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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 13.01.2005
Aktenzeichen: C-117/03
Rechtsgebiete: Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wild lebenden Tiere und Pflanzen, Dekrets Nr. 357 des Präsidenten der Republik vom 8. September 1997 (Italien)


Vorschriften:

Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wild lebenden Tiere und Pflanzen Art. 4
Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wild lebenden Tiere und Pflanzen Art. 6
Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wild lebenden Tiere und Pflanzen Art. 21
Dekrets Nr. 357 des Präsidenten der Republik vom 8. September 1997 (Italien) Art. 4
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

URTEIL DES GERICHTSHOFES (Zweite Kammer)

13. Januar 2005(1)

"Richtlinie 92/43/EWG - Erhaltung der natürlichen Lebensräume - Wild lebende Tiere und Pflanzen - Nationale Liste der Gebiete, die als Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung bestimmt werden könnten - Erhaltungsmaßnahmen"

Parteien:

In der Rechtssache C-117/03

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Artikel 234 EG, eingereicht vom Consiglio di Stato (Italien) mit Entscheidung vom 17. Dezember 2002, beim Gerichtshof eingegangen am 18. März 2003, in dem Verfahren

Società Italiana Dragaggi SpA u. a.

gegen

Ministero delle Infrastrutture e dei Trasporti,

Regione Autonoma del Friuli Venezia Giulia

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten C. W. A. Timmermans sowie der Richter C. Gulmann (Berichterstatter) und J.-P. Puissochet, der Richterin N. Colneric und des Richters J. N. Cunha Rodrigues,

Generalanwältin: J. Kokott,

Kanzler: M. Múgica Azarmendi, Hauptverwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 9. Juni 2004,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

- der Società Italiana Dragaggi SpA, die in eigenem Namen und in Vollmacht der Associazione Temporanea di Imprese Mantovani SpA und HAM BV handelt, vertreten durch R. Titomanlio, avvocato,

- der Regione Autonoma del Friuli Venezia Giulia, vertreten durch G. Marzi, avvocato,

- der Französischen Republik, vertreten durch C. Mercier als Bevollmächtige,

- des Königreichs Schweden, vertreten durch A. Kruse als Bevollmächtigten,

- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch M. van Beek und L. Cimaglia als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 8. Juli 2004,

folgendes

Urteil

Entscheidungsgründe:

1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Artikel 4 Absatz 5, 6 Absatz 3 und 21 der Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wild lebenden Tiere und Pflanzen (ABl. L 206, S. 7, im Folgenden: Richtlinie).

2 Dieses Ersuchen ergeht in einem Rechtsstreit u. a. der Società Italiana Dragaggi SpA (im Folgenden: Dragaggi) gegen das Ministero delle Infrastrutture e dei Trasporti (Ministerium für Infrastruktur und Verkehr) und die Regione autonoma Friuli Venezia Giulia (Autonome Region Friaul-Julisch Venetien) über die von der Vergabebehörde erklärte Aufhebung einer Ausschreibung über Ausbaggerungsarbeiten und die Ablagerung des Aushubs auf einer Aufschüttung im Hafen von Monfalcone.

Rechtlicher Rahmen

Gemeinschaftsrecht

3 In der sechsten Begründungserwägung der Richtlinie heißt es: "Zur Wiederherstellung oder Wahrung eines günstigen Erhaltungszustandes der natürlichen Lebensräume und der Arten von gemeinschaftlichem Interesse sind besondere Schutzgebiete auszuweisen, um nach einem genau festgelegten Zeitplan ein zusammenhängendes europäisches ökologisches Netz zu schaffen."

4 Nach Artikel 3 Absatz 1 der Richtlinie "wird ein kohärentes europäisches ökologisches Netz besonderer Schutzgebiete mit der Bezeichnung 'Natura 2000' errichtet. Dieses Netz besteht aus Gebieten, die die natürlichen Lebensraumtypen des Anhangs I sowie die Habitate der Arten des Anhangs II umfassen, und muss den Fortbestand oder gegebenenfalls die Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustandes dieser natürlichen Lebensraumtypen und Habitate der Arten in ihrem natürlichen Verbreitungsgebiet gewährleisten."

5 Artikel 4 der Richtlinie bestimmt:

"(1) Anhand der in Anhang III (Phase 1) festgelegten Kriterien und einschlägiger wissenschaftlicher Informationen legt jeder Mitgliedstaat eine Liste von Gebieten vor, in der die in diesen Gebieten vorkommenden natürlichen Lebensraumtypen des Anhangs I und einheimischen Arten des Anhangs II aufgeführt sind. ...

