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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 09.02.2006
Aktenzeichen: C-127/04
Rechtsgebiete: Richtlinie 85/374/EWG


Vorschriften:

Richtlinie 85/374/EWG Art. 11
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Urteil des Gerichtshofes (Erste Kammer)

vom 9. Februar 2006.

"Richtlinie 85/374/EWG - Haftung für fehlerhafte Produkte - Begriff des "Inverkehrbringens" des Produkts - Lieferung vom Hersteller an eine 100%ige Tochtergesellschaft."

Parteien:

In der Rechtssache C-127/04

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Artikel 234 EG, eingereicht vom High Court of Justice (England & Wales), Queen's Bench Division (Vereinigtes Königreich), mit Entscheidung vom 18. November 2003, beim Gerichtshof eingegangen am 8. März 2004, in dem Verfahren

Declan O'Byrne

gegen

Sanofi Pasteur MSD Ltd , ehemals Aventis Pasteur MSD Ltd,

Sanofi Pasteur SA , ehemals Aventis Pasteur SA,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten P. Jann (Berichterstatter) sowie der Richter K. Schiemann, K. Lenaerts, E. Juhász und M. Ilesic,

Generalanwalt: L. A. Geelhoed,

Kanzler: M. Ferreira, Hauptverwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 7. April 2005,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

- von M. O'Byrne, vertreten durch S. Maskrey, QC, und H. Preston, Barrister, beauftragt durch K. Pickup, Solicitor,

- der Sanofi Pasteur MSD Ltd und der Sanofi Pasteur SA, vertreten durch G. Leggatt, QC, und P. Popat, Barrister,

- der italienischen Regierung, vertreten durch I. M. Braguglia als Bevollmächtigten im Beistand von P. Gentili, avvocato dello Stato,

- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch X. Lewis und G. Valero Jordana als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 2. Juni 2005

folgendes

Urteil

Entscheidungsgründe:

1. Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Artikel 11 der Richtlinie 85/374/EWG des Rates vom 25. Juli 1985 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Haftung für fehlerhafte Produkte (ABl. L 210, S. 29, im Folgenden: Richtlinie).

2. Dieses Ersuchen ergeht in einem Rechtsstreit zwischen Declan O'Byrne (im Folgenden: Kläger) und der Sanofi Pasteur MSD Ltd, ehemals Aventis Pasteur MSD Ltd (im Folgenden: APMSD), und der Sanofi Pasteur SA, ehemals Aventis Pasteur SA (im Folgenden: APSA), über das Inverkehrbringen eines nach dem Vorbringen des Klägers fehlerhaften Impfstoffs durch die Beklagten, durch dessen Verabreichung der Kläger eine schwere Schädigung erlitten zu haben behauptet.

Rechtlicher Rahmen

Gemeinschaftsrecht

3. Artikel 1 der Richtlinie sieht vor, dass "[d]er Hersteller eines Produkts für den Schaden [haftet], der durch einen Fehler dieses Produkts verursacht worden ist".

4. Artikel 3 der Richtlinie definiert den Begriff des Herstellers wie folgt:

"(1) 'Hersteller' ist der Hersteller des Endprodukts, eines Grundstoffs oder eines Teilprodukts sowie jede Person, die sich als Hersteller ausgibt, indem sie ihren Namen, ihr Warenzeichen oder ein anderes Erkennungszeichen auf dem Produkt anbringt.

(2) Unbeschadet der Haftung des Herstellers gilt jede Person, die ein Produkt zum Zweck des Verkaufs, der Vermietung, des Mietkaufs oder einer anderen Form des Vertriebs im Rahmen ihrer geschäftlichen Tätigkeit in die Gemeinschaft einführt, im Sinne dieser Richtlinie als Hersteller dieses Produkts und haftet wie der Hersteller.

