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Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 05.02.1991
Aktenzeichen: C-15/89
Rechtsgebiete: EWG-Vertrag, Richtlinie 69/335/EWG vom 17.06.1969


Vorschriften:

EWG-Vertrag Art. 177
Richtlinie 69/335/EWG vom 17.06.1969 Art. 4 Abs. 2 b
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Gleicht eine Muttergesellschaft Passivposten einer Tochtergesellschaft durch vollständigen oder teilweisen Verzicht auf eine Forderung gegen diese Tochtergesellschaft aus, so lässt Artikel 4 Absatz 2 Buchstabe b der Richtlinie 69/335 betreffend die indirekten Steuern auf die Ansammlung von Kapital die Erhebung von Gesellschaftsteuer zu.

Ein derartiger Verzicht durch die Übernahme aller Verluste der Tochtergesellschaft oder eines Teils davon stellt nämlich eine Leistung dar, durch die das Gesellschaftsvermögen erhöht wird und die geeignet ist, den Wert der Gesellschaftsanteile zu erhöhen, indem sie zur Verstärkung des Wirtschaftspotentials der Gesellschaft beiträgt.


URTEIL DES GERICHTSHOFES (FUENFTE KAMMER) VOM 5. FEBRUAR 1991. - DELTAKABEL BV GEGEN STAATSSECRETARIS VAN FINANCIEN. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: HOGE RAAD - NIEDERLANDE. - ANSAMMLUNG VON KAPITAL - GESELLSCHAFTSTEUER - VERZICHT AUF EINE KONTOKORRENTFORDERUNG. - RECHTSSACHE C-15/89.

Entscheidungsgründe:

1 Der Hoge Raad der Nederlanden hat mit Urteil vom 14. Dezember 1988, beim Gerichtshof eingegangen am 23. Januar 1989, gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag eine Frage nach der Auslegung von Artikel 4 Absatz 2 Buchstabe b der Richtlinie 69/335/EWG des Rates vom 17. Juli 1969 betreffend die indirekten Steuern auf die Ansammlung von Kapital (ABl. L 249, S. 25) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Frage stellt sich in einem Rechtsstreit zwischen der Deltakabel BV und dem Staatssecretaris van Financiën über die Erhebung von Kapitalsteuer wegen des Verzichts der Deltavisie BV auf ihre Kontokorrentforderung gegen die Firma Deltakabel.

3 Gesellschaftszweck der am 28. Dezember 1972 gegründeten Firma Deltakabel sind die Entwicklung, die Herstellung und die Nutzung von Massenkommunikationsmitteln. Bis zum 1. Januar 1981 waren alle ihre Anteile im Besitz der Holdinggesellschaft Deltavisie. Die beiden Gesellschaften, deren Geschäftsführungsorgane aus denselben Personen bestanden, wurden für die Erhebung der Gesellschaftsteuer als eine Einheit betrachtet. Bis 1980 finanzierte die Firma Deltavisie die Verluste der Firma Deltakabel im Rahmen eines Kontokorrentverhältnisses.

4 Am 1. Januar 1981 verkaufte die Firma Deltavisie ihre Anteile an der Firma Deltakabel an die zu derselben Gruppe gehörende BV Beleggingsmaatschappij Mastbos. Im Zusammenhang damit verzichtete die Firma Deltavisie am 31. Dezember 1980 auf einen Teil ihrer Forderung gegen die Firma Deltakabel. Deren Eigenvermögen belief sich daraufhin auf 1 HFL, und zu diesem Preis wurden die Anteile von der Firma Deltavisie verkauft.

