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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Beschluss verkündet am 24.05.1993
Aktenzeichen: C-131/92
Rechtsgebiete: EWG-Vertrag, Verfahrensordnung, Verordnung Nr. 3094/86 vom 07.10.1986


Vorschriften:

EWG-Vertrag Art. 173 Abs. 2
Verfahrensordnung Art. 92 § 2
Verordnung Nr. 3094/86 vom 07.10.1986 Art. 9 a Abs. 2
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Der Umstand, daß die Personen, für die eine Maßnahme gilt, nach Zahl oder sogar Identität mehr oder weniger genau bestimmbar sind, bedeutet keineswegs, daß diese als im Sinne von Artikel 173 Absatz 2 EWG-Vertrag individuell betroffen anzusehen sind, sofern nur feststeht, daß die Maßnahme aufgrund eines objektiven Tatbestands rechtlicher oder tatsächlicher Art anwendbar ist, der durch die die Maßnahme enthaltende Handlung bestimmt wird. Als individuell betroffen können diese Personen nur dann angesehen werden, wenn sie in ihrer Rechtsstellung aufgrund von Umständen betroffen sind, die sie aus dem Kreis aller übrigen Personen herausheben und sie in ähnlicher Weise individualisieren wie einen Adressaten.

Eine Verordnung, mit der eine Übergangsregelung zugunsten von Fischern geschaffen wird, die vor dem Verbot von Treibnetzen ab einer bestimmten Länge eine bestimmte Fischfangtechnik eingesetzt haben, ist aufgrund eines objektiv bestimmten Tatbestands anwendbar und zeitigt Rechtsfolgen für eine generell und abstrakt umschriebene Personengruppe. Sie betrifft diese Fischer lediglich aufgrund ihrer objektiven Eigenschaft als Fischer, die eine bestimmte Fischfangtechnik einsetzten, ebenso wie jeden anderen Wirtschaftsteilnehmer in gleicher Lage.


BESCHLUSS DES GERICHTSHOFES VOM 24. MAI 1993. - THIERRY ARNAUD UND ANDERE GEGEN RAT DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN. - FISCHEREI - VERBOT VON TREIBNETZEN MIT EINER LAENGE VON MEHR ALS 2,5 KM - AUSNAHME FUER THUNFISCHFAENGER - VON FISCHERN ERHOBENE NICHTIGKEITSKLAGE - UNZULAESSIGKEIT. - RECHTSSACHE C-131/92.

Entscheidungsgründe:

1 Thierry Arnaud und 32 andere französische Betreiber von Schiffen für den Thunfischfang (im folgenden: Kläger) haben mit Klageschrift, die am 23. April 1992 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 173 Absatz 2 EWG-Vertrag Klage auf Nichtigerklärung von Artikel 9a Absatz 2 der Verordnung (EWG) Nr. 3094/86 des Rates vom 7. Oktober 1986 über technische Maßnahmen zur Erhaltung der Fischbestände (ABl. L 288, S. 1), eingefügt durch Artikel 1 Nr. 8 der Verordnung (EWG) Nr. 345/92 des Rates vom 27. Januar 1992 zur elften Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 3094/86 (ABl. L 42, S. 15), erhoben.

2 Zum Schutz der Fanggründe, zur Erhaltung der biologischen Meeresschätze und zur Gewährleistung ihrer ausgewogenen Nutzung auf einer dauerhaften Basis unter angemessenen sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen erließ der Rat die Verordnung (EWG) Nr. 170/83 vom 25. Januar 1983 zur Einführung einer gemeinschaftlichen Regelung für die Erhaltung und Bewirtschaftung der Fischereiressourcen (ABl. L 24, S. 1).

3 Auf der Grundlage von Artikel 11 der Verordnung Nr. 170/83 erließ der Rat die Verordnung (EWG) Nr. 171/83 des Rates vom 25. Januar 1983 über technische Maßnahmen zur Erhaltung der Fischbestände (ABl. L 24, S. 14), die durch die Verordnung Nr. 3094/86 aufgehoben und ersetzt wurde.

