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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 21.09.2000
Aktenzeichen: C-124/99
Rechtsgebiete: Verordnungen Nr. 1408/71, Verordnungen Nr. 1945/93


Vorschriften:

Verordnungen Nr. 1408/71 Art. 3 Abs. 1
Verordnungen Nr. 1945/93
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Der in Artikel 3 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1408/71 in der Fassung der Verordnung Nr. 1945/93 niedergelegte Grundsatz der Gleichbehandlung steht nationalen Rechtsvorschriften entgegen, wonach eine Geldleistung an einen in einem anderen Mitgliedstaat wohnenden Gemeinschaftsbürger nur ausgezahlt wird, wenn sie einen Mindestbetrag übersteigt, der höher ist als der Betrag, der für eine solche Zahlung innerhalb desselben Mitgliedstaats gilt, sofern die Auszahlung in einem anderen Mitgliedstaat nicht zu höheren Kosten führt als die Auszahlung derselben Leistung innerhalb des erstgenannten Mitgliedstaats.

(vgl. Randnr. 35 und Tenor)


Urteil des Gerichtshofes (Vierte Kammer) vom 21. September 2000. - Carl Borawitz gegen Landesversicherungsanstalt Westfalen. - Ersuchen um Vorabentscheidung: Sozialgericht Münster - Deutschland. - Soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer - Gleichbehandlung - Nationale Rechtsvorschriften, wonach für die Überweisung einer Rentennachzahlung ins Ausland ein höherer Mindestbetrag gilt als für die Überweisung im Inland. - Rechtssache C-124/99.

Parteien:

In der Rechtssache C-124/99

betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 177 EG-Vertrag (jetzt Artikel 234 EG) vom Sozialgericht Münster (Deutschland) in dem bei diesem anhängigen Rechtsstreit

Carl Borawitz

gegen

Landesversicherungsanstalt Westfalen,

beigeladen:

Bundesrepublik Deutschland,

vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung des Gemeinschaftsrechts auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit, insbesondere des Grundsatzes der Gleichbehandlung,

erlässt

DER GERICHTSHOF

(Vierte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten D. A. O. Edward (Berichterstatter) sowie der Richter P. J. G. Kapteyn und A. La Pergola,

Generalanwalt: P. Léger

Kanzler: R. Grass

unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen

- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch Rechtsberater P. Hillenkamp und N. Yerrell, zum Juristischen Dienst abgeordnete nationale Beamtin, als Bevollmächtigte,

aufgrund des Berichts des Berichterstatters,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 17. Februar 2000,

folgendes

Urteil

Entscheidungsgründe:

1 Das Sozialgericht Münster hat mit Beschluss vom 12. März 1999, beim Gerichtshof eingegangen am 14. April 1999, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag (jetzt Artikel 234 EG) eine Frage nach der Auslegung des Gemeinschaftsrechts auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit, insbesondere des Grundsatzes der Gleichbehandlung, zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Frage stellt sich in einem Rechtsstreit zwischen Carl Borawitz (im Folgenden: Kläger) und der Landesversicherungsanstalt Westfalen (im Folgenden: LVA) über deren Weigerung, dem Kläger eine Rentennachzahlung auszuzahlen.

Gemeinschaftsrecht

3 Artikel 48 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 39 EG) bestimmt:

"(1) Spätestens bis zum Ende der Übergangszeit wird innerhalb der Gemeinschaft die Freizügigkeit der Arbeitnehmer hergestellt.

(2) Sie umfasst die Abschaffung jeder auf der Staatsangehörigkeit beruhenden unterschiedlichen Behandlung der Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten in bezug auf Beschäftigung, Entlohnung und sonstige Arbeitsbedingungen.

..."

4 Die Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbstständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in der durch die Verordnung (EWG) Nr. 1945/93 des Rates vom 30. Juni 1993 (ABl. L 181, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Verordnung Nr. 1408/71), regelt in Artikel 3 Absatz 1 den Grundsatz der Gleichbehandlung:

"Die Personen, die im Gebiet eines Mitgliedstaats wohnen und für die diese Verordnung gilt, haben die gleichen Rechte und Pflichten aufgrund der Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats wie die Staatsangehörigen dieses Staates, soweit besondere Bestimmungen dieser Verordnung nichts anderes vorsehen."

