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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 29.04.2004
Aktenzeichen: C-150/00
Rechtsgebiete: EGV, Richtlinie 65/65/EWG des Rates vom 26. Januar 1965 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über Arzneimittel in der Fassung der Richtlinie 93/39/EWG des Rates vom 14. Juni 1993


Vorschriften:

EGV Art. 28
Richtlinie 65/65/EWG des Rates vom 26. Januar 1965 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über Arzneimittel in der Fassung der Richtlinie 93/39/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 Art. 3 Abs. 1
Richtlinie 65/65/EWG des Rates vom 26. Januar 1965 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über Arzneimittel in der Fassung der Richtlinie 93/39/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 Art. 5
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Urteil des Gerichtshofes (Sechste Kammer) vom 29. April 2004. - Kommission der Europäischen Gemeinschaften gegen Republik Österreich. - Vertragsverletzungsklage - Artikel 28 EG und 30 EG - Richtlinie 65/65/EWG - Lebensmittelzubereitungen, die die Vitamine A, D oder K oder Mineralstoffe der Gruppe Chromate enthalten oder deren Gehalt an anderen Vitaminen oder Mineralstoffen eine Tagesdosis übersteigt - Präparate, die im Ausfuhrmitgliedstaat rechtmäßig als Nahrungsergänzungsmittel in den Verkehr gebracht werden - Präparate, die im Einfuhrmitgliedstaat als Arzneimittel eingestuft werden - Begriff des 'Arzneimittels' - Behinderung - Rechtfertigung - Gesundheit der Bevölkerung - Verhältnismäßigkeit. - Rechtssache C-150/00.

Parteien:

In der Rechtssache C-150/00

Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch J. C. Schieferer als Bevollmächtigten, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Klägerin,

gegen

Republik Österreich, vertreten zunächst durch H. Dossi, dann durch C. Pesendorfer als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Beklagte,

unterstützt durch

Königreich Dänemark, vertreten durch J. Molde als Bevollmächtigten, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

und

Republik Finnland, vertreten durch T. Pynnä und E. Bygglin als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Streithelfer,

wegen Feststellung, dass die Republik Österreich dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 28 EG verstoßen hat, dass sie Vitamin- und Mineralstoffpräparate bei Überschreiten der einfachen Tagesdosis oder, wenn sie die Vitamine A, D oder K oder Mineralstoffe der Gruppe Chromate enthalten, generell als Arzneimittel einstuft, ohne darzulegen, dass wegen der erhöhten Vitaminzufuhr oder wegen des Vitamin- oder Mineralstoffgehalts ein ernstes Gesundheitsrisiko besteht,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten V. Skouris in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Sechsten Kammer, der Richter C. Gulmann und J. N. Cunha Rodrigues sowie der Richterinnen F. Macken (Berichterstatterin) und N. Colneric,

Generalanwalt: L. A. Geelhoed,

Kanzler: M.-F. Contet, Hauptverwaltungsrätin,

aufgrund des Sitzungsberichts,

nach Anhörung der Verfahrensbeteiligten in der Sitzung vom 7. März 2002,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom

16. Mai 2002,

folgendes

Urteil

Entscheidungsgründe:

1. Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat mit Klageschrift, die am 19. April 2000 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, nach Artikel 226 EG Klage auf Feststellung erhoben, dass die Republik Österreich dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 28 EG verstoßen hat, dass sie Vitamin- und Mineralstoffpräparate bei Überschreiten der einfachen Tagesdosis oder, wenn sie die Vitamine A, D oder K oder Mineralstoffe der Gruppe Chromate enthalten, generell als Arzneimittel einstuft, ohne darzulegen, dass wegen der erhöhten Vitaminzufuhr oder wegen des Vitamin- oder Mineralstoffgehalts ein ernstes Gesundheitsrisiko besteht.

Rechtlicher Rahmen

Gemeinschaftsrecht

2. Nach Artikel 1 Nummer 2 Unterabsatz 1 der Richtlinie 65/65/EWG des Rates vom 26. Januar 1965 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über Arzneimittel (ABl. Nr. 22, S. 369) in der Fassung der Richtlinie 93/39/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 (ABl. L 214, S. 22, im Folgenden: Richtlinie 65/65) sind Arzneimittel alle Stoffe oder Stoffzusammensetzungen, die als Mittel zur Heilung oder zur Verhütung menschlicher oder tierischer Krankheiten bezeichnet werden (Arzneimittel nach der Bezeichnung). Nach Unterabsatz 2 dieser Bestimmung gelten ebenfalls als Arzneimittel alle Stoffe oder Stoffzusammensetzungen, die dazu bestimmt sind, im oder am menschlichen oder tierischen Körper zur Erstellung einer ärztlichen Diagnose oder zur Wiederherstellung, Besserung oder Beeinflussung der menschlichen oder tierischen Körperfunktionen angewandt zu werden (Arzneimittel nach der Funktion).

