Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 03.10.1996
Aktenzeichen: C-126/95
Rechtsgebiete: Verordnung (EWG) Nr. 2211/78 vom 26. September 1978, Gewährung von Leistungen


Vorschriften:

Verordnung (EWG) Nr. 2211/78 vom 26. September 1978
Gewährung von Leistungen
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Artikel 41 Absatz 1 des Kooperationsabkommens zwischen der EWG und Marokko ist dahin auszulegen, daß er es einem Mitgliedstaat verwehrt, der Ehefrau eines marokkanischen Arbeitnehmers die Gewährung von Leistungen, die wie die Übergangsvergünstigungen des niederländischen Systems der allgemeinen Altersversicherung nach seinen Rechtsvorschriften für Inländer vorgesehen sind, die bestimmte Voraussetzungen des Wohnens in diesem Staat erfuellen, mit der Begründung zu verweigern, die Betroffene sei marokkanischer Staatsangehörigkeit, wenn sie diese Wohnvoraussetzungen erfuellt. Denn zum einen stellen diese Übergangsvergünstigungen, die zu einer Erhöhung der Altersrente führen, eine Leistung der sozialen Sicherheit dar, die in den sachlichen Geltungsbereich der Verordnung Nr. 1408/71 und folglich unter den Gleichbehandlungsgrundsatz fällt, der in Artikel 41 Absatz 1 des Kooperationsabkommens verankert ist und auf den sich die Familienangehörigen des marokkanischen Arbeitnehmers, die mit diesem im Beschäftigungsmitgliedstaat wohnen, berufen können. Zum anderen ist bei der Anwendung des Artikels 41 Absatz 1 auf die Familienangehörigen eines marokkanischen Arbeitnehmers keine Unterscheidung zwischen eigenen und abgeleiteten Rechten vorzunehmen. Eine Leistung kann unabhängig von den Besonderheiten der Übergangsregelung im Rahmen des niederländischen Systems der allgemeinen Altersversicherung, die sich aus der Berücksichtigung von Wohnzeiten und nicht von Beitragszeiten ergeben, nicht mit der alleinigen Begründung verweigert werden, daß eine die Nationalität betreffende Voraussetzung oder eine Voraussetzung, die nicht in gleicher Weise für Inländer gilt, nicht erfuellt ist.


Urteil des Gerichtshofes (Sechste Kammer) vom 3. Oktober 1996. - A. Hallouzi-Choho gegen Bestuur van de Sociale Verzekeringsbank. - Ersuchen um Vorabentscheidung: Centrale Raad van Beroep - Niederlande. - Kooperationsabkommen EWG-Marokko - Artikel 41 Absatz 1 - Grundsatz der Nichtdiskriminierung im Bereich der sozialen Sicherheit - Unmittelbare Wirkung - Ehefrau eines marokkanischen Wanderarbeitnehmers - Besondere Anwendungsmodalitäten der niederländischen Rechtsvorschriften über die allgemeine Altersversicherung. - Rechtssache C-126/95.

Entscheidungsgründe:

1 Der Centrale Raad van Beroep hat dem Gerichtshof mit Beschluß vom 9. Dezember 1994, bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen am 13. April 1995, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag eine Frage nach der Auslegung des Artikels 41 Absatz 1 des am 27. April 1976 in Rabat unterzeichneten und durch die Verordnung (EWG) Nr. 2211/78 des Rates vom 26. September 1978 im Namen der Gemeinschaft genehmigten Kooperationsabkommens zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und dem Königreich Marokko (ABl. L 264, S. 1, im folgenden: Abkommen) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Frage stellt sich in einem Rechtsstreit zwischen der marokkanischen Staatsangehörigen Hallouzi-Choho und dem Bestuur van de Sociale Verzekeringsbank Amsterdam (Vorstand der Sozialversicherungsanstalt Amsterdam; im folgenden: SVB) wegen der Verweigerung bestimmter, bei Alter gewährter Leistungen.

3 Nach den Akten ist Frau Hallouzi-Choho die Ehefrau eines pensionierten marokkanischen Arbeitnehmers. Sie wohnt mit ihrem Ehemann in den Niederlanden, wo dieser als Arbeitnehmer beschäftigt war und nach den niederländischen Rechtsvorschriften eine Altersrente bezieht. Sie selbst hat in der Gemeinschaft keine Berufstätigkeit ausgeuebt.