5 Ausweislich des Vorlageurteils forderte die niederländische Steuerverwaltung von der Firma Deltakabel mit Nacherhebungsbescheid vom 4. April 1984 Gesellschaftsteuer in Höhe von 172 766 HFL und einen Zuschlag, der sich nach einem Erlaß auf 25 % der nacherhobenen Steuer belief. Nach ihrer Ansicht war der Verzicht der Firma Deltavisie auf ihre Forderung gegen die Firma Deltakabel ein Vorgang, der unter Artikel 34 Buchstabe c der Wet op belastingen van Rechtsverkeer (Gesetz über die Besteuerung von Rechtsgeschäften) fiel. Nach dieser Bestimmung unterliegt der Gesellschaftsteuer die "Kapitaleinbringung eines Anteilseigners oder eines Inhabers von Genußscheinen, Gründeranteilen und dergleichen, ohne ausdrückliche Zuerkennung der in Buchstabe b genannten Rechte". Artikel 34 Buchstabe b betrifft die "Ansammlung von Kapital unter Zuerkennung von Genußscheinen, Gründeranteilen und dergleichen, die Anspruch auf einen Gewinnanteil oder auf den bei der Auflösung und Liquidation vorhandenen Überschuß verleihen".

6 Mit diesem Gesetz wird in den Niederlanden Artikel 4 Absatz 2 Buchstabe b der erwähnten Richtlinie 69/335 des Rates durchgeführt. Nach dieser Bestimmung kann der Gesellschaftsteuer unterworfen werden "die Erhöhung des Gesellschaftsvermögens einer Kapitalgesellschaft durch Leistungen eines Gesellschafters, die keine Erhöhung des Kapitals mit sich bringen, sondern ihren Gegenwert in einer Änderung der Gesellschaftsrechte finden oder geeignet sind, den Wert der Gesellschaftsanteile zu erhöhen".

7 Da die Steuerbehörden den Nacherhebungsbescheid vom 4. April 1984 aufrechterhielten, erhob die Firma Deltakabel Klage beim Gerechtshof Den Haag. Sie machte geltend, da die beiden Gesellschaften für die Erhebung der Gesellschaftsteuer als eine Einheit angesehen worden seien, sei die Forderung der Firma Deltavisie keine echte Forderung gewesen, sondern nur ein Rechnungsposten, der die Gesamtsumme der bereits an die Firma Deltakabel zum Ausgleich ihrer Verluste gezahlten Beträge angegeben habe. Der Gerechtshof verwarf diesen Standpunkt in seinem Urteil vom 17. März 1987. Er begründete dies damit, daß die beiden Gesellschaften rechtlich selbständig gewesen seien und ausweislich des Jahresabschlusses ihre Vermögen getrennt verwaltet hätten. Der Gerechtshof hob den streitigen Bescheid trotzdem auf, jedoch nur in bezug auf den Zuschlag zur Gesellschaftsteuer. Die Firma Deltakabel legte daraufhin Kassationsbeschwerde beim Hoge Raad der Nederlanden ein. Dieser hielt die Beurteilung des Gerechtshof hinsichtlich des tatsächlichen Bestehens der Forderung für ausreichend begründet und demgemäß für unangreifbar.

8 Der Hoge Raad bezweifelt jedoch, ob der Verzicht der Firma Deltavisie auf ihre Forderung gegen die Firma Deltakabel geeignet war, den Wert der Gesellschaftsanteile der letztgenannten Firma zu erhöhen, wie Artikel 4 Absatz 2 Buchstabe b der Richtlinie 69/335 dies voraussetzt. Er hat deshalb das Verfahren bis zur Beantwortung folgender Vorlagefrage durch den Gerichtshof ausgesetzt:

"Wenn eine Muttergesellschaft Passivposten einer Tochtergesellschaft durch vollständigen oder teilweisen Verzicht auf eine Forderung gegen diese Tochtergesellschaft ausgleicht, lässt dann Artikel 4 Absatz 2 Buchstabe b der Richtlinie 69/335/EWG vom 17. Juli 1969 - insbesondere aufgrund der Voraussetzung, daß der Verzicht den Wert der Gesellschaftsanteile erhöhen kann - die Erhebung von Gesellschaftsteuer zu?"

9 Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts des Ausgangsverfahrens, des Verfahrensablaufs und der beim Gerichtshof eingereichten schriftlichen Erklärungen wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt wird im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

10 Ob der Verzicht der Muttergesellschaft auf eine Forderung gegen ihre Tochtergesellschaft unter Artikel 4 Absatz 2 Buchstabe b der Richtlinie 69/335 fällt, hängt davon ab, ob dieser Vorgang das Gesellschaftsvermögen der Tochtergesellschaft erhöht und ob er geeignet ist, den Wert ihrer Gesellschaftsanteile zu erhöhen.