3. Artikel 3 Absatz 1 der Richtlinie 65/65 bestimmt:

Ein Arzneimittel darf in einem Mitgliedstaat erst dann in den Verkehr gebracht werden, wenn von der zuständigen Behörde dieses Mitgliedstaats nach dieser Richtlinie eine Genehmigung für das Inverkehrbringen erteilt wurde oder wenn eine Genehmigung für das Inverkehrbringen nach der Verordnung (EWG) Nr. 2309/93 des Rates vom 22. Juli 1993 zur Festlegung von Gemeinschaftsverfahren für die Genehmigung und Überwachung von Human- und Tierarzneimitteln und zur Schaffung einer Europäischen Agentur für die Beurteilung von Arzneimitteln [ABl. L 214, S. 1] erteilt wurde.

4. Artikel 4 Absatz 3 der Richtlinie 65/65 legt fest, welche Angaben und Unterlagen dem Antrag auf Erteilung einer Genehmigung für das Inverkehrbringen beizufügen sind.

5. Artikel 5 der Richtlinie 65/65 lautet:

Die Genehmigung nach Artikel 3 wird versagt, wenn sich nach Prüfung der in Artikel 4 aufgeführten Angaben und Unterlagen ergibt, entweder dass das Arzneimittel bei bestimmungsgemäßem Gebrauch schädlich ist oder dass seine therapeutische Wirksamkeit fehlt oder vom Antragsteller unzureichend begründet ist oder dass das Arzneimittel nicht die angegebene Zusammensetzung nach Art und Menge aufweist.

Die Genehmigung wird auch dann versagt, wenn die Angaben und Unterlagen zur Stützung des Antrags nicht den Bestimmungen des Artikels 4 entsprechen.

6. Es ist unstreitig, dass es zu dem für die vorliegende Klage maßgebenden Zeitpunkt, nämlich am Ende der in der mit Gründen versehenen Stellungnahme vom 3. September 1999 festgesetzten Frist von zwei Monaten, im Gemeinschaftsrecht keine Vorschriften gab, die die Voraussetzungen regelten, unter denen Lebensmitteln des gängigen Verbrauchs Nährstoffe wie Vitamine und Mineralstoffe zugesetzt werden dürfen.

7. Hingegen waren mehrere für eine besondere Ernährung bestimmte Lebensmittel Gegenstand von Richtlinien, die die Kommission auf der Grundlage der Richtlinie 89/398/EWG des Rates vom 3. Mai 1989 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Lebensmittel, die für eine besondere Ernährung bestimmt sind (ABl. L 186, S. 27), erlassen hat.

Nationales Recht

8. Im österreichischen Recht werden die für den menschlichen Verzehr bestimmten Erzeugnisse unterteilt in Lebensmittel, Verzehrprodukte (wie Nahrungsergänzungsmittel) und Arzneimittel. Nach § 3 des Lebensmittelgesetzes (LMG) sind Verzehrprodukte Stoffe, die dazu bestimmt sind, vom Menschen gegessen, gekaut oder getrunken zu werden, ohne überwiegend zu Ernährungs- oder Heilzwecken aufgenommen zu werden.

9. Die Prüfung, ob ein Produkt als Lebensmittel, Verzehrprodukt oder Arzneimittel anzusehen ist, erfolgt in zwei Schritten. Zunächst wird geprüft, ob das Produkt hauptsächlich zu Ernährungs- oder Genusszwecken verzehrt wird. Ist dies, wie bei Nahrungsergänzungsmitteln, nicht der Fall, ist anschließend zu prüfen, ob es sich um ein Arzneimittel handelt.

10. Nach § 18 Abs. l LMG hat vor dem Inverkehrbringen eines Verzehrprodukts eine Anmeldung bei der zuständigen Behörde zu erfolgen. Gemäß § 18 Abs. 2 LMG hat die zuständige Behörde das Inverkehrbringen einer als Verzehrprodukt angemeldeten Ware mit Bescheid unverzüglich, spätestens binnen drei Monaten, zu untersagen, wenn sie den Vorschriften des LMG nicht entspricht. Den zuständigen Behörden obliegt es, innerhalb der Frist gemäß § 18 Abs. 2 LMG ein vollständiges Verwaltungsverfahren durchzuführen. Dazu zählen die Prüfung des Antrags durch die Amtssachverständigen für Pharmazie, die mit der Abgabe eines Gutachtens endet, die Verständigung des Antragstellers vom Ergebnis mit der Möglichkeit, innerhalb einer Frist von zwei Wochen dazu Stellung zu beziehen, sowie eventuell der Erlass eines Untersagungsbescheids.

Vorgerichtliches Verfahren

11. Der Kommission gingen Beschwerden zu, wonach Verzehrprodukte mit Vitamin- oder Mineralstoffgehalt bei ihrer Einfuhr nach Österreich als Arzneimittel eingestuft würden, wenn ihr Gehalt an Vitaminen außer den Vitaminen A, D und K oder an Mineralstoffen außer solchen der Gruppe Chromate die einfache Tagesdosis überschreite. Verzehrprodukte, die die Vitamine A, D oder K oder Mineralstoffe der Gruppe Chromate enthielten, würden unabhängig davon, wie hoch ihr Gehalt an diesen Nährstoffen sei, automatisch als Arzneimittel eingestuft.

12. Da die Kommission der Auffassung war, dass diese Verwaltungspraxis (im Folgenden: österreichische Praxis) den Artikeln 30 und 36 EGVertrag (nach Änderung jetzt Artikel 28 EG und 30 EG) zuwiderlief, richtete sie am 6. November 1998 an die österreichische Regierung ein Mahnschreiben.

