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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 12.09.2006
Aktenzeichen: C-145/04
Rechtsgebiete: EG


Vorschriften:

EG Art. 189
EG Art. 190
EG Art. 17
EG Art. 19
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

URTEIL DES GERICHTSHOFES (Große Kammer)

12. September 2006

"Europäisches Parlament - Wahlen - Wahlrecht - Staatsangehörige des Commonwealth, die ihren Wohnsitz in Gibraltar haben und nicht die Unionsbürgerschaft besitzen"

Parteien:

In der Rechtssache C-145/04

betreffend eine Vertragsverletzungsklage nach Artikel 227 EG, eingereicht am 18. März 2004,

Königreich Spanien, vertreten durch N. Díaz Abad, F. Díez Moreno und I. del Cuvillo Contreras als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Kläger,

gegen

Vereinigtes Königreich Großbritannien und Nordirland, vertreten durch R. Caudwell als Bevollmächtigte im Beistand von P. Goldsmith, D. Wyatt und D. Anderson, QC, sowie M. Chamberlain, Barrister, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Beklagter,

unterstützt durch:

Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch C. Ladenburger als Bevollmächtigten, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Streithelferin,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Große Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten V. Skouris, der Kammerpräsidenten P. Jann, C. W. A. Timmermans, A. Rosas (Berichterstatter), K. Schiemann und J. Makarczyk sowie der Richter J.-P. Puissochet, P. Kuris, E. Juhász, E. Levits und A. Ó Caoimh,

Generalanwalt: A. Tizzano,

Kanzler: L. Hewlett, Hauptverwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 5. Juli 2005,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 6. April 2006

folgendes

Urteil

Entscheidungsgründe:

1 Mit seiner Klage beantragt das Königreich Spanien, festzustellen, dass das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland dadurch gegen seine Verpflichtungen aus den Artikeln 189 EG, 190 EG, 17 EG und 19 EG sowie aus dem Akt zur Einführung allgemeiner unmittelbarer Wahlen der Mitglieder des Europäischen Parlaments im Anhang zum Beschluss 76/787/EGKS, EWG, Euratom des Rates vom 20. September 1976 (ABl. L 278, S. 1) in der durch den Beschluss 2002/772/EG, Euratom des Rates vom 25. Juni 2002 und vom 23. September 2002 (ABl. L 283, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Akt von 1976) verstoßen hat, dass es den European Parliament (Representation) Act 2003 (im Folgenden: EPRA 2003) erlassen hat.

Rechtlicher Rahmen

Gemeinschaftsrecht

2 Artikel 17 EG lautet:

"(1) Es wird eine Unionsbürgerschaft eingeführt. Unionsbürger ist, wer die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzt. Die Unionsbürgerschaft ergänzt die nationale Staatsbürgerschaft, ersetzt sie aber nicht.

(2) Die Unionsbürger haben die in diesem Vertrag vorgesehenen Rechte und Pflichten."

3 Für die Anwendung des Gemeinschaftsrechts hat das Vereinigte Königreich den Begriff "Staatsangehörige" in einer Erklärung definiert, die der Schlussakte des Vertrages über den Beitritt des Königreichs Dänemark, Irlands und des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland zu den Europäischen Gemeinschaften beigefügt ist (ABl. 1972, L 73, S. 196, im Folgenden: Erklärung von 1972). Aufgrund des Inkrafttretens eines neuen Gesetzes über die Staatsangehörigkeit im Vereinigten Königreich wurde diese Erklärung 1982 durch eine neue Erklärung ersetzt (ABl. 1983, C 23, S. 1, im Folgenden: Erklärung von 1982), in der folgende Kategorien genannt werden:

"a) Britische Bürger;

b) Personen, die gemäß Abschnitt IV de[s] 'British Nationality Act 1981' britische Untertanen sind und das Aufenthaltsrecht im Vereinigten Königreich besitzen und aufgrund dieser Tatsache von der Einwanderungskontrolle des Vereinigten Königreichs befreit sind;

c) Bürger der 'British Dependent Territories', die ihre Staatsbürgerschaft aufgrund einer Verbindung mit Gibraltar erwerben".

4 Artikel 19 Absatz 2 EG bestimmt:

"Unbeschadet des Artikels 190 Absatz 4 und der Bestimmungen zu dessen Durchführung besitzt jeder Unionsbürger mit Wohnsitz in einem Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er nicht besitzt, in dem Mitgliedstaat, in dem er seinen Wohnsitz hat, das aktive und passive Wahlrecht bei den Wahlen zum Europäischen Parlament, wobei für ihn dieselben Bedingungen gelten wie für die Angehörigen des betreffenden Mitgliedstaats. Dieses Recht wird vorbehaltlich der Einzelheiten ausgeübt, die vom Rat einstimmig auf Vorschlag der Kommission und nach Anhörung des Europäischen Parlaments festgelegt werden; in diesen können Ausnahmeregelungen vorgesehen werden, wenn dies aufgrund besonderer Probleme eines Mitgliedstaats gerechtfertigt ist."

5 Der Rat hat nach dieser Bestimmung die Richtlinie 93/109/EG des Rates vom 6. Dezember 1993 über die Einzelheiten der Ausübung des aktiven und passiven Wahlrechts bei den Wahlen zum Europäischen Parlament für Unionsbürger mit Wohnsitz in einem Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit sie nicht besitzen (ABl. L 329, S. 34), erlassen.

6 Artikel 189 Absatz 1 EG lautet:

"Das Europäische Parlament besteht aus Vertretern der Völker der in der Gemeinschaft zusammengeschlossenen Staaten; es übt die Befugnisse aus, die ihm nach diesem Vertrag zustehen."

7 Artikel 190 EG bestimmt:

"(1) Die Abgeordneten der Völker der in der Gemeinschaft vereinigten Staaten im Europäischen Parlament werden in allgemeiner unmittelbarer Wahl gewählt.

...

(4) Das Europäische Parlament arbeitet einen Entwurf für allgemeine unmittelbare Wahlen nach einem einheitlichen Verfahren in allen Mitgliedstaaten oder im Einklang mit den allen Mitgliedstaaten gemeinsamen Grundsätzen aus.

Der Rat erlässt nach Zustimmung des Europäischen Parlaments, die mit der Mehrheit seiner Mitglieder erteilt wird, einstimmig die entsprechenden Bestimmungen und empfiehlt sie den Mitgliedstaaten zur Annahme gemäß ihren verfassungsrechtlichen Vorschriften.

..."

8 Artikel 8 des Aktes von 1976 sieht vor:

"Vorbehaltlich der Vorschriften dieses Akts bestimmt sich das Wahlverfahren in jedem Mitgliedstaat nach den innerstaatlichen Vorschriften.

Diese innerstaatlichen Vorschriften, die gegebenenfalls den Besonderheiten in den Mitgliedstaaten Rechnung tragen können, dürfen das Verhältniswahlsystem insgesamt nicht in Frage stellen."

9 Artikel 15 Absatz 2 dieses Aktes lautet:

"Die Anhänge II und III sind Bestandteile dieses Akts."

10 Anhang II des Aktes von 1976, der nach der neuen Nummerierung im Anhang zum Beschluss 2002/772 zu Anhang I geworden ist (im Folgenden: Anhang I des Aktes von 1976), lautet:

"Das Vereinigte Königreich wird die Vorschriften dieses Akts nur auf das Vereinigte Königreich anwenden."

11 Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat in seinem Urteil Matthews/Vereinigtes Königreich vom 18. Februar 1999 (Reports of judgements and decisions 1999-I) festgestellt, dass das Vereinigte Königreich dadurch gegen Artikel 3 des Protokolls Nr. 1 zur am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (im Folgenden: Protokoll Nr. 1 zur EMRK), wonach die Vertragsparteien verpflichtet sind, in angemessenen Zeitabständen freie und geheime Wahlen unter Bedingungen abzuhalten, welche die freie Äußerung der Meinung des Volkes bei der Wahl der gesetzgebenden Körperschaften gewährleisten, verstoßen habe, dass es in Gibraltar keine Wahlen zum Europäischen Parlament durchgeführt habe. In Randnummer 64 seines Urteils hat der EGMR ausgeführt, dass der Klägerin als Bewohnerin von Gibraltar jede Möglichkeit genommen worden sei, bei der Wahl der Mitglieder des Europäischen Parlaments ihre Meinung zum Ausdruck zu bringen. Das Vereinigte Königreich hat auf Nachfrage des Gerichtshofes angegeben, dass Frau Matthews, wie sich aus dem Bericht der Kommission für Menschenrechte ergebe, britische Staatsbürgerin gewesen sei.

