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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 05.10.1993
Aktenzeichen: C-13/92
Rechtsgebiete: Verordnung 1101/89/EWG


Vorschriften:

Verordnung 1101/89/EWG Art. 8 Abs. 1a
Verordnung 1101/89/EWG Art. 8 Abs. 3a
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Ist die Anhörung des Europäischen Parlaments vorgesehen, so schließt dies das Erfordernis ein, das Parlament immer dann erneut anzuhören, wenn der endgültig verabschiedete Wortlaut als Ganzes gesehen in seinem Wesen von demjenigen abweicht, zu dem das Parlament bereits angehört worden ist, es sei denn, die Änderungen entsprechen im wesentlichen einem vom Parlament selbst geäusserten Wunsch.

2. Die Übergangsregelung in Artikel 8 der Verordnung Nr. 1101/89 über die Strukturbereinigung in der Binnenschiffahrt, wonach neu gebaute Schiffe während eines bestimmten Zeitraums nur dann in Betrieb genommen werden dürfen, wenn der Eigentümer des in Betrieb zu nehmenden Schiffes ohne Abwrackprämie eine Schiffsraumtonnage abwrackt, die der Tonnage dieses Schiffes entspricht, oder an den Abwrackfonds einen Sonderbeitrag in Höhe der Abwrackprämie entrichtet, sofern er nicht nachweist, daß der Bau zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Verordnung bereits begonnen hatte, daß mindestens 20 v. H. des Stahlgewichts oder mindestens 50 Tonnen verarbeitet sind und daß die Übergabe und Inbetriebnahme des Schiffes innerhalb von sechs Monaten nach dem Inkrafttreten der Verordnung erfolgen, verstösst weder gegen das Rückwirkungsverbot noch gegen die Grundsätze des Vertrauensschutzes, der Verhältnismässigkeit und der Gleichbehandlung.

Denn zum einen durften die Wirtschaftsteilnehmer, die vor Inkrafttreten der Verordnung Schiffe bestellt haben ° auch wenn es zutrifft, daß die Verordnung, deren Bestimmungen erst ab ihrem Inkrafttreten gelten, für sie belastende Wirkungen hat °, nicht darauf vertrauen, daß sie neue, kurze Zeit nach der Veröffentlichung des Verordnungsvorschlags in Auftrag gegebene Schiffe unter den in diesem Vorschlag vorgesehenen Bedingungen, die weniger streng waren als die letztlich aufgestellten, würden in Betrieb nehmen können, da die Kommission ihren Vorschlag jederzeit ändern konnte, da der Rat Änderungen des Vorschlags beschließen konnte und da sie wissen mussten, daß die Berufskreise eine strengere Übergangsregelung anstrebten.

Zum anderen steht hinsichtlich der Frage der Verhältnismässigkeit fest, daß die erlassene Regelung angemessen ist und vom Rat für erforderlich gehalten werden konnte, um neue Investitionen in einem von einem strukturellen Kapazitätsüberhang gekennzeichneten Sektor wirksam zu begrenzen.

Schließlich kann, was den Grundsatz der Gleichbehandlung betrifft, vom Gemeinschaftsgesetzgeber nicht verlangt werden, daß er für die Anwendung einer Regelung aufgestellte objektive Bedingungen nach Maßgabe individueller Entscheidungen, wie etwa der Wahl einer Werft, die ihre Lieferfristen nicht verkürzen kann, gestaltet.


URTEIL DES GERICHTSHOFES (FUENFTE KAMMER) VOM 5. OKTOBER 1993. - VOF DRIESSEN EN ZONEN, A. MOLEWIJK, MOTORSCHIFF SAYONARA BASEL AG UND VOF FA. C. MOURIK EN ZOON GEGEN MINISTER VAN VERKEER EN WATERSTAAT. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: COLLEGE VAN BEROEP VOOR HET BEDRIJFSLEVEN - NIEDERLANDE. - STRUKTURBEREINIGUNG IN DER BINNENSCHIFFAHRT - ABWRACKPRAEMIEN - SONDERBEITRAG - UEBERGANGSREGELUNG - RUECKWIRKUNGSVERBOT - GRUNDSATZ DES VERTRAUENSSCHUTZES - GLEICHHEITSGRUNDSATZ - GRUNDSATZ DER VERHAELTNISMAESSIGKEIT. - VERBUNDENE RECHTSSACHEN C-13/92, C-14/92, C-15/92 UND C-16/92.

