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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 05.10.1995
Aktenzeichen: C-125/94
Rechtsgebiete: Richtlinie 83/643/EWG, Richtlinie 87/53/EWG


Vorschriften:

Richtlinie 83/643/EWG
Richtlinie 87/53/EWG
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Im Rahmen der durch Artikel 177 des Vertrages geschaffenen Zusammenarbeit zwischen dem Gerichtshof und den nationalen Gerichten ist es allein Sache des mit dem Rechtsstreit befassten nationalen Gerichts, das die Verantwortung für die zu erlassende gerichtliche Entscheidung zu tragen hat, im Hinblick auf die Besonderheiten der jeweiligen Rechtssache sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung für den Erlaß seines Urteils als auch die Erheblichkeit der von ihm dem Gerichtshof vorgelegten Fragen zu beurteilen. Wenn daher die vom vorlegenden Gericht gestellten Fragen die Auslegung einer Bestimmung des Gemeinschaftsrechts betreffen, ist der Gerichtshof grundsätzlich gehalten, darüber zu befinden.

Anders wäre dies, wenn der Gerichtshof über ein Problem hypothetischer Natur zu entscheiden hätte; dies ist jedoch nicht der Fall, wenn er, obwohl das nationale Gericht den tatsächlichen und rechtlichen Zusammenhang, in den sich seine Fragen einfügen, nicht erschöpfend dargelegt hat, über ausreichende Informationen über den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens verfügt, die es ihm ermöglichen, die Vorschriften des Gemeinschaftsrechts auszulegen und die ihm gestellten Fragen in zweckdienlicher Weise zu beantworten.

2. Nach Artikel 1 Absatz 1 der Richtlinie 83/643 zur Erleichterung der Kontrollen und Verwaltungsformalitäten im Güterverkehr zwischen den Mitgliedstaaten in der Fassung der Richtlinie 87/53 sind unbeschadet der Geltung besonderer Gemeinschaftsbestimmungen für den Handel mit bestimmten Drittländern die Vorschriften dieser Richtlinie, insbesondere Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe a zweiter Gedankenstrich, der die normalen Öffnungszeiten der Zollstellen der Grenzstationen festsetzt, nur auf den Güterverkehr zwischen Mitgliedstaaten unter Ausschluß des Handels mit Drittländern, insbesondere mit EFTA-Mitgliedsländern, anwendbar.

3. Die Mitgliedstaaten dürfen nicht allein aufgrund nationaler Rechtsvorschriften Abgaben zollgleicher Wirkung im Handel mit Drittländern erheben, da sonst sowohl die Einheit des gemeinschaftlichen Zollgebiets als auch die Einheitlichkeit der gemeinsamen Handelspolitik schwer beeinträchtigt würden. Es ist allein Sache der Gemeinschaft, die Höhe der Zölle und Abgaben für die Erzeugnisse aus Drittländern festzusetzen und gegebenenfalls zu ändern, damit sichergestellt ist, daß sich die Erhebung in allen Mitgliedstaaten auf den Handel mit diesen Ländern einheitlich auswirkt.

4. Für den Fall, daß das Verbot von Abgaben zollgleicher Wirkung in bilateralen oder multilateralen Abkommen zwischen der Gemeinschaft und einem oder mehreren Drittländern zur Beseitigung der Handelshemmnisse sowie in den Verordnungen des Rates über die gemeinsame Marktorganisation für verschiedene Agrarerzeugnisse im Hinblick auf den Handel mit Drittländern enthalten ist, hat es die gleiche Bedeutung, die ihm auch im Rahmen des innergemeinschaftlichen Handels beigemessen wird. Diese Abkommen und erst recht die Agrarverordnungen würden nämlich einen erheblichen Teil ihrer praktischen Wirksamkeit verlieren, wenn der in ihnen verwendete Begriff der Abgaben gleicher Wirkung dahin auszulegen wäre, daß er eine engere Bedeutung hat als der im Vertrag verwendete gleiche Begriff.


URTEIL DES GERICHTSHOFES (SECHSTE KAMMER) VOM 5. OKTOBER 1995. - APRILE SRL IN LIQUIDAZIONE GEGEN AMMINISTRAZIONE DELLE FINANZE DELLO STATO. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: GIUDICE CONCILIATORE DI MILANO - ITALIEN. - ABGABEN GLEICHER WIRKUNG - VERBOT - ANWENDBARKEIT AUF DEN HANDEL MIT DRITTLAENDERN. - RECHTSSACHE C-125/94.