4 Als Frau Hallouzi-Choho am 1. Juli 1991 65 Jahre alt wurde, wurde ihr eine Altersrente nach den niederländischen Rechtsvorschriften bewilligt.

5 In den Niederlanden wurde mit der Algemene Ouderdomswet (Gesetz über die allgemeine Altersversicherung; im folgenden: AOW) ein Altersrentensystem eingeführt, dem alle im Hoheitsgebiet dieses Staates wohnenden Personen sowie diejenigen, die wegen einer in den Niederlanden ausgeuebten Arbeitnehmertätigkeit der niederländischen Lohnsteuer unterliegen, angeschlossen sind. Die Versicherung nach der AOW ist beitragsbezogen.

6 Die Höhe der Altersrente hängt von der Anzahl der zwischen dem 15. und dem 65. Lebensjahr des Versicherten zurückgelegten Versicherungsjahre ab. Der Hoechstbetrag der Rente entspricht somit einer Versicherungsdauer von 50 Jahren. Beträgt die Versicherungsdauer weniger als 50 Jahre, so wird für jedes nicht versicherte Jahr eine Kürzung von 2 % vorgenommen.

7 Da die AOW am 1. Januar 1957 in Kraft getreten ist, hätte niemand vor dem Jahr 2007 einen Anspruch auf den Hoechstsatz der Rente haben können. Um dieser Situation abzuhelfen, sehen die Artikel 55 und 56 AOW eine Übergangsregelung vor, nach der Zeiten, die zwischen der Vollendung des 15. Lebensjahres des Versicherten und dem 1. Januar 1957 liegen, Versicherungszeiten im Sinne der AOW gleichgestellt werden, sofern der Betreffende zwischen seinem 59. und seinem 65. Lebensjahr in den Niederlanden gewohnt hat, nach Vollendung des 65. Lebensjahres dort wohnen bleibt und die niederländische Staatsangehörigkeit besitzt.

8 Diese letztgenannte Voraussetzung gilt allerdings nicht für Personen, die in den Geltungsbereich der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in der durch die Verordnung (EWG) Nr. 2001/83 des Rates vom 2. Juni 1983 (ABl. L 230, S. 6) geänderten und aktualisierten Fassung (im folgenden: Verordnung Nr. 1408/71) fallen, sowie für Arbeitnehmer, die Staatsangehörige eines Mitgliedstaats des Europäischen Wirtschaftsraums sind, und für Angehörige eines Staates, mit dem das Königreich der Niederlande ein bilaterales Sozialversicherungsabkommen geschlossen hat, das die Gleichstellung mit den niederländischen Staatsangehörigen vorsieht. Darüber hinaus wurde das Erfordernis der niederländischen Staatsangehörigkeit durch die Königliche Verordnung vom 15. November 1985 in ihrer geänderten Fassung abgeschwächt, die den niederländischen Staatsangehörigen diejenigen Ausländer für die Dauer ihres Aufenthalts in den Niederlanden gleichstellt, die nach Vollendung ihres 20. Lebensjahres 15 Jahre ununterbrochen oder mit Unterbrechungen in den Niederlanden gewohnt haben, sofern sie in den letzten fünf Jahren vor Vollendung ihres 65. Lebensjahres ununterbrochen in den Niederlanden gewohnt haben.

9 Die SVB lehnte es ab, für die Berechnung der Rente von Frau Hallouzi-Choho die fiktive Versicherungszeit zwischen der Vollendung ihres 15. Lebensjahres und dem 1. Januar 1957 zu berücksichtigen, da sie weder das Erfordernis bezueglich der niederländischen Staatsangehörigkeit noch die Voraussetzungen für eine Gleichstellung mit niederländischen Staatsangehörigen nach den Vorschriften der Königlichen Verordnung vom 15. November 1985 erfuelle.

10 Die SVB sprach deshalb Frau Hallouzi-Choho einen Anspruch auf die in der AOW vorgesehenen Übergangsleistungen ab und kürzte ihre Altersrente um 78 %, indem sie für die Berechnung dieser Rente nur die elf Jahre berücksichtigte, in denen Frau Hallouzi-Choho vor Vollendung ihres 65. Lebensjahres in den Niederlanden gewohnt hatte.