13. Die österreichische Regierung beantwortete das Mahnschreiben mit Schreiben vom 15. Januar und 18. Februar 1999. Sie übermittelte eine als Leitlinie bezeichnete Liste (im Folgenden: Leitlinie), nach der Präparate, die die Vitamine A, D oder K oder Mineralstoffe der Gruppe Chromate enthalten, als Arzneimittel qualifiziert werden und in der für die übrigen Vitamine und Mineralstoffe ein Hoechstwert angegeben wird, bei dessen Überschreitung ein diesen Nährstoff enthaltendes Präparat als Arzneimittel eingestuft wird. Dazu stellte die österreichische Regierung indessen klar, dass die Leitlinie keine Einstufungsvorgaben für die Amtssachverständigen enthalte, sondern nur die Erfahrungen im Zusammenhang mit der Produktqualifikation darstelle. Es handele sich um eine Leitlinie für die Anmelder der Erzeugnisse und einen Arbeitsbehelf für die zuständigen Behörden: Überschreite das in Frage stehende Produkt nicht die dort genannten Hoechstwerte, so brauche der Anmelder keine weiteren Unterlagen beizubringen. Überschreite es sie hingegen, so könne der Antragsteller die Einstufung des Produkts als Arzneimittel vermeiden, wenn er den Nachweis führe, dass von diesem kein Gesundheitsrisiko ausgehe.

14. Die in der Leitlinie aufgeführten Hoechstwerte seien für die einzelnen Vitamine und Mineralstoffe unterschiedlich. Sie entsprächen der einfachen Tagesdosis, die als Abgrenzungskriterium gewählt worden sei, um auf leicht nachvollziehbare Werte abstellen zu können. Hingegen sei für Vitamin C der Hoechstgehalt auf 100 mg festgesetzt worden, was mehr als die einfache Tagesdosis sei. Im Übrigen gelte jedes Präparat als Arzneimittel, das die Vitamine A, D oder K enthalte. Die österreichische Einstufungspraxis orientiere sich an der objektiv-arzneilichen Wirkung, besonders im therapeutischen Bereich.

15. Da die Kommission der Auffassung war, dass es sich bei der österreichischen Praxis um eine in bestimmtem Grad verfestigte und allgemeine Praxis handele und dass sie mit dem Grundsatz des freien Warenverkehrs unvereinbar sei, richtete sie am 3. September 1999 an die Republik Österreich eine mit Gründen versehene Stellungnahme mit der Aufforderung, dieser innerhalb von zwei Monaten nach ihrer Zustellung nachzukommen.

16. Mit Schreiben vom 28. Oktober 1999 antwortete die österreichische Regierung, dass die österreichische Praxis mit der Rechtsprechung des Gerichtshofes in Einklang stehe. Sie verwies nochmals darauf, dass bei der Anmeldung einer Ware als Verzehrprodukt ein vollständiges Verwaltungsverfahren durchzuführen sei. Überdies werde die Republik Österreich, um die Bedenken der Kommission endgültig zu zerstreuen, die Leitlinie als für die Einstufung nicht maßgeblich erklären.

17. Daraufhin hat die Kommission die vorliegende Klage erhoben.

18. Mit Beschluss vom 27. Oktober 2000 sind das Königreich Dänemark und die Republik Finnland als Streithelfer zur Unterstützung der Anträge der Republik Österreich zugelassen worden.

Zur Klage

Vorbringen der Verfahrensbeteiligten

19. Die Kommission ist der Auffassung, dass die österreichische Praxis, in der Vitamin- und Mineralstoffpräparate als Arzneimittel eingestuft würden, wenn ihr Gehalt an Vitaminen oder Mineralstoffen die einfache Tagesdosis überschreite oder wenn sie die Vitamine A, D oder K oder Mineralstoffe der Gruppe Chromate enthielten, dem Grundsatz des freien Warenverkehrs nach den Artikeln 28 EG und 30 EG zuwiderlaufe.

20. Sie macht unter Hinweis auf das Urteil vom 9. Mai 1985 in der Rechtssache 21/84 (Kommission/Frankreich, Slg. 1985, 1355) geltend, dass diese Praxis in hinreichendem Grad verfestigt und allgemein sei, um dem Gerichtshof die Feststellung ihrer Unvereinbarkeit mit Artikel 28 EG zu ermöglichen.

21. Nach ständiger Rechtsprechung müssten Beschränkungen des innergemeinschaftlichen Handels, die sich aus den Unterschieden der nationalen Rechtsvorschriften ergäben, hingenommen werden, soweit solche Bestimmungen notwendig seien, um den in Artikel 30 EG genannten Gründen oder zwingenden Erfordernissen gerecht zu werden. Derartige Bestimmungen seien außerdem nur zulässig, wenn sie in einem angemessenen Verhältnis zum verfolgten Zweck stuenden und wenn dieser Zweck nicht durch Maßnahmen erreicht werden könne, die den innergemeinschaftlichen Handel weniger beschränkten.