11 Was die erste Voraussetzung - die Erhöhung des Gesellschaftsvermögens - angeht, so hat der Gerichtshof in seinem Urteil vom 28. März 1990 in der Rechtssache C-38/88 (Siegen, Slg. 1990, I-1447) ausgeführt, daß, "wenn eine Gesellschaft mit Verlust abgeschlossen hat und einer ihrer Gesellschafter sich zur Übernahme dieses Verlustes bereit erklärt,... er dadurch eine Leistung ((erbringt)), durch die das Gesellschaftsvermögen erhöht wird. Er bringt dieses nämlich wieder auf einen Stand, den es vor Eintritt des Verlustes erreicht hatte."

12 Das gleiche gilt, wenn ein Gesellschafter auf eine Forderung gegen seine Gesellschaft verzichtet, die aus der Zahlung von Beträgen stammt, die zum Ausgleich der Verluste dieser Gesellschaft bestimmt waren. Ein derartiger Vorgang kommt nämlich der Übernahme aller Verluste der Gesellschaft oder eines Teiles davon gleich.

13 Hinsichtlich der zweiten Voraussetzung - der Erhöhung des Wertes der Gesellschaftsanteile - ist auf das Urteil vom 15. Juli 1982 in der Rechtssache 270/81 (Felicitas, Slg. 1982, 2771) zu verweisen, in dem der Gerichtshof ausgeführt hat, daß "nach den Grundsätzen, auf denen die harmonisierte Gesellschaftsteuer beruht, dieser Steuer nur solche Vorgänge unterworfen sein sollen, die der rechtliche Ausdruck einer Ansammlung von Kapital sind, und zwar nur insoweit, als sie zur Verstärkung des Wirtschaftspotentials der Gesellschaft beitragen"; dieses letztgenannte Kriterium ist entnommen den Begründungserwägungen der Richtlinie 74/553/EWG des Rates vom 7. November 1974 zur Änderung von Artikel 5 Absatz 2 der Richtlinie 69/335/EWG betreffend die indirekten Steuern auf die Ansammlung von Kapital (ABl. L 303, S. 9).

14 Daraus ergibt sich, daß das ausschlaggebende Kriterium dafür, ob ein Vorgang, bei dem Kapital angesammelt wird, der Gesellschaftsteuer unterworfen werden kann, darin besteht, daß das Wirtschaftspotential der begünstigten Gesellschaft verstärkt wird. Im vorliegenden Fall hat der Schulderlaß seitens des Gesellschafters zur Verstärkung des Wirtschaftspotentials der Gesellschaft beigetragen, da sich der Verlust dieser Gesellschaft dadurch verringerte. Dieser Erlaß ist demnach als im Sinne von Artikel 4 Absatz 2 Buchstabe b der Richtlinie 69/335 geeignet anzusehen, den Wert der Gesellschaftsanteile zu erhöhen.

15 Somit ist auf die Frage des vorlegenden Gerichts zu antworten, daß, wenn eine Muttergesellschaft Passivposten einer Tochtergesellschaft durch vollständigen oder teilweisen Verzicht auf eine Forderung gegen diese Tochtergesellschaft ausgleicht, Artikel 4 Absatz 2 Buchstabe b der Richtlinie 69/335 die Erhebung von Gesellschaftsteuer zulässt.

Kostenentscheidung:

Kosten

16 Die Auslagen der niederländischen Regierung und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die Erklärungen beim Gerichtshof eingereicht haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)

auf die ihm vom Hoge Raad der Nederlanden mit Urteil vom 14. Dezember 1988 vorgelegte Frage für Recht erkannt:

Gleicht eine Muttergesellschaft Passivposten einer Tochtergesellschaft durch vollständigen oder teilweisen Verzicht auf eine Forderung gegen diese Tochtergesellschaft aus, so lässt Artikel 4 Absatz 2 Buchstabe b der Richtlinie 69/335/EWG des Rates vom 17. Juli 1969 betreffend die indirekten Steuern auf die Ansammlung von Kapital die Erhebung von Gesellschaftsteuer zu.

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