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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 07.01.2004
Aktenzeichen: C-117/01
Rechtsgebiete: EG, Richtlinie 75/117/EWG


Vorschriften:

EG Art. 141
Richtlinie 75/117/EWG
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Urteil des Gerichtshofes vom 7. Januar 2004. - K.B. gegen National Health Service Pensions Agency und Secretary of State for Health. - Ersuchen um Vorabentscheidung: Court of Appeal (England & Wales) (Civil Division) - Vereinigtes Königreich. - Artikel 141 EG - Richtlinie 75/117/EWG - Gleichbehandlung von Männern und Frauen - Ausschluss eines transsexuellen Partners vom Anspruch auf Hinterbliebenenrente, deren Gewährung auf den überlebenden Ehegatten beschränkt ist - Diskriminierung aufgrund des Geschlechts. - Rechtssache C-117/01.

Parteien:

In der Rechtssache C-117/01

betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 234 EG vom Court of Appeal (England & Wales) (Civil Division) (Vereinigtes Königreich) in dem bei diesem anhängigen Rechtsstreit

K. B.

gegen

National Health Service Pensions Agency,

Secretary of State for Health

"vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung des Artikels 141 EG und der Richtlinie 75/117/EWG des Rates vom 10. Februar 1975 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen (ABl. L 45, S. 19)

erlässt

DER GERICHTSHOF

unter Mitwirkung des Präsidenten V. Skouris, der Kammerpräsidenten C. W. A. Timmermans, J. N. Cunha Rodrigues (Berichterstatter) und A. Rosas, der Richter D. A. O. Edward und J.-P. Puissochet, der Richterinnen F. Macken und N. Colneric sowie des Richters S. von Bahr,

Generalanwalt: D. Ruíz-Jarabo Colomer,

Kanzler: L. Hewlett, Hauptverwaltungsrätin,

unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen

- der K. B., vertreten durch C. Hockney und L. Cox, QC, sowie durch T. Eicke, Barrister,

- der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch J. E. Collins als Bevollmächtigten im Beistand von N. Paines, QC,

- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch N. Yerrel als Bevollmächtigte,

aufgrund des Sitzungsberichts,

nach Anhörung der mündlichen Ausführungen von K. B., vertreten durch L. Cox und T. Eicke, der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch J. E. Collins im Beistand von N. Paines, und der Kommission, vertreten durch J. Sack und L. Flynn als Bevollmächtigte, in der Sitzung vom 23. April 2002,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 10. Juni 2003

folgendes

Urteil

Entscheidungsgründe:

1 Der Court of Appeal (England & Wales) (Civil Division) hat mit Beschluss vom 14. Dezember 2000, beim Gerichtshof eingegangen am 15. März 2001, gemäß Artikel 234 EG eine Frage nach der Auslegung des Artikels 141 EG und der Richtlinie 75/117/EWG des Rates vom 10. Februar 1975 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen (ABl. L 45, S. 19) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Frage stellt sich in einem Rechtsstreit zwischen K. B., Mitglied im Rentensystem des National Health Service (Nationale Krankenkasse, im Folgenden: NHS), und der NHS Pensions Agency (Pensionsamt des NHS) sowie dem Secretary of State for Health (Gesundheitsminister) wegen deren Weigerung, ihrem transsexuellen Partner eine Witwerrente zu gewähren.

Rechtlicher Rahmen

Gemeinschaftsrecht

3 Artikel 141 EG sieht vor:

"(1) Jeder Mitgliedstaat stellt die Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit sicher.

(2) Unter "Entgelt" im Sinne dieses Artikels sind die üblichen Grund- oder Mindestlöhne und -gehälter sowie alle sonstigen Vergütungen zu verstehen, die der Arbeitgeber aufgrund des Dienstverhältnisses dem Arbeitnehmer unmittelbar oder mittelbar in bar oder in Sachleistungen zahlt.

..."

