Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 16.04.1991
Aktenzeichen: C-112/89
Rechtsgebiete: Richtlinie 65/65, Richtlinie 76/768


Vorschriften:

Richtlinie 65/65 Art. 1 Nr. 2 Abs. 2
Richtlinie 76/768 Art. 1 Abs. 1
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Ein Erzeugnis, das kein "Mittel zur Heilung oder zur Verhütung menschlicher oder tierischer Krankheiten" im Sinne des Artikels 1 Nr. 2 Absatz 1 der Richtlinie 65/65 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über Arzneispezialitäten ist, ist dennoch ein Arzneimittel, wenn es "zur Wiederherstellung, Besserung oder Beeinflussung der... Körperfunktionen" im Sinne von Absatz 2 dieser Bestimmung angewandt werden kann. Die letztgenannte Wendung ist in einem so weiten Sinn zu verstehen, daß alle Stoffe eingeschlossen sind, die eine Auswirkung auf die Körperfunktionen im eigentlichen Sinn haben können, und zwar nicht nur die Erzeugnisse, die eine tatsächliche Auswirkung auf die Körperfunktionen haben, sondern auch diejenigen, die die angekündigte Wirkung nicht haben, so daß das Inverkehrbringen der letztgenannten Erzeugnisse zum Schutz der Verbraucher verboten werden kann. Die Wendung erfasst jedoch keine Stoffe, die - wie bestimmte Kosmetika - zwar auf den menschlichen Körper einwirken, sich aber nicht nennenswert auf den Stoffwechsel auswirken und somit dessen Funktionsbedingungen nicht wirklich beeinflussen.

Es ist Sache des nationalen Gerichts, von Fall zu Fall die erforderlichen Qualifizierungen vorzunehmen, wobei es die pharmakologischen Eigenschaften des betreffenden Erzeugnisses, so wie sie beim gegenwärtigen Stand der wissenschaftlichen Kenntnisse festgestellt werden können, die Modalitäten seiner Anwendung, den Umfang seiner Verbreitung und seine Bekanntheit bei den Verbrauchern zu berücksichtigen hat.

2. Ein Erzeugnis ist, auch wenn es unter die Definition der kosmetischen Mittel in Artikel 1 Absatz 1 der Richtlinie 76/768 fällt, dann als Arzneimittel im Sinne des Artikels 1 Nr. 2 der Richtlinie 65/65 über Arzneispezialitäten anzusehen und - wenn es sich um eine Arzneispezialität handelt - der entsprechenden Regelung zu unterwerfen, wenn es als Mittel zur Heilung oder zur Verhütung von Krankheiten bezeichnet wird oder dazu bestimmt ist, zur Wiederherstellung, Besserung oder Beeinflussung der Körperfunktionen angewandt zu werden.

Diese Qualifizierung ist im Hinblick auf das mit beiden Richtlinien verfolgte Ziel des Schutzes der öffentlichen Gesundheit geboten, da die rechtliche Regelung für Arzneispezialitäten in Anbetracht der besonderen Gefahren, die diese Erzeugnisse für die öffentliche Gesundheit mit sich bringen können und die im allgemeinen von kosmetischen Mitteln nicht ausgehen, strenger ist als die für kosmetische Mittel.


URTEIL DES GERICHTSHOFES (FUENFTE KAMMER) VOM 16. APRIL 1991. - UPJOHN COMPANY UND UPJOHN NV GEGEN FARZOO INC UND JACOBUS AWMJ. KORTMANN. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: HOGE RAAD - NIEDERLANDE. - BEGRIFFE "ARZNEIMITTEL" UND "KOSMETISCHES MITTEL". - RECHTSSACHE C-112/89.

Entscheidungsgründe:

1 Der Hoge Raad der Nederlanden hat mit Urteil vom 31. März 1989, beim Gerichtshof eingegangen am 6. April 1989, gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag zwei Fragen nach der Auslegung der Richtlinien 65/65/EWG vom 26. Januar 1965 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über Arzneispezialitäten (ABl. 1965 Nr. 22, S. 369) und 76/768/EWG des Rates vom 27. Juli 1976 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über kosmetische Mittel (ABl. L 262, S. 169) zur Vorabentscheidung vorgelegt, um nähere Hinweise über den Begriff "Arzneimittel" im Gemeinschaftsrecht und über die Abgrenzung dieses Begriffs gegenüber dem Begriff "kosmetisches Mittel" zu erhalten.

