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Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 11.02.1993
Aktenzeichen: C-142/91
Rechtsgebiete: EWGV, VO Nr. 2200/87/EWG


Vorschriften:

EWGV Art. 181
VO Nr. 2200/87/EWG Art. 23
VO Nr. 2200/87/EWG Art. 18
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Nach der Verordnung Nr. 3972/86 über die Nahrungsmittelhilfepolitik und -verwaltung erfolgt die Nahrungsmittelhilfe aufgrund vertraglicher Abmachungen zwischen der Kommission und den jeweiligen Zuschlagsempfängern. Die Beziehungen zwischen den Letztgenannten und der Kommission werden nicht völlig durch Verordnungen geregelt, wie sich insbesondere daraus ergibt, daß sich der Preis für die Lieferung nach dem vom Lieferanten gemachten Angebot und dessen Annahme durch die Kommission richtet. Soweit die Verordnungen, aufgrund deren ein Auftrag vergeben wird, vorsehen, daß die Lieferungen gemäß der Verordnung Nr. 2200/87 über allgemeine Durchführungsbestimmungen zur Bereitstellung und Lieferung von Waren im Rahmen der Nahrungsmittelhilfe der Gemeinschaft erfolgen, ist die in Artikel 23 dieser Verordnung enthaltene Klausel, wonach der Gerichtshof für Entscheidungen in allen Streitsachen über die Erfuellung, die Nichterfuellung oder die Auslegung der Bedingungen für die Lieferungen, die gemäß dieser Verordnung erfolgen, zuständig ist, wesentlicher Bestandteil der Lieferverträge, und sie ist somit als Schiedsklausel im Sinne des Artikels 181 des Vertrages anzusehen.

2. Die Verordnung Nr. 2200/87 über allgemeine Durchführungsbestimmungen zur Bereitstellung und Lieferung von Waren im Rahmen der Nahrungsmittelhilfe der Gemeinschaft erlaubt der Kommission nicht, bei der Bezahlung einer Lieferung im Rahmen der Nahrungsmittelhilfe wegen einer Lieferverzögerung Kürzungen vorzunehmen. Der Umstand, daß ein Zuschlagsempfänger den von der Kommission vorgenommenen Kürzungen nicht widersprochen hat, bevor der Gerichtshof diese Praxis für rechtswidrig erklärt hat, kann die Weigerung, die Erstattung der einbehaltenen Beträge vorzunehmen und die durch die Verordnung vorgesehenen Zinsen zu zahlen, nicht rechtfertigen, soweit weder Verzicht noch Verjährung vorliegen.


URTEIL DES GERICHTSHOFES (FUENFTE KAMMER) VOM 11. FEBRUAR 1993. - CEBAG BV GEGEN KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN. - VERORDNUNG (EWG) NR. 2200/87 DER KOMMISSION - ABZUEGE VON ZAHLUNGEN IM BEREICH DER NAHRUNGSMITTELHILFE. - RECHTSSACHE C-142/91.

Entscheidungsgründe:

1 Die Cebag BV (im folgenden: Klägerin) mit Sitz in Zwolle (Niederlande) hat mit Klageschrift, die am 27. Mai 1991 in der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 181 EWG-Vertrag in Verbindung mit Artikel 23 der Verordnung (EWG) Nr. 2200/87 der Kommission vom 8. Juli 1987 über allgemeine Durchführungsbestimmungen zur Bereitstellung und Lieferung von Waren im Rahmen der Nahrungsmittelhilfe der Gemeinschaft (ABl. L 204, S. 1) Klage erhoben mit den Anträgen, die Gemeinschaft, zumindest aber die Kommission, zur Zahlung von 104 508,61 ECU, d. h. des von der Kommission gemäß Artikel 22 Ziffer 2 Buchstabe b der Verordnung Nr. 2200/87 einbehaltenen Betrags nebst Verzugszinsen gemäß Artikel 18 dieser Verordnung zu verurteilen sowie die in einem Fernschreiben vom 27. März 1991 enthaltene Entscheidung der Kommission, mit der die Zahlung der abgezogenen Beträge abgelehnt worden ist, für nichtig zu erklären.

2 Mit den Verordnungen (EWG) Nrn. 151/90 vom 22. Januar 1990 (ABl. L 18, S. 19), 419/90 vom 19. Februar 1990 (ABl. L 44, S. 10) und 840/90 vom 2. April 1990 (ABl. L 88, S. 11) eröffnete die Kommission gemäß der Verordnung Nr. 2200/87 Ausschreibungen u. a. für die Lieferung von raffiniertem Rapsöl im Rahmen der Nahrungsmittelhilfe nach Uganda (Maßnahme Nr. 401/89), Mosambik (Maßnahmen Nrn. 759/89 und 760/89) und Bangladesch (Maßnahme Nr. 904/89). Die für diese Ausschreibungen geltenden Bedingungen wurden in den Anhängen zu den Verordnungen Nrn. 151/90, 419/90 und 840/90 festgelegt.