Entscheidungsgründe:

1 Das College van Beroep voor het bedrijfsleven (Niederlande) hat mit Urteilen vom 8. November 1991, beim Gerichtshof eingegangen am 22. Januar 1992, nach Artikel 177 EWG-Vertrag eine Frage nach der Gültigkeit von Artikel 8 Absatz 1 Buchstabe a und Absatz 3 Buchstabe a der Verordnung (EWG) Nr. 1101/89 des Rates vom 27. April 1989 über die Strukturbereinigung in der Binnenschiffahrt (ABl. L 116, S. 25, im folgenden: Verordnung) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Frage stellt sich in Rechtsstreitigkeiten zwischen der Drießen en Zonen Vof (im folgenden: Drießen), A. Molewijk (im folgenden: Molewijk), der Motorschiff Sayonara Basel AG (im folgenden: Sayonara) und der Fa. C. Mourik en Zoon Vof (im folgenden: Mourik) und dem Minister für Verkehr und öffentliche Arbeiten.

3 Mit der Verordnung soll der strukturelle Kapazitätsüberhang in der Binnenschiffahrt abgebaut werden. Zu diesem Zweck sieht sie ein System von auf Gemeinschaftsebene koordinierten Abwrackmaßnahmen vor.

4 Nach Artikel 3 Absatz 1 der Verordnung errichtet jeder Mitgliedstaat, dessen Wasserstrassen mit denen eines anderen Mitgliedstaats verbunden sind und dessen Flotte eine Kapazität von 100 000 t übersteigt, einen Abwrackfonds. Gemäß Artikel 4 entrichtet der Eigentümer für jedes unter die Verordnung fallende Schiff einen Beitrag an einen der nach Artikel 3 errichteten Fonds. Nach Artikel 5 Absatz 1 erhält der Eigentümer eines unter die Verordnung fallenden Schiffs beim Abwracken dieses Schiffs aus dem Fonds, bei dem das Schiff gemeldet ist, eine Abwrackprämie. Gemäß Artikel 6 Absatz 1 legt die Kommission die Höhe der für jedes Schiff an den Fonds zu zahlenden Jahresbeiträge, die Höhe der Abwrackprämien, den Zeitraum der Abwrackmaßnahme, in dem Abwrackprämien gezahlt werden, und die Voraussetzungen für ihre Gewährung sowie die Bewertungsköffizienten für die verschiedenen Binnenschiffstypen und -klassen fest.

5 Um zu verhindern, daß der Erfolg koordinierter Abwrackmaßnahmen durch eine gleichzeitige Inbetriebnahme zusätzlichen Schiffsraums zunichte gemacht wird, sieht Artikel 8 Absatz 1 Buchstabe a der Verordnung vor, daß neu gebaute Schiffe fünf Jahre lang nach Inkrafttreten der Verordnung nur dann in Betrieb genommen werden dürfen,

"° wenn der Eigentümer des in Betrieb zu nehmenden Schiffs ohne Abwrackprämie eine Schiffsraumtonnage abwrackt, die der Tonnage dieses Schiffs entspricht, oder

° wenn er zwar kein Schiff abwrackt, aber an den Fonds, bei dem sein neues Schiff gemeldet ist oder den er nach Artikel 4 gewählt hat, einen Sonderbeitrag in Höhe der Abwrackprämie entrichtet, die für eine Tonnage, die der Tonnage des neuen Schiffs entspricht, festgelegt wurde,

...".

6 Mit Artikel 8 Absatz 3 Buchstabe a der Verordnung wird ein Übergangszeitraum festgelegt, während dessen der Eigentümer eines neu gebauten Schiffs nicht verpflichtet ist, ein Schiff mit gleicher Tonnage abzuwracken oder einen Sonderbeitrag zu zahlen, sofern er nachweist, daß

"° der Bau zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Verordnung bereits begonnen hatte und

° mindestens 20 v. H. des Stahlgewichts oder mindestens 50 Tonnen verarbeitet sind

und

° die Übergabe und Inbetriebnahme innerhalb von sechs Monaten nach dem Inkrafttreten dieser Verordnung erfolgen".

7 Da die Verordnung gemäß ihrem Artikel 11 am Tag ihrer Veröffentlichung, das heisst am 28. April 1989, in Kraft getreten ist, ist der in Artikel 8 Absatz 3 Buchstabe a dritter Gedankenstrich vorgesehene Zeitraum am 28. Oktober 1989 abgelaufen.

