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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 30.05.1991
Aktenzeichen: C-110/89
Rechtsgebiete: EWGV, VO Nr. 2727/75


Vorschriften:

EWGV Art. 169
EWGV Art. 34
EWGV Art. 5
VO Nr. 2727/75 Art. 21
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Die gemeinsamen Marktorganisationen beruhen auf dem Grundsatz eines offenen Marktes, zu dem jeder Erzeuger unter Bedingungen eines wirksamen Wettbewerbs freien Zugang hat und auf dessen Funktionieren ausschließlich mit dem in diesen Organisationen vorgesehenen Instrumentarium Einfluß genommen wird. In den Bereichen, die einer gemeinsamen Marktorganisation unterliegen, sind die Mitgliedstaaten - zumal wenn diese Organisation auf einem gemeinsamen Preissystem fusst - nicht mehr befugt, durch einseitige Maßnahmen einzugreifen, die die Handelsregelung und den Preisbildungsmechanismus der gemeinsamen Marktorganisation beeinträchtigen. Daher ist jede Intervention eines Mitgliedstaats, durch die die Ausfuhren anderer Wirtschaftsteilnehmer zugunsten einer einzigen Einrichtung beschränkt werden sollen, mit den Grundsätzen der gemeinsamen Marktorganisation unvereinbar.


URTEIL DES GERICHTSHOFES VOM 30. MAI 1991. - KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN GEGEN REPUBLIK GRIECHENLAND. - GETREIDEMARKT - ARTIKEL 34 EWG-VERTRAG - VERORDNUNG (EWG) NR. 2727/75. - RECHTSSACHE C-110/89.

Entscheidungsgründe:

1 Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat mit Klageschrift, die am 6. April 1989 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 169 EWG-Vertrag Klage erhoben auf Feststellung, daß die Griechische Republik dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus dem Gemeinschaftsrecht, insbesondere aus der Verordnung (EWG) Nr. 2727/75 des Rates vom 29. Oktober 1975 über die gemeinsame Marktorganisation für Getreide (ABl. L 281, S. 1) - von der Artikel 34 EWG-Vertrag ein untrennbarer Teil ist - in ihrer im entscheidungserheblichen Zeitraum geltenden Fassung und aus den dazugehörigen Durchführungsverordnungen verstossen hat, daß sie Maisausfuhren durch einzelne im Herbst 1985 beschränkt und verboten hat, obwohl im gleichen Zeitraum Maisausfuhren der KYDEP (Zentralstelle für die Verwaltung einheimischer Erzeugnisse) zulässig waren.

2 Nach dem Vorbringen der Kommission, die mit der Angelegenheit ursprünglich aufgrund von Beschwerden verschiedener Wirtschaftsteilnehmer befasst wurde, verboten oder beschränkten die griechischen Behörden im Zeitraum vom 1. September bis 31. Dezember 1985 die Maisausfuhren. Nur die KYDEP habe in dieser Zeit Mais frei ausführen dürfen.

3 Die Kommission gelangte zu der Auffassung, daß die auf diese Weise vorgenommenen Ausfuhrbeschränkungen gegen die Verordnung Nr. 2727/75 und gegen Artikel 34 EWG-Vertrag verstießen; sie leitete daher gegen die Griechische Republik ein Vertragsverletzungsverfahren ein.

4 Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts, des Verfahrensablaufs und des Parteivorbringens wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt ist im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

5 Vorab sind zwei Bemerkungen zu machen.

6 Erstens kann der von der Kommission in der mündlichen Verhandlung mündlich gestellte Antrag auf Feststellung, daß die Beklagte gegen ihre Kooperationspflicht aus Artikel 5 EWG-Vertrag verstossen habe, vom Gerichtshof nicht geprüft werden. Es handelt sich nämlich um einen gegenüber dem Streitgegenstand, wie er gemäß Artikel 38 § 1 der Verfahrensordnung in der Klageschrift abgegrenzt worden ist, neuen Antrag. Zudem entspricht dieser Antrag dadurch, daß damit eine Rüge erhoben wird, die in der mit Gründen versehenen Stellungnahme nicht erwähnt worden ist, nicht den Erfordernissen des Vertragsverletzungsverfahrens.

7 Zweitens bezieht sich der Antrag in der Klageschrift nicht auf die nationalen Bestimmungen zur Regelung des auf Maisausfuhren anwendbaren Verfahrens, sondern ausschließlich auf die Voraussetzungen, unter denen die griechischen Behörden die Ausfuhren tatsächlich verboten oder beschränkt haben sollen.

8 Die Klage betrifft somit nicht die Bestimmungen der Entscheidungen des Handelsministers E4/10110/1.40 vom 4. Dezember 1980 und B3.1871 vom 12. Dezember 1980, nach denen für Ausfuhren unter anderem von Mais die Erteilung des Sichtvermerks einer Bank auf einem Vordruck "Ausfuhranmeldung/-rechnung" erforderlich war; der Gerichtshof hat deshalb im vorliegenden Verfahren nicht über deren Vereinbarkeit mit dem Gemeinschaftsrecht zu entscheiden.