11 Unstreitig erfuellt Frau Hallouzi-Choho mit Ausnahme des Besitzes der niederländischen Staatsangehörigkeit alle anderen Voraussetzungen für die Anwendung der in den Artikeln 55 und 56 AOW vorgesehenen Übergangsregelung.

12 Frau Hallouzi-Choho erhob gegen die Weigerung der SVB, ihr die in der AOW vorgesehenen Übergangsvergünstigungen zu gewähren, Klage. Der Rechtsstreit ist zur Zeit beim Centrale Raad van Beroep anhängig.

13 Vor diesem Gericht machte Frau Hallouzi-Choho geltend, nach dem Urteil vom 31. Januar 1991 in der Rechtssache C-18/90 (Kziber, Slg. 1991, I-199) verbiete es Artikel 41 Absatz 1 des Abkommens den Behörden eines Mitgliedstaats, einem Antragsteller unter Berufung auf seine marokkanische Staatsangehörigkeit Leistungen der sozialen Sicherheit wie die in der AOW vorgesehenen Übergangsvergünstigungen zu verweigern. Sie müsse deshalb genauso behandelt werden wie eine Person niederländischer Staatsangehörigkeit und habe somit Anspruch auf diese Leistungen.

14 Die SVB vertrat dagegen den Standpunkt, Frau Hallouzi-Choho habe keinen Anspruch auf Gewährung der in der AOW vorgesehenen Übergangsvergünstigungen, da sie weder die niederländische Staatsangehörigkeit besitze noch die Voraussetzungen für eine Gleichstellung mit niederländischen Staatsangehörigen erfuelle. Der Gerichtshof habe im übrigen die Besonderheit der Übergangsregelung der AOW anerkannt, die darin bestehe, daß die Zeiten vor dem 1. Januar 1957, für die eine Altersrente gemäß den Artikeln 55 und 56 AOW gewährt werde, keine tatsächlichen Versicherungszeiten darstellten, da der Betroffene nicht beitragspflichtig gewesen sei und das blosse Wohnen in den Niederlanden eine ausreichende Voraussetzung für die Versicherung sei (vgl. insbesondere Urteil vom 2. Mai 1990 in der Rechtssache C-293/88, Winter-Lutzins, Slg. 1990, I-1623).

15 Der Centrale Raad van Beroep hat ausgeführt, in diesem Urteil habe der Gerichtshof festgestellt, daß Anhang VI Abschnitt "Niederlande" Nr. 2 der Verordnung Nr. 1408/71 Sondervorschriften für die Anwendung des in Artikel 10 dieser Verordnung verankerten Grundsatzes der Aufhebung der Wohnortklauseln auf die Übergangsregelung der AOW enthalte, die dadurch gerechtfertigt seien, daß Artikel 10 auf ein System der allgemeinen Altersversicherung, bei dem das Wohnen in den Niederlanden einzige Voraussetzung der Versicherung sei, nicht uneingeschränkt angewandt werden könne. In diesem Urteil sei jedoch darauf hingewiesen worden, daß das Abkommen keine Bestimmung enthalte, die mit der in Anhang VI enthaltenen vergleichbar sei, und daß es auch nicht die analoge Anwendung der Vorschriften dieses Anhangs vorsehe.

16 Da der Centrale Raad van Beroep der Auffassung ist, daß der Rechtsstreit Fragen nach der Auslegung des Gemeinschaftsrechts aufwerfe, hat er dem Gerichtshof folgende Frage vorgelegt:

Ist Artikel 41 Absatz 1 des Kooperationsabkommens zwischen der EG und Marokko so auszulegen, daß danach der Anspruch der Ehefrau ° d. h. einer Familienangehörigen im Sinne des Artikels 41 Absatz 1 des Abkommens ° eines marokkanischen Arbeitnehmers auf Übergangsvergünstigungen nach der niederländischen Algemene Ouderdomswet nicht vom Besitz der niederländischen Staatsangehörigkeit abhängig gemacht werden darf?