5 Was die Höhe der Leistungen angeht, die von einem Mitgliedstaat an einen in einem anderen Mitgliedstaat wohnenden Empfänger gezahlt werden, bestimmt Artikel 10 Absatz 1 Unterabsatz 1 der Verordnung:

"Die Geldleistungen bei Invalidität, Alter oder für die Hinterbliebenen, die Renten bei Arbeitsunfällen oder Berufskrankheiten und die Sterbegelder, auf die nach den Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten Anspruch erworben worden ist, dürfen, sofern in dieser Verordnung nichts anderes bestimmt ist, nicht deshalb gekürzt, geändert, zum Ruhen gebracht, entzogen oder beschlagnahmt werden, weil der Berechtigte im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats als des Staates wohnt, in dessen Gebiet der zur Zahlung verpflichtete Träger seinen Sitz hat."

6 Die Verordnung (EWG) Nr. 574/72 des Rates vom 21. März 1972 über die Durchführung der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 (ABl. L 74, S. 1) in ihrer durch die Verordnung Nr. 1945/93 geänderten Fassung (im Folgenden: Verordnung Nr. 574/72) enthält in Titel IV Kapitel 3 ("Invaliditäts- Alters- und Todesfallrenten") einen Abschnitt über die Zahlung von Leistungen. In diesem Rahmen sieht Artikel 58 unter der Überschrift "Einbehaltung der mit der Leistungszahlung verbundenen Kosten" vor:

"Die Zahlstelle kann die mit der Zahlung der Leistung verbundenen Kosten, insbesondere Postgebühren und Bankspesen, unter den Bedingungen, die in den von ihr anzuwendenden Rechtsvorschriften vorgesehen sind, von den dem Berechtigten zu zahlenden Beträgen einbehalten."

Deutsches Recht

7 § 118 Absatz 2a des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuches - SGB VI - betrifft den Mindestbetrag für die Vornahme einer Nachzahlung. Diese Vorschrift unterscheidet je nachdem, ob die Zahlung des Betrages innerhalb Deutschlands oder ins Ausland erfolgt, und sieht vor:

"Nachzahlungsbeträge, die bei Auszahlungen

1. im Inland ein Zehntel des aktuellen Rentenwerts,

2. im Ausland drei Zehntel des aktuellen Rentenwerts

nicht übersteigen, werden nicht ausgezahlt."

8 Aus dem Vorlagebeschluss geht hervor, dass diese Vorschrift mit Wirkung vom 1. Juli 1993 eingeführt wurde, um zu vermeiden, dass die Verwaltungs- und Buchungskosten den Betrag von Nachzahlungen übersteigen.

9 Darüber hinaus ist darauf hinzuweisen, dass der "aktuelle Rentenwert" eine Bezugszahl darstellt, die dem Rentenbetrag nicht entspricht.

Sachverhalt des Ausgangsverfahrens und Vorabentscheidungsfrage

10 Der am 8. Oktober 1930 geborene Kläger bezieht seit dem 1. August 1993 eine von der LVA gewährte Erwerbsunfähigkeitsrente in Höhe von monatlich 660,63 DM. Mit Schreiben vom 20. Juni 1995 teilte die LVA ihm mit, dass dieser Betrag nach dem Rentenanpassungsgesetz ab 1. September 1995 auf 663,94 DM angehoben werde.

11 Am selben Tag unterrichtete die LVA den Kläger davon, dass sich für die Zeit vom 1. Juli bis 31. August 1995 ein Anspruch auf eine Nachzahlung in Höhe von 6,62 DM ergebe. Nach § 118 Absatz 2a SGB VI könne dieser Betrag jedoch nicht ausgezahlt werden, weil er 3/10 des aktuellen Wertes der Erwerbsunfähigkeitsrente (d. h. 13,80 DM) nicht übersteige und der Kläger in der maßgeblichen Zeit seinen Wohnsitz in den Niederlanden gehabt habe. Unstreitig übersteigt dieser Betrag die "inländische" Schwelle von 1/10 des aktuellen Wertes der Erwerbsunfähigkeitsrente des Klägers (d. h. 4,60 DM).

12 Dagegen legte der Kläger Widerspruch bei der LVA ein und machte geltend, es verstoße gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung gemäß Artikel 3 der Verordnung Nr. 1408/71, wenn zwischen Auszahlungen innerhalb Deutschlands und Auszahlungen in anderen Mitgliedstaaten ein Unterschied gemacht werde.