12 Die ursprüngliche Fassung des Aktes von 1976 wurde durch den Beschluss 2002/772 geändert, der am 1. April 2004 in Kraft getreten ist. Bei dieser Änderung widersprach das Königreich Spanien der vom Vereinigten Königreich vorgeschlagenen Aufhebung des Anhangs I des Aktes von 1976. Folgende Erklärung des Vereinigten Königreichs, die Ausdruck eines bilateralen Abkommens zwischen dem Königreich Spanien und dem Vereinigten Königreich ist, wurde jedoch in das Protokoll der Tagung des Rates vom 18. Februar 2002 aufgenommen (im Folgenden: Erklärung vom 18. Februar 2002):

"Unter Hinweis auf Artikel 6 Absatz 2 des Vertrages über die Europäische Union - 'Die Union achtet die Grundrechte, wie sie in der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten gewährleistet sind und wie sie sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten als allgemeine Grundsätze des Gemeinschaftsrechts ergeben' - wird das Vereinigte Königreich dafür Sorge tragen, dass die notwendigen Änderungen vorgenommen werden, um den Wählern Gibraltars die Teilnahme an den Wahlen zum Europäischen Parlament als Teil der Wähler eines bestehenden Wahlbezirks des Vereinigten Königreichs und zu den für diese geltenden Bedingungen zu ermöglichen, um seiner Pflicht zu genügen, das Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte in der Rechtssache Matthews/Vereinigtes Königreich entsprechend dem Recht der EU umzusetzen."

13 In dieses Protokoll wurde außerdem folgende Erklärung des Rates und der Kommission aufgenommen:

"Der Rat und die Kommission nehmen Kenntnis von der Erklärung des Vereinigten Königreichs, wonach das Vereinigte Königreich - in dem Bestreben, seiner Verpflichtung nachzukommen, dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in der Sache Matthews gegen das Vereinigte Königreich zu entsprechen - sicherstellen wird, dass die erforderlichen Änderungen vorgenommen werden, damit die Wähler in Gibraltar als Teil der Wählerschaft eines im Vereinigten Königreich bestehenden Wahlbezirks und unter denselben Bedingungen wie diese an den Wahlen zum Europäischen Parlament teilnehmen können, und zwar in Übereinstimmung mit dem EU-Recht."

Der Status von Gibraltar

14 Der König von Spanien trat Gibraltar durch den zwischen ihm und der Königin von Großbritannien am 13. Juli 1713 im Rahmen der Verträge zur Beendigung des spanischen Erbfolgekriegs geschlossenen Vertrag von Utrecht an die britische Krone ab. Artikel X letzter Satz dieses Vertrages bestimmt, dass die britische Krone, sollte sie jemals die Absicht haben, das Eigentum an der Stadt Gibraltar zu verschenken, zu verkaufen oder auf irgendeine andere Art und Weise zu veräußern, der spanischen Krone vor allen anderen Interessenten ein vorrangiges Erwerbsrecht einzuräumen hat.

15 Gibraltar ist derzeit eine Kolonie der britischen Krone. Es gehört nicht zum Vereinigten Königreich.

16 Ein von der Königin ernannter Gouverneur sowie für bestimmte innere Angelegenheiten ein Chief Minister und auf lokaler Ebene gewählte Minister üben dort die Exekutivgewalt aus. Letztere haben sich vor dem House of Assembly zu verantworten, das alle fünf Jahre gewählt wird.

17 Das House of Assembly kann Gesetze über bestimmte innere Angelegenheiten beschließen. Der Gouverneur kann jedoch die Billigung eines Gesetzes verweigern. Außerdem können das Parlament des Vereinigten Königreichs und die Queen in Council für Gibraltar geltende Gesetze erlassen.

18 In Gibraltar wurden eigene Gerichte geschaffen. Gegen die Urteile des obersten Gerichts von Gibraltar kann jedoch vor dem Judicial Committee of the Privy Council Rechtsmittel eingelegt werden.

19 Gibraltar ist nach dem Gemeinschaftsrecht ein europäisches Hoheitsgebiet, dessen auswärtige Beziehungen ein Mitgliedstaat wahrnimmt, im Sinne von Artikel 299 Absatz 4 EG, auf das die Bestimmungen des EG-Vertrags Anwendung finden. Die Akte über die Bedingungen des Beitritts des Königreichs Dänemark, Irlands und des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland und die Anpassungen der Verträge (ABl. 1972, L 73, S. 14) sieht jedoch vor, dass bestimmte Teile des EG-Vertrags auf Gibraltar nicht anwendbar sind.

Der EPRA 2003

20 Am 8. Mai 2003 erließ das Vereinigte Königreich den EPRA 2003.

21 Section 9 des EPRA 2003 sieht vor, dass Gibraltar einem bestehenden Wahlbezirk in England oder Wales angegliedert wird, um einen neuen Wahlbezirk zu bilden. Die britischen Behörden haben Gibraltar nach dieser Vorschrift mit der European Parliamentary Elections (Combined Region and Campaign Expenditure) (United Kingdom and Gibraltar) Order 2004 dem Wahlbezirk Südwest-England angegliedert.

22 Section 14 des EPRA 2003 sieht vor, dass der Clerk of the House of Assembly von Gibraltar in Gibraltar ein Wählerverzeichnis für die Europawahlen (im Folgenden: Verzeichnis für Gibraltar) führt.

23 Section 15 des EPRA 2003 bestimmt, dass eine Person bei den Wahlen zum Europäischen Parlament in Gibraltar wählen kann, wenn sie am Tag der Wahlen in das Verzeichnis für Gibraltar eingetragen ist.

24 Nach Section 16 (1) des EPRA 2003 können in dieses Verzeichnis Personen aufgenommen werden, die kumulativ folgende Voraussetzungen erfüllen:

- Sie haben ihren Wohnsitz in Gibraltar;

- sie sind nicht aus rechtlichen Gründen von den Wahlen zum Europäischen Parlament in Gibraltar ausgeschlossen (mit Ausnahme der Voraussetzung in Bezug auf das Alter);

­­- sie sind Bürger des Commonwealth, die bestimmte Kriterien erfüllen (qualifying Commonwealth citizen, im Folgenden: QCC), oder Bürger der Europäischen Union (die keine QCC sind);

- sie sind mindestens 18 Jahre alt.

25 Gemäß Section 16 (5) des EPRA 2003 sind QCC Personen,

- die nach dem Recht von Gibraltar nicht über einen Ausweis oder eine Erlaubnis für die Einreise nach Gibraltar und den Aufenthalt in Gibraltar verfügen müssen oder

- die zum betreffenden Zeitpunkt über einen Ausweis oder eine Erlaubnis verfügen, der oder die sie zur Einreise nach Gibraltar und zum Aufenthalt in Gibraltar berechtigt (oder die nach dem Recht von Gibraltar so zu behandeln sind, als hätten sie einen solchen Ausweis oder eine solche Erlaubnis).

26 Sections 17 und 18 des EPRA 2003 sehen vor, dass verschiedene Einzelheiten in Bezug auf das Verzeichnis für Gibraltar und das aktive Wahlrecht vom Lord Chancellor oder durch Gesetz geregelt werden können. Solche Einzelheiten wurden vom Secretary of State for Constitutional Affairs, dem bestimmte Aufgaben des Lord Chancellor übertragen wurden, durch die European Parliamentary Elections Regulations 2004 und durch die vom House of Assembly von Gibraltar erlassene European Parliamentary Elections Ordinance 2004 festgelegt.

27 Section 21 des EPRA 2003 ändert, um Gibraltar einzubeziehen, Section 10 des European Parliamentary Elections Act 2002, aus dem sich ergibt, dass eine Person nicht deswegen, weil sie nicht die britische Bürgerschaft, sondern die des Commonwealth besitzt, kein passives Wahlrecht für die Wahlen zum Europäischen Parlament hat.

28 Section 22 des EPRA 2003 erlaubt die Einführung besonderer Regeln für die verschiedenen Wahlbezirke, insbesondere für den zusammengesetzten Wahlbezirk England und Wales und für Gibraltar.

29 Nach Section 23 des EPRA 2003 sind die Gerichte von Gibraltar für Rechtsstreitigkeiten im Zusammenhang mit Wahlen zuständig.

30 Section 28 (2) des EPRA 2003 bestimmt als räumlichen Anwendungsbereich dieses Gesetzes das Vereinigte Königreich und Gibraltar.

Vorgerichtliches Verfahren und Verfahren vor dem Gerichtshof

31 Im Anschluss an einen Schriftwechsel reichte das Königreich Spanien am 28. Juli 2003 nach Artikel 227 EG eine gegen das Vereinigte Königreich gerichtete Beschwerde bei der Kommission ein, damit diese wegen der behaupteten Unvereinbarkeit des EPRA 2003 mit dem Gemeinschaftsrecht ein Vertragsverletzungsverfahren gegen das Vereinigte Königreich vor dem Gerichtshof einleite. Das Vereinigte Königreich übermittelte der Kommission am 11. September 2003 seine Stellungnahme zu dieser Beschwerde. Am 1. Oktober 2003 hörte die Kommission die Vertreter der beiden betroffenen Mitgliedstaaten an. Sie gestattete diesen Staaten nach dieser Anhörung die Abgabe zusätzlicher schriftlicher Erklärungen; diese erfolgte am 3. Oktober 2003.