22. Der Gerichtshof habe festgestellt, dass Vitamine im Allgemeinen nicht als Medikamente angesehen werden könnten, da sie nur in kleinen Mengen eingenommen würden, dass aber Vitaminpräparate, die - im Allgemeinen in starken Dosen - zu therapeutischen Zwecken bei bestimmten Krankheiten verwendet würden, unbestreitbar Arzneimittel seien (Urteil vom 30. November 1983 in der Rechtssache 227/82, Van Bennekom, Slg. 1983, 3883, Randnrn. 26 und 27). Zwar könnten staatliche Vorschriften, die Vitaminpräparate mit hoher Konzentration als Arzneimittel einstuften, aus Gründen des Gesundheitsschutzes im Sinne von Artikel 30 EG gerechtfertigt sein, jedoch müsse der Mitgliedstaat den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachten. Dabei sei es Sache der staatlichen Stellen, in jedem Einzelfall darzutun, dass ihre Regelung erforderlich sei, um die in Artikel 30 EG genannten Interessen wirksam zu schützen, und insbesondere, dass der Vertrieb des in Frage stehenden Erzeugnisses eine ernste Gefahr für die Gesundheit darstelle (Urteil Van Bennekom, Randnr. 40).

23. Was zunächst die Vitamine außer den Vitaminen A, D und K und die nicht zur Gruppe Chromate gehörenden Mineralstoffe anbelange, so stehe die österreichische Praxis, wonach ein Verzehrprodukt, dessen Gehalt an diesen Vitaminen oder Mineralstoffen die einfache Tagesdosis überschreite, regelmäßig als Arzneimittel eingestuft werde, nicht mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Einklang, da sie nicht berücksichtige, dass der Schädlichkeitsgrad bei übermäßiger Aufnahme je nach Art der Vitamine oder Mineralstoffe unterschiedlich sei (Urteil Van Bennekom, Randnr. 36).

24. Eine weniger einschränkende Regelung bestuende darin, für jedes einzelne Vitamin oder jeden einzelnen Mineralstoff einen Grenzwert zu bestimmen, ab dem ein diesen Stoff enthaltendes Präparat als Arzneimittel eingestuft würde. Eine solche Regelung entspräche der vom Gerichtshof in Randnummer 29 des Urteils Van Bennekom formulierten Anforderung, dass die Qualifizierung eines Vitaminpräparats als Arzneimittel von Fall zu Fall unter Berücksichtigung der jeweiligen pharmakologischen Eigenschaften des einzelnen Vitamins zu erfolgen habe.

25. Gleichzeitig berücksichtige die österreichische Praxis nicht, dass es Sache des Mitgliedstaats sei, für jedes einzelne Produkt darzulegen, dass sein Vertrieb eine ernste Gefahr für die Gesundheit darstelle (Urteil Van Bennekom, Randnr. 40). Zwar habe die österreichische Regierung darauf verwiesen, dass höhere Konzentrationen zugelassen werden könnten, wenn der Anmelder nachweise, dass dies keine Gefahr für die Gesundheit darstelle. Sie habe aber keinen konkreten Fall benannt, in dem eine höhere Konzentration als die einfache Tagesdosis tatsächlich genehmigt worden sei, und auch der Kommission sei ein solcher Fall nicht bekannt. Zudem habe der Mitgliedstaat das mit einer höheren Konzentration verbundene Risiko zu belegen; es könne nicht dem Anmelder abverlangt werden, die Unschädlichkeit seines Produktes nachzuweisen.

26. Wenn die österreichische Regierung in ihrer Antwort auf die mit Gründen versehene Stellungnahme behaupte, dass die Leitlinie für die Produkteinstufung nicht maßgebend sei und keine bindende Wirkung habe, so sei dies nicht geeignet, die Bedenken gegen die österreichische Praxis zu zerstreuen. Denn zum einen sei es nicht die Existenz dieser Orientierungshilfe für die Anmelder, die den Gegenstand des Vertragsverletzungsverfahrens bilde, sondern die Art und Weise, in der die österreichischen Behörden in einer hinreichend verfestigten und allgemeinen Verwaltungspraxis Verzehrprodukte einstuften. Es sei daher unerheblich, wenn die Orientierungshilfe für nicht maßgebend erklärt werde. Selbst wenn im Übrigen die österreichische Praxis geändert worden wäre, hätte die österreichische Regierung im Einzelnen darzulegen, wie die neue Einstufungsmethode angewandt werde. Die bloße Behautpung, dass die erforderlichen Elemente nunmehr berücksichtigt würden, könne dafür nicht genügen. Die Kommission könne vom vorliegenden Vertragsverletzungsverfahren nicht Abstand nehmen, ohne über hinreichende Nachweise zu verfügen.

27. Überdies sei davon auszugehen, dass sich die österreichische Praxis nicht geändert habe. So habe der Gerichtshof im Urteil Van Bennekom entschieden, dass die Abgrenzung zwischen Lebensmitteln und Arzneimitteln anhand der pharmakologischen Eigenschaften jedes einzelnen Vitamins vorzunehmen sei. Aus der Stellungnahme der österreichischen Regierung gehe aber nicht deutlich hervor, inwieweit der von ihr gewählte Ansatz, der offensichtlich auf den ernährungsphysiologischen Tagesbedarf an Vitaminen und Mineralstoffen gestützt sei, der vom Gerichtshof gewählten Beurteilung der pharmakologischen Eigenschaften der Vitamine entspreche. Es scheine vielmehr, dass der der beanstandeten österreichischen Praxis zugrunde liegende Beurteilungsmaßstab, der sich auf ernährungsphysiologische Werte gründe, enger als der vom Gerichtshof genannte Ansatz gefasst sei.