17 Zur Beantwortung dieser Frage ist zunächst auf Artikel 41 hinzuweisen, der zu Titel III des Abkommens über die Zusammenarbeit im Bereich der Arbeitskräfte gehört und dessen Absatz 1 lautet:

"Vorbehaltlich der folgenden Absätze wird den Arbeitnehmern marokkanischer Staatsangehörigkeit und den mit ihnen zusammenlebenden Familienangehörigen auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit eine Behandlung gewährt, die keine auf der Staatsangehörigkeit beruhende Benachteiligung gegenüber den Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten, in denen sie beschäftigt sind, bewirkt."

18 Die folgenden Absätze dieses Artikels betreffen die Zusammenrechnung der in verschiedenen Mitgliedstaaten zurückgelegten Versicherungs-, Beschäftigungs- oder Aufenthaltszeiten, die Gewährung von Familienzulagen für die innerhalb der Gemeinschaft wohnenden Familienangehörigen und den Transfer der Alters- und Hinterbliebenenrenten sowie der Renten bei Arbeitsunfall, Berufskrankheit oder Erwerbsunfähigkeit nach Marokko.

Zur unmittelbaren Wirkung des Artikels 41 Absatz 1 des Abkommens

19 Nach ständiger Rechtsprechung (vgl. Urteile Kziber, a. a. O., Randnrn. 15 bis 22, und vom 20. April 1994 in der Rechtssache C-58/93, Yousfi, Slg. 1994, I-1353, Randnr. 16) enthält Artikel 41 Absatz 1 des Abkommens, der klar, eindeutig und unbedingt das Verbot begründet, Arbeitnehmer marokkanischer Staatsangehörigkeit und die mit ihnen zusammenlebenden Familienangehörigen auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit zu benachteiligen, eine klare und eindeutige Verpflichtung, deren Erfuellung oder deren Wirkungen nicht vom Erlaß einer weiteren Maßnahme abhängen, soweit es nicht um Fragen geht, die Gegenstand der Absätze 2, 3 und 4 dieses Artikels sind. In diesen Urteilen hat der Gerichtshof hinzugefügt, daß das Ziel des Abkommens, eine globale Zusammenarbeit zwischen den Vertragsparteien u. a. im Bereich der Arbeitskräfte zu fördern, bestätigt, daß der in Artikel 41 Absatz 1 verankerte Grundsatz der Nichtdiskriminierung die Rechtsstellung des einzelnen unmittelbar regeln kann.

20 Der Gerichtshof hat daraus den Schluß gezogen (vgl. Urteile Kziber, a. a. O., Randnr. 23, und Yousfi, a. a. O., Randnr. 19), daß diese Bestimmung unmittelbare Wirkung hat, so daß die einzelnen, auf die sie anwendbar ist, das Recht haben, sich vor den nationalen Gerichten auf sie zu berufen.

Zur Tragweite des Artikels 41 Absatz 1 des Abkommens

21 Um die Tragweite des in Artikel 41 Absatz 1 des Abkommens niedergelegten Grundsatzes der Nichtdiskriminierung zu bestimmen, ist zum einen zu prüfen, ob eine Person wie die Klägerin des Ausgangsverfahrens in den persönlichen Geltungsbereich dieses Artikels fällt, und zum anderen, ob die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Übergangsvergünstigungen der AOW zum Bereich der sozialen Sicherheit im Sinne dieser Bestimmung gehören.

22 Was erstens den persönlichen Geltungsbereich des Artikels 41 Absatz 1 des Abkommens angeht, so ist diese Bestimmung zunächst auf Arbeitnehmer marokkanischer Staatsangehörigkeit anwendbar, wobei dieser Begriff nach ständiger Rechtsprechung (vgl. Urteile Kziber, a. a. O., Randnr. 27, und Yousfi, a. a. O., Randnr. 21) sowohl erwerbstätige Arbeitnehmer als auch solche Arbeitnehmer umfasst, die aus dem Arbeitsprozeß ausgeschieden sind, insbesondere nachdem sie die für die Gewährung einer Altersrente erforderliche Altersgrenze erreicht haben.

23 Ausserdem gilt Artikel 41 Absatz 1 des Abkommens auch für die Familienangehörigen dieser Arbeitnehmer, die mit ihnen in dem Mitgliedstaat wohnen, in dem sie beschäftigt sind oder beschäftigt waren.