Binnen drei Jahren nach der Bekanntgabe dieser Richtlinie wird der Kommission diese Liste gleichzeitig mit den Informationen über die einzelnen Gebiete zugeleitet. ...

(2) Auf der Grundlage der in Anhang III (Phase 2) festgelegten Kriterien und im Rahmen der fünf in Artikel 1 Buchstabe c) Ziffer iii) erwähnten biogeografischen Regionen sowie des in Artikel 2 Absatz 1 genannten Gesamtgebietes erstellt die Kommission jeweils im Einvernehmen mit den Mitgliedstaaten aus den Listen der Mitgliedstaaten den Entwurf einer Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung, in der die Gebiete mit einem oder mehreren prioritären natürlichen Lebensraumtyp(en) oder einer oder mehreren prioritären Art(en) ausgewiesen sind.

Die Mitgliedstaaten, bei denen Gebiete mit einem oder mehreren prioritären natürlichen Lebensraumtyp(en) und einer oder mehreren prioritären Art(en) flächenmäßig mehr als 5 v. H. des Hoheitsgebiets ausmachen, können im Einvernehmen mit der Kommission beantragen, dass die in Anhang III (Phase 2) angeführten Kriterien bei der Auswahl aller in ihrem Hoheitsgebiet liegenden Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung flexibler angewandt werden.

Die Liste der Gebiete, die als Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung ausgewählt wurden und in der die Gebiete mit einem oder mehreren prioritären natürlichen Lebensraumtyp(en) oder einer oder mehreren prioritären Art(en) ausgewiesen sind, wird von der Kommission nach dem Verfahren des Artikels 21 festgelegt.

(3) Die in Absatz 2 erwähnte Liste wird binnen sechs Jahren nach Bekanntgabe dieser Richtlinie erstellt.

(4) Ist ein Gebiet aufgrund des in Absatz 2 genannten Verfahrens als Gebiet von gemeinschaftlicher Bedeutung bezeichnet worden, so weist der betreffende Mitgliedstaat dieses Gebiet so schnell wie möglich - spätestens aber binnen sechs Jahren - als besonderes Schutzgebiet aus ...

(5) Sobald ein Gebiet in die Liste des Absatzes 2 Unterabsatz 3 aufgenommen ist, unterliegt es den Bestimmungen des Artikels 6 Absätze 2, 3 und 4."

6 Nach Anhang III Phase 2 Nummer 1 der Richtlinie werden "[a]lle von den Mitgliedstaaten in Phase I ermittelten Gebiete, die prioritäre natürliche Lebensraumtypen bzw. Arten beherbergen, ... als Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung betrachtet".

7 Artikel 6 der Richtlinie bestimmt:

"...

(2) Die Mitgliedstaaten treffen die geeigneten Maßnahmen, um in den besonderen Schutzgebieten die Verschlechterung der natürlichen Lebensräume und der Habitate der Arten sowie Störungen von Arten, für die die Gebiete ausgewiesen worden sind, zu vermeiden, sofern solche Störungen sich im Hinblick auf die Ziele dieser Richtlinie erheblich auswirken könnten.

(3) Pläne oder Projekte, die nicht unmittelbar mit der Verwaltung des Gebietes in Verbindung stehen oder hierfür nicht notwendig sind, die ein solches Gebiet jedoch einzeln oder in Zusammenwirkung mit anderen Plänen und Projekten erheblich beeinträchtigen könnten, erfordern eine Prüfung auf Verträglichkeit mit den für dieses Gebiet festgelegten Erhaltungszielen. Unter Berücksichtigung der Ergebnisse der Verträglichkeitsprüfung und vorbehaltlich des Absatzes 4 stimmen die zuständigen einzelstaatlichen Behörden dem Plan bzw. Projekt nur zu, wenn sie festgestellt haben, dass das Gebiet als solches nicht beeinträchtigt wird, und nachdem sie gegebenenfalls die Öffentlichkeit angehört haben.

(4) Ist trotz negativer Ergebnisse der Verträglichkeitsprüfung aus zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses einschließlich solcher sozialer oder wirtschaftlicher Art ein Plan oder Projekt durchzuführen und ist eine Alternativlösung nicht vorhanden, so ergreift der Mitgliedstaat alle notwendigen Ausgleichsmaßnahmen, um sicherzustellen, dass die globale Kohärenz von Natura 2000 geschützt ist. Der Mitgliedstaat unterrichtet die Kommission über die von ihm ergriffenen Ausgleichsmaßnahmen.