Entscheidungsgründe:

1 Der Giudice conciliatore Mailand hat dem Gerichtshof mit Beschluß vom 26. April 1994, beim Gerichtshof eingegangen am 29. April 1994, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag fünf Fragen nach der Auslegung der Artikel 3 Buchstaben a und h, 5, 9, 11, 12, 13, 16 und 189 EWG-Vertrag, nunmehr EG-Vertrag, sowie der Richtlinie 83/643/EWG des Rates vom 1. Dezember 1983 zur Erleichterung der Kontrollen und Verwaltungsformalitäten im Güterverkehr zwischen den Mitgliedstaaten (ABl. L 359, S. 8) in der Fassung der Richtlinie 87/53/EWG des Rates vom 15. Dezember 1986 (ABl. 1987, L 24, S. 33) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen der Gesellschaft italienischen Rechts Aprile Srl und der Amministrazione delle finanze dello Stato (staatliche Finanzverwaltung; im folgenden: Finanzverwaltung) wegen deren Weigerung, der Firma Aprile Abgaben zu erstatten, die sie anläßlich von Zollhandlungen unter Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht erhoben hatte.

3 Der Gerichtshof hat in den Urteilen vom 30. Mai 1989 in der Rechtssache 340/87 (Kommission/Italien, Slg. 1989, 1483) und vom 21. März 1991 in der Rechtssache C-209/89 (Kommission/Italien, Slg. 1991, I-1575) festgestellt, daß die Italienische Republik gegen die Vertragsvorschriften über das Verbot von Abgaben gleicher Wirkung verstossen hat, indem sie den Wirtschaftsteilnehmern im innergemeinschaftlichen Handel die Kosten der Kontrollen und Verwaltungsformalitäten während eines Teils der üblichen Öffnungszeiten der Zollstellen an den Grenzuebergängen, wie sie durch die Richtlinie 83/643 in der Fassung der Richtlinie 87/53 festgelegt worden sind, auferlegt hat und indem sie für Dienstleistungen, die mehreren Unternehmen bei der Erfuellung der Zollformalitäten im innergemeinschaftlichen Handelsverkehr gleichzeitig erbracht worden sind, von jedem Unternehmen einzeln die Zahlung eines Entgelts verlangt hat, das zu den Kosten der erbrachten Dienstleistungen ausser Verhältnis steht.

4 Die Italienische Republik kam diesen Urteilen dadurch nach, daß sie ihre Regelung mit Wirkung vom 13. Juni 1991 und 1. November 1992 anpasste. Diese Maßnahmen betrafen jedoch nicht Sachverhalte vor deren Inkrafttreten und insbesondere auch nicht den Fall, daß die Verwaltung die Beträge, die die Zollstellen unter Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht erhoben hatten, den betroffenen Wirtschaftsteilnehmern zu erstatten hat.

5 Wie sich aus den Akten ergibt, zahlte die Firma Aprile, die die Tätigkeit eines Zollagenten im Flughafen von Mailand ausübte und über deren Vermögen am 20. Oktober 1992 der Konkurs eröffnet wurde, der italienischen Verwaltung aufgrund der nationalen Regelung, deren Gemeinschaftsrechtswidrigkeit in den beiden genannten Urteilen festgestellt wurde, 933 200 LIT als Entgelt für die am 22., 23., 24. und 26. November 1990 vorgenommenen Zollhandlungen.

6 Am 30. März 1994 befasste der Konkursverwalter den Giudice conciliatore Mailand mit der Angelegenheit und beantragte die Erstattung dieser 933 200 LIT.

7 Die Finanzverwaltung machte vor diesem Gericht geltend, der Antrag sei unbegründet. Zum einen seien die Voraussetzungen des Artikels 29 Absatz 2 des italienischen Gesetzes Nr. 428 vom 29. Dezember 1990 mit Vorschriften zur Erfuellung von Verpflichtungen infolge der Zugehörigkeit Italiens zu den Europäischen Gemeinschaften (GURI Nr. 10 vom 12. Januar 1991, Supplemento ordinario) nicht erfuellt, da die Kosten der streitigen Zollhandlungen im vorliegenden Fall nicht die Firma Aprile, die sie auf Dritte abgewälzt habe, belasteten. Zum anderen seien Gegenstand der Einfuhren, die zur Erhebung der Abgaben geführt hätten, teilweise Waren aus Drittländern gewesen, insbesondere aus Mitgliedsländern der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA), so daß das Gemeinschaftsrecht nicht auf den gesamten Antrag anwendbar sei.