9 Zur Beurteilung der Begründetheit der Klage mit ihrem so abgegrenzten Gegenstand ist nacheinander zu prüfen, ob die von der Kommission vorgetragenen Tatsachen vorlagen und ob sie, soweit sie erwiesen sind, mit Artikel 34 EWG-Vertrag und der Verordnung Nr. 2727/75 vereinbar sind.

Zum Vorliegen von Beschränkungen der Maisausfuhren anderer Wirtschaftsteilnehmer als der KYDEP

10 Zum Beweis dafür, daß der der Griechischen Republik zur Last gelegte Sachverhalt gegeben ist, verweist die Kommission, der die Beweislast obliegt, zunächst auf ein Fernschreiben der Trapeza tis Elladas (Bank von Griechenland) vom 2. September 1985 an die Handelsbanken, wonach für Maisausfuhren die vorherige Erteilung eines Sichtvermerks der Ausfuhrkontrollstelle der Bank von Griechenland erforderlich sei. Die Griechische Republik macht geltend, daß das auf diese Weise eingeführte Verfahren ausschließlich eine bessere Überwachung der Ausfuhrstatistiken und keine Beschränkung der Ausfuhren bezweckt habe. Obwohl der Gerichtshof die Beklagte um genauere Angaben gebeten hat, hat diese nichts Näheres über die Bedingungen der Anwendung dieses Verfahrens im streitigen Zeitraum vorgetragen. Ferner ist zu den genauen Gründen, die die griechischen Behörden dazu veranlasst haben, zu statistischen Zwecken ein für die Wirtschaftsteilnehmer so belastendes Verfahren anzuwenden, in den Schriftsätzen und in den Antworten der Beklagten nichts ausgeführt worden.

11 Die Kommission legt zweitens zwei Schreiben vom 12. Dezember 1985 und vom 14. Januar 1986 vor, mit denen sich ein Exporteur, die Firma Cargill, bei der Bank von Griechenland über die Weigerung einer Stelle dieser Bank beschwert, ihr Ende 1985 die Ausfuhr von Mais zu genehmigen. Diese beiden Schreiben blieben unbeantwortet. Die Griechische Republik macht lediglich geltend, daß diese Schreiben keinen Beweiswert hätten, bestreitet jedoch nicht die darin enthaltenen konkreten Tatsachenbehauptungen.

12 Drittens geht aus den übereinstimmenden Angaben in den von

der Kommission zu den Akten gereichten Unterlagen hervor, daß auf einen Wirtschaftsteilnehmer, die Firma Kadinopoulos, nachdem sie für den fraglichen Zeitraum einen von der Bank von Griechenland erteilten Sichtvermerk erhalten hatte, durch den Staatssekretär für Handel, der der Ansicht war, daß die verantwortlichen Personen der Bank von Griechenland gegen seine Weisungen, die Maisausfuhren zu untersagen, verstossen hätten, Druck ausgeuebt wurde. Dieser Vorfall hätte die Maisausfuhren, für die ursprünglich der Sichtvermerk erteilt worden war, verhindern oder zumindest verzögern können. Hierzu vom Gerichtshof befragt, hat die Griechische Republik keine Angaben gemacht, die es erlaubt hätten, die Berichterstattung über diesen Vorfall in mehreren Presseartikeln zu widerlegen.

13 Diese Einzelheiten bilden eine Gesamtheit übereinstimmender Indizien, die einen Beweis, wenn nicht für ein vollständiges Verbot, so doch zumindest für verschiedene Beschränkungen der Maisausfuhren darstellt. Um diese Einzelheiten substantiiert zu bestreiten, hätte die Griechische Republik, wie dies im übrigen die Kommission und der Gerichtshof verlangt haben, insbesondere genau angeben müssen, unter welchen Bedingungen die bei der Bank von Griechenland im fraglichen Zeitraum gestellten Anträge auf Ausfuhrsichtvermerke behandelt wurden. Die Beklagte hat diese Angaben nicht gemacht und sich darauf beschränkt, auszuführen, daß sie nicht verfügbar seien, weil die Anträge nicht zentral am Sitz der Bank von Griechenland bearbeitet worden seien. Dieser Begründung kann um so weniger gefolgt werden, als in dem erwähnten Fernschreiben vom 2. September 1985 ausdrücklich vorgesehen war, daß die Anträge auf Sichtvermerke von den zentralen Stellen der Bank von Griechenland geprüft würden.

14 Was die Maisausfuhren der KYDEP angeht, so konnten diese, wie unter anderem ein Fernschreiben dieser Einrichtung vom 7. November 1985 belegt, mit dem die privaten

Wirtschaftsteilnehmer aufgefordert wurden, ihr Angebote für die sofortige Ausfuhr von 30 000 t Mais zu unterbreiten, in der üblichen Weise durchgeführt werden.

15 Es ist darauf hinzuweisen, daß diese unterschiedliche Behandlung privater Wirtschaftsteilnehmer und der KYDEP in einer Zeit erfolgte, in der die griechischen Behörden, wie der Gerichtshof bereits in seinem Urteil vom 19. März 1991 in der Rechtssache C-32/89 (Griechenland/Kommission, Slg. 1991, I-1321, Randnr. 15 ff.) festgestellt hat, die Interventionen dieser Einrichtung auf dem Getreidemarkt unter Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht steuerten.