Ist das betreffende Gebiet ein Gebiet, das einen prioritären natürlichen Lebensraumtyp und/oder eine prioritäre Art einschließt, so können nur Erwägungen im Zusammenhang mit der Gesundheit des Menschen und der öffentlichen Sicherheit oder im Zusammenhang mit maßgeblichen günstigen Auswirkungen für die Umwelt oder, nach Stellungnahme der Kommission, andere zwingende Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses geltend gemacht werden."

8 Artikel 21 der Richtlinie sieht vor, dass die beabsichtigten Maßnahmen in einem Ausschussverfahren getroffen werden.

9 Nach Artikel 23 der Richtlinie müssen die Mitgliedstaaten diese binnen zwei Jahren nach ihrer Bekanntgabe in innerstaatliches Recht umgesetzt haben. Die Bekanntgabe fand am 10. Juni 1992 statt.

Nationale Vorschriften

10 Die Richtlinie wurde mit dem Dekret Nr. 357 des Präsidenten der Republik vom 8. September 1997 mit dem Titel "Regelung zur Umsetzung der Richtlinie 92/43/EWG zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wild lebenden Tiere und Pflanzen" (GURI Nr. 248, supplemento ordinario Nr. 219/L vom 23. Oktober 1997, im Folgenden: Dekret Nr. 357/97) in die italienische Rechtsordnung umgesetzt.

11 Nach Artikel 4 des Dekrets Nr. 357/97 sind die Maßnahmen zur Erhaltung von Gebieten von der Erstellung der Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung durch die Kommission abhängig.

Ausgangsverfahren und Vorlagefrage

12 Dragaggi erhielt am 14. Mai 2001 den Zuschlag für einen Auftrag über Ausbaggerungsarbeiten und die Ablagerung des Aushubs auf einer Aufschüttung im Hafen von Monfalcone.

13 Vier Monate später hob die Vergabebehörde das gesamte Vergabeverfahren auf, da die Aufschüttung, auf der Aushub, der bei den Arbeiten anfiel, abgelagert werden sollte, als Gebiet von gemeinschaftlicher Bedeutung einzustufen sei, für das eine Verträglichkeitsprüfung nach der einschlägigen nationalen Regelung vorzunehmen sei. Diese Prüfung könne aber nach Ansicht der zuständigen Behörde nicht positiv ausfallen.

14 Dragaggi stellte die Rechtmäßigkeit der Entscheidung über die Aufhebung der Vergabe vor dem Tribunale amministrativo regionale del Friuli Venezia Giulia (Italien) in Frage. Sie machte insbesondere geltend, dass das Verfahren zur Einreihung des Gebietes der "Mündung des Timavo", in dem die von den Baggerarbeiten betroffene Aufschüttung liege, unter die Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung noch nicht abgeschlossen sei. Denn die Kommission habe, obgleich ihr die italienischen Behörden eine Liste von Gebieten, darunter das der Mündung des Timavo, vorgeschlagen hätten, noch nicht die Gemeinschaftsliste nach Artikel 4 Absatz 2 Unterabsatz 3 der Richtlinie festgelegt. Deshalb habe die Verpflichtung zur vorherigen Prüfung der Projekte, die sich erheblich auf das Gebiet auswirkten, noch nicht gegolten.

15 Das Tribunale amministrativo regionale del Friuli Venezia Giulia wies in seinem Urteil das Argument der fehlenden Anwendbarkeit des Verfahrens der Verträglichkeitsprüfung auf das fragliche Projekt zurück. Nach seiner Ansicht ist ein wie im vorliegenden Fall von einem Mitgliedstaat ermitteltes Gebiet, das einen prioritären Lebensraum beherberge und von dem Mitgliedstaat in die der Kommission vorgeschlagene Liste aufgenommen worden sei, nach Anhang III Phase 2 Nummer 1 der Richtlinie als von gemeinschaftlicher Bedeutung zu betrachten. Daher seien für dieses Gebiet nach Artikel 4 Absatz 5 der Richtlinie die Schutzmaßnahmen nach Artikel 6 Absätze 2 bis 4 der Richtlinie und insbesondere die in Absatz 3 vorgesehene Verträglichkeitsprüfung vorzunehmen.