24 Daher wird eine Person wie die Klägerin des Ausgangsverfahrens als Ehefrau eines marokkanischen Wanderarbeitnehmers, die mit ihm in dem Mitgliedstaat wohnt, in dem dieser Arbeitnehmer eine Altersrente bezieht, nachdem er dort eine berufliche Tätigkeit ausgeuebt hat, von Artikel 41 Absatz 1 des Abkommens erfasst.

25 Was zweitens den in dieser Bestimmung enthaltenen Begriff der sozialen Sicherheit angeht, so ergibt sich aus den angeführten Urteilen Kziber (Randnr. 25) und Yousfi (Randnr. 24), daß er genauso zu verstehen ist wie der gleiche Begriff, der in der Verordnung Nr. 1408/71 verwendet wird.

26 Artikel 4 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1408/71, der die verschiedenen Zweige der sozialen Sicherheit aufführt, die in den Geltungsbereich dieser Verordnung fallen, erwähnt unter Buchstabe c ausdrücklich die Leistungen bei Alter.

27 Daraus folgt, daß Leistungen wie die in der AOW vorgesehenen Übergangsvergünstigungen, die zu einer Erhöhung der dem Betroffenen ausgezahlten Altersrente führen, in den Geltungsbereich der Verordnung Nr. 1408/71 und daher in den des Artikels 41 Absatz 1 des Abkommens fallen.

28 Folglich ergibt sich aus dem in Artikel 41 Absatz 1 des Abkommens verankerten Verbot jeder auf der Staatsangehörigkeit beruhenden Diskriminierung auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit, daß der Ehefrau eines marokkanischen Wanderarbeitnehmers, die im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats wohnt, in dem dieser Arbeitnehmer beschäftigt war, und die bis auf das Staatsangehörigkeitserfordernis alle Voraussetzungen erfuellt, um Leistungen wie die nach der AOW für Personen, die in dem betreffenden Mitgliedstaat wohnen, vorgesehenen Übergangsvergünstigungen zu erhalten, diese Leistungen nicht wegen ihrer Staatsangehörigkeit verweigert werden dürfen.

29 Die SVB hat jedoch eingewandt, daß sich eine marokkanische Staatsangehörige, die Ehefrau eines marokkanischen Wanderarbeitnehmers sei, aber nie selbst die Arbeitnehmereigenschaft besessen habe, nicht auf Artikel 41 Absatz 1 des Abkommens berufen könne, um Leistungen wie die in der AOW vorgesehenen Übergangsvergünstigungen zu erhalten, da diese Vergünstigungen nach den betreffenden nationalen Rechtsvorschriften als eigenes Recht und nicht als abgeleitetes Recht anzusehen seien, das die Betroffene in ihrer Eigenschaft als Familienangehörige eines Wanderarbeitnehmers erworben habe.

30 Dazu ist lediglich festzustellen, daß der persönliche Geltungsbereich des Artikels 41 Absatz 1 des Abkommens nicht mit dem der Verordnung Nr. 1408/71, wie er in Artikel 2 definiert wird, deckungsgleich ist, so daß, wie aus dem genannten Urteil Kziber hervorgeht, die Rechtsprechung, die im Rahmen der Verordnung Nr. 1408/71 zwischen abgeleiteten und eigenen Rechten der Familienangehörigen des Wanderarbeitnehmers unterscheidet, die aber vor kurzem durch das Urteil vom 30. April 1996 in der Rechtssache C-308/93 (Cabanis-Issarte, Slg. 1996, I-0000) präzisiert worden ist, nicht auf das Abkommen übertragen werden kann (vgl. Urteil vom 5. April 1995 in der Rechtssache C-103/94, Krid, Slg. 1995, I-719, Randnr. 39, zu Artikel 39 Absatz 1 des am 26. April 1976 in Algier unterzeichneten Kooperationsabkommens zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Demokratischen Volksrepublik Algerien, im Namen der Gemeinschaft genehmigt durch die Verordnung [EWG] Nr. 2210/78 des Rates vom 26. September 1978, ABl. L 263, S. 1, der den gleichen Wortlaut hat wie Artikel 41 Absatz 1 des Kooperationsabkommens EWG°Marokko).