32 Die Kommission gab am 29. Oktober 2003 folgende Erklärung ab:

"Nach eingehender Prüfung der Beschwerde Spaniens und nach einer Anhörung am 1. Oktober ist die Kommission der Auffassung, dass das Vereinigte Königreich die Erstreckung des Wahlrechts auf Personen mit Wohnsitz in Gibraltar im Rahmen des Ermessens vorgenommen hat, das den Mitgliedstaaten derzeit nach Gemeinschaftsrecht zusteht. Allerdings sieht die Kommission angesichts des heiklen Charakters der zugrunde liegenden bilateralen Frage in dieser Phase vom Erlass einer mit Gründen versehenen Stellungnahme im Sinne von Artikel 227 [EG] ab und fordert die Parteien auf, eine gütliche Lösung zu finden."

33 In der Pressemitteilung der Kommission heißt es u. a.:

"Nach dem EG-Vertrag ist die Europäische Gemeinschaft zur Einführung eines einheitlichen Verfahrens für die Wahlen zum Europäischen Parlament berechtigt. Dieses einheitliche Verfahren kann Vorschriften zur Bestimmung der wahlberechtigten Personen einschließen. Das aktive Wahlrecht wird im Akt von 1976 jedoch nicht geregelt. Es gilt daher einzelstaatliches Recht.

Bei den Wahlen zum Europäischen Parlament unterliegt das aktive Wahlrecht zwar den allgemeinen Grundsätzen, wonach die Wahlen unmittelbar, allgemein, frei und geheim sein müssen, doch gibt es keinen allgemeinen Grundsatz des Gemeinschaftsrechts, der besagt, dass die Berechtigung zur Teilnahme an den Europa-Wahlen nicht auch Nicht-EU-Bürger einschließen könnte.

...

Der Akt von 1976 enthält keine Vorschriften für die Festlegung von Wahlbezirken, so dass es den Mitgliedstaaten überlassen bleibt, eine entsprechende Regelung einzuführen.

Anhang [I] des Akts von 1976 ist vor dem Hintergrund der Europäischen [Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten] auszulegen. Die Wahrung der Grundrechte impliziert die Garantie freier Wahlen zur Bildung der gesetzgebenden Körperschaft. Die betreffende Regelung bietet hinreichenden Raum, um die Wähler Gibraltars für die Wahlen zum Europäischen Parlament nach dem einzelstaatlichen Wahlrecht des Vereinigten Königreichs in die britische Wählerschaft einzugliedern."

34 Durch Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofes vom 8. September 2004 ist die Kommission in der vorliegenden Rechtssache als Streithelferin zur Unterstützung der Anträge des Vereinigten Königreichs zugelassen worden.

Zur Klage

35 Das Königreich Spanien trägt vor, dass seine Klage nur die Wahlen betreffe, wie sie in Gibraltar durchgeführt würden, und nicht den Umstand, dass das Vereinigte Königreich QCC, die sich im Hoheitsgebiet des Vereinigten Königreichs aufhielten, das aktive Wahlrecht für die Wahlen zum Europäischen Parlament zuerkenne.

36 Es stützt seine Klage auf zwei Klagegründe. Mit dem ersten Klagegrund macht es geltend, dass die im EPRA 2003 vorgesehene Ausdehnung des aktiven Wahlrechts bei den Wahlen zum Europäischen Parlament auf Personen, die keine britischen Staatsangehörigen im Sinne des Gemeinschaftsrechts seien, gegen die Artikel 189 EG, 190 EG, 17 EG und 19 EG verstoße. Mit dem zweiten Klagegrund trägt es vor, dass die Bildung eines zusammengesetzten Wahlbezirks gegen den Akt von 1976 und gegen die Verpflichtungen verstoße, die die Regierung des Vereinigten Königreichs in seiner Erklärung vom 18. Februar 2002 übernommen habe.

Zum ersten Klagegrund: Verstoß gegen die Artikel 189 EG, 190 EG, 17 EG und 19 EG

37 Das Königreich Spanien macht geltend, dass das Vereinigte Königreich dadurch, dass es QCC, die keine Gemeinschaftsangehörigen seien, das aktive Wahlrecht gewähre, gegen die Artikel 189 EG, 190 EG, 17 EG und 19 EG verstoße, die - historisch und systematisch ausgelegt - nur Unionsbürgern das aktive und passive Wahlrecht zuerkennten.

38 Das Vereinigte Königreich habe mehrere Kategorien britischer Bürger festgelegt, denen es je nach der Art ihrer Verbindung zum Vereinigten Königreich unterschiedliche Rechte zuerkannt habe. Wie der Gerichtshof in Randnummer 24 seines Urteils vom 20. Februar 2001 in der Rechtssache C-192/99 (Kaur, Slg. 2001, I-1237) festgestellt habe, seien die zu diesem Punkt abgegebenen Erklärungen der Regierung des Vereinigten Königreichs heranzuziehen, um den persönlichen Geltungsbereich des EG-Vertrags zu bestimmen. Es werde nicht beanstandet, dass QCC nicht zu den in der Erklärung von 1982 genannten Kategorien gehörten. Da Artikel 17 Absatz 1 EG die Unionsbürgerschaft an den Besitz der Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats kopple, seien QCC keine Unionsbürger.

39 Aufgrund der offensichtlichen Verbindung zwischen der Unionsbürgerschaft und der Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats einerseits und der Gewährung der im Vertrag vorgesehenen Rechte andererseits könne jedoch nur Unionsbürgern das aktive Wahlrecht für die Wahlen zum Europäischen Parlament zuerkannt werden. Artikel 19 EG, der das aktive und passive Wahlrecht zuerkenne, und Artikel 17 Absatz 2 EG, wonach die Unionsbürger die im Vertrag vorgesehenen Rechte hätten, seien nämlich systematisch auszulegen. Jede Ausdehnung dieser Rechte auf andere Personen müsste entweder im Vertrag oder in Bestimmungen des abgeleiteten Rechts ausdrücklich vorgesehen sein. Da die Gewährung des aktiven und passiven Wahlrechts somit in die Zuständigkeit der Gemeinschaft falle, könne eine Änderung des persönlichen Anwendungsbereichs dieser Rechte nur durch das Gemeinschaftsrecht erfolgen.

40 Das Königreich Spanien beanstandet nicht, dass der Akt von 1976 kein einheitliches Wahlverfahren vorgesehen hat und dass das Wahlverfahren in den Mitgliedstaaten durch nationale Vorschriften geregelt wird. Es ist jedoch der Ansicht, dass die Bestimmung der wahlberechtigten Personen in den Artikeln 189 EG und 190 EG in Verbindung mit den Artikeln 17 EG und 19 EG geregelt sei und dass diese Regelung für die Mitgliedstaaten bindend sei.

41 Artikel 19 Absatz 2 EG, der den Unionsbürgern in dem Mitgliedstaat, in dem sie ihren Wohnsitz hätten, das aktive und passive Wahlrecht für die Wahlen zum Europäischen Parlament unter denselben Bedingungen gewähre, die für die Angehörigen des betreffenden Mitgliedstaats gälten, und die Richtlinie 93/109, die die Einzelheiten der Ausübung dieses Rechts regele, zeigten, dass zwischen der Staatsangehörigkeit und dem Wahlrecht eine Verbindung bestehe. Nach diesen Bestimmungen könne ein QCC im Sinne des EPRA 2003, der seinen Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat habe, sein Wahlrecht in diesem Staat nicht ausüben.

42 Das Königreich Spanien beruft sich zur Stützung seines Vorbringens ferner auf die ähnliche Bestimmung in Artikel 39 der am 7. Dezember 2000 in Nizza proklamierten Charta der Grundrechte der Europäischen Union (ABl. C 364, S. 1), wo der Ausdruck "[d]ie Unionsbürgerinnen und Unionsbürger" und nicht der Ausdruck "jede Person" oder ein auf das nationale Recht verweisender Ausdruck verwendet werde. Da das aktive Wahlrecht eines Staatsangehörigen eines Drittstaats nicht als "Menschenrecht" oder "Grundfreiheit" qualifiziert werden könne, gebe es für eine Bezugnahme auf Artikel 53 dieser Charta, wonach diese nicht als eine Einschränkung oder Verletzung der durch das Recht der Union anerkannten Menschenrechte und Grundfreiheiten ausgelegt werden dürfe, keine Grundlage.