(3) Kann der Hersteller des Produkts nicht festgestellt werden, so wird jeder Lieferant als dessen Hersteller behandelt, es sei denn, dass er dem Geschädigten innerhalb angemessener Zeit den Hersteller oder diejenige Person benennt, die ihm das Produkt geliefert hat. Dies gilt auch für eingeführte Produkte, wenn sich bei diesen der Importeur im Sinne des Absatzes 2 nicht feststellen lässt, selbst wenn der Name des Herstellers angegeben ist."

5. Artikel 7 der Richtlinie bestimmt:

"Der Hersteller haftet aufgrund dieser Richtlinie nicht, wenn er beweist,

a) dass er das Produkt nicht in den Verkehr gebracht hat;

..."

6. Nach der zehnten Begründungserwägung der Richtlinie liegt eine "einheitlich ... bemessene Verjährungsfrist für Schadenersatzansprüche sowohl im Interesse des Geschädigten als auch des Herstellers". Artikel 11 der Richtlinie bestimmt hierzu Folgendes:

"Die Mitgliedstaaten sehen in ihren Rechtsvorschriften vor, dass die dem Geschädigten aus dieser Richtlinie erwachsenden Ansprüche nach Ablauf einer Frist von zehn Jahren ab dem Zeitpunkt erlöschen, zu dem der Hersteller das Produkt, welches den Schaden verursacht hat, in den Verkehr gebracht hat, es sei denn, der Geschädigte hat in der Zwischenzeit ein gerichtliches Verfahren gegen den Hersteller eingeleitet."

Nationales Recht

7. Das Vereinigte Königreich hat die Richtlinie mit Teil I des Consumer Protection Act 1987 (im Folgenden: Verbraucherschutzgesetz) umgesetzt, der am 1. März 1988 in Kraft getreten ist. Section 4 dieses Gesetzes lautet wie folgt:

"(1) In auf diesen Teil gestützten zivilrechtlichen Streitigkeiten ... wegen Fehlerhaftigkeit eines Produkts kann sich der Beklagte damit verteidigen,

...

b) dass er das Produkt zu keiner Zeit an einen anderen geliefert hat oder

...

d) dass das Produkt zur maßgebenden Zeit nicht fehlerhaft war;

..."

8. Außerdem wurde durch das Verbraucherschutzgesetz in den Limitation Act 1980 (Gesetz über die Verjährung) eine neue Section 11A eingefügt, deren Subsection 3 bestimmt:

"Eine Klage, auf die diese Section anwendbar ist, kann nicht mehr erhoben werden, wenn seit dem maßgebenden Zeitpunkt zehn Jahre verstrichen sind ...; diese Subsection hat die Wirkung, das Klagerecht am Ende der Zehnjahresfrist unabhängig davon zum Erlöschen zu bringen, ob es zur Entstehung gelangt ist oder ob die Frist nach den folgenden Vorschriften dieses Gesetzes in Lauf gesetzt worden ist."

Das Ausgangsverfahren und die Vorlagefragen

9. Wie aus dem Vorlagebeschluss hervorgeht, wurde der Kläger als Kind am 3. November 1992 in einer Arztpraxis im Vereinigten Königreich mit einer Dosis Antihaemophilus-Impfstoff geimpft.

10. Im Anschluss an diese Impfung erlitt er eine schwere Schädigung. Er behauptet, die Schädigung sei dadurch verursacht worden, dass der verabreichte Impfstoff fehlerhaft gewesen sei.

11. Hersteller des Impfstoffs war die Pasteur Mérieux Sérums et Vaccins SA, eine französische Gesellschaft, nach einer Änderung ihrer Firma die jetzige APSA.

12. APSA hatte am 18. September 1992 eine Sendung mit mehreren Einheiten des Impfstoffes, darunter die dem Kläger verabreichte, an die Mérieux UK Ltd versandt, eine Gesellschaft englischen Rechts, nach einer Änderung ihrer Firma die jetzige APMSD. Diese war eine 100%ige Tochtergesellschaft von APSA und vertrieb deren Produkte im Vereinigten Königreich. Die fragliche Sendung wurde von ihr am 22. September 1992 in Empfang genommen. APSA schickte an APMSD für die Sendung eine Rechnung, die diese ordnungsgemäß bezahlte.