28. Für eine mit der Rechtsprechung des Gerichtshofes vereinbare Abgrenzung von Lebensmitteln und Arzneimitteln könnten die Hoechstwerte herangezogen werden, die von wissenschaftlichen Gremien wie dem durch den Beschluss 74/234/EWG der Kommission vom 16. April 1974 (ABl. L 136, S. 1) eingerichteten Wissenschaftlichen Lebensmittelausschuss festgesetzt worden seien. Die von diesen Gremien bestimmten Hoechstwerte für Vitamine und Mineralstoffe enthielten nämlich bereits der Gefährlichkeit der einzelnen Stoffe entsprechende Sicherheitsfaktoren. Als Beispiel sei Vitamin C zu nennen, dessen einfache Tagesdosis 100 mg betrage, während der Wissenschaftliche Lebensmittelausschuss in einer Stellungnahme vom 11. Dezember 1992 zur Nährstoff- und Energiezufuhr der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft festgestellt habe, dass auch eine Einnahme von 1 000 mg keine ernsthafte Gesundheitsgefahr bedeute.

29. Was, zweitens, die Vitame A, D und K und die Mineralstoffe der Gruppe Chromate angehe, so würden Verzehrprodukte, die diese Stoffe enthielten, automatisch als Arzneimittel eingestuft. Zwar werde mit dieser Differenzierung die Aussage des Gerichtshofes berücksichtigt, dass der Schädlichkeitsgehalt von Vitamin zu Vitamin unterschiedlich sei. Dennoch sei nicht ersichtlich, welche Gründe des Gesundheitsschutzes diese Einstufung rechtfertigten.

30. Die österreichische Regierung weist zunächst darauf hin, dass es gegenwärtig im Gemeinschaftsrecht keine Harmonisierungsvorschrift zur Einordnung von Vitamin- oder Mineralstoffpräparaten als Lebensmittel oder als Arzneimittel gebe. Soweit die Kommission den österreichischen Behörden vorwerfe, dass sie Vitamin- oder Mineralstoffpräparate ohne Nachweis eines ernsten Gesundheitsrisikos als Arzneimittel einstuften, lege sie einen Arzneimittelbegriff zugrunde, der nicht der Definition in der Richtlinie 65/65 entspreche. Entgegen den Ausführungen der Kommission scheine die Möglichkeit ernster Gesundheitsgefährdung in den einschlägigen Vorschriften nicht als Kriterium für die Einstufung eines Produktes als Arzneimittel auf. Das Kriterium bestehe darin, ob eine pharmakologische Wirkung gegeben sei oder nicht. Dagegen stehe die im österreichischen Recht verwendete Definition des Arzneimittels mit der Richtlinie 65/65 in Einklang.

31. Die in Randnummer 40 des Urteils Van Bennekom getroffene Feststellung, es sei Sache der nationalen Stellen, in jedem Einzelfall darzutun, dass ihre Regelung erforderlich ist, um die in Artikel 36 EWG-Vertrag genannten Interessen wirksam zu schützen, insbesondere, dass der Vertrieb des in Frage stehenden Erzeugnisses eine ernste Gefahr für die Gesundheit darstellt, beziehe sich auf die Beurteilung der Verhältnismäßigkeit einer nationalen Regelung über ein Vertriebsverbot vor dem Hintergrund des Artikels 36 EGVertrag. Daher lasse sich hieraus nicht der Schluss ziehen, dass Vitaminpräparate nur dann als Arzneimittel im Sinne der Richtlinie 65/65 eingestuft werden dürften, wenn sie eine ernste Gefahr für die Gesundheit darstellten.

32. Angesichts der bei der wissenschaftlichen Beurteilung bestehenden Unsicherheiten sei eine nationale Regelung, die bei als Arzneimittel aufgemachten oder eine hohe Konzentration besitzenden Vitaminpräparaten die in der Richtlinie 65/65 vorgesehenen Verfahren anwende, nach Artikel 30 EG grundsätzlich gerechtfertigt.

33. Die österreichische Praxis, bei der nach dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis die pharmakologischen Eigenschaften jedes einzelnen Vitamins berücksichtigt würden, erscheine als verhältnismäßig, zumal sie kein Vertriebsverbot vorsehe, wie es der Rechtssache Van Bennekom zugrunde gelegen habe, sondern nur eine Einstufung als Arzneimittel.

34. Die österreichische Regierung fügt hinzu, dass zur Produkteinstufung ein vollständiges Verwaltungsverfahren durchgeführt und die Entscheidung mit Gründen versehen werde. In jedem Einzelfall finde eine die Besonderheiten des Produktes berücksichtigende Bewertung samt entsprechender Einstufung statt. Zu beachtende Parameter seien dabei nicht nur die Vitamin- oder Mineralstoffdosierung, sondern vor allem auch die Art und Form des Inverkehrbringens (Indikation), die Art der Anwendung und die Darreichungsform (Kapseln, Brausetabletten, ölige Lösungen usw.). Die Leitlinie werde für die Produkteinstufung nicht mehr verwendet, sie habe auch weder jemals die eigentliche Grundlage der Einstufung gebildet noch den Antragstellern die Beweislast bei Überschreitung der in ihr festgelegten Grenzmengen aufgebürdet. Folglich gebe es keine automatische Einstufung nach der Regel der einfachen Tagesdosis.