4 Artikel 1 Absatz 1 Unterabsatz 1 der Richtlinie 75/117 sieht vor:

"Der in Artikel 119 des Vertrages genannte Grundsatz des gleichen Entgelts für Männer und Frauen, im Folgenden als "Grundsatz des gleichen Entgelts" bezeichnet, bedeutet bei gleicher Arbeit oder bei einer Arbeit, die als gleichwertig anerkannt wird, die Beseitigung jeder Diskriminierung aufgrund des Geschlechts in Bezug auf sämtliche Entgeltsbestandteile und -bedingungen."

5 Artikel 3 dieser Richtlinie hat folgenden Wortlaut:

"Die Mitgliedstaaten beseitigen alle mit dem Grundsatz des gleichen Entgelts unvereinbaren Diskriminierungen zwischen Männern und Frauen, die sich aus ihren Rechts- oder Verwaltungsvorschriften ergeben."

Nationales Recht

6 Nach den Sections 1 und 2 des Sex Discrimination Act 1975 (Gesetz gegen Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, im Folgenden: Gesetz von 1975) ist es untersagt, eine Person des einen Geschlechts unmittelbar zu diskriminieren, indem sie ungünstiger behandelt wird, als ein Angehöriger des anderen Geschlechts behandelt wird oder behandelt würde. Diese Vorschriften verbieten auch eine mittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, die sie im Wesentlichen als Anwendung einer einheitlichen Bedingung oder Voraussetzung definieren, die sich in unverhältnismäßiger und ungerechtfertigter Weise für ein Geschlecht nachteilig auswirkt.

7 Auf das Urteil des Gerichtshofes vom 30. April 1996 in der Rechtssache C-13/94 (P./S., Slg. 1996, I-2143) hin erließ das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland die Sex Discrimination (Gender Reassignment) Regulations 1999 (Verordnung gegen Diskriminierung aufgrund des Geschlechts bei Geschlechtsumwandlung). Diese änderten das Gesetz von 1975 dahin gehend, dass nunmehr auch die unmittelbare Diskriminierung eines Arbeitnehmers aufgrund einer Geschlechtsumwandlung in den Anwendungsbereich des Gesetzes fällt.

8 Section 11 (c) des Matrimonial Causes Act von 1973 (Ehegesetz) bestimmt, dass eine Ehe nichtig ist, wenn es sich bei den Ehegatten nicht um einen Mann und eine Frau handelt.

9 Section 29 (1) und (3) des Births and Deaths Registration Act (Gesetz über die Eintragung der Geburts- und Sterbefälle) untersagt jede Änderung des Geburtsregisters, außer im Fall eines Schreibfehlers oder eines tatsächlichen Irrtums.

10 Die NHS Pension Scheme Regulations 1995 (Verordnung über das Rentensystem des NHS) sieht in Regulation G7 (1) vor, dass wenn ein weibliches Mitglied unter den dort bestimmten Umständen verstirbt und einen überlebenden "Witwer" hinterlässt, letzterer grundsätzlich Anspruch auf eine Hinterbliebenenrente hat. Der Begriff "Witwer" wird nicht definiert. Es steht jedoch fest, dass dieser Begriff sich im englischen Recht auf eine mit dem Mitglied verheiratete Person bezieht.

Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefrage

11 K. B., die Klägerin des Ausgangsverfahrens, ist eine Frau, die 20 Jahre, u. a. als Krankenschwester, für den NHS gearbeitet hat und Mitglied des Rentensystems des NHS ist.