13. Zu einem späteren, nicht bekannten Zeitpunkt verkaufte APMSD einen Teil der Sendung an das Gesundheitsministerium des Vereinigten Königreichs und lieferte diesen Teil direkt an ein vom Ministerium bezeichnetes Krankenhaus aus. Dieses lieferte ihn seinerseits an die Arztpraxis, in der der Kläger am 3. November 1992 geimpft wurde.

14. Am 2. November 2000 erhob der Kläger eine erste Schadensersatzklage gegen APMSD mit dem Vortrag, dass diese der Hersteller des Produkts sei.

15. Am 7. Oktober 2002 wurde eine zweite Klage erhoben, diesmal gegen APSA. Der Kläger teilte hierzu mit, er habe erst im Sommer 2002 erfahren, dass der Hersteller des Produkts in Wirklichkeit nicht APMSD, sondern APSA sei.

16. In diesem zweiten Verfahren macht APSA geltend, dass die Klage gegen sie verjährt sei. Das Produkt sei durch die von ihr am 18. September 1992 vorgenommene Versendung an APMSD, die es am 22. September 1992 in Empfang genommen habe, in den Verkehr gebracht worden. Daher sei die erst am 7. Oktober 2002 eingereichte Klage nach Ablauf der Verjährungsfrist von zehn Jahren erhoben worden, die in Section 11A (3) des Verbraucherschutzgesetzes, die Artikel 11 der Richtlinie umgesetzt habe, festgesetzt sei.

17. Nach Auffassung des Klägers ist die Klage nicht verjährt. Das Produkt sei nämlich erst in den Verkehr gebracht worden, als es von APMSD an das vom Gesundheitsministerium bezeichnete Krankenhaus ausgeliefert worden sei. Dies sei weniger als zehn Jahre vor der Erhebung der zweiten Klage geschehen.

18. Der Kläger beantragte jedoch am 10. März 2003 beim vorlegenden Gericht, vorsorglich anzuordnen, dass im ersten, durch die am 2. November 2000 erhobene Klage eingeleiteten Verfahren APMSD durch APSA als Beklagte ersetzt werde.

19. Unter diesen Umständen hat der High Court of Justice (England & Wales), Queen's Bench Division, das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Ist Artikel 11 der Richtlinie dahin auszulegen, dass ein Produkt, das aufgrund eines Kaufvertrags von einem französischen Hersteller an seine 100%ige englische Tochtergesellschaft geliefert und dann von dieser an eine andere Einrichtung weitergeliefert wird, in den Verkehr gebracht wird,

a) wenn es das französische Unternehmen verlässt oder

b) wenn es bei dem englischen Unternehmen ankommt oder

c) wenn es das englische Unternehmen verlässt oder

d) wenn es bei der Einrichtung ankommt, die das Produkt von dem englischen Unternehmen erhält?

2. Darf ein Mitgliedstaat für den Fall, dass ein Kläger Ansprüche, die ihm nach der Richtlinie in Bezug auf ein fehlerhaftes Produkt zustehen, in einem gerichtlichen Verfahren gegen ein Unternehmen A in der irrigen Annahme geltend macht, dass A der Hersteller des Produkts sei, während Hersteller des Produkts tatsächlich nicht A, sondern ein anderes Unternehmen B ist, in seinem nationalen Recht seinen Gerichten ein Ermessen einräumen, ein solches Verfahren als "ein gerichtliches Verfahren gegen den Hersteller" im Sinne von Artikel 11 der Richtlinie zu behandeln?

3. Erlaubt Artikel 11 der Richtlinie bei zutreffender Auslegung einem Mitgliedstaat, einem Gericht ein Ermessen einzuräumen, in einem Verfahren wie dem, auf das sich Frage 2 bezieht ("relevantes Verfahren"), A als Beklagten durch B zu ersetzen, wenn

a) die in Artikel 11 festgesetzte Zehnjahresfrist abgelaufen ist,

b) das relevante Verfahren gegen A vor Ablauf der Zehnjahresfrist eingeleitet wurde und

c) gegen B vor Ablauf der Zehnjahresfrist kein gerichtliches Verfahren in Bezug auf das Produkt, das den vom Kläger behaupteten Schaden verursacht hat, eingeleitet wurde?