43 Zum Ausdruck "Völker der ... Staaten" in Artikel 189 EG macht das Königreich Spanien zunächst geltend, dass diese Bestimmung nicht das aktive Wahlrecht regle. Im Übrigen verweise sie deswegen nicht auf den Begriff der Bürgerschaft, weil sie im EG-Vertrag enthalten gewesen sei, bevor dieser Begriff durch den Vertrag über die Europäische Union in diesen eingefügt worden sei; der Wortlaut des EG-Vertrags sei jedoch vor der letzten Regierungskonferenz keiner systematischen Revision unterzogen worden. Jedenfalls sei der Ausdruck "Völker der ... Staaten" eine stilistische Formel, mit der Personen derselben Staatsangehörigkeit gemeint seien und nicht die Bevölkerung mit Wohnsitz in dem betreffenden Gebiet. Die Verwendung des Begriffes "Volk" im Sinne von "Nation" in mehreren Verfassungen der Mitgliedstaaten bestätige diese Auslegung.

44 Das Königreich Spanien wendet sich gegen die Ansicht, dass die sich aus der Unionsbürgerschaft ergebenden Rechte verschiedene Anwendungsbereiche haben könnten, da dies eine Teilung dieser Bürgerschaft voraussetzen würde. Eines der Merkmale der Bürgerschaft sei jedoch die Einheit in dem Sinne, dass alle Personen, die diesen Status besäßen, sämtliche daran geknüpfte Rechte und Pflichten haben müssten. Die vom Vereinigten Königreich als Beispiel angeführte Ausdehnung des diplomatischen Schutzes auf Staatsangehörige von Drittstaaten falle nicht unter das Gemeinschaftsrecht, da sie einen nationalen diplomatischen Schutz betreffe.

45 Das Königreich Spanien verweist schließlich auf den Vertrag über eine Verfassung für Europa (ABl. 2004, C 310, S. 1), worin die Verbindung zwischen dem aktiven Wahlrecht für die Wahlen zum Europäischen Parlament und der Unionsbürgerschaft nicht mehr impliziert, sondern ausdrücklich genannt werde. Artikel I-10 Absatz 2 Buchstabe b dieses Vertrages sehe nämlich vor, dass "[d]ie Unionsbürgerinnen und Unionsbürger ... das aktive und passive Wahlrecht bei den Wahlen zum Europäischen Parlament [haben]", Artikel I-20 Absatz 2 dieses Vertrages bestimme, dass "[d]as Europäische Parlament ... sich aus Vertretern der Unionsbürgerinnen und Unionsbürger zusammen[setzt]", und nach Artikel I-46 Absatz 2 Unterabsatz 1 dieses Vertrages seien "[d]ie Bürgerinnen und Bürger ... auf Unionsebene unmittelbar im Europäischen Parlament vertreten".

46 Das Vereinigte Königreich legt die historischen Gründe dar, weswegen es entschieden habe, weiterhin Bürgern anderer Länder des Commonwealth, die ihren Wohnsitz in seinem Hoheitsgebiet hätten, das aktive Wahlrecht zu gewähren. Nach dem Zweiten Weltkrieg sei bei einer Konferenz im Jahre 1947, an der das Vereinigte Königreich und die Dominions teilgenommen hätten, vereinbart worden, dass jeder den anderen die Freiheit zuerkenne, eigene Gesetze über die Staatsangehörigkeit zu erlassen, dass jedoch alle Personen, die nach diesen Gesetzen Staatsbürger seien, weiterhin außerdem den gemeinsamen Status "britischer Untertan" haben sollten. An dieser Konferenz habe auch Irland teilgenommen; für dessen Staatsbürger sei ein besonderer Status vorgesehen worden. Aus dem Abschlussbericht dieser Konferenz mit der Überschrift "Status der Bürger eines Commonwealth-Landes in einem anderen Commonwealth-Land, dessen Staatsbürgerschaft sie nicht besitzen", ergebe sich u. a., dass "Bürger eines Commonwealth-Landes, die ihren Wohnsitz in einem anderen Commonwealth-Land haben, innerhalb der Grenzen der neuen Staatsbürgerschaftsregelung und in dem Maße, in dem die örtlichen Bedingungen es erlauben, dieselben Rechte erhalten sollten wie die Bürger des Landes, in dem sie ihren Wohnsitz haben, damit der gemeinsame Status eines britischen Untertans tatsächliche Bedeutung erhält". So seien insbesondere QCC, d. h. Bürger des Commonwealth, die nicht über einen Ausweis oder eine Erlaubnis für die Einreise in das Vereinigte Königreich und den Aufenthalt im Vereinigten Königreich verfügen müssten oder die über einen Ausweis oder eine Erlaubnis verfügten, der oder die sie zur Einreise in das Vereinigte Königreich und zum Aufenthalt im Vereinigten Königreich berechtige, sofern sie die Voraussetzungen hinsichtlich des Wohnsitzes erfüllten, bei den britischen Parlamentswahlen wahlberechtigt. Nach dem Gesetz seien QCC mit Wohnsitz im Vereinigten Königreich außerdem bei den Wahlen zum Europäischen Parlament wahlberechtigt. So hätten mehr als eine Million QCC an jeder dieser Wahlen seit 1978 teilgenommen. Es werde als Teil der Verfassungstradition des Vereinigten Königreichs betrachtet, QCC das aktive Wahlrecht zu gewähren.

47 Für Gibraltar und QCC mit Wohnsitz in Gibraltar, deren Zahl auf 200 geschätzt werde, seien ähnliche Vorschriften erlassen worden. Würde im Rahmen dieser Klage betreffend Gibraltar der Grundsatz aufgestellt, dass QCC bei den Wahlen zum Europäischen Parlament nicht wählen können, hätte dies zur Folge, dass das Vereinigte Königreich einer großen Zahl von Personen sowohl in Gibraltar als auch im Vereinigten Königreich ein Wahlrecht entziehen müsste, das diese bisher ausgeübt hätten.

48 Das Vereinigte Königreich wendet sich, unterstützt von der Kommission, gegen die Schlussfolgerung, die das Königreich Spanien aus Randnummer 24 des Urteils Kaur zieht. Es ist der Ansicht, dass die Vorschriften des EG-Vertrags je nach dem betroffenen Bereich einen unterschiedlichen persönlichen Anwendungsbereich hätten und dass es im Urteil Kaur nur um die Vorschriften über die Freizügigkeit und die sich insoweit aus der Bürgerschaft ergebenden Rechte gegangen sei. Es weist auf die begrenzte Zwecksetzung der Erklärung von 1982 hin sowie darauf, dass mit dieser Erklärung nicht die Kategorien der bei den Wahlen zum Europäischen Parlament wahlberechtigten Personen festgelegt werden sollten. Diese Erklärung könne somit weder dazu verwendet werden, die bei den Wahlen zum Europäischen Parlament wahlberechtigten Personen zu bestimmen, noch dahin gehend verstanden werden, dass das Vereinigte Königreich darin seine Absicht zum Ausdruck gebracht habe, QCC mit Wohnsitz im Vereinigten Königreich, die seit den ersten unmittelbaren Wahlen zum Europäischen Parlament wahlberechtigt gewesen seien, dieses Recht zu entziehen. Im Übrigen habe das Vereinigte Königreich dadurch, dass es das aktive Wahlrecht für die Wahlen zum Europäischen Parlament auf QCC mit Wohnsitz in Gibraltar ausgedehnt habe, seiner Erklärung nicht zuwidergehandelt.

49 Das Vereinigte Königreich vertritt, insoweit unterstützt durch die Kommission, die Ansicht, dass es berechtigt gewesen sei, das aktive und passive Wahlrecht für die Wahlen zum Europäischen Parlament auf Staatsangehörige von Drittstaaten auszudehnen. Dem stehe nämlich keine Vorschrift des Gemeinschaftsrechts entgegen.

50 Zunächst regle das Gemeinschaftsrecht das aktive und passive Wahlrecht für die Wahlen zum Europäischen Parlament nicht vollständig. Die Gemeinschaft habe die ihr in Artikel 190 Absatz 4 EG übertragene Zuständigkeit, ein "einheitliche[s] Verfahren in allen Mitgliedstaaten oder im Einklang mit den allen Mitgliedstaaten gemeinsamen Grundsätzen" zu bestimmen, nur durch den Akt von 1976 ausgeübt, dessen Artikel 8 für alle nicht in diesem Akt geregelten Bereiche auf das nationale Recht verweise. Außerdem seien die allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts zu berücksichtigen. Da der Akt von 1976 die Kategorien der bei den Wahlen zum Europäischen Parlament wahlberechtigten Personen nicht festlege, habe dieser Punkt im Einklang mit diesem Akt im EPRA 2003 geregelt werden können.