4 Die Verordnung Nr. 345/92 enthält die elfte Änderung der Verordnung Nr. 3094/86. Durch Artikel 1 Nr. 8 der Verordnung Nr. 345/92 wird in die Verordnung Nr. 3094/86 ein neuer Artikel 9a mit folgendem Wortlaut eingefügt:

"(1) Allen Schiffen ist es untersagt, ein oder mehrere Treibnetze, deren Einzel- oder Gesamtlänge mehr als 2,5 Kilometer beträgt, an Bord zu halten oder zur Fangtätigkeit zu benutzen.

(2) Eine Ausnahme wird bis zum 31. Dezember 1993 Schiffen erteilt, die mindestens während der zwei Jahre vor Inkrafttreten dieser Verordnung den Fang von Weissem Thun mit Treibnetzen im Nordostatlantik betrieben haben. Diese Schiffe werden in ein Gemeinschaftsregister eingetragen und dürfen Treibnetze mit einer Länge von bis zu 2,5 km verwenden, wobei die Gesamtlänge des sich dabei ergebenden Netzes 5 km nicht übersteigen darf. Die obere Korkleine wird in eine Tiefe von mindestens 2 Metern abgesenkt. Diese Ausnahmeregelung endet zu dem obengenannten Zeitpunkt, es sei denn, der Rat beschließt ihre Verlängerung aufgrund wissenschaftlicher Nachweise, daß hiermit keinerlei Umweltrisiko verbunden ist.

(3) Ein Netz von mehr als 1 km Länge muß während der gesamten Dauer der Fangtätigkeit nach Absatz 1 am Schiff verankert bleiben. In der Küstenzone von 12 Meilen braucht das Netz nicht am Schiff verankert zu sein, wenn es ständig überwacht wird.

(4) Ungeachtet Artikel 1 Absatz 1 gelten die Bestimmungen dieses Artikels in allen Gewässern, die unter die Hoheitsgewalt oder Gerichtsbarkeit der Mitgliedstaaten fallen, und ausserhalb dieser Gewässer für alle Fischereifahrzeuge, die die Flagge eines Mitgliedstaats tragen oder in einem Mitgliedstaat registriert sind; hiervon ausgenommen sind die Ostsee, die Belte und der Öresund."

5 Die Kläger sind der Auffassung, die in Artikel 9a Absatz 2 enthaltene Ausnahme sei sowohl hinsichtlich der Geltungsdauer der Übergangsregelung als auch hinsichtlich der Länge der zugelassenen Treibnetze zu eng; sie haben daher die vorliegende Klage erhoben.

6 Der Rat macht in erster Linie geltend, die Klage sei unzulässig, da die Kläger von der angefochtenen Bestimmung nicht im Sinne von Artikel 173 Absatz 2 EWG-Vertrag individuell betroffen seien.

7 Mit Beschluß des Präsidenten des Gerichtshofes vom 18. September 1992 ist die Kommission als Streithelferin zur Unterstützung der Anträge des Rates zugelassen worden. Auch die Kommission macht hauptsächlich geltend, daß die Kläger von der angefochtenen Bestimmung nicht individuell betroffen seien.

8 Dagegen tragen die Kläger vor, sie gehörten zur Gruppe der Betreiber von Schiffen, die mindestens während der zwei Jahre vor Inkrafttreten der Verordnung Nr. 345/92 den Thunfischfang mit Treibnetzen im Nordostatlantik betrieben hätten. Die Zahl dieser Schiffe sei begrenzt und könne sich in Zukunft nicht mehr erhöhen, da sich die in der streitigen Bestimmung festgelegte Voraussetzung auf die Vergangenheit beziehe. Die Kläger bildeten damit einen abgeschlossenen Kreis von Wirtschaftsteilnehmern, deren Identität die Gemeinschaftsbehörden hätten feststellen können. Unter diesen Umständen seien die Kläger von der angefochtenen Bestimmung unmittelbar betroffen.