3 Im Laufe des Jahres 1990 erteilte die Kommission der Cebag den Zuschlag für die betreffenden Lieferungen. Die von der Cebag in diesem Zusammenhang gemäß Artikel 12 der Verordnung Nr. 2200/87 hinterlegten Liefergarantien wurden später von der Kommission freigegeben.

4 Wegen verspäteter Lieferung der Waren nahm die Kommission bei der Endabrechnung, die für die Lieferungen nach Uganda und Mosambik gegen Ende 1990 und für die nach Bangladesch im Januar 1991 durchgeführt wurde, gemäß Artikel 22 Ziffer 2 Buchstabe b der Verordnung Nr. 2200/87 (in der für den vorliegenden Fall geltenden Fassung) Abzuege in Höhe von insgesamt 104 508,61 ECU vor.

5 In fünf Schreiben vom 4. März 1991 forderte die Klägerin die Kommission zur Zahlung der einbehaltenen Beträge nebst Verzugszinsen auf. Dabei berief sie sich auf das Urteil vom 12. Dezember 1990 in der Rechtssache C-172/89 (Vandemoortele/Kommission, Slg. 1990, I-4677), in dem der Gerichtshof festgestellt habe, die Kommission sei nach der Verordnung 2200/87 nicht berechtigt, bei der Zahlung Abzuege wegen verspäteter Lieferung vorzunehmen.

6 In einem Fernschreiben vom 27. März 1991 wies die Kommission die sich auf die Maßnahmen Nrn. 401/89, 759/89 und 760/89 beziehenden Zahlungsanträge zurück. Dabei machte sie geltend, die Klägerin könne sich auf das Urteil in der Rechtssache Vandemoortele/Kommission nicht in bezug auf Maßnahmen berufen, für die die Zahlung vor dem 23. Januar 1991, d. h. dem Tag der Veröffentlichung des Urteils im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften, erfolgt sei.

7 In der Klagebeantwortung hat die Kommission ausgeführt, nach ihrer Ansicht sei der Antrag auf Zahlung der sich auf die Maßnahme Nr. 904/89 (Bangladesch) beziehenden Abzuege rechtzeitig gestellt worden, weil der Restbetrag für diese Maßnahmen am 21. Januar 1991 entrichtet worden sei. Sie hat sich verpflichtet, der Klägerin den verlangten Betrag in Höhe von 39 415,51 ECU nebst Verzugszinsen in Höhe von 1 775,31 ECU zu zahlen.

8 Daraufhin hat die Cebag in der Erwiderung ihren Klageantrag dahin geändert, daß nur noch die Zahlung von 65 093,10 ECU nebst den in Artikel 18 der Verordnung Nr. 2200/87 vorgesehenen Verzugszinsen verlangt werde.

9 Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts, des Verfahrensablaufs sowie des Parteivorbringens wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt wird im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

Zur Zulässigkeit

10 Nach Ansicht der Kommission ist die Klage als unzulässig abzuweisen. Für die zwischen der Kommission und einem Zuschlagsempfänger im Zusammenhang mit Lieferungen nach der Verordnung Nr. 2200/87 bestehende Rechtsbeziehung seien ausschließlich Gemeinschaftsverordnungen maßgeblich. In Artikel 23 dieser Verordnung, wonach "der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften... für Entscheidungen in allen Streitsachen über die Erfuellung, die Nichterfuellung oder die Auslegung der Bedingungen für die Lieferungen, die gemäß dieser Verordnung erfolgen, zuständig" sei, könne also keine in einem Vertrag enthaltene Schiedsklausel im Sinne des Artikels 181 EWG-Vertrag gesehen werden.

11 Nach der Verordnung (EWG) Nr. 3972/86 des Rates vom 22. Dezember 1986 über die Nahrungsmittelhilfepolitik und -verwaltung (ABl. L 370, S. 1) erfolgt die Nahrungsmittelhilfe aufgrund vertraglicher Abmachungen. Gemäß Artikel 6 Absatz 1 Buchstabe c beschließt die Kommission

"die Bedingungen für die Lieferungen der Hilfe, insbesondere:

° die gegenüber den Empfängern anzuwendenden allgemeinen Bedingungen,

° die Eröffnung der Verfahren zur Bereitstellung und zur Lieferung der Erzeugnisse sowie den Abschluß der betreffenden Verträge".