8 Abweichend vom allgemeinen Recht macht Artikel 29 Absatz 2 des genannten Gesetzes, das am 27. Januar 1991 in Kraft getreten ist, die Erstattung von Abgaben, die unter Anwendung von gemeinschaftsrechtswidrigen nationalen Vorschriften erhoben wurden, davon abhängig, daß die vom Wirtschaftsteilnehmer zu Unrecht getragene Belastung nicht auf andere Personen abgewälzt worden ist, so daß derjenige, der die Erstattung beantragt, nicht in den Genuß einer ungerechtfertigten Bereicherung kommt. Insoweit ergibt sich aus den Akten, daß die italienischen Gerichte dazu neigen, die Abwälzung der Belastung auf Dritte zu vermuten. Im übrigen ist die fragliche Vorschrift auch dann anwendbar, wenn sich die Erstattung auf vor dem Inkrafttreten des Gesetzes gezahlte Beträge bezieht. Schließlich unterliegen die Anträge auf Erstattung von Beträgen, die anläßlich von Zollhandlungen gezahlt wurden, einer Ausschlußfrist von drei Jahren, während diese Frist nach dem allgemeinen Recht zehn Jahre beträgt.

9 Die fünf Vorabentscheidungsfragen, die der Giudice conciliatore Mailand dem Gerichtshof mit Beschluß vom 26. April 1994 gestellt hat, betrafen zum einen die Beurteilung der genannten Vorschriften des Gesetzes vom 29. Dezember 1990 im Hinblick auf das Gemeinschaftsrecht (erste, zweite und dritte Frage) und zum anderen die Anwendbarkeit der Richtlinie 83/643 in der Fassung der Richtlinie 87/53 sowie der Vertragsvorschriften über das Verbot von Abgaben gleicher Wirkung auf den Handel mit Drittländern (vierte und fünfte Frage).

10 Aus einem Beschluß, den der Giudice conciliatore Mailand am 5. Mai 1995 erlassen hat und der am 8. Mai 1995 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, ergibt sich, daß die Finanzverwaltung im Ausgangsverfahren eingeräumt hat, daß Artikel 29 des Gesetzes vom 29. Dezember 1990 auf den Erstattungsantrag der Firma Aprile wegen des nichtfiskalischen Charakters der streitigen Zahlungen nicht anwendbar gewesen sei, und daß die Verwaltung deshalb ihr auf diese Vorschrift gestütztes Verteidigungsvorbringen fallengelassen hat.

11 Unter diesen Umständen hat der Giudice conciliatore Mailand in seinem Beschluß vom 5. Mai 1995 ausgeführt, daß eine Beantwortung der ersten drei Vorabentscheidungsfragen nicht mehr erforderlich sei, und den Gerichtshof ersucht, nur über die im Beschluß vom 26. April 1994 gestellte vierte und fünfte Frage zu entscheiden.

12 Diese Fragen lauten wie folgt:

1) Sind die Vorschriften der Richtlinie (EWG) 83/643/EWG aufgrund der EWG-Verordnungen, mit denen in der Gemeinschaft die Abkommen zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und den Ländern der EFTA sowie die Zusatzprotokolle zu diesen Abkommen mit späteren Änderungen durchgeführt wurden, auch auf Zollhandlungen anwendbar, die den Handel zwischen der EWG und der EFTA zum Gegenstand haben und die Erzeugnisse betreffen, um die es in diesen Abkommen selbst und ihren späteren Änderungen geht? Sind insbesondere hinsichtlich der Zollhandlungen im Hinblick auf die Erzeugnisse, um die es in den genannten Abkommen EWG/EFTA geht, Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats wie Artikel 15 des D.P.R. Nr. 254 vom 8. Mai 1985 und Artikel 11 Absatz 2 Buchstabe b des D.P.R. Nr. 43 vom 23. Januar 1973 mit den genannten Bestimmungen des abgeleiteten Gemeinschaftsrechts vereinbar, durch die (entgegen der Regelung des Artikels 5 Absatz 1 zweiter Gedankenstrich der Richtlinie 83/643/EWG vom 1. Dezember 1983) die normale Öffnungszeit der Zollbehörden auf sechs Stunden von Montag bis Freitag festgesetzt wurde und es gestattet wurde, für die ausserhalb dieser normalen Öffnungszeit vorgenommenen Zollhandlungen Kosten zu berechnen (vierte Frage)?