16 Nach Ansicht des Gerichts kann nur diese Betrachtungsweise der Richtlinie einen logischen Sinn verleihen, die, da mit ihr der Schutz von Lebensräumen oder Arten bezweckt werde, die vom Verschwinden oder Aussterben bedroht seien, sich unmittelbar anwenden lassen müsse, und wenn auch nur als Sicherungsmaßnahme. Im Übrigen seien die Maßnahmen, mit denen die Einreihung der Mündung des Timavo unter die prioritären Gebiete vorgeschlagen worden sei, insbesondere das Dekret des Umweltministers vom 3. April 2000, nicht angefochten worden.

17 In der Erwägung, dass eine Verträglichkeitsprüfung erforderlich sei, gab das Gericht den weiteren Rügen von Dragaggi statt, die sich darauf bezogen, dass die von der Verwirklichung des Projekts betroffenen Personen nicht angehört worden seien, dass nicht vor der Aufhebung der den Auftrag betreffenden Maßnahmen die Alternativen zu den im Projekt beschlossenen Lösungen geprüft worden seien und dass die zuständige Behörde nicht die Möglichkeit in Betracht gezogen habe, einen mit Bedingungen versehenen positiven Bescheid zu erlassen.

18 Dragaggi legte gegen das Urteil des Tribunale amministrativo regionale del Friuli Venezia Giulia ein Rechtsmittel beim Consiglio di Stato ein. Vor diesem wiederholte sie insbesondere ihr Vorbringen, dass Artikel 4 Absatz 5 der Richtlinie die Anwendung von Schutzmaßnahmen nach Artikel 6 der Richtlinie erst von der Erstellung der Gemeinschaftsliste an vorschreibe. Diese Ansicht werde durch Artikel 4 des Dekrets Nr. 357/97 bestätigt, wonach die Schutzmaßnahmen binnen drei Monaten nach der Aufnahme eines Gebietes in die von der Kommission erstellte Liste zu erlassen seien.

19 Der Consiglio di Stato führt aus, dass die Auslegung des Artikels 4 Absatz 5 der Richtlinie durch das Tribunale amministrativo regionale del Friuli Venezia Giulia nicht als offensichtlich unbegründet anzusehen sei, da die Aufnahme der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung, die prioritäre Lebensräume beherbergten, offenbar eine rein deklaratorische Maßnahme sei, die seitens des Gemeinschaftsorgans keine Ermessensausübung erfordere.

20 Der Consiglio di Stato hat daher beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Ist Artikel 4 Absatz 5 der Richtlinie 92/43/EWG vom 21. Mai 1992 dahin auszulegen, dass die Maßnahmen des Artikels 6, insbesondere des Artikels 6 Absatz 3, der Richtlinie die Mitgliedstaaten erst nach der endgültigen Billigung der Liste der Gebiete im Sinne von Artikel 21 durch die Gemeinschaft binden, oder ist vielmehr über die Festlegung des Zeitpunkts des gewöhnlichen Beginns der Anwendung der Schutzmaßnahmen hinaus zwischen deklaratorischen und konstitutiven Eintragungen zu unterscheiden (wobei zu den Ersteren die Eintragungen für prioritäre Gebiete gehören), und muss zum Zweck der Wahrung der praktischen Wirksamkeit der Richtlinie über den Schutz der Lebensräume nicht angenommen werden, dass bereits die Ermittlung eines Gebietes von gemeinschaftlicher Bedeutung, das prioritäre natürliche Lebensraumtypen oder prioritäre Arten beherbergt, durch einen Mitgliedstaat die Verpflichtung entstehen lässt, Pläne und Projekte, die das Gebiet erheblich beeinträchtigen können, auch vor der Aufstellung des Entwurfs der Liste der Gebiete durch die Kommission oder der endgültigen Aufstellung dieser Liste im Sinne von Artikel 21 der Richtlinie und im Wesentlichen von der Aufstellung der nationalen Liste an einer Verträglichkeitsprüfung zu unterziehen?

Zur Vorlagefrage

21 Nach Artikel 4 Absatz 5 der Richtlinie finden die in Artikel 6 Absätze 2 bis 4 der Richtlinie vorgesehenen Maßnahmen zur Erhaltung der besonderen Schutzgebiete auf ein Gebiet Anwendung, sobald es nach Artikel 4 Absatz 2 Unterabsatz 3 der Richtlinie in die von der Kommission nach dem Verfahren des Artikels 21 der Richtlinie festgelegte Liste der als von gemeinschaftlicher Bedeutung ausgewählten Gebiete aufgenommen worden ist.