12 Entgegen der Ansicht der Kommission werden nicht alle Rechte und Pflichten der Kommission und der Zuschlagsempfänger in Gemeinschaftsverordnungen festgelegt. Insofern genügt der Hinweis, daß sich ein wesentliches Element der Lieferung, nämlich der Preis, nach dem vom Lieferanten gemachten Angebot und dessen Annahme durch die Kommission richtet. Dies ergibt sich aus den Vorschriften des Artikels 9 Absätze 1 und 3 der Verordnung Nr. 2200/87.

13 Die fraglichen Lieferungen wurden also aufgrund von Verträgen vorgenommen.

14 Ferner erfolgen nach den insbesondere auf der Grundlage von Artikel 6 Absatz 1 Buchstabe c der Verordnung Nr. 3972/86 erlassenen Verordnungen, mit denen die Kommission die fraglichen Waren bereitgestellt hat, die Lieferungen gemäß der Verordnung Nr. 2200/87. Die in Artikel 23 enthaltene Klausel ist also wesentlicher Bestandteil der streitigen Lieferverträge, und sie ist somit als Schiedsklausel im Sinne des Artikels 181 EWG-Vertrag anzusehen.

15 Der Einwand, die Klage sei unzulässig, ist also zurückzuweisen.

Zur Begründetheit

16 Wie der Gerichtshof im Urteil in der Rechtssache Vandemoortele/Kommission (a. a. O.) und im Urteil vom 21. März 1991 in der Rechtssache C-226/89 (Haniel Spedition/Kommission, Slg. 1991, I-1599) festgestellt hat, haben bei der Zahlung wegen verspäteter Lieferung vorgenommene Kürzungen keine Rechtsgrundlage.

17 Die Kommission weist jedoch darauf hin, daß die sich auf die Maßnahmen Nrn. 401/89, 759/89 und 760/89 beziehenden Kürzungen bei der Endabrechnung beschlossen worden seien, die der Klägerin vor Ende 1990 zugegangen sei. Daraus folge, daß die Klägerin die Zahlung der auf diese Weise einbehaltenen Beträge nicht mehr verlangen könne. Zur Rechtfertigung ihrer Weigerung, die von der Klägerin verlangten Zahlungen vorzunehmen, macht die Kommission nur geltend, vor dem Urteil in der Rechtssache Vandemoortele/Kommission habe die Klägerin niemals der strittigen Kürzungspraxis widersprochen und sie habe auch die sachliche Richtigkeit der in bezug auf die drei fraglichen Maßnahmen beschlossenen Kürzungen nicht bestritten.

18 Dem kann nicht gefolgt werden. Tatsächlich könnte dem Begehren der Klägerin der Erfolg nur versagt werden, wenn sie ° was die Beklagte nicht vorgebracht hat ° auf ihren Zahlungsanspruch verzichtet hätte oder wenn er ° was auch nicht geltend gemacht worden ist ° verjährt wäre.

19 Zum Antrag auf Zahlung von Verzugszinsen ist darauf hinzuweisen, daß nach Artikel 18 Absatz 6 der Verordnung Nr. 2200/87 für jeden Zuschlag ein Zahlungsantrag bei der Kommission binnen zwölf Monaten nach Ablauf der in der Ausschreibungsbekanntmachung festgesetzten Frist einzureichen ist und daß die Zahlung innerhalb von höchstens drei Monaten nach Einreichung des vollständigen Zahlungsantrags erfolgt. Bei einer Zahlung nach Ablauf der genannten Frist werden Verzugszinsen in der bei der Kommission üblichen Höhe fällig, es sei denn, daß für die Verzögerung zusätzliche Gutachten oder Nachforschungen verantwortlich sind.

20 Die Kommission bestreitet nicht, daß die sich auf die streitigen Maßnahmen beziehenden Zahlungsanträge innerhalb der in der erwähnten Vorschrift genannten Zwölfmonatsfrist eingereicht worden sind.

21 Dem Antrag der Klägerin ist also stattzugeben, und die Kommission ist zu verurteilen, ihr neben den fraglichen einbehaltenen Beträge Verzugszinsen in der bei der Kommission üblichen Höhe ab Ablauf der Dreimonatsfrist zu zahlen, die jeweils ab Eingang des Zahlungsantrages zu laufen begonnen hat.

Kostenentscheidung:

Kosten

22 Gemäß Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Kommission mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr die Kosten aufzuerlegen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1) Die Kommission wird verurteilt, der Cebag BV mit Sitz in Zwolle 65 093,10 ECU nebst Verzugszinsen in der bei der Kommission üblichen Höhe ab Ablauf der Dreimonatsfrist zu zahlen, die jeweils ab Eingang des Zahlungsantrages zu laufen begonnen hat.

2) Die Kommission trägt die Kosten des Verfahrens.

Ende der Entscheidung

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