13 Mit Bescheid vom 16. April 1996 wies die Widerspruchsstelle der LVA den Widerspruch mit der Begründung zurück, dass § 118 Absatz 2a SGB VI nicht in den Anwendungsbereich von Artikel 10 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1408/71 falle. Diese Vorschrift betreffe Bestimmungen der Mitgliedstaaten, nach denen Leistungen gekürzt, geändert, zum Ruhen gebracht, entzogen oder beschlagnahmt würden; diesen Charakter habe § 118 Absatz 2a SGB VI nicht.

14 Am 3. Mai 1996 erhob der Kläger Klage beim Sozialgericht Münster. Die beigeladene Bundesrepublik Deutschland machte im Wesentlichen geltend, § 118 Absatz 2a SGB VI unterscheide nicht nach Inländern und Ausländern, sondern lediglich nach Auszahlungen innerhalb Deutschlands und solchen in anderen Mitgliedstaaten (die in der Praxis häufig an Deutsche erfolgten).

15 Darüber hinaus sei § 118 Absatz 2a SGB VI eine rentenversicherungsrechtliche Sonderregelung und eine Ausnahme von dem auf diesem Gebiet geltenden allgemeinen Grundsatz, dass die Auszahlung von Sozialleistungen kostenfrei sei, auch wenn es sich um Zahlungen ins Ausland handele. Da die Kosten für Zahlungen ins Ausland oft viel höher seien, die Empfänger aber keine höheren Beiträge zum Sozialversicherungssystem geleistet hätten, sei diese Ausnahme bei "unwirtschaftlichen" Zahlungen offensichtlich gerechtfertigt.

16 Das Sozialgericht Münster zweifelt an der Vereinbarkeit der deutschen Regelung mit dem Gemeinschaftsrecht; es hat beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Verstößt § 118 Absatz 2a SGB VI gegen das Recht der Europäischen Gemeinschaft, insbesondere gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, soweit darin die Auszahlung von Rentennachzahlungsbeträgen im Ausland weiter eingeschränkt ist als die im Inland?

Zur Vorabentscheidungsfrage

17 Zunächst ist daran zu erinnern, dass der Gerichtshof in einem nach Artikel 177 des Vertrages eingeleiteten Verfahren nicht zur Entscheidung über die Vereinbarkeit einer nationalen Maßnahme mit dem Gemeinschaftsrecht befugt ist. Er kann jedoch dem vorlegenden Gericht alle Hinweise zur Auslegung des Gemeinschaftsrechts geben, die es diesem ermöglichen, die Frage der Vereinbarkeit bei der Entscheidung des bei ihm anhängigen Verfahrens zu beurteilen (vgl. z. B. Urteil vom 30. April 1998 in den verbundenen Rechtssachen C-37/96 und C-38/96, Sodiprem u. a., Slg. 1998, I-2039, Randnr, 22).

18 Die Vorlagefrage ist demnach so zu verstehen, dass das vorlegende Gericht wissen möchte, ob das Gemeinschaftsrecht, insbesondere der Grundsatz der Gleichbehandlung, wie er in Artikel 3 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1408/71 niedergelegt ist, nationalen Rechtsvorschriften entgegensteht, wonach eine Geldleistung an einen in einem anderen Mitgliedstaat wohnenden Gemeinschaftsbürger nur ausgezahlt wird, wenn sie einen Mindestbetrag übersteigt, der höher ist als der Betrag, der für eine solche Zahlung innerhalb desselben Mitgliedstaats gilt.

19 Die Kommission weist darauf hin, dass bei dem Schwellenwert für Auszahlungen nicht zwischen deutschen und ausländischen Staatsangehörigen, sondern zwischen Auszahlungen im In- oder Ausland unterschieden werde; es handle sich daher nicht um eine direkte Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit.

20 Zur Frage einer mittelbaren Diskriminierung trägt die Kommission vor, dass im Ausland lebende Rentenempfänger insoweit benachteiligt würden, als die deutsche Regelung für Auszahlungen im Ausland einen höheren Schwellenwert vorschreibe.