51 Es laufe Artikel 19 Absatz 2 EG, der Unionsbürgern das aktive Wahlrecht in einem Mitgliedstaat zuerkenne, dessen Staatsangehörigkeit sie nicht besäßen, und der Richtlinie 93/109, die die Einzelheiten der Ausübung dieses Rechts regele, nicht zuwider, Personen, die keine Unionsbürger seien, das aktive Wahlrecht zu gewähren. Das Vereinigte Königreich verweist auf die dritte Begründungserwägung der Richtlinie 93/109, wonach das aktive und passive Wahlrecht für die Wahlen zum Europäischen Parlament im Wohnsitzstaat "eine Anwendung des Grundsatzes der Nichtsdiskriminierung zwischen in- und ausländischen Gemeinschaftsbürgern sowie eine Ergänzung des ... Rechts auf Freizügigkeit und freien Aufenthalt dar[stellt]". Mit diesen Bestimmungen solle im Wesentlichen die Voraussetzung der Staatsangehörigkeit abgeschafft, nicht jedoch das aktive Wahlrecht im Einzelnen geregelt werden.

52 Im Übrigen werde in den Artikeln 189 EG und 190 EG nicht der Begriff der Unionsbürgerschaft, sondern der Ausdruck "Völker der in der Gemeinschaft zusammengeschlossenen Staaten" verwendet, der nicht notwendig als Synonym für "Staatsangehörige der Mitgliedstaaten" zu verstehen sei, sondern auch eine viel größere Personengesamtheit bezeichnen könne, wie die Personen mit Wohnsitz in einem bestimmten Gebiet. Obwohl es insbesondere bei der Annahme des Vertrages über die Europäische Union möglich gewesen sei, diese Vorschriften zu ändern, seien die Begriffe "Staatsangehörige" oder "Unionsbürger" nicht verwendet worden. Eine Berufung auf eine historische Auslegung sei daher nicht möglich, und aus diesen Vorschriften lasse sich keine Verbindung zwischen der Unionsbürgerschaft und dem Wahlrecht für die Wahlen zum Europäischen Parlament herleiten.

53 Die Kommission macht geltend, dass die genannten Vorschriften nicht, wie das Königreich Spanien vorträgt, eng ausgelegt werden könnten. Es gebe nicht in allen Mitgliedstaaten eine Verbindung zwischen der Legitimität der staatlichen Hoheitsgewalt und der Staatsangehörigkeit. Die unterschiedlichen Ansätze, darunter derjenige, der sich aus der Verfassungstradition des Vereinigten Königreichs ergebe, müssten berücksichtigt werden.

54 Artikel 17 Absatz 2 EG sehe nicht vor, dass nur Unionsbürger die durch den Vertrag verliehenen Rechte hätten. Das Vereinigte Königreich trägt dazu, unterstützt durch die Kommission, vor, dass der Vertrag Personen, die keine Unionsbürger seien, bestimmte Rechte gewähre, wie das Recht, Petitionen an das Europäische Parlament zu richten oder sich an den Europäischen Bürgerbeauftragten zu wenden. Außerdem könnten die Mitgliedstaaten den Unionsbürgern durch den Vertrag verliehene Rechte, wie das Recht auf diplomatischen und konsularischen Schutz, auf solche Personen ausdehnen. Dies gelte auch für das Recht auf Teilnahme am politischen Leben, das die Mitgliedstaaten Angehörigen von Drittstaaten gewähren könnten. Dies führe nicht zu einer "Teilung der Unionsbürgerschaft".

55 Die Kommission macht dazu geltend, dass eine Verkennung des Begriffes der Unionsbürgerschaft nur im Fall einer Beeinträchtigung der Rechte der Bürger durch schlichte Verweigerung dieser Rechte oder durch Erschwerung ihrer Ausübung in Betracht komme. Dass ein Mitgliedstaat aufgrund seiner Geschichte und seiner Verfassungstradition das aktive Wahlrecht für die Wahlen zum Europäischen Parlament unter bestimmten Voraussetzungen auf Staatsangehörige von Drittländern ausdehne, mit denen er besondere historische Verbindungen unterhalte, beeinträchtige jedoch nicht das aktive Wahlrecht der Unionsbürger. Das Vereinigte Königreich führt aus, dass die Ausdehnung des aktiven Wahlrechts auf QCC keine Auswirkungen auf die Organe der Union oder andere Mitgliedstaaten habe, sondern lediglich darauf, welche Vertreter aus den britischen Wahlkreisen in das Europäische Parlament gewählten würden.

56 Das Vereinigte Königreich macht, unterstützt durch die Kommission, geltend, dass Artikel 39 Absatz 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, sofern der Gerichtshof ihn im vorliegenden Fall für einschlägig halten sollte, unter Berücksichtigung des Artikels 53 dieser Charta ausgelegt werden müsse. Die Kommission macht außerdem geltend, dass der Wortlaut des Artikels 39 dieser Charta nicht für sich genommen als Beweis für eine Beschränkung des Wahlrechts allein auf Unionsbürger angesehen werden könne. Sowohl das Vereinigte Königreich als auch die Kommission legen diese Vorschrift dahin aus, dass sie es nicht zulasse, dass das aktive Wahlrecht, das ein Mitgliedstaat Staatsangehörigen von Drittländern zum betreffenden Zeitpunkt zuerkenne, beeinträchtigt werde.

57 Zum Vertrag über eine Verfassung für Europa macht das Vereinigte Königreich geltend, dass dieser noch nicht in Kraft getreten und daher nicht einschlägig sei. Im Übrigen wolle auf den ersten Blick weder Artikel I-20 noch Artikel I-46 dieses Vertrages Staatsangehörige von Drittstaaten vom aktiven Wahlrecht ausschließen oder den Mitgliedstaaten die für die Wahl aufzustellenden Voraussetzungen vorschreiben. Artikel III-330, der wie Artikel 190 Absatz 4 EG den Rat ermächtige, Maßnahmen für die Wahlen zum Europäischen Parlament zu erlassen, wolle nicht das Ermessen des Rates beschränken. Jedenfalls ergebe sich aus den der genannten Verfassung beigefügten einseitigen Erklärungen, insbesondere aus der Erklärung Nr. 48 des Vereinigten Königreichs über das Wahlrecht für die Wahlen zum Europäischen Parlament, dass die Mitgliedstaaten sich über die Frage, ob Staatsangehörige von Drittstaaten wahlberechtigt sein sollten, nicht einig gewesen seien.

58 Die Kommission macht schließlich geltend, dass nicht nur der Begriff der Bürgerschaft für die Union grundlegend sei, sondern dass dies auch für die Verpflichtung der Union gelte, die nationale Identität seiner Mitglieder zu respektieren. Artikel 8 des Aktes von 1976 bestätige diesen Grundsatz, denn er sehe vor, dass die innerstaatlichen Vorschriften über das Wahlverfahren gegebenenfalls den Besonderheiten in den Mitgliedstaaten Rechnung tragen könnten.

Würdigung durch den Gerichtshof

59 Mit seinem ersten Klagegrund macht das Königreich Spanien geltend, dass das Vereinigte Königreich dadurch gegen die Artikel 189 EG, 190 EG, 17 EG und 19 EG verstoßen habe, dass es QCC mit Wohnsitz in Gibraltar das aktive und passive Wahlrecht für die Wahlen zum Europäischen Parlament gewährt habe. Dieser Klagegrund beruht auf der Prämisse, dass die Vorschriften des Vertrages eine Verbindung zwischen der Unionsbürgerschaft und dem aktiven und passiven Wahlrecht für die Wahlen zum Europäischen Parlament herstellten und dass das Bestehen dieser Verbindung zur Folge habe, dass nur Unionsbürgern dieses Recht zustehen könne.

60 Vorab ist daran zu erinnern, dass das Vereinigte Königreich die vom Königreich Spanien beanstandeten Vorschriften erlassen hat, um dem Urteil Matthews/Vereinigtes Königreich des EGMR nachzukommen.

61 Wie aus der Erklärung des Vereinigten Königreichs vom 18. Februar 2002 hervorgeht, hat sich dieses verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, "dass die notwendigen Änderungen vorgenommen werden, um den Wählern Gibraltars die Teilnahme an den Wahlen zum Europäischen Parlament als Teil der Wähler eines bestehenden Wahlbezirks des Vereinigten Königreichs und zu den für diese geltenden Bedingungen zu ermöglichen".

62 Im Hinblick auf diese Erklärung, von der das Königreich Spanien nicht bestreitet, dass sie Ausdruck eines zwischen ihm und dem Vereinigten Königreich geschlossenen Abkommens ist, und deren Verletzung das Königreich Spanien im Übrigen mit seinem zweiten Klagegrund geltend macht, hat das Vereinigte Königreich für Gibraltar Vorschriften erlassen, die für das aktive und passive Wahlrecht dieselben Bedingungen festlegen, die auch die für das Vereinigte Königreich geltenden Vorschriften vorsehen. Der Ausdruck "Wähler Gibraltars" ist nämlich unter Bezugnahme auf den Begriff des Wählers zu verstehen, wie er in den Vorschriften des Vereinigten Königreichs definiert ist.