2) Gelten in Vervollständigung und Verdeutlichung dessen, was im Urteil vom 21. März 1991 in der Rechtssache C-209/89 (Kommission/Italien) unter ausdrücklicher Bezugnahme auf den innergemeinschaftlichen Handel ausgeführt wurde, die in diesem Urteil aufgestellten Grundsätze aufgrund der Vorschriften des EWG-Vertrags über das Verbot von Abgaben zollgleicher Wirkung, über die Zollunion und über die Einführung des Gemeinsamen Zolltarifs und aufgrund der nachfolgenden Vorschriften des abgeleiteten Rechts auch für den Handel mit Drittländern und mit den Ländern der EFTA? Stehen insbesondere die genannten Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts auch bei Zollhandlungen, deren Gegenstand der Handel mit Drittländern ist, der Einführung und/oder Aufrechterhaltung einer nationalen Regelung wie der in den Ministerialdekreten vom 29. Juli 1971 (G.U.R.I. Nr. 193 vom 31. Juli 1971) und vom 30. Januar 1979 (G.U.R.I. vom 5. Februar 1979) enthaltenen durch einen Mitgliedstaat entgegen, wonach die privaten Wirtschaftsteilnehmer zur Zahlung der Kosten für Dienstleistungen "ausserhalb der [normalen] Dienstzeit" verpflichtet werden, und zwar nicht auf der Grundlage der stuendlichen Kosten für das tatsächlich mit den Zollförmlichkeiten, die beantragt und gleichzeitig für den Zollspediteur vorgenommen werden, beschäftigte Personal, sondern in Form einer einmaligen Vergütung für jede beantragte Zollhandlung, die nach der Art und der Dauer der einträglichsten erbrachten Dienstleistung und unabhängig von der Zahlung bemessen wird, die gesondert für jede andere Zollhandlung geschuldet wird, die vom Zollspediteur beantragt und zugleich mit der genannten Dienstleistung vorgenommen wird (fünfte Frage)?

Zur Zulässigkeit

13 Nach Auffassung der italienischen Regierung sind diese Fragen unzulässig, da sie abstrakt, unerheblich und für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits nicht notwendig seien. Das vorlegende Gericht habe nämlich nicht angegeben, aus welchen Drittländern die Waren gestammt hätten, für die die Abgaben entrichtet worden seien, deren Erstattung die Firma Aprile beantrage.

14 Es steht fest, daß die streitigen Einfuhren nicht ausschließlich Waren aus Mitgliedstaaten betrafen. So ergibt sich aus dem Vorlagebeschluß, daß die Finanzverwaltung im Ausgangsverfahren selbst vorgetragen hat, daß ein Teil der von der Firma Aprile eingeführten Waren, für die die Abgaben erhoben wurden, deren Erstattung beantragt worden ist, aus Drittländern gestammt hätten.

15 Angesichts dieser Situation hat es der Giudice conciliatore Mailand in seinem Beschluß vom 26. April 1994 für erforderlich gehalten, den Gerichtshof zu fragen, ob die Vorschriften der Richtlinie 83/643 in der Fassung der Richtlinie 87/53 sowie die Grundsätze, die in dem vorgenannten Urteil vom 21. März 1991 für den innergemeinschaftlichen Handel im Hinblick auf das Verbot von Abgaben zollgleicher Wirkung aufgestellt wurden, auch auf den Handel mit Drittländern anwendbar sind.

16 Im Rahmen der durch Artikel 177 des Vertrages geschaffenen Zusammenarbeit zwischen dem Gerichtshof und den nationalen Gerichten ist es nach ständiger Rechtsprechung allein Sache des mit dem Rechtsstreit befassten nationalen Gerichts, das die Verantwortung für die zu erlassende gerichtliche Entscheidung zu tragen hat, im Hinblick auf die Besonderheiten der jeweiligen Rechtssache sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung für den Erlaß seines Urteils als auch die Erheblichkeit der von ihm dem Gerichtshof vorgelegten Fragen zu beurteilen (vgl. z. B. Urteil vom 27. Oktober 1993 in der Rechtssache C-127/92, Enderby, Slg. 1993, I-5535, Randnr. 10).