8 Die drei in Randnummer 6 dieses Urteils genannten Bedingungen für die Anwendung der Übergangsregelung waren im ersten Verordnungsvorschlag der Kommission an den Rat vom 19. Mai 1988 (ABl. C 297, S. 13) nicht enthalten. Nach Artikel 8 Absatz 1 Unterabsatz 2 des Verordnungsvorschlags brauchte, wer die Übergangsregelung für neue Schiffe in Anspruch nehmen wollte, nur nachzuweisen, daß diese an dem Tag, an dem eine Abwrackmaßnahme beschlossen wurde, bereits im Bau waren.

9 Am 2. September 1988 wandten sich die Internationale Binnenschiffahrtsunion (IBU) und die Europäische Binnenschiffahrtsorganisation (EBO) mit einem Schreiben an die Kommission. Da sie Artikel 8 Absatz 1 Unterabsatz 2 des Verordnungsvorschlags nicht für streng genug formuliert hielten, schlugen sie vor, die Anwendung dieser Regelung von drei Bedingungen abhängig zu machen. Am 14. Oktober 1988 richtete der Nederlandse sociaal economische raad (SER) eine Stellungnahme an den Minister für Verkehr und öffentliche Arbeiten (im folgenden: Minister), in der ebenfalls eine strengere Formulierung vorgeschlagen wurde. Schließlich erschienen von September bis November 1988 in der Fachpresse Artikel, in denen ein ähnlicher Standpunkt vertreten wurde.

10 Am 16. November 1988 gab das Europäische Parlament eine Stellungnahme zum Vorschlag der Kommission ab (ABl. C 326, S. 54). Artikel 8 war darin in der Weise geändert, daß er die drei von der IBU und der EBO in dem genannten Schreiben vorgeschlagenen Bedingungen enthielt.

11 Am 23. Dezember 1988 legte die Kommission einen geänderten Vorschlag vor (ABl. 1989, C 31, S. 14), der die drei fraglichen Bedingungen in der Formulierung enthielt, wie sie das Parlament vorgeschlagen hatte. Die erste und die dritte Bedingung waren darin in einigen Punkten anders als in dem schließlich erlassenen, in Randnummer 6 dieses Urteils wiedergegebenen Artikel 8 der Verordnung, nämlich wie folgt formuliert:

"a) [daß] der Bau bereits zum Zeitpunkt, an dem die betreffende Abwrackaktion beschlossen wird, begonnen hat,

...

c) [daß] die Übergabe und Inbetriebnahme innerhalb von 6 Monaten nach dem unter a) genannten Zeitpunkt erfolgt".

12 Die Klägerin des Ausgangsverfahrens in der Rechtssache C-13/92, Drießen, erteilte der Werft Van Eijk Scheepsbouw am 14. Dezember 1988 den Auftrag zum Bau und zur Lieferung eines stählernen Schiffsrumpfes für ein Binnenschiff, der spätestens in der vierten Woche des Jahres 1990 geliefert werden sollte. Mit Schreiben vom 5. Januar 1990 teilte der Beklagte der Klägerin mit, die Bedingung der Inbetriebnahme innerhalb von sechs Monaten nach Inkrafttreten der Verordnung sei nicht erfuellt. Der Schiffsrumpf wurde von der Werft in der zweiten Woche des Jahres 1990 geliefert, und das Schiff wurde am 17. Februar 1990 in Betrieb genommen.

13 Der Kläger des Ausgangsverfahrens in der Rechtssache C-14/92, Molewijk, erteilte der Werft Grave BV am 25. November 1988 den Auftrag für den Bau eines Binnenschiffs, das bis spätestens 31. März 1990 geliefert werden sollte. Mit Entscheidung vom 27. März 1990 erlegte der Beklagte dem Kläger die Verpflichtung auf, 873 933 HFL als Sonderbeitrag nach Artikel 8 Absatz 1 Buchstabe a zweiter Gedankenstrich der Verordnung zu zahlen. Das Schiff wurde am 7. April 1990 geliefert und am 21. April 1990 in Betrieb genommen.

14 Die Klägerin des Ausgangsverfahrens in der Rechtssache C-15/92, Sayonara, erteilte der Werft Scheepswerf Slob BV am 1. März 1989 den Auftrag zum Bau eines Binnenschiffs, das am 31. Januar 1990 geliefert werden sollte. Mit Entscheidung vom 28. Mai 1990 erlegte der Beklagte der Klägerin die Verpflichtung zur Zahlung des Sonderbeitrags nach Artikel 8 Absatz 1 Buchstabe a zweiter Gedankenstrich der Verordnung auf. Die erste Beförderung mit diesem Schiff erfolgte am 22. Juni 1990.