2 Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen der Firma The Upjohn Company und der Firma NV Upjohn (im weiteren: Upjohn) einerseits und der Firma Farzoo Inc. und Herrn Kortmann (im weiteren: Farzoo) andererseits. Upjohn wirft Farzoo vor, auf dem niederländischen Markt das Erzeugnis "Minoxidil" unter Verstoß gegen das niederländische Arzneimittelgesetz (Wet op de Geneesmiddelenvoorziening) zu vertreiben.

3 Minoxidil wurde zu Anfang der 60er Jahre in den Laboratorien von Upjohn als Arzneimittel zur Behandlung von Bluthochdruck entwickelt. Da eine seiner Nebenwirkungen die Förderung des Wachstums der Körperbehaarung ist, entwickelte Upjohn eine zweite Anwendung dieses Erzeugnisses zur Behandlung des natürlichen Haarausfalls. Sie vertreibt dieses neue Erzeugnis unter der Bezeichnung "Regaine" als Arzneimittel. Es ist unstreitig, daß das Erzeugnis Regaine in zahlreichen Ländern, darunter elf Mitgliedstaaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft einschließlich der Niederlande, als Arzneispezialität zugelassen oder eingetragen ist.

4 Das von Farzoo, insbesondere in den Niederlanden, unter der Bezeichnung "Minoxidil" vertriebene Erzeugnis ist ein mit dem Erzeugnis Regaine im Hinblick auf seinen Zweck und seine Anwendungsbedingungen identisches Erzeugnis. Farzoo betrachtet ihr Erzeugnis jedoch als kosmetisches Mittel und verkauft es als solches.

5 Upjohn war der Auffassung, Farzoo betreibe ihr gegenüber unlauteren Wettbewerb und verstosse sowohl gegen die nationalen als auch gegen die Gemeinschaftsbestimmungen über das Inverkehrbringen von Arzneimitteln; sie verklagte sie daher bei der Arrondissementsrechtbank s' Hertogenbosch und beantragte erstens, Farzoo zu untersagen, Minoxidil auf irgendeine Art zu vertreiben, und zweitens, ihr aufzugeben, die Namen und Adressen ihrer Minoxidil -Lieferanten und derjenigen anzugeben, an die sie dieses Erzeugnis schon verkauft oder geliefert hat.

6 Durch Urteil vom 19. Mai 1987, das in der Berufung durch Urteil des Gerechtshof 's-Hertogenbosch vom 18. Januar 1988 bestätigt wurde, wies der Präsident der Arrondissementsrechtbank ihre Klage ab.

7 Gegen dieses Urteil legte Upjohn beim Hoge Raad der Nederlanden Kassationsbeschwerde ein. Dieses Gericht ist der Auffassung, das nationale Arzneimittelgesetz sei im Einklang mit den Zielen der genannten Richtlinie 65/65 auszulegen und der Rechtsstreit werfe Fragen nach der Auslegung von Bestimmungen sowohl dieser Richtlinie als auch der Richtlinie 76/768 über die kosmetischen Mittel auf. Es hat daher dem Gerichtshof folgende beiden Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1) Kann ein Erzeugnis, das kein "Mittel zur Heilung oder zur Verhütung menschlicher oder tierischer Krankheiten" im Sinne von Artikel 1 Nr. 2 Absatz 1 der Richtlinie 65/65/EWG ist, doch als Arzneimittel angesehen werden, wenn es beim Menschen angewandt werden kann, um Körperfunktionen wiederherzustellen, zu bessern oder zu beeinflussen?

2) Wenn ja, wie ist dann der Begriff "Arzneimittel" in der Richtlinie 65/65/EWG von dem Begriff "kosmetisches Mittel" in der Richtlinie 76/768/EWG abzugrenzen?

8 Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts, des Verfahrensablaufs und der beim Gerichtshof eingereichten schriftlichen Erklärungen wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt wird im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

Zur ersten Vorlagefrage

9 Aus dem Vorlageurteil und dem Akteninhalt ergibt sich, daß der Hoge Raad angesichts der Gedankenführung des Berufungsgerichts Zweifel an der Tragweite des Artikels 1 Nr. 2 Absatz 2 der Richtlinie 65/65 hat. Das Berufungsgericht hatte angenommen, daß der männliche oder "natürliche" Haarausfall (Alopecia androgenetica) keine "Krankheit" sei. Es hatte auch festgestellt, daß noch nicht einmal geltend gemacht werde, daß Minoxidil irgendeine Wirkung bei der Behandlung anderer Formen, das heisst krankhafter Fälle, von Kahlheit habe, und es hatte daraus geschlossen, daß dieses Erzeugnis nicht als zur Krankheitsbekämpfung bestimmt angesehen und somit nicht als "Arzneimittel" qualifiziert werden könne.