22 Die Tatsache, dass nach Anhang III Phase 2 Nummer 1 der Richtlinie alle von den Mitgliedstaaten in Phase 1 dieses Anhangs ermittelten Gebiete, die prioritäre natürliche Lebensraumtypen oder prioritäre Arten beherbergen, als Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung betrachtet werden, führt nicht dazu, dass auf sie die in Artikel 6 Absätze 2 bis 4 der Richtlinie vorgesehenen Schutzmaßnahmen anzuwenden sind, bevor sie nach Artikel 4 Absatz 2 Unterabsatz 3 der Richtlinie in die von der Kommission festgelegte Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung aufgenommen wurden.

23 Keinen Erfolg haben kann die vom vorlegenden Gericht erwähnte gegenteilige These, wonach ein wie im vorliegenden Fall von einem Mitgliedstaat ermitteltes Gebiet, das einen prioritären Lebensraum beherberge und von dem Mitgliedstaat in die der Kommission nach Artikel 4 Absatz 1 der Richtlinie vorgeschlagene Liste aufgenommen worden sei, angesichts des Anhangs III Phase 2 Nummer 1 der Richtlinie als Gebiet von gemeinschaftlicher Bedeutung zu betrachten sei und daher gemäß Artikel 4 Absatz 5 der Richtlinie den in Artikel 6 Absätze 2 bis 4 der Richtlinie vorgesehenen Schutzmaßnahmen unterliege.

24 Zum einen verstößt diese These gegen den Wortlaut des Artikels 4 Absatz 5 der Richtlinie, der die Anwendung der genannten Schutzmaßnahmen ausdrücklich davon abhängig macht, dass das betreffende Gebiet nach Artikel 4 Absatz 2 Unterabsatz 3 der Richtlinie in die von der Kommission festgelegte Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung aufgenommen worden ist. Zum anderen setzt diese These voraus, dass, wenn ein Mitgliedstaat ein Gebiet als ein solches, das prioritäre natürliche Lebensraumtypen oder prioritäre Arten beherbergt, ermittelt und in der der Kommission nach Artikel 4 Absatz 1 der Richtlinie vorgeschlagenen Liste aufgeführt hat, die Kommission verpflichtet ist, das Gebiet in die von ihr nach dem Verfahren des Artikels 21 der Richtlinie festgelegte Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung aufzunehmen, die in Artikel 4 Absatz 2 Unterabsatz 3 der Richtlinie erwähnt ist. Wäre das der Fall, so wäre die Kommission, wenn sie im Einvernehmen mit den Mitgliedstaaten den Entwurf einer Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung im Sinne von Artikel 4 Absatz 2 Unterabsatz 1 der Richtlinie erstellt, daran gehindert, die Nichtaufnahme eines Gebietes, das ein Mitgliedstaat als Gebiet vorgeschlagen hat, das prioritäre natürliche Lebensraumtypen oder prioritäre Arten beherbergt, in den Entwurf in Betracht zu ziehen, auch wenn sie der Ansicht wäre, dass es entgegen der Auffassung des betreffenden Mitgliedstaats keine prioritären natürlichen Lebensraumtypen oder prioritären Arten im Sinne von Anhang III Phase 2 Nummer 1 der Richtlinie beherbergt. Eine solche Situation würde aber insbesondere gegen Artikel 4 Absatz 2 Unterabsatz 1 der Richtlinie in Verbindung mit Anhang III Phase 2 Nummer 1 verstoßen.

25 Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass Artikel 4 Absatz 5 der Richtlinie dahin auszulegen ist, dass die in Artikel 6 Absätze 2 bis 4 der Richtlinie vorgesehenen Schutzmaßnahmen nur für die Gebiete getroffen werden müssen, die nach Artikel 4 Absatz 2 Unterabsatz 3 der Richtlinie in die von der Kommission nach dem Verfahren des Artikels 21 der Richtlinie festgelegte Liste der Gebiete aufgenommen worden sind, die als Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung ausgewählt wurden.