15 Die Klägerin des Ausgangsverfahrens in der Rechtssache C-16/92, Mourik, erteilte der Werft Gebröders Buys Scheepsbouw BV am 25. Februar 1989 den Auftrag zum Bau eines Binnenschiffs, das im April 1990 geliefert werden sollte. Mit Schreiben vom 13. Oktober 1989 teilte der Beklagte der Klägerin mit, daß das im Bau befindliche Schiff nicht die Bedingung nach Artikel 8 Absatz 3 Buchstabe a der Verordnung erfuelle, daß mindestens 20 % des Stahlgewichts oder mindestens 50 t verarbeitet seien. Mit Entscheidung vom 9. April 1990 erlegte der Beklagte der Klägerin die Pflicht auf, einen Sonderbeitrag nach Artikel 8 Absatz 1 Buchstabe a zweiter Gedankenstrich der Verordnung zu zahlen, da abgesehen von der Nichterfuellung dieser Bedingung das Schiff Mitte 1990 in Betrieb genommen worden sei.

16 Die vier Klägerinnen der Ausgangsverfahren erhoben Klagen vor dem College van Beroep voor het bedrijfsleven auf Aufhebung der Entscheidungen, mit denen ihnen die Verpflichtung zur Zahlung des Sonderbeitrags auferlegt worden war.

17 In diesem Zusammenhang hat das nationale Gericht dem Gerichtshof die folgende, in den vier Ausgangsverfahren gleichlautende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Sind die Sonderbeitragsregelung in Artikel 8 Absatz 1 Buchstabe a zweiter Gedankenstrich der Verordnung (EWG) Nr. 1101/89 des Rates und die Übergangsregelung in Artikel 8 Absatz 3 Buchstabe a dieser Verordnung in Verbindung und im Zusammenhang miteinander gesehen insoweit ungültig, als in ihnen ein Sachverhalt wie der dem vorliegenden Rechtsstreit zugrunde liegende nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt wird?

18 Die Sachverhalte, auf die sich das vorlegende Gericht bezieht, sind in den Randnummern 12 bis 15 dieses Urteils beschrieben.

19 Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts der Ausgangsverfahren, des Verfahrensablaufs und der beim Gerichtshof eingereichten schriftlichen Erklärungen wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt ist im folgenden nur wiedergegeben, soweit es die Begründung des Urteils erfordert.

20 Die einzelnen von den Klägerinnen in ihren Erklärungen geltend gemachten Ungültigkeitsgründe sind nacheinander zu prüfen.

Zur Anhörung des Europäischen Parlaments

21 Drei der vier Klägerinnen machen geltend, das Europäische Parlament hätte erneut angehört werden müssen, da Artikel 8 Absätze 1 und 3 in der vom Rat erlassenen Fassung wesentlich vom ursprünglichen Vorschlag der Kommission abwichen.

22 Zum einen habe der Rat der im Vorschlag der Kommission zunächst vorgesehenen Bedingung für die Inanspruchnahme der Übergangsregelung mit dem schließlich erlassenen Artikel 8 Absatz 3 Buchstabe a der Verordnung im zweiten und im dritten Gedankenstrich dieser Vorschrift zwei neue Bedingungen hinzugefügt und damit die Bedingungen dieser Regelung erheblich verschärft. Zum anderen sei der Zeitpunkt, zu dem die Abwrackregelung nach Artikel 8 Absatz 1 der Verordnung gelte und für den geprüft werde, ob die Bedingungen für die Inanspruchnahme der Übergangsregelung erfuellt seien, in der vom Rat erlassenen Vorschrift das Inkrafttreten der Verordnung und nicht wie im ursprünglichen Vorschlag der Kommission der Beginn der einzelnen von der Kommission beschlossenen Abwrackaktion.

23 Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes ist eine erneute Anhörung des Europäischen Parlaments immer dann erforderlich, wenn der endgültig verabschiedete Wortlaut als Ganzes gesehen in seinem Wesen von demjenigen abweicht, zu dem das Parlament bereits angehört worden ist, es sei denn, die Änderungen entsprechen im wesentlichen einem vom Parlament selbst geäusserten Wunsch (Urteil vom 16. Juli 1992 in der Rechtssache C-65/90, Parlament/Rat, Slg. 1992, I-4593, Randnr. 16).