17 Wenn daher die vom vorlegenden Gericht gestellten Fragen die Auslegung einer Bestimmung des Gemeinschaftsrechts betreffen, ist der Gerichtshof grundsätzlich gehalten, darüber zu befinden (Urteil vom 16. Juli 1992 in der Rechtssache C-83/91, Meilicke, Slg. 1992, I-4871, Randnr. 24).

18 Was die Bedingungen betrifft, unter denen der Gerichtshof im vorliegenden Fall von dem nationalen Gericht angerufen worden ist, so hat dieses zwar den tatsächlichen und rechtlichen Zusammenhang, in den sich seine Fragen einfügen, nicht erschöpfend dargelegt, da es insbesondere nicht angegeben hat, aus welchen Drittländern die fraglichen Waren stammten.

19 Dies kann jedoch nicht zur Unzulässigkeit der Vorabentscheidungsfragen führen, da feststeht, daß ein Teil der von der Firma Aprile eingeführten Waren, auf die die Abgaben erhoben worden sind, deren Erstattung sie beantragt, aus Drittländern stammten.

20 Demnach verfügt der Gerichtshof, der keineswegs über ein Problem hypothetischer Natur zu entscheiden hat, über ausreichende Informationen über den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens, die es ihm ermöglichen, die Vorschriften des Gemeinschaftsrechts auszulegen und die ihm gestellten Fragen in zweckdienlicher Weise zu beantworten.

21 Es ist sodann Sache des vorlegenden Gerichts, aufgrund der tatsächlichen Umstände der ihm vorliegenden Rechtssache den genauen Ursprung der betreffenden Waren und damit die auf diese Waren anwendbare rechtliche Regelung zu ermitteln.

Zur ersten Frage

22 Mit dieser Frage möchte das vorlegende Gericht im wesentlichen wissen, ob die Richtlinie 83/643 in der Fassung der Richtlinie 87/53, insbesondere Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe a zweiter Gedankenstrich, auf Zollhandlungen in bezug auf Waren aus Drittländern, namentlich aus EFTA-Mitgliedsländern, anwendbar ist.

23 Die ° geänderte ° Richtlinie 83/643 bezieht sich nach ihrem Titel auf die "Erleichterung der Kontrollen und Verwaltungsformalitäten im Güterverkehr zwischen den Mitgliedstaaten".

24 Artikel 1 Absatz 1 der Richtlinie 83/643 lautet:

"Unbeschadet der besonderen Bestimmungen der von der Gemeinschaft erlassenen allgemeinen Regelungen und Einzelregelungen gilt diese Richtlinie für Kontrollen und Verwaltungsformalitäten, nachstehend 'Kontrollen und Formalitäten' genannt, im Güterverkehr über

° eine Binnengrenze der Gemeinschaft oder

° eine Aussengrenze, wenn der Verkehr zwischen Mitgliedstaaten die Fahrt durch ein Drittland mit sich bringt."

25 Die Vorschriften dieser Richtlinie gelten somit nur für den Güterverkehr zwischen Mitgliedstaaten unter Ausschluß des Handels mit Drittländern.

26 Diese Auslegung wird im übrigen durch die Präambel der Richtlinie bestätigt.

27 Wie sich aus dem Wortlaut des Artikels 1 Absatz 1 der Richtlinie ergibt, schließt es diese jedoch nicht aus, daß von der Gemeinschaft erlassene Regelungen, darunter solche für den Handel mit Drittländern, besondere Bestimmungen in diesem Bereich vorsehen.

28 Auf die erste Vorabentscheidungsfrage ist somit zu antworten, daß unbeschadet der Geltung besonderer Gemeinschaftsbestimmungen für den Handel mit bestimmten Drittländern die Richtlinie 83/643 in der Fassung der Richtlinie 87/53, insbesondere Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe a zweiter Gedankenstrich, nicht auf Zollhandlungen in bezug auf Waren aus Drittländern, namentlich aus EFTA-Mitgliedsländern, anwendbar ist.

Zur zweiten Frage

29 Mit dieser Frage möchte das vorlegende Gericht im wesentlichen wissen, ob die Grundsätze in bezug auf das Verbot von Abgaben zollgleicher Wirkung, die der Gerichtshof im vorgenannten Urteil vom 21. März 1991 für den innergemeinschaftlichen Handel aufgestellt hat, auf den Handel mit Drittländern, namentlich mit EFTA-Mitgliedsländern, anwendbar sind.