10 Die Frage ist folglich im wesentlichen, ob ein Erzeugnis, obwohl es nicht dazu bestimmt ist, eine Krankheit zu heilen oder zu verhüten, allein deshalb als "Arzneimittel" angesehen werden kann, weil es dazu bestimmt ist, zur Wiederherstellung, Besserung oder Beeinflussung von Körperfunktionen angewandt zu werden.

11 Gemäß Artikel 1 Nr. 2 Absatz 1 der Richtlinie 65/65 sind Arzneimittel "alle Stoffe oder Stoffzusammensetzungen, die als Mittel zur Heilung oder zur Verhütung menschlicher oder tierischer Krankheiten bezeichnet werden"; gemäß Absatz 2 werden ebenfalls als Arzneimittel angesehen "alle Stoffe oder Stoffzusammensetzungen, die dazu bestimmt sind, im oder am menschlichen oder tierischen Körper zur Erstellung einer ärztlichen Diagnose oder zur Wiederherstellung, Besserung oder Beeinflussung der menschlichen oder tierischen Körperfunktionen angewandt zu werden".

12 Upjohn, die Kommission, die spanische, die französische und die italienische Regierung sowie das Vereinigte Königreich sind der Auffassung, daß die erste Frage des Hoge Raad zu bejahen sei. Die in Absatz 2 der genannten Bestimmung enthaltene Wendung habe einen anderen und weiteren Sinn als die in Absatz 1 verwendete, was sich aus ihren unterschiedlichen Zwecken erkläre.

13 Während durch das erste Kriterium, das auf die Bezeichnung des Erzeugnisses abstelle, der Scharlatanerie entgegengewirkt werden solle, erlaube es das zweite, all jene Stoffe zu erfassen, die eine Auswirkung auf die menschliche Gesundheit haben könnten.

14 Farzoo hingegen macht geltend, das Arzneimittel könne nur in Verbindung mit dem Begriff der "Krankheit" definiert werden, wodurch ausgeschlossen sei, daß die Wendung "zur Wiederherstellung, Besserung oder Beeinflussung der... Körperfunktionen" eine andere Bedeutung haben könne als die Wendung "Mittel zur Heilung oder zur Verhütung" von Krankheiten.

15 Dem letztgenannten Standpunkt ist nicht zu folgen. Die Richtlinie 65/65 gibt nämlich zwei Definitionen des Arzneimittels: eine Definition des Arzneimittels "nach der Bezeichnung" und eine Definition "nach der Funktion". Ein Erzeugnis ist ein Arzneimittel, wenn es unter eine dieser beiden Definitionen fällt.

16 Wie der Gerichtshof in seinem Urteil vom 30. November 1983 in der Rechtssache 227/82 (Van Bennekom, Slg. 1983, 3883) festgestellt hat, soll das Kriterium der "Bezeichnung" in Absatz 1 nicht nur die Arzneimittel erfassen, die tatsächlich therapeutische oder medizinische Wirkung haben, sondern auch die Erzeugnisse, die nicht ausreichend wirksam sind oder nicht die Wirkung haben, die der Verbraucher nach ihrer Bezeichnung von ihnen erwarten darf; dadurch soll der Verbraucher nicht nur vor schädlichen oder giftigen Arzneimitteln als solchen geschützt werden, sondern auch vor Erzeugnissen, die anstelle der geeigneten Heilmittel verwendet werden. Der Begriff der "Bezeichnung" eines Erzeugnisses ist aus diesem Grund weit auszulegen.

17 Die zweite Definition hingegen betrifft Erzeugnisse, die aufgrund ihrer Funktion als Arzneimittel anzusehen sind, das heisst alle die Erzeugnisse, die zur Wiederherstellung, Besserung oder Beeinflussung der Körperfunktionen bestimmt sind und somit Auswirkungen auf die Gesundheit im allgemeinen haben können.

18 Diese beiden Definitionen können jedoch nicht als streng voneinander getrennt gesehen werden. Wie in dem genannten Urteil vom 3. November 1983 (Van Bennekom, Randnr. 22) festgestellt wurde, fällt ein Stoff, der zwar im Sinne der ersten Gemeinschaftsdefinition ein "Mittel zur Heilung oder zur Verhütung menschlicher oder tierischer Krankheiten" ist, jedoch nicht als solches bezeichnet wird, in den Geltungsbereich der zweiten Gemeinschaftsdefinition des Arzneimittels.

19 In den Anwendungsbereich dieser Definition fallen aber auch die Erzeugnisse, die die Körperfunktionen verändern, ohne daß eine Krankheit vorliegt, wie zum Beispiel Verhütungsmittel.