63 Aus mit seiner Verfassungstradition zusammenhängenden Gründen hat das Vereinigte Königreich entschieden, QCC, die Voraussetzungen erfüllen, aus denen sich eine besondere Verbindung mit dem Gebiet ergibt, für das die Wahlen durchgeführt werden, sowohl für die nationalen Wahlen im Vereinigten Königreich als auch für die Wahlen des House of Assembly von Gibraltar das aktive und passive Wahlrecht zu gewähren.

64 Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass der EGMR festgestellt hat, dass das Versäumnis, in Gibraltar Wahlen zum Europäischen Parlament durchzuführen, aufgrund des Umstands, dass Frau Matthews "als Bewohnerin von Gibraltar jede Möglichkeit genommen [wurde], bei der Wahl der Mitglieder des Europäischen Parlaments ihre Meinung zum Ausdruck zu bringen", gegen Artikel 3 des Protokolls Nr. 1 zur EMRK verstoße.

65 Das Königreich Spanien ist der Ansicht, dass die Ausdehnung des aktiven Wahlrechts bei den Wahlen zum Europäischen Parlament auf Personen, die keine Unionsbürger sind, gegen die Artikel 189 EG, 190 EG, 17 EG und 19 EG verstoße. In den Artikeln 189 EG und 190 EG ist jedoch nicht ausdrücklich und genau angegeben, wer das aktive und passive Wahlrecht für die Wahlen zum Europäischen Parlament hat.

66 Was die zum Zweiten Teil des Vertrages betreffend die Unionsbürgerschaft gehörenden Artikel 17 EG und 19 EG betrifft, so behandelt nur Artikel 19 EG in Absatz 2 eigens das aktive Wahlrecht für die Wahlen zum Europäischen Parlament. Dieser Artikel beschränkt sich jedoch darauf, das Verbot der Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit auf die Ausübung dieses Rechts anzuwenden, indem er vorsieht, dass jeder Unionsbürger mit Wohnsitz in einem Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er nicht besitzt, in dem Mitgliedstaat, in dem er seinen Wohnsitz hat, das aktive und passive Wahlrecht für die Wahlen zum Europäischen Parlament besitzt, wobei für ihn dieselben Bedingungen gelten wie für die Angehörigen des betreffenden Mitgliedstaats.

67 Artikel 190 Absatz 4 EG bezieht sich auf das Verfahren bei diesen Wahlen. Er sieht allgemeine unmittelbare Wahlen nach einem einheitlichen Verfahren in allen Mitgliedstaaten oder im Einklang mit den allen Mitgliedstaaten gemeinsamen Grundsätzen vor.

68 Der Akt von 1976 sieht in Artikel 1 vor, dass die Mitglieder des Europäischen Parlaments nach dem Verhältniswahlsystem gewählt werden und dass die Wahl allgemein, unmittelbar, frei und geheim erfolgt. Nach Artikel 2 dieses Aktes können die Mitgliedstaaten entsprechend ihren nationalen Besonderheiten für die Wahl des Europäischen Parlaments Wahlkreise einrichten oder ihre Wahlgebiete auf andere Weise unterteilen, ohne das Verhältniswahlsystem insgesamt in Frage zu stellen. Gemäß Artikel 3 dieses Aktes können sie für die Sitzvergabe eine Mindestschwelle festlegen.

69 Artikel 8 des Aktes von 1976 sieht vor, dass sich das Wahlverfahren vorbehaltlich der Vorschriften dieses Aktes in jedem Mitgliedstaat nach den innerstaatlichen Vorschriften bestimmt und dass diese Vorschriften, die gegebenenfalls den Besonderheiten in den Mitgliedstaaten Rechnung tragen können, jedoch das Verhältniswahlsystem insgesamt nicht in Frage stellen dürfen.

70 Weder Artikel 190 EG noch der Akt von 1976 bestimmen jedoch ausdrücklich und genau, wer das aktive und passive Wahlrecht für die Wahlen zum Europäischen Parlament hat. Diese Vorschriften schließen daher für sich genommen nicht aus, dass Personen, die wie QCC mit Wohnsitz in Gibraltar keine Unionsbürger sind, das aktive und passive Wahlrecht haben. Es ist jedoch zu prüfen, ob, wie das Königreich Spanien geltend macht, eine offensichtliche Verbindung zwischen der Unionsbürgerschaft und dem aktiven und passiven Wahlrecht besteht, aufgrund deren dieses Recht nur Unionsbürgern gewährt werden könnte.

71 Aus den Artikeln 189 EG und 190 EG über das Europäische Parlament, wonach das Europäische Parlament aus Vertretern der Völker der Mitgliedstaaten besteht, lassen sich insoweit keine eindeutigen Schlussfolgerungen ziehen, da der Begriff "Volk", der nicht definiert wird, in den verschiedenen Mitgliedstaaten und Sprachen der Union unterschiedliche Bedeutungen haben kann.

72 Aus den Vorschriften des Vertrages über die Unionsbürgerschaft lässt sich kein Grundsatz ableiten, wonach alle anderen Vorschriften des Vertrages ausschließlich für Unionsbürger Geltung hätten, so dass auch die Artikel 189 EG und 190 EG nur auf diese anwendbar wären.

73 Denn Artikel 17 Absatz 2 EG sieht zwar vor, dass die Unionsbürger die im Vertrag vorgesehenen Rechte und Pflichten haben, der Vertrag verleiht jedoch auch Rechte, die nicht an die Unionsbürgerschaft, ja nicht einmal an die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats gebunden sind. So sehen die Artikel 194 EG und 195 EG z. B. vor, dass das Recht, eine Petition an das Europäische Parlament oder eine Beschwerde an den Bürgerbeauftragten zu richten, nicht nur Unionsbürgern zusteht, sondern von "jeder natürlichen oder juristischen Person mit Wohnort oder satzungsmäßigem Sitz in einem Mitgliedstaat" ausgeübt werden kann.

74 Im Übrigen ist der Unionsbürgerstatus zwar dazu bestimmt, der grundlegende Status der Angehörigen der Mitgliedstaaten zu sein, der es denjenigen unter ihnen, die sich in der gleichen Situation befinden, erlaubt, unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit und unbeschadet der insoweit ausdrücklich vorgesehenen Ausnahmen die gleiche rechtliche Behandlung zu genießen (Urteil vom 20. September 2001 in der Rechtssache C-184/99, Grzelczyk, Slg. 2001, I-6193, Randnr. 31), doch folgt daraus nicht zwangsläufig, dass die vom Vertrag verliehenen Rechte nur Unionsbürgern zustünden.

75 In Randnummer 24 des Urteils Kaur führt der Gerichtshof, der auf die Bedeutung der Erklärung der Regierung des Vereinigten Königreichs zur Bestimmung des Begriffes "Staatsangehörige" für die anderen am Vertrag über den Beitritt des Königreichs Dänemark, Irlands und des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland zu den Europäischen Gemeinschaften beteiligten Parteien hinweist, insoweit aus, dass diese Erklärung die Bestimmung des persönlichen Geltungsbereichs der Gemeinschaftsbestimmungen, die Gegenstand dieses Vertrages seien, ermögliche. Liest man diesen Satz in seinem Zusammenhang und insbesondere in Verbindung mit Randnummer 22 des genannten Urteils, wo der Gerichtshof darauf hinweist, dass das Vereinigte Königreich den anderen Vertragsparteien durch die Erklärung von 1972 mitgeteilt habe, welche Kategorien von Bürgern als seine Staatsangehörigen im Sinne des Gemeinschaftsrechts anzusehen seien, so bezieht er sich auf den Anwendungsbereich der Vorschriften des EG-Vertrags, in denen auf den Begriff "Staatsangehöriger" Bezug genommen wird - darunter die Vorschriften über die Freizügigkeit, um die es in dem genannten Urteil ging -, und nicht, wie das Königreich Spanien geltend macht, auf die Gesamtheit der Vorschriften des Vertrages.