24 Zum ersten Punkt genügt der Hinweis, daß zwar der ursprüngliche Vorschlag der Kommission nur vorsah, daß unter die Regelung des Artikels 8 Absatz 1 der Verordnung diejenigen Schiffe nicht fallen sollten, deren Eigner nachweisen konnte, daß sie an dem Tag, an dem eine Abwrackaktion beschlossen wurde, bereits im Bau waren, und daß der schließlich vom Rat erlassene Text in Artikel 8 Absatz 3 Buchstabe a zweiter und dritter Gedankenstrich die beiden neuen Bedingungen hinzugefügt hat, daß zum einen mindestens 20 % des Stahlgewichts oder mindestens 50 t verarbeitet sein und zum anderen die Übergabe und Inbetriebnahme innerhalb von sechs Monaten nach dem Inkrafttreten der Verordnung erfolgen müssen, daß diese beiden Bedingungen aber auf ausdrückliches Verlangen des Parlaments hinzugefügt worden sind.

25 Zum zweiten Punkt genügt die Feststellung, daß im ursprünglichen Vorschlag der Kommission der Zeitpunkt, von dem an die Abwrackregelung des Artikels 8 Absatz 1 gelten sollte und zu dem die ° später in Artikel 8 Absatz 3 Buchstabe a erster Gedankenstrich der Verordnung aufgenommene ° Bedingung für die Inanspruchnahme der Übergangsregelung vorliegen musste, der Beginn der von der Kommission beschlossenen Abwrackaktion war, während dieser Zeitpunkt in dem schließlich vom Rat erlassenen Text das Inkrafttreten der Verordnung ist, daß aber diese Änderung nicht als eine wesentliche Änderung des vom Parlament verabschiedeten Textes angesehen werden kann, da die Kommission auf der Grundlage dieses Textes sofort nach Inkrafttreten der Regelung mit einer Abwrackaktion hätte beginnen können.

26 Unter diesen Umständen war eine erneute Anhörung des Europäischen Parlaments nicht erforderlich.

Zum Rückwirkungsverbot und zum Grundsatz des Vertrauensschutzes

27 Die Klägerinnen machen geltend, die mit der Verordnung eingeführte Regelung gelte für vor ihrem Inkrafttreten entstandene Sachverhalte und verstosse daher gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit und das Verbot der Rückwirkung von Gesetzen. Die von ihnen über den Bau neuer Schiffe geschlossenen Verträge seien vor Inkrafttreten der Verordnung unterzeichnet worden, die ihnen damit rückwirkend neue Verpflichtungen auferlege.

28 Die Verordnung ist am 28. April 1989 in Kraft getreten. Nach Artikel 11 Absatz 2 gilt sie jedoch erst ab 1. Mai 1989. Folglich gelten ihre Bestimmungen nicht vor ihrem Inkrafttreten.

29 Richtig ist jedoch, daß die Verordnung finanziell belastende Wirkungen für bestimmte Wirtschaftsteilnehmer wie die Klägerinnen hat, die vor ihrem Inkrafttreten Schiffe bestellt haben.

30 Daher ist zu prüfen, ob der Rat, als er bestimmten Wirtschaftsteilnehmern solche Belastungen auferlegt hat, bei der Ausübung seiner Rechtssetzungsbefugnis das berechtigte Vertrauen der Betroffenen gewahrt hat.

31 Die Klägerinnen machen hierzu geltend, der am 22. November 1988 im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften veröffentlichte Verordnungsvorschlag habe bereits eine Übergangsregelung vorgesehen, und sie hätten demnach darauf vertrauen dürfen, daß sie neue Schiffe, die kurze Zeit nach der Veröffentlichung dieses Vorschlags in Auftrag gegeben würden, ohne Einschränkung würden in Betrieb nehmen können, ohne daß sie die schließlich mit der Verordnung aufgestellten strengeren Bedingungen erfuellen müssten.

32 Dem ist nicht zu folgen.

33 Erstens durften die Klägerinnen nicht darauf vertrauen, daß die im Vorschlag der Kommission vorgesehene Regelung auch so in Kraft treten würde, denn aus Artikel 149 EWG-Vertrag ergibt sich, daß die Kommission einen solchen Vorschlag jederzeit ändern und daß der Rat Änderungen des Vorschlags beschließen kann.