12 K. B. lebt seit mehreren Jahren in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft mit R, einer Person, die als Frau geboren und als solche im Personenregister eingetragen ist und die infolge einer medizinischen Geschlechtsumwandlung zum Mann geworden ist, ohne jedoch ihre Geburtsurkunde ändern zu können, um diese Umwandlung amtlich eintragen zu lassen. Aus diesem Grund konnten K. B. und R gegen ihren Willen nicht heiraten. K. B. hat in ihren Schriftsätzen vorgetragen und in der mündlichen Verhandlung wiederholt, dass ihre Verbindung in "einer kirchlichen, von einem Bischof der Kirche von England anerkannten Zeremonie" geweiht worden sei und dass sie ein wechselseitiges Gelöbnis, "wie es jedes heiratende Paar ablegen würde", abgelegt hätten.

13 Die NHS Pensions Agency unterrichtete K. B. darüber, dass, falls sie zuerst versterbe, R mangels Ehe keine Witwerrente erhalten könne, weil nur überlebende Ehegatten Anspruch auf diese Leistung hätten und keine Bestimmung des Rechts des Vereinigten Königreichs einer Person ohne Vorliegen einer gesetzlichen Ehe die Eigenschaft eines Ehegatten zuerkenne.

14 K. B. rief das Employment Tribunal (Vereinigtes Königreich) an und machte geltend, dass die nationalen Bestimmungen, die die Leistungen auf Witwer und Witwen von Mitgliedern beschränkten, eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts darstellten, die gegen Artikel 141 EG und gegen die Richtlinie 75/117 verstoße. Nach diesen Bestimmungen sei der Begriff "Witwer" dahin auszulegen, dass er auch den überlebenden Partner einschließe, der diese Stellung erlangt hätte, wenn seine sexuelle Zuordnung nicht das Ergebnis einer medizinischen Geschlechtsumwandlung gewesen wäre.

15 Das Employment Tribunal wie auch das Employment Appeal Tribunal London (Vereinigtes Königreich) stellten mit Urteil vom 16. März 1998 bzw. mit Berufungsurteil vom 19. August 1999 fest, dass das fragliche Rentensystem nicht diskriminierend sei.

16 K. B. brachte den Rechtsstreit vor den Court of Appeal (England & Wales) (Civil Division); dieser hat das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Stellt der Ausschluss eines transsexuellen (ursprünglich weiblichen) Partners eines weiblichen Mitglieds des National Health Service Pension Scheme (Rentensystem der nationalen Krankenkasse), wonach nur der Witwer des Mitglieds Ansprüche als berücksichtigungsfähiger Angehöriger hat, eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts unter Verstoß gegen Artikel 141 EG und die Richtlinie 75/117 dar?

Zur Vorabentscheidungsfrage

Vor dem Gerichtshof abgegebene Erklärungen

17 Nach Ansicht von K. B. ist die Entscheidung, die ihr die Bestimmung von R als Begünstigtem der Witwerrente verwehre, ausschließlich aus einem Grund ergangen, der mit der Geschlechtsumwandlung des R zusammenhänge. Wenn R nämlich keine Geschlechtsumwandlung vorgenommen und ihn dies nicht an einer Eheschließung gehindert hätte, hätte R als überlebender Ehegatte Anspruch auf die Hinterbliebenenrente.

18 Das genannte Urteil P./S., wonach das Gemeinschaftsrecht Diskriminierungen verbiete, die in der Geschlechtsumwandlung einer Person begründet seien, sei auf das Ausgangsverfahren übertragbar, da das vorlegende Gericht K. B. und R als ein heterosexuelles Paar angesehen habe, dessen einziges besonderes Merkmal sei, dass das Geschlecht eines der Partner Ergebnis eines medizinischen Eingriffs sei. Folglich sei die benachteiligende Behandlung, der sie ausgesetzt seien, ausschließlich in der Tatsache begründet, dass R eine Geschlechtsumwandlung vorgenommen habe, was eine durch Artikel 141 EG und die Richtlinie 75/117 verbotene unmittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts darstelle.

19 Hilfsweise trägt K. B. vor, dass das Erfordernis der Ehe eine mittelbare Diskriminierung gegenüber Transsexuellen darstelle, da das Kriterium der Ehe im Fall eines heterosexuellen Paares, bei dem ein Partner eine Operation zur Geschlechtsumwandlung vorgenommen habe, im Gegensatz zu einem heterosexuellen Paar, bei dem keiner der Partner transsexuell sei, niemals erfuellt sein könne.