21 Fraglich sei jedoch, ob dieser Nachteil typischerweise eher deutsche oder Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten treffe. Unstreitig seien aber auch Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten betroffen, nämlich alle diejenigen, die nach Beendigung ihres Erwerbslebens in Deutschland in ihre Heimatländer zurückkehrten, sowie diejenigen Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten, die eine deutsche Rente als ehemalige Grenzgänger bezögen.

22 Das Vorliegen einer mittelbaren Diskriminierung sei daher zweifelhaft; von einer solchen könne nur dann ausgegangen werden, wenn entweder die eine oder die andere Gruppe deutlich stärker betroffen sei. Dies festzustellen sei Sache des nationalen Gerichts.

23 Artikel 3 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1408/71 soll gemäß Artikel 48 Vertrages zugunsten der Personen, für die die Verordnung gilt, die Gleichbehandlung im Bereich der sozialen Sicherheit ohne Unterscheidung nach der Staatsangehörigkeit dadurch sicherstellen, dass er alle Diskriminierungen beseitigt, die sich insoweit aus den nationalen Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten ergeben (Urteil vom 25. Juni 1997 in der Rechtssache C-131/96, Mora Romero, Slg. 1997, I-3659, Randnr. 29).

24 Nach ständiger Rechtsprechung verbietet der in diesem Artikel niedergelegte Gleichbehandlungsgrundsatz nicht nur offenkundige Diskriminierungen aufgrund der Staatsangehörigkeit der nach den Systemen der sozialen Sicherheit leistungsberechtigten Personen, sondern auch alle versteckten Formen der Diskriminierung, die durch Anwendung anderer Unterscheidungskriterien tatsächlich zum gleichen Ergebnis führen (Urteil Mora Romero, Randnr. 32).

25 Als mittelbar diskriminierend sind daher Voraussetzungen des nationalen Rechts anzusehen, die zwar unabhängig von der Staatsangehörigkeit gelten, aber im Wesentlichen oder ganz überwiegend Wanderarbeitnehmer betreffen, sowie unterschiedslos geltende Voraussetzungen, die von inländischen Arbeitnehmern leichter zu erfuellen sind als von Wanderarbeitnehmern, oder auch solche, bei denen die Gefahr besteht, dass sie sich besonders zum Nachteil von Wanderarbeitnehmern auswirken (Urteil vom 23. Mai 1996 in der Rechtssache C-237/94, O'Flynn, Slg. 1996, I-2617, Randnr. 18).

26 Anders verhält es sich nur dann, wenn diese Vorschriften durch objektive, von der Staatsangehörigkeit der betroffenen Arbeitnehmer unabhängige Erwägungen gerechtfertigt sind und in einem angemessenen Verhältnis zu dem Zweck stehen, der mit den nationalen Rechtsvorschriften zulässigerweise verfolgt wird (Urteil O'Flynn, Randnr. 19).

27 Aus dieser Rechtsprechung geht insgesamt hervor, dass eine Vorschrift des nationalen Rechts, die nicht objektiv gerechtfertigt ist und nicht in einem angemessenen Verhältnis zum verfolgten Zweck steht, mittelbar diskriminiert, wenn sie sich ihrem Wesen nach eher auf Wanderarbeitnehmer als auf inländische Arbeitnehmer auswirkt und folglich die Gefahr besteht, dass sie Wanderarbeitnehmer besonders benachteiligt (vgl. in diesem Sinne das Urteil vom 27. November 1997 in der Rechtssache C-57/96, Meints, Slg. 1997, I-6689, Randnr. 45).

28 Dies ist bei einer Vorschrift der Fall, die wie die im Ausgangverfahren streitige für Auszahlungen im Ausland einen höheren Schwellenwert als für solche im Inland festlegt. Sie wirkt praktisch wie eine Wohnsitzklausel, die inländische Leistungsempfänger leichter erfuellen können als Leistungsempfänger in anderen Mitgliedstaaten.

29 Eine solche Vorschrift kann sich vor allem auf die Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten auswirken, da deren Anteil bei den Empfängern von Rentenzahlungen außerhalb Deutschlands typischerweise höher ist als bei den Empfängern von Rentenzahlungen im Inland.

30 Entgegen den Erklärungen, die das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung vor dem vorlegenden Gericht abgegeben hat, ist es in diesem Zusammenhang unerheblich, ob die außerhalb Deutschlands wohnenden Empfänger von Rentenzahlungen überwiegend deutsche Staatsangehörige sind. Um festzustellen, ob eine mittelbare Diskriminierung vorliegt, sind vielmehr der Anteil der Inländer und der der Nichtinländer bei den Empfängern derartiger Zahlungen in Deutschland einerseits und in den Mitgliedstaaten andererseits zu vergleichen.