35. Die dänische Regierung macht unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Gerichtshofes (Urteile Van Bennekom, Randnr. 28, vom 21. März 1991 in der Rechtssache C-369/88, Delattre, Slg. 1991, I-1487, Randnr. 27, und vom 20. Mai 1992 in der Rechtssache C-290/90, Kommission/Deutschland, Slg. 1992, I-3317, Randnrn. 15 und 16) geltend, dass die Mitgliedstaaten bei der Einstufung eines Erzeugnisses als Lebensmittel oder als Arzneimittel ein weites Ermessen hätten.

36. Weiterhin ergebe sich aus dem Urteil vom 14. Juli 1983 in der Rechtssache 174/82 (Sandoz, Slg. 1983, 2445, Randnrn. 11 und 16 bis 18) und dem Urteil Van Bennekom (Randnrn. 36 bis 38 und 41), dass die Mitgliedstaaten angesichts der Gefahren, die eine übermäßige Aufnahme von Vitaminen für die menschliche Gesundheit berge, und der ihnen dort, wo nach dem Stand der Forschung noch Unsicherheiten bestuenden, zuerkannten Entscheidungsbefugnis darüber, in welchem Umfang sie den Schutz des menschlichen Lebens gewährleisten wollten, den Verkauf oder das Bereithalten von aus einem anderen Mitgliedstaat eingeführten Vitaminpräparaten mit hohem Konzentrationsgrad verbieten dürften, sofern sie Genehmigungen zum Vertrieb dann erteilten, wenn diese mit den Erfordernissen des Gesundheitsschutzes vereinbar seien.

37. Da die österreichische Praxis für Vitamin- oder Mineralstoffpräparate kein Vertriebsverbot vorsehe, sondern nur ihre Einstufung als Arzneimittel, brauchten die österreichischen Behörden nicht in jedem Einzelfall zu beweisen, dass eine Einstufung dieser Produkte als Arzneimittel erforderlich sei, um die in Artikel 30 EG genannten Interessen wirksam zu schützen, und dass insbesondere ihr Inverkehrbringen ein ernstes Gesundheitsrisiko begründe.

38. Im Ergebnis ist die dänische Regierung der Auffassung, dass die österreichische Praxis, speziell die Heranziehung der empfohlenen Tagesdosis als Kriterium für die Einstufung von Vitamin- oder Mineralstoffpräparaten als Lebensmittel oder als Arzneimittel, mit den Artikeln 28 EG und 30 EG und insbesondere mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in Einklang steht, da der gegenwärtige wissenschaftliche Kenntnisstand eine Festsetzung von kritischen Mengen und Konzentrationen nicht erlaube.

39. Die finnische Regierung macht unter Verweis auf das Urteil Van Bennekom geltend, dass die Mitgliedstaaten für Vitamine und Mineralstoffe Hoechstwerte festsetzen könnten, bei deren Überschreitung Präparate als Arzneimittel eingestuft würden, sofern sie unter die Definition des Arzneimittels im Sinne der Richtlinie 65/65 fielen. Unter diese Definition fielen die Präparate, die mehr Vitamine oder Mineralstoffe als die empfohlene Tagesdosis oder die Referenzzufuhrmenge für eine Bevölkerungsgruppe (Population Reference Intake) enthielten, da sie der Verhütung von Krankheiten oder der Wiederherstellung, Besserung oder Beeinflussung der Körperfunktionen dienten. Präparate, deren Vitamin- oder Mineralstoffgehalt unterhalb dieser Werte bleibe, seien hingegen Lebensmittel.

40. Sollte Artikel 28 EG anwendbar sein, so sei die österreichische Praxis aus Gründen des Gesundheitsschutzes und des Verbraucherschutzes gerechtfertigt.

41. In ihrer Stellungnahme zu den Streithilfeschriftsätzen führt die Kommission aus, dass die Mitgliedstaaten zwar mangels einer Harmonisierung einen Beurteilungsspielraum hätten, in welchem Umfang sie den Schutz der Gesundheit gewährleisten wollten, dass sie aber den freien Warenverkehr nicht dadurch beeinträchtigen dürften, dass die Gefährlichkeit der Vitamine mit einem einheitlichen Faktor, wie hier der einfachen Tagesdosis, bestimmt werde. Es gebe keinen unmittelbaren, durchgängigen Zusammenhang zwischen der Höhe der empfohlenen Tagesdosis und der potenziellen Gefährlichkeit eines Vitamins. So sei erwiesen, dass die Einnahme einer höheren Menge von Vitamin C weitgehend ungefährlich sei, während anderes beispielsweise für die fettlöslichen Vitamine E und K gelte.