20 Die Regierung des Vereinigten Königreichs macht geltend, dass weder die männlichen noch die weiblichen Angestellten des NHS, die nicht durch Ehe mit ihrem Partner verbunden seien, die vom Rentensystem des NHS vorgesehenen Leistungen der Hinterbliebenenrente in Anspruch nehmen könnten, und zwar unabhängig von den Gründen, aus denen sie nicht geheiratet hätten. Es komme nicht darauf an, ob ein bestimmter Angestellter das Eheerfordernis nicht erfuellen könne, weil er einen homosexuellen Partner habe, wie in dem Fall, der zum Urteil vom 17. Februar 1998 in der Rechtssache C-249/96 (Grant, Slg. 1998, I-621) geführt habe, weil er einen transsexuellen Partner habe wie im Ausgangsverfahren oder aus anderen Gründen.

21 Außerdem sei das Urteil des Gerichtshofes vom 31. Mai 2001 in den Rechtssachen C-122/99 P und C-125/99 P (D und Schweden/Rat, Slg. 2001, I-4319) auf das Ausgangsverfahren übertragbar, da die dort angefochtene Bestimmung des Statuts der Beamten der Europäischen Gemeinschaften wie in der vorliegenden Rechtssache für die Gewährung der Haushaltszulage ein Eheerfordernis enthalte und nicht lediglich eine stabile Beziehung bestimmter Art verlange.

22 Die Kommission ist der Auffassung, in der Rechtssache P./S. sei der Umstand entscheidend gewesen, dass die benachteiligende Behandlung des P. unmittelbar durch seine Geschlechtsumwandlung ausgelöst worden sei und darin ihren Ursprung gehabt habe, da ihm nicht gekündigt worden wäre, wenn er seine Geschlechtszugehörigkeit nicht gewechselt hätte.

23 Im Ausgangsverfahren stehe die beanstandete ungünstige Behandlung nur in entferntem Zusammenhang mit der Geschlechtsumwandlung von R und hänge eher damit zusammen, dass es dem Paar unmöglich sei, die Ehe einzugehen. Unter diesen Umständen könne das Urteil P./S. auf die vorliegende Rechtssache nicht übertragen werden.

24 Auch könne K. B. sich nicht mit dem Argument auf das Gemeinschaftsrecht stützen, der mittelbare Zusammenhang zwischen der Geschlechtsumwandlung des R und der Weigerung, diesem die Hinterbliebenenrente zu zahlen, genüge für die Einstufung dieser Weigerung als Diskriminierung aufgrund des Geschlechts. Im Urteil Grant sei nämlich zum einen implizit anerkannt worden, dass die Definition der Ehe eine Frage des Familienrechts sei, die in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten falle. Zum anderen habe der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte wiederholt entschieden, dass das Ehehindernis, das sich daraus ergebe, dass das Recht des Vereinigten Königreichs es einem Transsexuellen nicht erlaube, seine Geburtsurkunde zu ändern, keinen Verstoß gegen die Artikel 8, 12 oder 14 der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) darstelle.

Würdigung durch den Gerichtshof

25 Leistungen eines Versorgungssystems, das im Wesentlichen von der früheren Beschäftigung des Betroffenen abhängt, gehören zu dessen früherem Entgelt und fallen unter Artikel 141 EG (u. a. Urteile vom 17. Mai 1990 in der Rechtssache C-262/88, Barber, Slg. 1990, I-1889, Randnr. 28, und vom 12. September 2002 in der Rechtssache C-351/00, Niemi, Slg. 2002, I-7007, Randnr. 40).