31 Im übrigen haben die SVB sowie die niederländische und die französische Regierung auf die besondere Natur der Übergangsregelung der AOW hingewiesen, die der Gerichtshof im genannten Urteil Winter-Lutzins anerkannt habe und die darauf beruhe, daß die Berücksichtigung von Zeiten, die vor dem 1. Januar 1957 zurückgelegt worden seien, nicht von der Zahlung von Beiträgen, sondern nur vom Wohnort in den Niederlanden abhänge. Unter diesen Umständen sei es zulässig, die Anzahl der Empfänger der Übergangsleistungen nach der AOW auf solche Personen zu beschränken, die eine hinreichend enge Beziehung zu den Niederlanden hätten, wobei diese Beziehung sowohl in der Voraussetzung der niederländischen Staatsangehörigkeit als auch im Erfordernis des Wohnens in den Niederlanden ihren Ausdruck finde. Es sei daher angebracht, daß der Gerichtshof zumindest die Regelung des Anhangs VI Abschnitt "Niederlande" Nr. 2 der Verordnung Nr. 1408/71 für analog anwendbar erkläre, die es erlaube, von dem in Artikel 10 dieser Verordnung verankerten Grundsatz der Aufhebung der Wohnortklauseln abzuweichen, um den Besonderheiten der AOW Rechnung zu tragen. Nach diesem Anhang könne eine Person wie die Klägerin des Ausgangsverfahrens die Übergangsleistungen der AOW nämlich nur für die Zeiten erhalten, in denen sie zwischen ihrem vollendeten 15. Lebensjahr und dem 1. Januar 1957 entweder in den Niederlanden gewohnt oder dort eine entlohnte Tätigkeit ausgeuebt habe, sofern sie nach Vollendung ihres 59. Lebensjahres sechs Jahre lang im Hoheitsgebiet eines oder mehrerer Mitgliedstaaten gewohnt habe.

32 Dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden.

33 Zunächst ist festzustellen, daß die Weigerung, Leistungen der sozialen Sicherheit zu gewähren, in einem Rechtsstreit, wie er bei dem vorlegenden Gericht anhängig ist, dadurch begründet ist, daß die Betroffene nicht die Staatsangehörigkeit des betreffenden Mitgliedstaats besitzt und auch nicht aufgrund der nationalen Rechtsvorschriften einem Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaats gleichgestellt werden kann.

34 Sodann ist darauf hinzuweisen, daß eine Person wie die Klägerin des Ausgangsverfahrens alle Voraussetzungen erfuellt, die nach den Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaats für den Bezug der streitigen Leistungen vorliegen müssen, mit Ausnahme der des Besitzes der Staatsangehörigkeit dieses Mitgliedstaats.

35 Das in Artikel 41 Absatz 1 des Abkommens auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit verankerte Verbot jeder auf der Staatsangehörigkeit beruhenden Diskriminierung der marokkanischen Wanderarbeitnehmer und der mit ihnen zusammenlebenden Familienangehörigen gegenüber den Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten, in denen sie beschäftigt sind, bedeutet, daß die von dieser Bestimmung erfassten Personen so zu behandeln sind, als wären sie Staatsangehörige der betreffenden Mitgliedstaaten.

36 Folglich impliziert dieses Verbot, daß die zuständigen Behörden des betreffenden Mitgliedstaats für die Gewährung einer Leistung der sozialen Sicherheit die Personen, die in den Geltungsbereich des Artikels 41 Absatz 1 des Abkommens fallen, den eigenen Staatsangehörigen gleichstellen, so daß die betreffenden nationalen Rechtsvorschriften für diese Personen keine zusätzlichen oder strengeren Voraussetzungen vorsehen dürfen, als für die Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaats gelten.

37 Als unvereinbar mit diesem Verbot ist es daher anzusehen, wenn von den unter diese Bestimmung fallenden Personen nicht nur verlangt wird, daß sie die Staatsangehörigkeit des betreffenden Mitgliedstaats besitzen ° was bei den Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaats zwangsläufig gegeben ist °, sondern auch, daß sie solche Voraussetzungen erfuellen wie die, daß sie eine bestimmte Zeit lang im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats wohnen müssen, sofern diese Zeit länger ist als die, die von Inländern verlangt wird, oder aber, daß sie eine berufliche Tätigkeit in dem betreffenden Mitgliedstaat ausüben müssen, während Inländer diese Voraussetzung nicht zu erfuellen brauchen.