Zur ersten Frage

20. Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob in dem Fall, dass ein Produkt vom herstellenden Unternehmen an eine mit dem Vertrieb befasste Tochtergesellschaft übergeben wird, die es dann an einen Dritten verkauft, Artikel 11 der Richtlinie dahin auszulegen ist, dass das Produkt zu dem Zeitpunkt in den Verkehr gebracht ist, zu dem es vom herstellenden Unternehmen an die Tochtergesellschaft übergeben wird, oder aber zum Zeitpunkt seiner Übergabe durch diese an den Dritten.

21. Nach Auffassung des Klägers, der italienischen Regierung und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften setzt das Inverkehrbringen eines Produkts voraus, dass die Kontrolle des Herstellers über das Produkt endet; ein Produkt sei in den Verkehr gebracht, wenn es an eine Person übergeben worden sei, die nicht an Weisungen des Herstellers gebunden sei. Entscheidend sei der Eintritt des Produkts in die Vertriebskette durch Übergabe an einen Dritten. Eine 100%ige Tochtergesellschaft des Herstellers wie die im Ausgangsverfahren betroffene sei möglicherweise nicht als Dritter anzusehen.

22. Dagegen halten die Beklagten für die Definition des Inverkehrbringens den Umstand für maßgeblich, dass das Produkt die Herstellungsstätte verlasse; dass es an eine Tochtergesellschaft des Herstellers übergeben werde, sei insoweit irrelevant.

23. Zunächst ist festzustellen, dass der Begriff des "Inverkehrbringens" in der Richtlinie nicht definiert ist; dieser Begriff kommt u. a. in Artikel 7 Buchstabe a der Richtlinie vor, der die Möglichkeiten des Herstellers betrifft, sich von der Haftung zu befreien, sowie in Artikel 11, der die Verjährung der dem Geschädigten nach der Richtlinie zustehenden Ansprüche regelt.

24. Der Gerichtshof hat zum Begriff des Inverkehrbringens im Sinne von Artikel 7 der Richtlinie entschieden, dass die Haftungsbefreiung wegen fehlenden Inverkehrbringens des Produkts zunächst den Fall betrifft, dass eine andere Person als der Hersteller das Produkt aus dem Herstellungsprozess herausnimmt. Ebenfalls vom Geltungsbereich der Richtlinie ausgenommen ist die Verwendung des Produkts gegen den Willen des Herstellers, etwa wenn der Herstellungsprozess noch nicht abgeschlossen ist, das Produkt zu privaten Zwecken benutzt wird oder ähnliche Situationen gegeben sind (Urteil vom 10. Mai 2001 in der Rechtssache C-203/99, Veedfald, Slg. 2001, I-3569, Randnr. 16).

25. Der Gerichtshof hat in diesem Kontext in Randnummer 15 des Urteils Veedfald entschieden, dass die in Artikel 7 der Richtlinie abschließend aufgeführten Fälle, in denen der Hersteller sich von seiner Haftung befreien kann, eng auszulegen sind. Eine solche Auslegung dient den Interessen der Geschädigten, die einen durch ein fehlerhaftes Produkt verursachten Schaden erlitten haben.

26. Artikel 11 der Richtlinie, der die Ausübung der dem Geschädigten nach der Richtlinie zustehenden Ansprüche zeitlich begrenzen soll, hat dagegen neutralen Charakter. Wie nämlich aus der zehnten Begründungserwägung der Richtlinie hervorgeht, soll diese Vorschrift den Erfordernissen der Rechtssicherheit im Interesse der Beteiligten genügen. Die Bestimmung der zeitlichen Grenzen für eine Klage des Geschädigten muss also objektiven Kriterien entsprechen.