26 Auch eine in einem Betriebsrentensystem vorgesehene Hinterbliebenenrente fällt, wie der Gerichtshof anerkannt hat, in den Anwendungsbereich von Artikel 141 EG. Wie er dazu ausführte, steht dieser Auslegung nicht entgegen, dass die genannte Rente ihrem Begriff gemäß nicht dem Arbeitnehmer, sondern seinem Hinterbliebenen gezahlt wird, da eine solche Leistung eine Vergütung ist, die ihren Ursprung in der Zugehörigkeit des Ehegatten des Hinterbliebenen zu dem Rentensystem hat, so dass der Hinterbliebene den Rentenanspruch im Rahmen des Beschäftigungsverhältnisses zwischen seinem Ehegatten und dessen Arbeitgeber erwirbt und ihm die Rente aufgrund des Beschäftigungsverhältnisses seines Ehegatten gezahlt wird (vgl. Urteil vom 6. Oktober 1993 in der Rechtssache C-109/91, Ten Oever, Slg. 1993, I-4879, Randnrn. 12 und 13, und Urteil vom 9. Oktober 2001 in der Rechtssache C-379/99, Menauer, Slg. 2001, I-7275, Randnr. 18).

27 Eine Hinterbliebenenrente, die im Rahmen eines beruflichen Sozialversicherungssystems gezahlt wird, wie es vom Rentensystem des NHS errichtet worden ist, ist somit Entgelt im Sinne des Artikels 141 EG und der Richtlinie 75/117.

28 Die Entscheidung, bestimmte Vorteile verheirateten Paaren vorzubehalten und alle davon auszuschließen, die zusammenleben, ohne verheiratet zu sein, ist entweder Sache des Gesetzgebers oder folgt aus der Auslegung des innerstaatlichen Rechts durch die nationalen Gerichte, ohne dass der Einzelne eine durch das Gemeinschaftsrecht verbotene Diskriminierung aufgrund des Geschlechts geltend machen könnte (vgl. zu den Befugnissen des Gemeinschaftsgesetzgebers Urteil D und Schweden/Rat, Randnrn. 37 und 38).

29 Im vorliegenden Fall kann ein solches Erfordernis als solches nicht als Diskriminierung aufgrund des Geschlechts und damit als Verstoß gegen Artikel 141 EG oder die Richtlinie 75/117 angesehen werden, da der Umstand, dass der Antragsteller ein Mann oder eine Frau ist, im Hinblick auf die Gewährung der Hinterbliebenenrente unbeachtlich ist.

30 In einer Lage, wie sie im Ausgangsverfahren gegeben ist, besteht aber dennoch eine Ungleichbehandlung, die, auch wenn sie nicht unmittelbar an der Inanspruchnahme eines durch das Gemeinschaftsrecht geschützten Rechts hindert, eine der dafür bestehenden Voraussetzungen berührt. Wie der Generalanwalt in Nummer 74 seiner Schlussanträge zu Recht ausgeführt hat, bezieht sich die Ungleichbehandlung nicht auf die Zuerkennung einer Witwerrente, sondern auf eine für deren Gewährung notwendige Voraussetzung, nämlich die Fähigkeit, miteinander die Ehe einzugehen.

31 Im Gegensatz zu heterosexuellen Paaren, bei denen die Identität eines der Partner nicht das Ergebnis einer Geschlechtsumwandlung ist und die daher heiraten und gegebenenfalls in den Genuss einer Hinterbliebenenrente kommen können, die Bestandteil des Entgelts eines der Partner ist, kann ein Paar wie K. B. und R im Vereinigten Königreich unter keinen Umständen die Voraussetzung der Ehe erfuellen, wie sie vom Rentensystem des NHS für die Gewährung einer Hinterbliebenenrente vorgesehen ist.