31 Da zur zweiten Gruppe insbesondere die Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten gehören, die nach Beendigung ihres Erwerbslebens in ihre Heimatländer zurückkehren oder die eine deutsche Rente als ehemalige Grenzgänger beziehen, ist der Anteil der Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten in dieser Gruppe von Empfängern von Rentenzahlungen tendenziell höher als in der erstgenannten Gruppe.

32 Zwar ist nicht ausgeschlossen, dass eine solche Ungleichbehandlung dadurch gerechtfertigt ist, dass bei Zahlungen ins Ausland höhere Kosten entstehen, doch müsste hierfür nachgewiesen werden, dass diese Kosten nicht vermieden werden können. Auch die Einbehaltung der mit der Leistungszahlung verbundenen Kosten gemäß Artikel 58 der Verordnung Nr. 574/72 kann nicht geltend gemacht werden, wenn derartige Kosten nicht entstanden sind.

33 In diesem Zusammenhang ist festzustellen, dass - wie der Kläger vor dem vorlegenden Gericht vorgetragen hat - bei Zahlungsvorgängen im Bereich der sozialen Sicherheit zwischen Deutschland und den Niederlanden ein "Clearing"-Verfahren angewendet wird, was die Kommission im Übrigen bestätigt hat. Bei diesem Verfahren werden die Daten bezüglich einer Rentenzahlung wie derjenigen an den Kläger an eine Verbindungsstelle im Wohnland des Rentenberechtigten übermittelt; diese zahlt die Renten dann durch innerstaatliche Überweisung aus. Dieses "Clearing"-Verfahren führt nicht zu zusätzlichen Kosten, da tatsächlich keine Auslandszahlung erfolgt.

34 Da es sich im Ausgangsverfahren um eine einmalige Nachzahlung im Rahmen einer regelmäßig wiederkehrenden Rentenzahlung handelt, würde die Auszahlung dieses Betrages zudem keine Überweisungskosten verursachen, wenn diese Nachzahlung in die nächste Rentenzahlung einbezogen würde. Außer wenn sich das als unmöglich erweist, darf der Betroffene durch die getrennte Auszahlung des Nachzahlungsbetrags keine Nachteile erleiden.

35 Auf die Vorabentscheidungsfrage ist daher zu antworten, dass der in Artikel 3 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1408/71 niedergelegte Grundsatz der Gleichbehandlung nationalen Rechtsvorschriften entgegensteht, wonach eine Geldleistung an einen in einem anderen Mitgliedstaat wohnenden Gemeinschaftsbürger nur ausgezahlt wird, wenn sie einen Mindestbetrag übersteigt, der höher ist als der Betrag, der für eine solche Zahlung innerhalb desselben Mitgliedstaats gilt, sofern die Auszahlung in einem anderen Mitgliedstaat nicht zu höheren Kosten führt als die Auszahlung derselben Leistung innerhalb des erstgenannten Mitgliedstaats.

Kostenentscheidung:

Kosten

36 Die Auslagen der Kommission, die Erklärungen vor dem Gerichtshof abgegeben hat, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

(Vierte Kammer)

auf die ihm vom Sozialgericht Münster mit Beschluss vom 12. März 1999 vorgelegte Frage für Recht erkannt:

Der in Artikel 3 Absatz 1 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbstständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in der durch die Verordnung (EWG) Nr. 1945/93 des Rates vom 30. Juni 1993 geänderten Fassung niedergelegte Grundsatz der Gleichbehandlung steht nationalen Rechtsvorschriften entgegen, wonach eine Geldleistung an einen in einem anderen Mitgliedstaat wohnenden Gemeinschaftsbürger nur ausgezahlt wird, wenn sie einen Mindestbetrag übersteigt, der höher ist als der Betrag, der für eine solche Zahlung innerhalb desselben Mitgliedstaats gilt, sofern die Auszahlung in einem anderen Mitgliedstaat nicht zu höheren Kosten führt als die Auszahlung derselben Leistung innerhalb des erstgenannten Mitgliedstaats.

Ende der Entscheidung

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