30 In diesem Urteil hat der Gerichtshof entschieden, daß die Italienische Republik gegen das Verbot der Abgaben gleicher Wirkung im Sinne der Artikel 9, 12, 13 und 16 des Vertrages verstossen hat, indem sie eine 1971 und 1979 erlassene Regelung anwandte, wonach, wenn Dienstleistungen ausserhalb des Zollstellenbereichs oder ausserhalb der normalen Dienstzeiten mehreren Unternehmen bei der Erfuellung der Zollformalitäten im innergemeinschaftlichen Handelsverkehr gleichzeitig erbracht wurden, das gesamte pauschale Entgelt, das einer Dienstleistungsstunde entsprach, jedem Unternehmen einzeln auferlegt wurde.

31 Um dem vorlegenden Gericht eine zweckdienliche Antwort zu geben, ist zum einen zu prüfen, ob die Mitgliedstaaten berechtigt sind, im Handel mit Drittländern einseitig Abgaben gleicher Wirkung zu erheben, und zum anderen, welche Bedeutung das Verbot derartiger Abgaben hat, das in Abkommen zwischen der Gemeinschaft und Drittländern oder in Gemeinschaftsregelungen über den Handel mit Drittländern enthalten ist.

32 Zu der ersten Hypothese ist darauf hinzuweisen, daß die Zollunion, die sich nach Artikel 9 des Vertrages auf den gesamten Warenaustausch erstreckt, einen gemeinsamen Zolltarif umfasst, der auf eine Angleichung der Belastungen bei den Importerzeugnissen aus dritten Ländern an den Aussengrenzen der Gemeinschaft abzielt, um Verkehrsverlagerungen in den Beziehungen mit diesen Ländern sowie Verzerrungen des freien Warenverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten und der Wettbewerbsbedingungen zwischen den Wirtschaftsteilnehmern zu verhindern.

33 Was die gemeinsame Handelspolitik angeht, die nach Artikel 113 des Vertrages nach einheitlichen Grundsätzen gestaltet wird, insbesondere was die Änderung von Zollsätzen, den Abschluß von Zoll- und Handelsabkommen sowie die Vereinheitlichung der Liberalisierungsmaßnahmen betrifft, so umfasst sie den Abbau der nationalen Unterschiede fiskalischer und kommerzieller Natur, die den Handel mit Drittländern beeinträchtigen.

34 Sowohl die Einheit des gemeinschaftlichen Zollgebiets als auch die Einheitlichkeit der gemeinsamen Handelspolitik würden schwer beeinträchtigt, wenn es den Mitgliedstaaten gestattet wäre, einseitig Abgaben zollgleicher Wirkung auf Einfuhren aus Drittländern zu erheben.

35 Daher sind die Mitgliedstaaten nach ständiger Rechtsprechung nicht befugt, den Abgaben, die aufgrund der Gemeinschaftsregelung geschuldet werden, einseitig nationale Gebühren hinzuzufügen, da die Gemeinschaftsregelung sonst ihre notwendige Einheitlichkeit verlieren würde (vgl. insbesondere Urteile vom 28. Juni 1978 in der Rechtssache 70/77, Simmenthal, Slg. 1978, 1453, vom 16. März 1983 in der Rechtssache 266/81, Siot, Slg. 1983, 731, vom 16. März 1983 in den Rechtssachen 267/81, 268/81 und 269/81, SPI und Sami, Slg. 1983, 801, und vom 30. Mai 1989 in der Rechtssache Kommission/Italien, a. a. O.).

36 Damit sichergestellt ist, daß sich die Erhebung in allen Mitgliedstaaten auf den Handel mit Drittländern einheitlich auswirkt, ist es folglich allein Sache der Gemeinschaft, die Höhe der Zölle und Abgaben für die Erzeugnisse aus diesen Ländern festzusetzen und gegebenenfalls zu ändern.

37 Die Mitgliedstaaten dürfen daher nicht allein aufgrund der nationalen Rechtsvorschriften Abgaben gleicher Wirkung im Handel mit Drittländern erheben.