32 Der Grund für diese Unmöglichkeit ist zunächst der Umstand, dass das Gesetz von 1973 bestimmt, dass eine Ehe nichtig ist, wenn die Ehegatten nicht jeweils Mann und Frau sind, des Weiteren, dass als Geschlecht einer Person das in der Geburtsurkunde genannte gilt, und schließlich, dass der Births and Deaths Registration Act jede Änderung des Geburtsregisters, außer im Fall eines Schreibfehlers oder eines tatsächlichen Irrtums, untersagt.

33 Wie der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte festgestellt hat, stellt der Umstand, dass es einem Transsexuellen nicht möglich ist, eine Person des Geschlechts zu heiraten, dem er vor der Geschlechtsumwandlung angehörte, der darauf beruht, dass sie personenstandsrechtlich gleichen Geschlechts sind, da das Recht des Vereinigten Königreichs die rechtliche Anerkennung seiner neuen sexuellen Identität nicht ermöglicht, eine Verletzung seines Rechts auf Eheschließung im Sinne des Artikels 12 der EMRK dar (vgl. EGMR, Urteile Christine Goodwin/Vereinigtes Königreich und I./Vereinigtes Königreich vom 11. Juli 2002, noch nicht in den Reports of Judgments and Decisions veröffentlicht, §§ 97 bis 104 und §§ 77 bis 84).

34 Eine Regelung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, die es einem Paar wie K. B. und R unter Verstoß gegen die EMRK unmöglich macht, miteinander die Ehe einzugehen und so die Voraussetzung dafür zu erfuellen, dass dem einen von ihnen ein Bestandteil des Entgelts des anderen gewährt werden kann, ist grundsätzlich als mit den Anforderungen des Artikels 141 EG unvereinbar anzusehen.

35 Da es Sache der Mitgliedstaaten ist, die Voraussetzungen der rechtlichen Anerkennung der Geschlechtsumwandlung einer Person wie R festzulegen, wie im Übrigen der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte anerkannt hat (Urteil Goodwin/Vereinigtes Königreich, § 103), ist es Sache des nationalen Richters, zu prüfen, ob sich in einem Fall wie dem vorliegenden eine Person wie K. B. auf Artikel 141 EG stützen kann, um das Recht geltend zu machen, ihren Partner als Begünstigten der Hinterbliebenenrente zu bestimmen.

36 Aus diesen Erwägungen ergibt sich, dass Artikel 141 EG grundsätzlich einer Regelung entgegensteht, die es unter Verstoß gegen die EMRK einem Paar wie K. B. und R unmöglich macht, miteinander die Ehe einzugehen und so die Voraussetzung dafür zu erfuellen, dass dem einen von ihnen ein Bestandteil des Entgelts des anderen gewährt werden kann. Es ist Sache des nationalen Richters, zu prüfen, ob sich in einem Fall wie dem vorliegenden eine Person wie K. B. auf Artikel 141 EG stützen kann, um das Recht geltend zu machen, ihren Partner als Begünstigten der Hinterbliebenenrente zu bestimmen.

Kostenentscheidung:

Kosten

37 Die Auslagen der Regierung des Vereinigten Königreichs und der Kommission, die Erklärungen vor dem Gerichtshof abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

auf die ihm vom Court of Appeal (England & Wales) (Civil Division) mit Beschluss vom 14. Dezember 2000 vorgelegte Frage für Recht erkannt:

Artikel 141 EG steht grundsätzlich einer Regelung entgegen, die es unter Verstoß gegen die am 4. November 1950 in Rom unterzeichnete Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten einem Paar wie K. B. und R unmöglich macht, miteinander die Ehe einzugehen und so die Voraussetzung dafür zu erfuellen, dass dem einen von ihnen ein Bestandteil des Entgelts des anderen gewährt werden kann. Es ist Sache des nationalen Richters, zu prüfen, ob sich in einem Fall wie dem vorliegenden eine Person wie K. B. auf Artikel 141 EG stützen kann, um das Recht geltend zu machen, ihren Partner als Begünstigten der Hinterbliebenenrente zu bestimmen.

Ende der Entscheidung

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