38 Aus dem gleichen Grund ist auch der Umstand irrelevant, auf den die SVB und die niederländische Regierung hingewiesen haben, nämlich daß Frau Hallouzi-Choho den niederländischen Staatsangehörigen aufgrund der Königlichen Verordnung vom 15. November 1985 gleichgestellt werden könne und so ab Februar 1996 in den Genuß der in der AOW vorgesehenenen Übergangsvergünstigungen gelange, sofern sie weiter in den Niederlanden wohnen bleibe.

39 Diese nationale Regelung sieht nämlich eine zusätzliche Wohnvoraussetzung vor, die für die Staatsangehörigen des betreffenden Mitgliedstaats nicht gilt und die deshalb mit dem im Abkommen verankerten Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit unvereinbar ist.

40 Nach alledem ist dem Centrale Raad van Beroep auf seine Frage zu antworten, daß Artikel 41 Absatz 1 des Abkommens dahin auszulegen ist, daß er es einem Mitgliedstaat verwehrt, der Ehefrau eines marokkanischen Arbeitnehmers die Gewährung von Leistungen, die wie die Übergangsvergünstigungen der AOW nach seinen Rechtsvorschriften für Inländer vorgesehen sind, die bestimmte Voraussetzungen des Wohnens in diesem Staat erfuellen, mit der Begründung zu verweigern, die Betroffene sei marokkanischer Staatsangehörigkeit, wenn sie diese Wohnvoraussetzungen erfuellt.

Zur zeitlichen Wirkung des vorliegenden Urteils

41 In der mündlichen Verhandlung hat die französische Regierung den Gerichtshof ersucht, die Wirkungen seines Urteils zeitlich zu begrenzen, falls er entscheidet, daß der in Artikel 41 Absatz 1 des Abkommens verankerte Grundsatz der Nichtdiskriminierung dahin auszulegen ist, daß die Familienangehörigen eines marokkanischen Arbeitnehmers, die mit ihm zusammenleben, Leistungen wie die in der AOW vorgesehenen Übergangsvergünstigungen in Anspruch nehmen können. Die Regierung hat dieses Ersuchen mit den schwerwiegenden finanziellen Folgen begründet, die ein solches Urteil für die Systeme der sozialen Sicherheit der Mitgliedstaaten hätte.

42 Dazu ist festzustellen, daß der Gerichtshof die Wirkungen einer im Wege der Vorabentscheidung vorgenommenen Auslegung nur dann zeitlich begrenzen kann, wenn zwingende Erwägungen der Rechtssicherheit dies rechtfertigen.

43 Im vorliegenden Fall ist diese Voraussetzung nicht erfuellt.

44 Denn selbst wenn die von der französischen Regierung erwähnten finanziellen Folgen tatsächlich eintreten würden, konnte die Auslegung des Artikels 41 Absatz 1 des Abkommens in Anbetracht der ständigen Rechtsprechung seit dem Urteil Kziber vernünftigerweise nicht zu irgendeiner Unsicherheit führen.

45 Unter diesen Umständen besteht kein Anlaß, die Wirkungen des vorliegenden Urteils zeitlich zu begrenzen.

Kostenentscheidung:

Kosten

46 Die Auslagen der niederländischen und der französischen Regierung sowie der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)

auf die ihm vom Centrale Raad van Beroep mit Beschluß vom 9. Dezember 1994 vorgelegte Frage für Recht erkannt:

Artikel 41 Absatz 1 des am 27. April 1976 in Rabat unterzeichneten und durch die Verordnung (EWG) Nr. 2211/78 des Rates vom 26. September 1978 im Namen der Gemeinschaft genehmigten Kooperationsabkommens zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und dem Königreich Marokko ist dahin auszulegen, daß er es einem Mitgliedstaat verwehrt, der Ehefrau eines marokkanischen Arbeitnehmers die Gewährung von Leistungen, die wie die Übergangsvergünstigungen der AOW nach seinen Rechtsvorschriften für Inländer vorgesehen sind, die bestimmte Voraussetzungen des Wohnens in diesem Staat erfuellen, mit der Begründung zu verweigern, die Betroffene sei marokkanischer Staatsangehörigkeit, wenn sie diese Wohnvoraussetzungen erfuellt.

Ende der Entscheidung

Zurück