27. Im Licht dieser Erwägungen ist ein Produkt als im Sinne von Artikel 11 der Richtlinie in den Verkehr gebracht anzusehen, wenn es den vom Hersteller eingerichteten Prozess der Herstellung verlassen hat und in einen Prozess der Vermarktung eingetreten ist, in dem es in ge- oder verbrauchsfertigem Zustand öffentlich angeboten wird.

28. Dabei ist es grundsätzlich unerheblich, ob das Produkt unmittelbar vom Hersteller an den Verbraucher verkauft wird oder ob dieser Verkauf im Rahmen eines Vertriebsvorgangs mit einem oder mehreren Beteiligten erfolgt, wie er in Artikel 3 Absatz 3 der Richtlinie angesprochen ist.

29. Ist jedoch eines der Glieder der Vertriebskette eng mit dem Hersteller verbunden, wie etwa eine 100%ige Tochtergesellschaft des Herstellers, so ist zu prüfen, ob diese Verbindung zur Folge hat, dass die fragliche Einrichtung in Wirklichkeit in den Prozess der Herstellung des betreffenden Produkts einbezogen ist.

30. Bei der Beurteilung einer solchen engen Verbindung darf nicht darauf abgestellt werden, ob es sich um unterschiedliche juristische Personen handelt oder nicht. Dagegen ist erheblich, ob es sich um Unternehmen handelt, die unterschiedlichen Herstellungstätigkeiten nachgehen, oder aber um Unternehmen, von denen eines, die Tochtergesellschaft, nur als Vertriebshändler oder Verwahrer des von der Muttergesellschaft hergestellten Produkts auftritt. Es ist Sache der nationalen Gerichte, anhand der Umstände des jeweiligen Einzelfalls und des Sachverhalts der bei ihnen anhängigen Rechtssache festzustellen, ob die Verbindungen zwischen dem Hersteller und einer anderen Einrichtung so eng sind, dass der Begriff des Herstellers im Sinne der Artikel 7 und 11 der Richtlinie auch diese andere Einrichtung umfasst und die Übergabe des Produkts von der einen Einrichtung an die andere nicht sein Inverkehrbringen im Sinne der genannten Bestimmungen bewirkt.

31. Jedenfalls ist entgegen dem Vorbringen der Beklagten der Umstand, dass die Produkte einer Tochtergesellschaft in Rechnung gestellt werden und dass diese den Preis wie jeder andere Käufer entrichtet, nicht entscheidend. Ebenso wenig kommt es darauf an, welche Einrichtung als Eigentümerin der Produkte anzusehen ist.

32. Auf die erste Frage ist somit zu antworten, dass Artikel 11 der Richtlinie dahin auszulegen ist, dass ein Produkt in den Verkehr gebracht ist, wenn es den vom Hersteller eingerichteten Prozess der Herstellung verlassen hat und in einen Prozess der Vermarktung eingetreten ist, in dem es in ge- oder verbrauchsfertigem Zustand öffentlich angeboten wird.

Zur zweiten und zur dritten Frage

33. Mit der zweiten und der dritten Frage, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob die nationalen Gerichte in dem Fall, dass eine Klage gegen ein Unternehmen erhoben wurde, das irrtümlich für den Hersteller eines in Wirklichkeit von einem anderen Unternehmen hergestellten Produkts gehalten wurde, befugt sind, diese Klage als gegen das herstellende Unternehmen gerichtet anzusehen und das ursprünglich verklagte Unternehmen als Beklagten durch das herstellende Unternehmen zu ersetzen.

34. Hierzu ist festzustellen, dass die Richtlinie keine Aussage darüber enthält, welche verfahrensrechtlichen Regeln anzuwenden sind, wenn ein Geschädigter wegen eines fehlerhaften Produkts Klage erhebt und einen Irrtum über die Person des Herstellers begeht. Daher bestimmen sich die Voraussetzungen, unter denen im Rahmen einer solchen Klage ein Parteiwechsel zulässig ist, nach dem nationalen Verfahrensrecht.