Würdigung durch den Gerichtshof

42. Die österreichische Regierung macht zunächst geltend, dass die Kommission die österreichische Praxis nicht zutreffend beschrieben habe. Um ein Produkt als Arzneimittel oder als Lebensmittel einzustufen, werde eine Beurteilung seiner besonderen Merkmale vorgenommen. Der Vitamin- oder Mineralstoffgehalt sei nur einer der herangezogenen Parameter. Es gebe keine automatische Einstufung auf der Grundlage der Leitlinie, denn die anderen herangezogenen Parameter seien in gleicher Weise maßgebend. In der Praxis habe die Leitlinie zudem niemals die Grundlage der Einstufung gebildet, und sie habe dem Antragsteller bei Überschreitung der in ihr aufgeführten Grenzmengen auch nicht die Beweislast für die Produkteigenschaften zugewiesen. Schließlich sei die Leitlinie nach der Beanstandung durch die Kommission für hinfällig erklärt worden.

43. Demnach ist zu prüfen, ob die österreichische Praxis am Ende der in der mit Gründen versehenen Stellungnahme festgesetzten Frist von zwei Monaten so gestaltet war, wie sie die Kommission im Rahmen ihrer Klage beschrieben hat. Dabei ist es unerheblich, dass die Leitlinie für hinfällig erklärt wurde, da die österreichische Regierung selbst ihr jede Bindungswirkung abspricht und sie als bloßen Arbeitsbehelf charakterisiert. Wie die Kommission hervorhebt, ist Gegenstand der vorliegenden Vertragsverletzungsklage nicht die Existenz der Leitlinie als solcher, sondern die Art und Weise der Einstufung von Verzehrprodukten. Somit ist die Frage zu klären, ob die zuständigen österreichischen Behörden für die Einstufung von Vitamin- oder Mineralstoffpräparaten in der Praxis weiterhin die Grenzwerte anwandten, die die Leitlinie aufführt.

44. Was, erstens, die Präparate angeht, die die Vitamine A, D oder K oder Mineralstoffe der Gruppe Chromate enthalten, so ist den Ausführungen der österreichischen Regierung in der mündlichen Verhandlung zu entnehmen, dass die ständige Praxis der österreichischen Behörden, diese Präparate unabhängig davon, in welcher Konzentration sie diese Nährstoffe enthalten, als Arzneimittel einzustufen, nicht geändert wurde.

45. Was, zweitens, die Präparate anbelangt, die andere Vitamine als die Vitamine A, D oder K oder nicht zur Gruppe Chromate gehörende Mineralstoffe enthalten, so erläuterte die österreichische Regierung in ihrer Antwort auf das Mahnschreiben vom 6. November 1998, dass für jedes Vitamin ein Hoechstwert festgelegt sei, bei dessen Überschreitung ein den fraglichen Stoff enthaltendes Produkt als Arzneimittel eingestuft werde. Nach dem Hinweis, dass die normale tägliche Ernährung den Vitamin- und Mineralstoffbedarf ohnedies abdecke, betonte die österreichische Regierung weiter, dass, abgesehen von Vitamin C, die einfache Tagesdosis deshalb als Abgrenzungskriterium gewählt worden sei, um auf leicht nachvollziehbare Werte abstellen zu können. Diese Praxis sei verhältnismäßig, weil sie Überdosierungen von Vitaminen vermeide. Die österreichische Regierung führte dabei auch aus, dass der Antragsteller, wenn der Vitamingehalt seines Produktes den in der Leitlinie angegebenen Wert überschreite, den Nachweis zu erbringen habe, dass keine Gesundheitsgefahr bestehe; andernfalls werde das Produkt als Arzneimittel behandelt.

46. Unter diesen Umständen stellte die Kommission in ihrer mit Gründen versehenen Stellungnahme zu Recht fest, dass die von den österreichischen Behörden geübte Praxis, Präparate mit einem Vitamin- oder Mineralstoffgehalt, der die einfache Tagesdosis übersteigt, als Arzneimittel einzustufen, erwiesen und außerdem in hinreichendem Grad verfestigt und hinreichend allgemein sei, um den Gegenstand einer Vertragsverletzungsklage bilden zu können. Da die Kommission der Auffassung war, dass die österreichische Regierung eine Änderung dieser Praxis nach dem Zugang der mit Gründen versehenen Stellungnahme nicht nachgewiesen habe, hat sie die vorliegende Klage erhoben.

47. Damit ist es Sache der österreichischen Regierung, zu beweisen, dass die in Frage stehende Praxis innerhalb der Frist, die in der mit Gründen versehenen Stellungnahme festgesetzt wurde, tatsächlich geändert wurde. Diesen Nachweis hat sie nicht erbracht.

48. So hat sie zwar zum einen vorgetragen, dass der Vertrieb eines Produktes, dessen Vitamingehalt die einfache Tagesdosis überschreite, als Vertrieb eines Lebensmittels genehmigt werden könne. Sie hat aber für eine solche Genehmigung kein konkretes Beispiel benannt.

49. Zum anderen hat die österreichische Regierung in der mündlichen Verhandlung die Rüge der Kommission, dass die österreichischen Behörden generell alle Vitamine auf der Grundlage der einfachen Tagesdosis einstuften, mit der Begründung als unzutreffend zurückgewiesen, dass die für die Einstufung als Arzneimittel herangezogenen Hoechstwerte, die den in der Leitlinie genannten Werten entsprächen, deutlich über der empfohlenen Tagesdosis lägen, wie sie vom Wissenschaftlichen Lebensmittelausschuss festgesetzt sei. Diese Ausführungen bestätigen indessen gerade, dass die genannten Hoechstwerte für die Einstufung eines Erzeugnisses als Verzehrprodukt oder als Arzneimittel weiterhin anwendbar sind.