76 Artikel 19 Absatz 2 EG, auf den sich das Königreich Spanien ebenfalls zur Stützung seiner Ansicht beruft, dass eine Verbindung zwischen der Unionsbürgerschaft und dem aktiven und passiven Wahlrecht für die Wahlen zum Europäischen Parlament bestehe, beschränkt sich, wie in Randnummer 66 des vorliegenden Urteils ausgeführt, darauf, die Regel aufzustellen, dass Unionsbürger mit Wohnsitz in einem Mitgliedstaat in Bezug auf das genannte aktive und passive Wahlrecht gleichzubehandeln sind. Diese Vorschrift impliziert zwar ebenso wie Artikel 19 Absatz 1 EG über das aktive und passive Wahlrecht der Unionsbürger bei den Kommunalwahlen, dass Staatsangehörige eines Mitgliedstaats in ihrem eigenen Land das aktive und passive Wahlrecht haben, und verlangt von den Mitgliedstaaten, diese Rechte auch in ihrem Hoheitsgebiet ansässigen Unionsbürgern zu gewähren, daraus lässt sich jedoch nicht ableiten, dass ein Mitgliedstaat in der Lage des Vereinigten Königreichs nicht das aktive und passive Wahlrecht bestimmten Personen zuerkennen könnte, die eine enge Verbindung mit ihm aufweisen, ohne jedoch Staatsangehörige des Vereinigten Königreichs oder eines anderen Mitgliedstaats zu sein.

77 Da im Übrigen die Zahl der in den einzelnen Mitgliedstaaten gewählten Vertreter in Artikel 190 Absatz 2 EG festgelegt ist und die Wahlen zum Europäischen Parlament beim derzeitigen Stand des Gemeinschaftsrechts in jedem Mitgliedstaat für die in diesem Staat gewählten Vertreter durchgeführt werden, wirkt sich eine von einem Mitgliedstaat vorgenommene Ausweitung des Wahlrechts bei diesen Wahlen auf andere Personen als seine eigenen Staatsangehörigen oder in seinem Hoheitsgebiet ansässige Unionsbürger nur auf die Wahl der in diesem Mitgliedstaat gewählten Vertreter aus, nicht jedoch auf die Wahl oder die Zahl der in den anderen Mitgliedstaaten gewählten Vertreter.

78 Aus alledem ergibt sich, dass beim derzeitigen Stand des Gemeinschaftsrechts die einzelnen Mitgliedstaaten dafür zuständig sind, unter Beachtung des Gemeinschaftsrechts die Personen zu bestimmen, die das aktive und passive Wahlrecht für die Wahlen zum Europäischen Parlament haben, und dass es nicht gegen die Artikel 189 EG, 190 EG, 17 EG und 19 EG verstößt, wenn die Mitgliedstaaten dieses aktive und passive Wahlrecht bestimmten Personen zuerkennen, die enge Verbindungen mit ihnen aufweisen, ohne eigene Staatsangehörige oder in ihrem Hoheitsgebiet ansässige Unionsbürger zu sein.

79 Aus mit seiner Verfassungstradition zusammenhängenden Gründen hat das Vereinigte Königreich entschieden, QCC, die Voraussetzungen erfüllen, aus denen sich eine besondere Verbindung mit dem Gebiet ergibt, für das die Wahlen durchgeführt werden, das aktive und passive Wahlrecht zu gewähren. Da die Gemeinschaftsverträge keine Vorschriften enthalten, die ausdrücklich und genau angeben, wer bei den Wahlen zum Europäischen Parlament das aktive und passive Wahlrecht hat, verstößt die Entscheidung des Vereinigten Königreichs, auf die Wahlen zum Europäischen Parlament in Gibraltar die Voraussetzungen für das aktive und passive Wahlrecht zu übertragen, die nach seinem nationalen Recht sowohl für die nationalen Wahlen im Vereinigten Königreich als auch für die Wahlen des House of Assembly von Gibraltar gelten, nicht gegen das Gemeinschaftsrecht.

80 Aus all diesen Gründen ist festzustellen, dass das Königreich Spanien nicht dargetan hat, dass das Vereinigte Königreich durch den Erlass des EPRA 2003, der für Gibraltar bestimmt, dass QCC mit Wohnsitz in Gibraltar, die keine Gemeinschaftsangehörigen sind, das aktive und passive Wahlrecht für die Wahlen zum Europäischen Parlament haben, gegen die Artikel 189 EG, 190 EG, 17 EG und 19 EG verstoßen hat.

Zum zweiten Klagegrund: Verstoß gegen den Akt von 1976 und die von der Regierung des Vereinigten Königreichs in deren Erklärung vom 18. Februar 2002 eingegangenen Verpflichtungen

81 Das Königreich Spanien macht geltend, dass das Vereinigte Königreich dadurch gegen Anhang I des Aktes von 1976 und seine Erklärung vom 18. Februar 2002 verstoßen habe, dass es sich nicht darauf beschränkt habe, durch den EPRA 2003 die Wähler mit Wohnsitz in Gibraltar entsprechend seiner Erklärung von 1982 als britische Staatsangehörige einem britischen Wahlbezirk zuzuordnen, sondern das Gebiet Gibraltars einem in England oder Wales bestehenden Wahlbezirk angegliedert habe.

82 Das Königreich Spanien weist auf den Status von Gibraltar hin, wie er in Artikel X des Vertrages von Utrecht festgelegt worden sei, und insbesondere auf das ihm im letzten Satz dieses Artikels zuerkannte Präferenzrecht. Es führt aus, dass das Vereinigte Königreich Gibraltar im Jahre 1830 in den Rang einer Crown Colony erhoben habe und dass Gibraltar bei der Gründung der Vereinten Nationen im Jahre 1946 als "Hoheitsgebiet ohne Selbstregierung" im Sinne von Kapitel XI der Charta der Vereinten Nationen eingetragen worden sei. Es weist außerdem auf die zwischen ihm und dem Vereinigten Königreich laufenden Verhandlungen über die Dekolonisierung Gibraltars hin.

83 Nach der Resolution 2625 (XXV) der Generalversammlung der Vereinten Nationen vom 24. Oktober 1970 müsse das Gebiet einer Kolonie einen vom Hoheitsgebiet des Staates, von dem es verwaltet wird, deutlich getrennten und verschiedenen Status besitzen. Anhang I des Aktes von 1976 stelle eine Anwendung dieses Grundsatzes dar. Der EPRA 2003 verkenne jedoch den internationalen Status Gibraltars und verstoße gegen Anhang I des Aktes von 1976, da er eine Regelung über das Gebiet Gibraltars enthalte. In der mündlichen Verhandlung hat der Vertreter des Königreichs Spanien erklärt, Gibraltar sei eine Kolonie und die Zuerkennung eines eigenen Wahlgebiets sei ein Schritt in Richtung Unabhängigkeit, der gegen die für diese Kolonie geltenden internationalen Regeln verstoße.

84 Das Königreich Spanien ist der Ansicht, dass zwar Section 9 des EPRA 2003 dadurch, dass er eine Angliederung Gibraltars an einen Wahlbezirk in England oder Wales vorsehe, nicht zwangsläufig gegen Anhang I des Aktes von 1976 verstoße, dass dies jedoch nicht auf andere Vorschriften dieses Gesetzes zutreffe, die nur Gibraltar beträfen. So sehe Section 14 vor, dass in Gibraltar unter der Verantwortung des Clerk of the House of Assembly von Gibraltar und nicht der eines Bevollmächtigten der britischen Krone ein Wählerverzeichnis geführt werde. Außerdem knüpfe der Anspruch auf Aufnahme in dieses Verzeichnis für Gibraltar an das Gebiet Gibraltars an, und das aktive Wahlrecht sei in Gibraltar auszuüben. Für Rechtsstreitigkeiten im Zusammenhang mit Wahlen seien die örtlichen Gerichte in Gibraltar zuständig. Schließlich definiere Section 28 (2) seinen örtlichen Anwendungsbereich als das Vereinigte Königreich und Gibraltar. Die Vorschriften über die Wahlen zum Europäischen Parlament würden somit auf Gibraltar örtlich angewandt, obwohl dieses nicht unter den Akt von 1976 falle.

85 Da der EPRA 2003 gegen Anhang I des Aktes von 1976 verstoße, habe das Vereinigte Königreich seiner Erklärung vom 18. Februar 2002 zuwidergehandelt, einer einseitigen Erklärung, die eine völkerrechtliche Verpflichtung des Vereinigten Königreichs gegenüber dem Königreich Spanien begründet habe und in der sich das Vereinigte Königreich verpflichtet habe, zur Befolgung des Urteils Matthews/Vereinigtes Königreich die notwendigen Änderungen vorzunehmen, damit die Wähler in Gibraltar im Einklang mit dem Gemeinschaftsrecht bei den Wahlen zum Europäischen Parlament als zu einem Wahlbezirk des Vereinigten Königreichs gehörende Gruppe wählen können. Nach Ansicht des Königreichs Spanien hätte es genügt, wenn das Vereinigte Königreich die Wähler in Gibraltar in einen Wahlbezirk in Großbritannien einbezogen hätte, ohne auf das Gebiet Gibraltars Bezug zu nehmen.