26 Daraus folgt jedoch nicht, dass die Mitgliedstaaten die Gebiete nicht von dem Moment an schützen müssen, in dem sie sie nach Artikel 4 Absatz 1 der Richtlinie auf der der Kommission zugeleiteten nationalen Liste als Gebiete vorschlagen, die als Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung bestimmt werden könnten.

27 Ohne einen angemessenen Schutz dieser Gebiete von diesem Moment an könnte nämlich die Verwirklichung der u. a. in der sechsten Begründungserwägung und in Artikel 3 Absatz 1 der Richtlinie genannten Ziele der Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wild lebenden Tiere und Pflanzen gefährdet sein. Eine solche Situation wäre umso gravierender, als prioritäre natürliche Lebensraumtypen oder prioritäre Arten betroffen wären, die wegen der Bedrohungen, denen sie ausgesetzt sind, von einer zügigen Durchführung von Maßnahmen zu ihrer Erhaltung profitieren sollten, wie es in der fünften Begründungserwägung der Richtlinie empfohlen wird.

28 Im vorliegenden Fall ist daran zu erinnern, dass in den nationalen Listen von Gebieten, die als Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung bestimmt werden könnten, Gebiete aufgeführt werden müssen, denen auf nationaler Ebene erhebliche ökologische Bedeutung für das Ziel der Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wild lebenden Tiere und Pflanzen im Sinne der Richtlinie zukommt (Urteil vom 7. November 2000 in der Rechtssache C-371/98, First Corporate Shipping, Slg. 2000, I-9235, Randnr. 22).

29 Somit zeigt sich, dass die Mitgliedstaaten in Bezug auf die Gebiete, die als Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung bestimmt werden könnten und die in den der Kommission zugeleiteten nationalen Listen aufgeführt sind, zu denen insbesondere auch Gebiete gehören können, die prioritäre natürliche Lebensraumtypen oder prioritäre Arten beherbergen, nach der Richtlinie verpflichtet sind, geeignete Schutzmaßnahmen zur Wahrung der genannten ökologischen Bedeutung zu ergreifen.

30 Auf die vorgelegte Frage ist folglich zu antworten, dass

- Artikel 4 Absatz 5 der Richtlinie dahin auszulegen ist, dass die in Artikel 6 Absätze 2 bis 4 der Richtlinie vorgesehenen Schutzmaßnahmen nur für die Gebiete getroffen werden müssen, die nach Artikel 4 Absatz 2 Unterabsatz 3 der Richtlinie in die von der Kommission nach dem Verfahren des Artikels 21 der Richtlinie festgelegte Liste der Gebiete aufgenommen worden sind, die als Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung ausgewählt wurden;

- die Mitgliedstaaten in Bezug auf die Gebiete, die als Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung bestimmt werden könnten und die in den der Kommission zugeleiteten nationalen Listen aufgeführt sind, insbesondere solche, die prioritäre natürliche Lebensraumtypen oder prioritäre Arten beherbergen, nach der Richtlinie verpflichtet sind, Schutzmaßnahmen zu ergreifen, die im Hinblick auf das mit der Richtlinie verfolgte Erhaltungsziel geeignet sind, die erhebliche ökologische Bedeutung, die diesen Gebieten auf nationaler Ebene zukommt, zu wahren.

Kostenentscheidung:

Kosten

31 Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Tenor:

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt:

Artikel 4 Absatz 5 der Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wild lebenden Tiere und Pflanzen ist dahin auszulegen, dass die in Artikel 6 Absätze 2 bis 4 der Richtlinie vorgesehenen Schutzmaßnahmen nur für die Gebiete getroffen werden müssen, die nach Artikel 4 Absatz 2 Unterabsatz 3 der Richtlinie in die von der Kommission der Europäischen Gemeinschaften nach dem Verfahren des Artikels 21 der Richtlinie festgelegte Liste der Gebiete aufgenommen worden sind, die als Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung ausgewählt wurden.

Die Mitgliedstaaten sind in Bezug auf die Gebiete, die als Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung bestimmt werden könnten und die in den der Kommission zugeleiteten nationalen Listen aufgeführt sind, insbesondere solche, die prioritäre natürliche Lebensraumtypen oder prioritäre Arten beherbergen, nach der Richtlinie 92/43 verpflichtet, Schutzmaßnahmen zu ergreifen, die im Hinblick auf das mit der Richtlinie verfolgte Erhaltungsziel geeignet sind, die erhebliche ökologische Bedeutung, die diesen Gebieten auf nationaler Ebene zukommt, zu wahren.

Ende der Entscheidung

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