16 Unter diesen Umständen ist festzustellen, daß die Kommission den Beweis dafür erbracht hat, daß die griechischen Behörden durch verschiedene Maßnahmen die Maisausfuhren anderer Wirtschaftsteilnehmer als des KYDEP behindert und beschränkt haben.

Zum Verstoß gegen Artikel 34 EWG-Vertrag und die Verordnung Nr. 2727/75

17 Es ist davon auszugehen, daß die zuvor festgestellten Ausfuhrbeschränkungen unterschiedslos für Maisausfuhren in die Gemeinschaft und für Maisausfuhren in Drittländer galten.

18 In bezug auf den innergemeinschaftlichen Handel ist festzustellen, daß die Vertragsbestimmungen über den freien Warenverkehr innerhalb der Gemeinschaft, insbesondere Artikel 34 EWG-Vertrag, worauf Artikel 21 der Verordnung Nr. 2727/75 hinweist, für den Getreidesektor gelten. Somit sind in diesem Sektor mengenmässige Ausfuhrbeschränkungen sowie alle Maßnahmen gleicher Wirkung zwischen den Mitgliedstaaten verboten.

19 Getreideausfuhren in Drittländer sind in den Vorschriften des Titels II der Verordnung Nr. 2727/75 geregelt. Aus diesen Vorschriften geht hervor, daß ein Mitgliedstaat nur im besonderen Rahmen der nach Artikel 20 der Verordnung und nach der Durchführungsverordnung (EWG) Nr. 2748/75 des Rates vom 29. Oktober 1975 über die Voraussetzungen für die Anwendung der Schutzmaßnahmen auf dem Sektor Getreide (ABl. L 281, S. 85) vorgesehenen Schutzmaßnahmen Maßnahmen ergreifen kann, mit denen die Ausfuhren ausgesetzt werden. Von diesem Fall abgesehen, der hier nicht vorliegt, dürfen die Mitgliedstaaten Getreideausfuhren in Drittländer nicht beschränken.

20 Keine der von der Kommission in ihrer Klageschrift aufgeführten beschränkenden Maßnahmen kann daher - unabhängig von der Bestimmung der fraglichen Ausfuhren - nach den hierfür geltenden Vorschriften gerechtfertigt werden.

21 Schließlich ist darauf hinzuweisen, daß die gemeinsamen Marktorganisationen auf dem Grundsatz eines offenen Marktes beruhen, zu dem jeder Erzeuger unter Bedingungen eines wirksamen Wettbewerbs freien Zugang hat und auf dessen Funktionieren ausschließlich mit dem in diesen Organisationen vorgesehenen Instrumentarium Einfluß genommen wird. In den Bereichen, die einer gemeinsamen Marktorganisation unterliegen, sind die Mitgliedstaaten - zumal wenn diese Organisation, wie im vorliegenden Fall, auf einem gemeinsamen Preissystem fusst - nicht mehr befugt, durch einseitige Maßnahmen einzugreifen, die die Handelsregelung und den Preisbildungsmechanismus der gemeinsamen Marktorganisation beeinträchtigen (siehe Urteil vom 12. Juli 1990 in der Rechtssache C-35/88,

Kommission/Griechenland, Slg. 1990, I-3125, Randnr. 29).

22 Jede Intervention eines Mitgliedstaats, durch die die Ausfuhren anderer Wirtschaftsteilnehmer zugunsten einer einzigen Einrichtung beschränkt werden sollen, ist daher mit den Grundsätzen der gemeinsamen Marktorganisation unvereinbar.

23 Nach alledem stellen die von der Griechischen Republik unter den beschriebenen Bedingungen verfügten Beschränkungen der Maisausfuhren einen Verstoß gegen Artikel 34 EWG-Vertrag und die Verordnung Nr. 2727/75 dar.

24 Daher ist festzustellen, daß die Griechische Republik dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 34 EWG-Vertrag und aus der Verordnung Nr. 2727/75 des Rates vom 29. Oktober 1975 verstossen hat, daß sie in der Zeit vom 1. September bis zum 31. Dezember 1985 Maisausfuhren anderer Wirtschaftsteilnehmer als der KYDEP durch verschiedene Maßnahmen behindert und beschränkt hat.

Kostenentscheidung:

Kosten

25 Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Griechische Republik mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr die Kosten aufzuerlegen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

für Recht erkannt und entschieden:

1) Die Griechische Republik hat dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 34 EWG-Vertrag und aus der Verordnung (EWG) Nr. 2727/75 des Rates vom 29. Oktober 1975 über die gemeinsame Marktorganisation für Getreide verstossen, daß sie in der Zeit vom 1. September bis zum 31. Dezember 1985 Maisausfuhren anderer Wirtschaftsteilnehmer als der KYDEP durch verschiedene Maßnahmen behindert und beschränkt hat.

2) Die Griechische Republik trägt die Kosten des Verfahrens.

Ende der Entscheidung

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