86 Das Vereinigte Königreich weist, unterstützt durch die Kommission, darauf hin, dass Anhang I des Aktes von 1976 so weit wie möglich im Licht der Grundrechte und im Einklang mit diesen und insbesondere mit dem in Artikel 3 des Protokolls Nr. 1 zur EMRK niedergelegten Recht auf Teilnahme an Wahlen in der Auslegung durch den EGMR im Urteil Matthews/Vereinigtes Königreich ausgelegt werden müsse. Um seiner Verpflichtung nach der EMRK in der Auslegung durch dieses Urteil nachzukommen und da das Königreich Spanien eine Aufhebung des Anhangs I des Aktes von 1976 abgelehnt habe, habe sich das Vereinigte Königreich mit seiner Erklärung vom 18. Februar 2002 verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass die notwendigen Änderungen vorgenommen würden, um es den Wählern Gibraltars zu ermöglichen, bei den Wahlen zum Europäischen Parlament zu den Bedingungen zu wählen, die für die Wähler eines im Vereinigten Königreich bestehenden Wahlbezirks gälten.

87 Das Vereinigte Königreich ist der Auffassung, dass es nicht gegen seine Verpflichtung verstoßen habe. Gibraltar sei nach einer öffentlichen Anhörung entsprechend der Empfehlung der Wahlkommission dem Wahlbezirk Südwest-England angegliedert worden. Die Voraussetzungen für das aktive Wahlrecht seien dieselben wie die im Wahlgesetz des Vereinigten Königreichs vorgesehenen, nämlich die der Bürgerschaft, des Wohnsitzes und der Eintragung in das Wählerverzeichnis. Diese Voraussetzungen seien lediglich mutatis mutandis für die Wähler in Gibraltar angepasst worden.

88 Die verwendete Technik sei, soweit sie insbesondere hinsichtlich des Wohnorts des Wählers auf das Gebiet Gibraltars Bezug nehme, dem britischen Wahlsystem inhärent und führe nicht dazu, dass Gibraltar als Teil des Vereinigten Königreichs angesehen würde. Die Wahlvorgänge fänden in Gibraltar statt, und das Wählerverzeichnis werde dort geführt, um es den Wählern Gibraltars zu ermöglichen, ihre Rechte unter denselben Bedingungen auszuüben wie die übrigen Wähler des Wahlbezirks Südwest-England, nämlich in der Nähe ihres Wohnorts.

89 Die Kommission macht schließlich geltend, dass die Behörden Gibraltars nur einen geringen Ermessensspielraum hätten und dass der EPRA 2003 Garantien vorsehe, die eine hinreichende Kontrolle durch die britischen Behörden gewährleisteten.

Würdigung durch den Gerichtshof

90 Wie in Randnummer 60 des vorliegenden Urteils ausgeführt, hat das Vereinigte Königreich die vom Königreich Spanien beanstandeten Vorschriften erlassen, um dem Urteil Matthews/Vereinigtes Königreich des EGMR nachzukommen. Das Königreich Spanien bestreitet insoweit nicht, dass das Vereinigte Königreich dieser Verpflichtung trotz der Beibehaltung des Anhangs I des Aktes von 1976 nachkommen musste. Wie in Randnummer 62 des vorliegenden Urteils dargelegt, bestreitet das Königreich Spanien außerdem nicht, dass die Erklärung des Vereinigten Königreichs vom 18. Februar 2002 Ausdruck eines zwischen ihm und dem Vereinigten Königreich geschlossenen Abkommens über die Bedingungen der Umsetzung dieses Urteils durch das Vereinigte Königreich ist. Wie aus Randnummer 13 des vorliegenden Urteils hervorgeht, haben auch der Rat und die Kommission von dieser Erklärung Kenntnis genommen.

91 In dieser Erklärung hat sich das Vereinigte Königreich verpflichtet, dafür zu sorgen, "dass die notwendigen Änderungen vorgenommen werden, um den Wählern Gibraltars die Teilnahme an den Wahlen zum Europäischen Parlament als Teil der Wähler eines bestehenden Wahlbezirks des Vereinigten Königreichs und zu den für diese geltenden Bedingungen zu ermöglichen".

92 Wie das Vereinigte Königreich und die Kommission zu Recht geltend machen, kann der Ausdruck "zu den für [die Wähler eines bestehenden Wahlbezirks des Vereinigten Königreichs] geltenden Bedingungen" nicht in dem Sinne verstanden werden, dass die Vorschriften des Vereinigten Königreichs ohne vorherige Anpassung auf die Wähler in Gibraltar anwendbar wären, weil diese mit den Wählern des Wahlbezirks des Vereinigten Königreichs, dem sie angegliedert wurden, gleichgesetzt würden. Dafür wäre es nämlich erforderlich, dass das aktive und passive Wahlrecht in Bezug auf das Gebiet des Vereinigten Königreichs bestimmt wird, dass die Wähler sich in das Vereinigte Königreich begeben, um Einblick in das Wählerverzeichnis zu erhalten, dass sie im Vereinigten Königreich oder per Briefwahl wählen und dass sie sich bei Rechtsstreitigkeiten im Zusammenhang mit Wahlen an die Gerichte des Vereinigten Königreichs wenden.

93 Das Vereinigte Königreich hat seine Vorschriften im Gegenteil auf Gibraltar übertragen und mutatis mutandis für dieses Gebiet angepasst, um der Anforderung hinsichtlich der "für [die Wähler eines bestehenden Wahlbezirks des Vereinigten Königreichs] geltenden Bedingungen" nachzukommen. Ein Wähler Gibraltars befindet sich somit in einer Lage, die der eines Wählers des Vereinigten Königreichs entspricht, und ist keinen mit dem Status Gibraltars zusammenhängenden Schwierigkeiten ausgesetzt, die es ihm unmöglich machen oder ihn davon abhalten könnten, dieses Wahlrecht auszuüben.

94 In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass sich aus § 63 des Urteils Matthews/Vereinigtes Königreich ergibt, dass die Vertragsstaaten bei der Festlegung von Bedingungen im Zusammenhang mit dem Wahlrecht über ein weites Ermessen verfügen. Diese Bedingungen dürfen die betreffenden Rechte jedoch nicht dergestalt schmälern, dass sie in ihrem Wesen beeinträchtigt werden und ihre Wirksamkeit verlieren. Sie müssen einen legitimen Zweck verfolgen, und die eingesetzten Mittel dürfen nicht unverhältnismäßig sein (vgl. auch EGMR-Urteile Mathieu-Mohin und Clerfayt/Belgien vom 2. März 1987, Serie A, Nr. 113, § 52, und Melnitchenko/Ukraine vom 19. Oktober 2004, Reports of judgements and decisions 2004-X, § 54).

95 Angesichts dieser Rechtsprechung des EGMR und des Umstands, dass die Unterlassung der Durchführung von Wahlen zum Europäischen Parlament in Gibraltar nach dieser Rechtsprechung gegen Artikel 3 des Protokolls Nr. 1 zur EMRK verstößt, da dadurch "der Klägerin als Bewohnerin von Gibraltar" jede Möglichkeit genommen worden sei, bei der Wahl der Mitglieder des Europäischen Parlaments ihre Meinung zum Ausdruck zu bringen, kann dem Vereinigten Königreich nicht vorgeworfen werden, dass es die erforderlichen Vorschriften erlassen hat, damit solche Wahlen unter Bedingungen durchgeführt werden können, die mutatis mutandis den Bedingungen entsprechen, die in den für das Vereinigte Königreich geltenden Vorschriften vorgesehen sind.

96 Gegen die mutatis mutandis erfolgte Übertragung der Vorschriften des Vereinigten Königreichs auf das Gebiet Gibraltars lässt sich umso weniger einwenden, als sich für den EGMR, wie aus § 59 des Urteils Matthews/Vereinigtes Königreich hervorgeht, aus dem Status Gibraltars keine örtlichen Notwendigkeiten ergaben, die im Sinne von Artikel 56 Absatz 3 der EMRK für die Anwendung dieser Konvention auf ein Gebiet, für dessen internationale Beziehungen ein Vertragsstaat verantwortlich ist, zu berücksichtigen wären.

97 Aus allen diesen Gründen ist festzustellen, dass auch der zweite Klagegrund des Königreichs Spanien unbegründet ist.

Kostenentscheidung:

Kosten

98 Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da das Vereinigte Königreich die Verurteilung des Königreichs Spanien beantragt hat und dieses mit seinem Vorbringen unterlegen ist, sind ihm die Kosten aufzuerlegen. Nach Artikel 69 § 4 Absatz 1 trägt die Kommission, die dem Rechtsstreit als Streithelferin beigetreten ist, ihre eigenen Kosten.

Tenor:

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Große Kammer) für Recht erkannt und entschieden:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Das Königreich Spanien trägt die Kosten des Verfahrens.

3. Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften trägt ihre eigenen Kosten.

Ende der Entscheidung

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