38 Zu der zweiten Hypothese ist darauf hinzuweisen, daß, wie der Generalanwalt in den Nummern 43 und 44 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, das Verbot von Abgaben gleicher Wirkung ausdrücklich in einer Reihe von bilateralen oder multilateralen Abkommen zwischen der Gemeinschaft und einem oder mehreren Drittländern zur Beseitigung der Handelsschranken sowie in den Verordnungen des Rates über die gemeinsame Marktorganisation für verschiedene Agrarerzeugnisse und den Handel mit Drittländern enthalten ist.

39 Bei dieser Hypothese gibt es keinen Grund, das Verbot von Abgaben zollgleicher Wirkung unterschiedlich auszulegen, je nachdem, ob es um den innergemeinschaftlichen Handel oder um den Handel mit Drittländern geht, der in solchen Abkommen oder sektoriellen Bestimmungen geregelt ist.

40 Derartige Abkommen bezwecken nämlich, die Wirtschaftsbeziehungen zwischen den Parteien zu konsolidieren und zu erweitern und zu diesem Zweck die Handelshemmnisse, darunter die Einfuhrzölle und Abgaben gleicher Wirkung, die mit ihnen eng verbunden sind, zu beseitigen. Diese Abkommen würden einen erheblichen Teil ihrer praktischen Wirksamkeit verlieren, wenn der in ihnen verwendete Begriff der Abgabe gleicher Wirkung dahin auszulegen wäre, daß er eine engere Bedeutung hat als der im Vertrag verwendete gleiche Begriff (vgl. Urteil vom 16. Juli 1992 in der Rechtssache C-163/90, Legros u. a., Slg. 1992, I-4625, Randnr 26).

41 Diese Erwägungen müssen erst recht für die Bestimmung der Bedeutung des Verbotes von Abgaben gleicher Wirkung gelten, das in den Verordnungen über die gemeinsame Organisation der Agrarmärkte enthalten ist, die den Handel mit Drittländern regeln (vgl. z. B. Urteil vom 14. Dezember 1971 in der Rechtssache 43/71, Politi/Italien, Slg. 1971, 1039, Randnr. 7).

42 Nach alledem ist auf die zweite Vorabentscheidungsfrage zu antworten, daß die Mitgliedstaaten nicht einseitig Abgaben gleicher Wirkung im Handel mit Drittländern erheben dürfen. Für den Fall, daß das Verbot von Abgaben gleicher Wirkung in bilateralen oder multilateralen Abkommen zwischen der Gemeinschaft und einem oder mehreren Drittländern zur Beseitigung der Handelshemmnisse sowie in den Verordnungen des Rates über die gemeinsame Marktorganisation für verschiedene Agrarerzeugnisse im Hinblick auf den Handel mit Drittländern enthalten ist, hat dieses Verbot die gleiche Bedeutung, die ihm auch im Rahmen des innergemeinschaftlichen Handels beigemessen wird.

Kostenentscheidung:

Kosten

43 Die Auslagen der dänischen und der italienischen Regierung sowie der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die Erklärungen beim Gerichtshof eingereicht haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)

auf die ihm vom Giudice conciliatore Mailand mit Beschluß vom 26. April 1994 in der Fassung des Beschlusses vom 5. Mai 1995 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:

1) Unbeschadet der Geltung besonderer Gemeinschaftsbestimmungen für den Handel mit bestimmten Drittländern ist die Richtlinie 83/643/EWG des Rates vom 1. Dezember 1983 zur Erleichterung der Kontrollen und Verwaltungsformalitäten im Güterverkehr zwischen den Mitgliedstaaten in der Fassung der Richtlinie 87/53/EWG des Rates vom 15. Dezember 1986, insbesondere Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe a zweiter Gedankenstrich, nicht auf Zollhandlungen in bezug auf Waren aus Drittländern, namentlich aus EFTA-Mitgliedsländern, anwendbar.

2) Die Mitgliedstaaten dürfen nicht einseitig Abgaben gleicher Wirkung im Handel mit Drittländern erheben. Für den Fall, daß das Verbot von Abgaben gleicher Wirkung in bilateralen oder multilateralen Abkommen zwischen der Gemeinschaft und einem oder mehreren Drittländern zur Beseitigung der Handelshemmnisse sowie in den Verordnungen des Rates über die gemeinsame Marktorganisation für verschiedene Agrarerzeugnisse im Hinblick auf den Handel mit Drittländern enthalten ist, hat dieses Verbot die gleiche Bedeutung, die ihm auch im Rahmen des innergemeinschaftlichen Handels beigemessen wird.

Ende der Entscheidung

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