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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 16.06.1994
Aktenzeichen: C-132/93
Rechtsgebiete: EWG-Vertrag


Vorschriften:

EWG-Vertrag Art. 177
EWG-Vertrag Art. 48
EWG-Vertrag Art. 7
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Das Gemeinschaftsrecht hindert ein nationales Gericht nicht, zu prüfen, ob eine innerstaatliche Rechtsvorschrift, die inländische Arbeitnehmer, die sich in einer Situation befinden, die keinen Zusammenhang mit einem der im Gemeinschaftsrecht geregelten Sachverhalte aufweist, gegenüber den Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten benachteiligt, mit der Verfassung des betreffenden Mitgliedstaats vereinbar ist.


URTEIL DES GERICHTSHOFES (ZWEITE KAMMER) VOM 16. JUNI 1994. - VOLKER STEEN GEGEN DEUTSCHE BUNDESPOST. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: ARBEITSGERICHT ELMSHORN - DEUTSCHLAND. - AUF EINEN MITGLIEDSTAAT BESCHRAENKTER, REIN INTERNER SACHVERHALT. - RECHTSSACHE C-132/93.

Entscheidungsgründe:

1 Das Arbeitsgericht Elmshorn hat mit Beschluß vom 16. März 1993, beim Gerichtshof eingegangen am 31. März 1993, gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag eine Frage nach der Auslegung des Urteils des Gerichtshofes vom 28. Januar 1992 in der Rechtssache C-332/90 (Steen, Slg. 1992, I-341; im folgenden: Urteil Steen) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Frage stellt sich in einem Rechtsstreit zwischen einem deutschen Staatsangehörigen, Herrn Steen, und der Deutschen Bundespost um einen Dienstposten mit der Bezeichnung Dp A7 Pt/M ° "Instandhaltungsarbeiten für den mittleren technischen Dienst, Aufsichtstätigkeiten, Lagerverwaltung".

3 1985 nahm der Kläger einen zweijährigen Vorbereitungsdienst im Arbeiterverhältnis für diesen Dienstposten auf und erklärte sich gemäß einer Verfügung des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen vom 14. Mai 1985 damit einverstanden, nach Beendigung der Ausbildung und bestandener Prüfung in das Beamtenverhältnis übernommen zu werden. Nach Abschluß des Vorbereitungsdienstes widerrief der Kläger seine Erklärung und beantragte, auch künftig im Arbeiterverhältnis auf dieser Stelle bleiben zu können. Zu dieser Zeit bezog der Kläger auf dem Dienstposten Dp A7 Pt/M eine Vergütung, die höher war als die Besoldung, die er bezogen hätte, wenn er den Posten im Beamtenverhältnis bekleidet hätte.

4 Nachdem sein Antrag abgelehnt worden war, wurde der Kläger auf einen Dienstposten mit Einstufung in eine niedrigere Lohngruppe umgesetzt. Er erhob daraufhin gegen diese Umsetzung Klage beim Arbeitsgericht Elmshorn und machte geltend, da der Eintritt in das Beamtenverhältnis deutschen Staatsangehörigen vorbehalten sei, könnten sie als einzige einen Dienstposten wie den hier in Rede stehenden nicht auf unbegrenzte Zeit im Arbeiterverhältnis bekleiden und seien dadurch gegenüber den Staatsangehörigen der anderen Mitgliedstaaten im Sinne der Artikel 7 und 48 EWG-Vertrag diskriminiert.

5 Der Gerichtshof hat dem Arbeitsgericht Elmshorn, das ihn in diesem Zusammenhang nach den genannten Bestimmungen des Vertrages befragt hatte, im Urteil Steen geantwortet, daß ein Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats, der niemals das Recht auf Freizuegigkeit innerhalb der Gemeinschaft ausgeuebt hat, sich im Hinblick auf einen rein internen Sachverhalt nicht auf die Artikel 7 und 48 EWG-Vertrag berufen kann.

6 Das Arbeitsgericht, das in bezug auf diese Antwort Zweifel hat, vertritt in seinem Beschluß vom 16. März 1993 die Ansicht, daß deutsche Staatsangehörige gegenüber den Staatsangehörigen der anderen Mitgliedstaaten in bezug auf die Voraussetzungen insbesondere für den Zugang zum und die Besoldung auf dem fraglichen Dienstposten benachteiligt seien.

7 Da diese Situation seiner Ansicht nach gegen Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland verstösst, der lautet: "Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich", hat das Arbeitsgericht Elmshorn das Verfahren erneut ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Ist das Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften vom 28. Januar 1992 in der Rechtssache C-332/90 dahin gehend auszulegen, daß es dem nationalen Gericht im Hinblick auf den rein internen Sachverhalt verwehrt ist, Gemeinschaftsrecht anzuwenden, oder bleibt es bei fehlender Zuständigkeit des Gerichtshofes insoweit als gesetzlicher Richter im Sinne des Artikels 101 Absatz 1 Satz 2 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland befugt, im Rahmen eines geltend gemachten Verstosses gegen Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland die Vorfrage zu überprüfen, ob eine Inländerdiskriminierung deshalb gegeben ist, weil das Gemeinschaftsrecht im Ergebnis eine Schlechterstellung von deutschen Staatsangehörigen im Verhältnis zu Staatsangehörigen aus anderen Mitgliedstaaten bewirkt?

8 Mit dieser Frage möchte das nationale Gericht wissen, ob es, obwohl nach dem Urteil Steen das Gemeinschaftsrecht auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar ist, die vom Kläger behauptete Diskriminierung im Lichte des nationalen Rechts beurteilen und daraus die entsprechenden Konsequenzen ziehen kann.

9 Hierzu genügt die Feststellung, daß das Urteil Steen keine weiteren Auswirkungen haben kann, als auszuschließen, daß sich ein Verfahrensbeteiligter bei einem rein internen Sachverhalt auf das Gemeinschaftsrecht berufen kann.

10 Es ist jedoch Sache des nationalen Gerichts, das mit einer Frage des nationalen Rechts befasst ist, zu beurteilen, ob im Rahmen dieses Rechts eine Diskriminierung vorliegt sowie ob und wie diese beseitigt werden muß.

11 Daher ist auf die Vorlagefrage zu antworten, daß das Gemeinschaftsrecht ein nationales Gericht nicht hindert, zu prüfen, ob eine innerstaatliche Rechtsvorschrift, die inländische Arbeitnehmer, die sich in einer Situation befinden, die keinen Zusammenhang mit einem der im Gemeinschaftsrecht geregelten Sachverhalte aufweist, gegenüber den Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten benachteiligt, mit der Verfassung des betreffenden Mitgliedstaats vereinbar ist.

Kostenentscheidung:

Kosten

12 Die Auslagen der deutschen und der italienischen Regierung sowie der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

auf die ihm vom Arbeitsgericht Elmshorn mit Beschluß vom 16. März 1993 vorgelegte Frage für Recht erkannt:

Das Gemeinschaftsrecht hindert ein nationales Gericht nicht, zu prüfen, ob eine innerstaatliche Rechtsvorschrift, die inländische Arbeitnehmer, die sich in einer Situation befinden, die keinen Zusammenhang mit einem der im Gemeinschaftsrecht geregelten Sachverhalte aufweist, gegenüber den Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten benachteiligt, mit der Verfassung des betreffenden Mitgliedstaats vereinbar ist.

Ende der Entscheidung

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