20 Es ist hinzuzufügen, daß wegen des in der Bestimmung enthaltenen Wortes "zur" in die Definition des Arzneimittels nicht nur die Erzeugnisse einbezogen werden können, die eine tatsächliche Auswirkung auf die Körperfunktionen haben, sondern auch diejenigen, die die angekündigte Wirkung nicht haben, so daß die Behörden das Inverkehrbringen solcher Erzeugnisse zum Schutz der Verbraucher verhindern können.

21 Aus dem vom Richtliniengeber verfolgten Ziel des Gesundheitsschutzes folgt, daß die Wendung "zur Wiederherstellung, Besserung oder Beeinflussung der Körperfunktionen" in einem so weiten

Sinn zu verstehen ist, daß alle Stoffe eingeschlossen sind, die eine Auswirkung auf die Körperfunktionen im eigentlichen Sinn haben können.

22 Jedoch erlaubt es dieses Kriterium nicht, die Stoffe einzubeziehen, die - wie bestimmte Kosmetika - zwar auf den menschlichen Körper einwirken, sich aber nicht nennenswert auf den Stoffwechsel auswirken und somit dessen Funktionsbedingungen nicht wirklich beeinflussen.

23 Es ist Sache des nationalen Gerichts, von Fall zu Fall die erforderlichen Qualifizierungen vorzunehmen, wobei es die pharmakologischen Eigenschaften des betreffenden Erzeugnisses, so wie sie beim gegenwärtigen Stand der wissenschaftlichen Kenntnisse festgestellt werden können, die Modalitäten seiner Anwendung, den Umfang seiner Verbreitung und seine Bekanntheit bei den Verbrauchern zu berücksichtigen hat.

24 Auf die erste Vorlagefrage ist demgemäß zu antworten, daß ein Erzeugnis, das kein "Mittel zur Heilung oder zur Verhütung menschlicher oder tierischer Krankheiten" ist, ein Arzneimittel ist, wenn es "zur Wiederherstellung, Besserung oder Beeinflussung der... Körperfunktionen" angewandt werden kann, und daß es Sache des vorlegenden Gerichts ist, von Fall zu Fall die erforderlichen Qualifizierungen vorzunehmen, wobei es die pharmakologischen Eigenschaften des betreffenden Erzeugnisses, so wie sie beim gegenwärtigen Stand der wissenschaftlichen Kenntnisse festgestellt werden können, die Modalitäten seiner Anwendung, den Umfang seiner Verbreitung und seine Bekanntheit bei den Verbrauchern zu berücksichtigen hat.

Zur zweiten Vorlagefrage

25 Mit seiner zweiten Vorlagefrage möchte der Hoge Raad wissen, wie bei Erzeugnissen, die keine Mittel zur Heilung oder zur Verhütung von Krankheiten sind, Arzneimittel und kosmetische Mittel gegeneinander abzugrenzen sind.

26 Upjohn, die Kommission, die spanische Regierung und das Vereinigte Königreich führen aus, wenn ein Erzeugnis unter die Definition des Arzneimittels falle, könne es nicht als "kosmetisches Mittel" qualifiziert werden und es sei darauf nur die für die Arzneimittel geltende strengere Regelung anwendbar; dies stehe im Einklang mit dem Ziel des Schutzes der öffentlichen Gesundheit. Für den besonderen Fall, der dem Ausgangsrechtsstreit zugrunde liegt, verweist die französische Regierung darauf, daß Minoxidil nicht Bestandteil eines kosmetischen Mittels sein dürfe, da die Verwendung von Minoxidil sowie seiner Salze und Derivate in kosmetischen Mitteln durch die Richtlinie 87/137/EWG der Kommission vom 2. Februar 1987 zur Anpassung der Anhänge II, III, IV, V und VI der Richtlinie 76/768/EWG des Rates an den technischen Fortschritt (ABl. L 56, S. 20) untersagt worden sei. Die italienische Regierung ist der Auffassung, ein kosmetisches Mittel dürfe bestimmte Körperfunktionen beeinflussen, wenn dies in der Richtlinie 76/768 vorgesehen sei und die Beeinflussung nicht mit einem Krankheitszustand im Zusammenhang stehe.

27 Farzoo ist der Auffassung, ein Erzeugnis wie Minoxidil falle unter die Definition des kosmetischen Erzeugnisses in Artikel 1 Absatz 1 der genannten Richtlinie 76/768 und könne nicht aufgrund der Kriterien in deren fünfter Begründungserwägung von ihrem Geltungsbereich ausgeschlossen werden, da es nicht ausschließlich zur Verhütung einer Krankheit und auch nicht dazu bestimmt sei, eingenommen, eingeatmet, eingespritzt oder in den menschlichen Körper eingepflanzt zu werden.

