Netherlands, Randnr. 17, sowie Floridienne und Berginvest, Randnr. 17).

14 Aus der Rechtsprechung ergibt sich, dass der bloße Erwerb und das bloße Halten von Gesellschaftsanteilen nicht als wirtschaftliche Tätigkeiten im Sinne der Sechsten Richtlinie angesehen werden können, die den Erwerber und Inhaber zum Steuerpflichtigen machen würden. Der bloße Erwerb von Beteiligungen an anderen Unternehmen stellt keine Nutzung eines Gegenstands zur nachhaltigen Erzielung von Einnahmen dar, weil eine etwaige Dividende als Ergebnis dieser Beteiligung Ausfluss des bloßen Innehabens des Gegenstands ist (vgl. Urteile vom 22. Juni 1993 in der Rechtssache C-333/91, Sofitam, Slg. 1993, I-3513, Randnr. 12, und vom 6. Februar 1997 in der Rechtssache C-80/95, Hamas & Helm, Slg. 1997, I-745, Randnr. 15).

15 Der Gerichtshof hat allerdings auch festgestellt, dass etwas anderes gilt, wenn die Beteiligung unbeschadet der Rechte, die der Beteiligungsgesellschaft in ihrer Eigenschaft als Aktionärin oder Gesellschafterin zustehen, mit unmittelbaren oder mittelbaren Eingriffen in die Verwaltung der Gesellschaften einhergeht, an denen die Beteiligung besteht (Urteile Polysar Investments Netherlands, Randnr. 14, sowie Floridienne und Berginvest, Randnr. 18).

16 In Randnummer 19 des Urteils Floridienne und Berginvest hat das Gericht festgestellt, dass solche Eingriffe in die Verwaltung der Tochtergesellschaften als wirtschaftliche Tätigkeit im Sinne des Artikels 4 Absatz 2 der Sechsten Richtlinie anzusehen sind, soweit sie die Ausübung von Tätigkeiten einschließen, die gemäß Artikel 2 dieser Richtlinie der Mehrwertsteuer unterliegen.

17 Danach sind einfache Eingriffe einer Holdinggesellschaft in die Verwaltung ihrer Tochtergesellschaften, die nicht die Ausübung von Tätigkeiten einschließen, die gemäß Artikel 2 der Sechsten Richtlinie der Umsatzsteuer unterliegen, nicht als wirtschaftliche Tätigkeit im Sinne von Artikel 4 Absatz 2 der Sechsten Richtlinie anzusehen.

18 Die Eingriffe einer Holdinggesellschaft in die Verwaltung ihrer Tochtergesellschaften stellen nur dann eine wirtschaftliche Tätigkeit im Sinne von Artikel 4 Absatz 2 der Sechsten Richtlinie dar, wenn sie die Ausübung von Tätigkeiten einschließen, die gemäß Artikel 2 dieser Richtlinie der Mehrwertsteuer unterliegen.

Zur dritten Frage

19 Die dritte Frage ist nur für den Fall gestellt worden, dass die zweite Frage bejaht wird. Da die zweite Frage verneint worden ist, ist auf die dritte Frage nicht einzugehen.

Kostenentscheidung:

Kosten

20 Die Auslagen der niederländischen Regierung, der Regierung des Vereinigten Königreichs und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

auf die ihm vom Hoge Raad der Nederlanden mit Urteil vom 28. April 1999 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:

Die Eingriffe einer Holdinggesellschaft in die Verwaltung ihrer Tochtergesellschaften stellen nur dann eine wirtschaftliche Tätigkeit im Sinne von Artikel 4 Absatz 2 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuer - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage dar, wenn sie die Ausübung von Tätigkeiten einschließen, die gemäß Artikel 2 dieser Richtlinie der Umsatzsteuer unterliegen.

Ende der Entscheidung

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