35. Es ist jedoch zu beachten, dass der Kreis der haftenden Personen, gegen die der Geschädigte eine Klage im Rahmen des in der Richtlinie vorgesehenen Haftungssystems erheben darf, in den Artikeln 1 und 3 der Richtlinie festgelegt ist (Urteil vom 10. Januar 2006 in der Rechtssache C-402/03, Skov und Bilka, Slg. 2006, I-0000, Randnr. 32). Da die Richtlinie für die in ihr geregelten Punkte eine vollständige Harmonisierung bezweckt, ist die in den Artikeln 1 und 3 vorgenommene Festlegung des Kreises der haftenden Personen als abschließend anzusehen (Urteil Skov und Bilka, Randnr. 33).

36. In den Artikeln 1 und 3 Absatz 1 der Richtlinie wird die Herstellerhaftung u. a. dem Hersteller des Endprodukts auferlegt.

37. Nur in abschließend aufgezählten Fällen dürfen andere Personen als Hersteller angesehen werden, nämlich die Person, die sich als Hersteller ausgibt, indem sie ihren Namen, ihr Warenzeichen oder ein anderes Erkennungszeichen auf dem Produkt anbringt (Artikel 3 Absatz 1 der Richtlinie), die Person, die ein Produkt in die Gemeinschaft einführt (Artikel 3 Absatz 2), und der Lieferant, der, falls der Hersteller des Produkts nicht festgestellt werden kann, dem Geschädigten nicht innerhalb angemessener Zeit den Hersteller oder diejenige Person benennt, die ihm das Produkt geliefert hat (Artikel 3 Absatz 3).

38. Ein nationales Gericht hat bei der Prüfung der Voraussetzungen für einen Parteiwechsel in einem konkreten Verfahren darauf zu achten, dass der persönliche Anwendungsbereich der Richtlinie, wie er in ihrem Artikel 3 festgelegt ist, beachtet wird.

39. Daher ist auf die zweite und die dritte Frage zu antworten, dass sich in dem Fall, dass eine Klage gegen ein Unternehmen erhoben wurde, das irrtümlich für den Hersteller eines in Wirklichkeit von einem anderen Unternehmen hergestellten Produkts gehalten wurde, grundsätzlich nach nationalem Recht bestimmt, unter welchen Voraussetzungen im Rahmen einer solchen Klage ein Parteiwechsel zulässig ist. Bei der Prüfung der Voraussetzungen eines solchen Parteiwechsels hat ein nationales Gericht jedoch darauf zu achten, dass der persönliche Anwendungsbereich der Richtlinie, wie er in ihren Artikeln 1 und 3 festgelegt ist, beachtet wird.

Kostenentscheidung:

Kosten

40. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Tenor:

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt:

1. Artikel 11 der Richtlinie 85/374/EWG des Rates vom 25. Juli 1985 zur Angleichung der Rechts und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Haftung für fehlerhafte Produkte ist dahin auszulegen, dass ein Produkt in den Verkehr gebracht ist, wenn es den vom Hersteller eingerichteten Prozess der Herstellung verlassen hat und in einen Prozess der Vermarktung eingetreten ist, in dem es in ge- oder verbrauchsfertigem Zustand öffentlich angeboten wird.

2. Wurde eine Klage gegen ein Unternehmen erhoben, das irrtümlich für den Hersteller eines in Wirklichkeit von einem anderen Unternehmen hergestellten Produkts gehalten wurde, so bestimmt sich grundsätzlich nach nationalem Recht, unter welchen Voraussetzungen im Rahmen einer solchen Klage ein Parteiwechsel zulässig ist. Bei der Prüfung der Voraussetzungen eines solchen Parteiwechsels hat ein nationales Gericht jedoch darauf zu achten, dass der persönliche Anwendungsbereich der Richtlinie 85/374, wie er in ihren Artikeln 1 und 3 festgelegt ist, beachtet wird.



Ende der Entscheidung

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