28 Artikel 1 Absatz 1 der Richtlinie 76/768 definiert kosmetische Mittel als "Stoffe oder Zubereitungen, die dazu bestimmt sind, äusserlich mit den verschiedenen Teilen des menschlichen Körpers (Haut, Behaarungssystem, Nägel, Lippen und intime Regionen) oder mit den Zähnen und den Schleimhäuten der Mundhöhle in Berührung zu kommen, und zwar zu dem ausschließlichen oder überwiegenden Zweck, diese zu reinigen, zu parfümieren, zu schützen, um sie in gutem Zustand zu halten, ihr Aussehen zu verändern oder den Körpergeruch zu beeinflussen".

29 Wie die fünfte Begründungserwägung der Richtlinie 76/768, wonach deren Bestimmungen "sich nur auf kosmetische Mittel und nicht auf pharmazeutische Spezialitäten und Medikamente [beziehen]", deutlich macht, betrifft diese Richtlinie nur kosmetische Mittel und nicht Arzneimittel.

30 Auch wenn es daher nicht ausgeschlossen ist, daß die Definition des kosmetischen Mittels in Zweifelsfällen mit der des Arzneimittels verglichen wird, bevor ein Erzeugnis aufgrund seiner Funktion als Arzneimittel qualifiziert wird, so fällt ein Erzeugnis, das den Charakter eines Arzneimittels oder einer Arzneispezialität aufweist, doch nicht in den Geltungsbereich der Richtlinie 76/768, sondern unterliegt allein der Richtlinie 65/65 und den Richtlinien zu deren Änderung.

31 Diese Schlußfolgerung ist im übrigen die einzige, die dem mit beiden Richtlinien verfolgten Ziel des Schutzes der öffentlichen Gesundheit entspricht, da die rechtliche Regelung für Arzneispezialitäten in Anbetracht der besonderen Gefahren, die diese Erzeugnisse für die öffentliche Gesundheit mit sich bringen können und die im allgemeinen von kosmetischen Mitteln nicht ausgehen, strenger ist als die für kosmetische Mittel.

32 Unter diesen Umständen ist ein Erzeugnis, auch wenn es unter die Definition des Artikels 1 Nr. 1 der Richtlinie 76/768 fällt, dann als "Arzneimittel" anzusehen und der entsprechenden Regelung zu unterwerfen, wenn es als Mittel zur Heilung oder zur Verhütung von Krankheiten bezeichnet wird oder dazu bestimmt ist, zur Wiederherstellung, Besserung oder Beeinflussung der Körperfunktionen angewandt zu werden.

33 Auf die zweite Frage ist demgemäß zu antworten, daß jedes Erzeugnis, das eines der beiden Kriterien des Artikels 1 Nr. 2 der Richtlinie 65/65 erfuellt, ein Arzneimittel ist und, wenn es sich um eine Arzneispezialität handelt, der entsprechenden Regelung und nicht derjenigen über kosmetische Mittel unterworfen werden muß.

Kostenentscheidung:

Kosten

34 Die Auslagen der spanischen, der französischen und der italienischen Regierung, des Vereinigten Königreichs und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die Erklärungen beim Gerichtshof eingereicht haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren vor dem Gerichtshof ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)

auf die ihm vom Hoge Raad der Nederlanden mit Urteil vom 31. März 1989 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:

1) Ein Erzeugnis, das kein "Mittel zur Heilung oder zur Verhütung menschlicher oder tierischer Krankheiten" ist, ist ein Arzneimittel, wenn es "zur Wiederherstellung, Besserung oder Beeinflussung der... Körperfunktionen" angewandt werden kann; es ist Sache des vorlegenden Gerichts, von Fall zu Fall die erforderlichen Qualifizierungen vorzunehmen, wobei es die pharmakologischen Eigenschaften des betreffenden Erzeugnisses, so wie sie beim gegenwärtigen Stand der wissenschaftlichen Kenntnisse festgestellt werden können, die Modalitäten seiner Anwendung, den Umfang seiner Verbreitung und seine Bekanntheit bei den Verbrauchern zu berücksichtigen hat.

2) Jedes Erzeugnis, das eines der beiden Kriterien des Artikels 1 Nr. 2 der Richtlinie 65/65/EWG des Rates vom 26. Januar 1965 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über Arzneispezialitäten erfuellt, ist ein Arzneimittel und muß, wenn es sich um eine Arzneispezialität handelt, der entsprechenden Regelung und nicht derjenigen über kosmetische Mittel unterworfen werden.

Ende der Entscheidung

Zurück