34 Zweitens mussten die Klägerinnen angesichts des Schreibens der IBU und der EBO an die Kommission, der Stellungnahme des SER gegenüber dem Minister und der verschiedenen in der Fachpresse erschienenen Artikel wissen, daß die betroffenen Berufskreise die im ursprünglichen Vorschlag der Kommission vorgesehene Übergangsregelung nicht für streng genug hielten. Bereits im September 1988 hatten die Berufsverbände vorgeschlagen, die Anwendung dieser Regelung an drei Bedingungen zu knüpfen, die in der Sache den schließlich mit der Verordnung aufgestellten Bedingungen entsprachen.

35 Folglich verletzen die streitigen Bedingungen nicht den Grundsatz des Vertrauensschutzes.

Zum Grundsatz der Verhältnismässigkeit

36 Zu der von den Klägerinnen in Frage gestellten Verhältnismässigkeit der streitigen Bestimmungen ist zunächst festzustellen, daß diese Bestimmungen angemessen sind, um neue Investitionen in einem von einem strukturellen Kapazitätsüberhang gekennzeichneten Sektor zu begrenzen; dieses Ziel wird mit der Verordnung verfolgt, wie sich aus ihrer dritten Begründungserwägung ergibt.

37 Zudem gehen die Bedingungen, von denen Artikel 8 Absatz 3 Buchstabe a der Verordnung die Inanspruchnahme der Übergangsregelung abhängig macht, nicht über das hinaus, was zur Erreichung des verfolgten Ziels erforderlich ist.

38 Der Rat konnte nämlich bei vernünftiger Betrachtungsweise davon ausgehen, daß weniger einschränkende Bedingungen den Unternehmen erlaubt hätten, den Bau neuer Schiffe noch rasch kurz vor Inkrafttreten der Regelung in Auftrag zu geben mit der Folge, daß diese Schiffe den bestehenden Kapazitätsüberhang vergrössert hätten.

39 Diese Gefahr hatten im übrigen die betroffenen Berufsverbände und das Europäische Parlament in seiner Stellungnahme vom 16. November 1988 hervorgehoben.

40 Demnach ist der Grundsatz der Verhältnismässigkeit durch die streitigen Bestimmungen gewahrt.

Zum Gleichheitsgrundsatz

41 Nach Ansicht der Klägerinnen hat der Rat den Grundsatz der Gleichbehandlung verletzt, da die Bedingungen, zu denen die Übergangsregelung in Anspruch genommen werden könne, die Unternehmen, die Schiffe bei kleinen, zur Beschleunigung der Lieferung nicht fähigen Werften in Auftrag gegeben hätten, gegenüber denjenigen benachteiligten, die den Auftrag an eine grosse Werft vergeben hätten und daher eine schnellere Lieferung erreichen und ihre Schiffe so innerhalb des Zeitraums in Betrieb nehmen könnten, der in der Verordnung für die Inanspruchnahme der Übergangsregelung gesetzt worden sei.

42 Dieses Vorbringen ist zurückzuweisen. Vom Gemeinschaftsgesetzgeber kann nicht unter Berufung auf den Grundsatz der Gleichbehandlung verlangt werden, daß er für die Anwendung einer Regelung aufgestellte objektive Bedingungen nach Maßgabe individueller, vom einzelnen Unternehmer getroffener Entscheidungen, wie etwa der Wahl der Werft, bei dem dieser den Bau eines Schiffs in Auftrag gibt, gestaltet.

43 Daher ist dem vorlegenden Gericht zu antworten, daß die Prüfung der Frage nichts ergeben hat, was die Gültigkeit von Artikel 8 Absatz 1 Buchstabe a zweiter Gedankenstrich und Absatz 3 Buchstabe a der Verordnung (EWG) Nr. 1101/89 des Rates vom 27. April 1989 über die Strukturbereinigung in der Binnenschiffahrt in Verbindung und im Zusammenhang miteinander gesehen beeinträchtigen könnte.

Kostenentscheidung:

Kosten

44 Die Auslagen der niederländischen Regierung sowie des Rates und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die Erklärungen vor dem Gerichtshof abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien der Ausgangsverfahren ist das Verfahren ein Zwischenstreit in den bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreitigkeiten; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)

auf die ihm vom College van Beroep voor het Bedrijfsleven mit Urteilen vom 8. November 1991 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:

Die Prüfung der Frage hat nichts ergeben, was die Gültigkeit von Artikel 8 Absatz 1 Buchstabe a zweiter Gedankenstrich und Absatz 3 Buchstabe a der Verordnung (EWG) Nr. 1101/89 des Rates vom 27. April 1989 über die Strukturbereinigung in der Binnenschiffahrt in Verbindung und im Zusammenhang miteinander gesehen beeinträchtigen könnte.

Ende der Entscheidung

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