9 Gemäß Artikel 92 § 2 seiner Verfahrensordnung kann der Gerichtshof jederzeit von Amts wegen prüfen, ob unverzichtbare Prozeßvoraussetzungen fehlen, und hierüber gemäß Artikel 91 §§ 3 und 4 ohne mündliche Verhandlung entscheiden.

10 Da die Akten alle für die Entscheidung erforderlichen Angaben enthalten, hat der Gerichtshof beschlossen, ohne Anhörung mündlicher Ausführungen der Parteien zu entscheiden.

11 Gemäß Artikel 173 Absatz 2 EWG-Vertrag kann jede natürliche oder juristische Person die an sie ergangenen Entscheidungen sowie diejenigen Entscheidungen anfechten, die, obwohl sie als Verordnung oder als eine an eine andere Person gerichtete Entscheidung ergangen sind, sie unmittelbar und individuell betreffen.

12 Da mit der vorliegenden Klage die Nichtigerklärung einer in einer Verordnung enthaltenen Bestimmung begehrt wird, ist zu prüfen, ob die Kläger durch die angefochtene Maßnahme unmittelbar und individuell betroffen sind.

13 Nach ständiger Rechtsprechung bedeutet der Umstand, daß die Personen, für die eine Maßnahme gilt, nach Zahl oder sogar Identität mehr oder weniger genau bestimmbar sind, keineswegs, daß diese als von der Maßnahme individuell betroffen anzusehen sind, sofern nur feststeht, daß die Maßnahme aufgrund eines durch sie bestimmten objektiven Tatbestands rechtlicher oder tatsächlicher Art anwendbar ist (vgl. z. B. Urteil vom 16. März 1978 in der Rechtssache 123/77, UNICME/Rat, Slg. 1978, 845).

14 Als individuell betroffen können diese Personen nur dann angesehen werden, wenn sie in ihrer Rechtsstellung aufgrund von Umständen betroffen sind, die sie aus dem Kreis aller übrigen Personen herausheben und sie in ähnlicher Weise individualisieren wie einen Adressaten (Urteil vom 24. Februar 1987 in der Rechtssache 26/86, Deutz und Geldermann/Rat, Slg. 1987, 941).

15 Mit der hier angefochtenen Bestimmung wird eine Übergangsregelung zugunsten der Fischer von Weissem Thun im Nordostatlantik geschaffen, die vor dem Inkrafttreten des Verbots von Treibnetzen mit einer Länge von mehr als 2,5 Kilometern eine bestimmte Fischfangtechnik eingesetzt haben.

16 Diese Bestimmung ist damit aufgrund eines objektiv bestimmten Tatbestands anwendbar und zeitigt Rechtsfolgen für eine generell und abstrakt umschriebene Personengruppe.

17 Die angefochtene Vorschrift betrifft die Kläger daher lediglich aufgrund ihrer objektiven Eigenschaft als Fischer von Weissem Thun, die in einem festgelegten Gebiet eine bestimmte Fischfangtechnik einsetzten, ebenso wie jeden anderen Wirtschaftsteilnehmer in gleicher Lage.

18 Demnach ist die Klage als unzulässig abzuweisen.

Kostenentscheidung:

Kosten

19 Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Kläger mit ihrem Vorbringen unterlegen sind, sind sie zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Gemäß Artikel 69 § 4 Absatz 1 der Verfahrensordnung trägt die Kommission als Streithelferin ihre eigenen Kosten.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

beschlossen:

1) Die Klage wird als unzulässig abgewiesen.

2) Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.

3) Die Kommission als Streithelferin trägt ihre eigenen Kosten.

Luxemburg, den 24. Mai 1993.

Ende der Entscheidung

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