50. Auch soweit dieses Vorbringen der österreichischen Regierung dahin geht, dass diese Hoechstwerte über der einfachen Tagesdosis lägen, kann es nicht durchgreifen. Es ist nämlich unstreitig, dass die vom Wissenschaftlichen Lebensmittelausschuss in seiner Stellungnahme vom 11. Dezember 1992 für jeden Nährstoff vorgeschlagene Referenzzufuhrmenge für eine Bevölkerungsgruppe unverbindlich ist und es den wissenschaftlichen Stellen und Behörden jedes Mitgliedstaats freisteht, die für ihre Bevölkerung empfohlene Tagesdosis selbst festzulegen. Sieht man von Vitamin C ab, wurde aber von der österreichischen Regierung weder im vorgerichtlichen Verfahren noch im schriftlichen Verfahren vor dem Gerichtshof jemals bestritten, dass die in der Leitlinie aufgeführten Hoechstwerte der in Österreich festgelegten Tagesdosis entsprechen, während die Kommission zu keinem Zeitpunkt behauptete, dass diese Hoechstwerte der vom Wissenschaftlichen Lebensmittelausschuss vorgeschlagenen Referenzzufuhrmenge für eine Bevölkerungsgruppe entsprächen.

51. Demnach hat die österreichische Regierung nicht nachgewiesen, dass die gerügte Praxis innerhalb der Frist, die ihr in der mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzt worden war, oder auch seither geändert wurde.

52. Allerdings hat die Kommission in der mündlichen Verhandlung eingeräumt, dass im Fall von Vitamin C entgegen ihrem vorherigen Vorbringen der Hoechstwert, bei dessen Überschreitung ein Präparat als Arzneimittel eingestuft wird, nämlich 100 mg, über der für dieses Vitamin festgesetzten einfachen Tagesdosis liegt.

53. Da die Regel der einfachen Tagesdosis, die den Gegenstand der behaupteten Vertragsverletzung bildet, somit für Vitamin C nicht angewandt wird, ist die Rüge einer Vertragsverletzung jedenfalls für die Präparate, die nur Vitamin C und keine sonstigen Vitamine oder Mineralstoffe enthalten, unbegründet.

54. Hinsichtlich der übrigen Vitamin- und Mineralstoffpräparate ist zunächst klarzustellen, dass die Rüge der Kommission nur ihre durchgängige Einstufung als Arzneimittel allein aufgrund des Kriteriums betrifft, dass sie die Vitamine A, D oder K oder Mineralstoffe der Gruppe Chromate enthalten oder aber dass ihr Gehalt an anderen Vitaminen oder Mineralstoffen die einfache Tagesdosis überschreitet. Insbesondere legt die Kommission den österreichischen Behörden nicht zur Last, dass sie Präparate, die als Mittel zur Heilung oder zur Verhütung von Humankrankheiten bezeichnet werden und daher unter die Definition des Arzneimittels nach der Bezeichnung fallen, unabhängig von ihrem Vitamin- oder Mineralstoffgehalt als Arzneimittel einstufen.

55. Der Vorwurf der Vertragsverletzung richtet sich also gegen die österreichische Praxis, Vitamin- oder Mineralstoffpräparate, die in anderen Mitgliedstaaten rechtmäßig als Nahrungsergänzungsmittel hergestellt und in den Verkehr gebracht werden, durchgängig als Arzneimittel nach der Funktion einzustufen, wenn sie die Vitamine A, D oder K oder Mineralstoffe der Gruppe Chromate enthalten oder wenn ihr Gehalt an anderen Vitaminen oder Mineralstoffen die einfache Tagesdosis überschreitet.

56. Den Artikeln 2 und 3 der Richtlinie 65/65 ist zu entnehmen, dass ein industriell hergestelltes Arzneimittel in einem Mitgliedstaat nicht in den Verkehr gebracht werden darf, wenn für es keine Genehmigung für das Inverkehrbringen (Verkehrsgenehmigung) erteilt wurde.

57. Folglich stellt es, wenn ein industriell hergestelltes Erzeugnis unter die Definition des Arzneimittels gemäß Artikel 1 Nummer 2 der Richtlinie 65/65 fällt, keine durch Artikel 28 EG verbotene Beschränkung des innergemeinschaftlichen Handels dar, den Importeur zu verpflichten, vor der Vermarktung des Erzeugnisses im Einfuhrmitgliedstaat gemäß der Richtlinie 65/65 eine Verkehrsgenehmigung einzuholen (in diesem Sinne Urteil vom 11. Dezember 2003 in der Rechtssache C322/01, Deutscher Apothekerverband, Slg. 2003, I-0000, Randnrn. 48, 52 und 53).

58. Im Übrigen ist daran zu erinnern, dass die Richtlinie 65/65 zwar im Wesentlichen bezweckt, die Hindernisse für den Handel mit Arzneimitteln innerhalb der Gemeinschaft zu beseitigen, und hierfür in Artikel 1 eine Definition des Arzneimittels gibt, dass sie aber nur einen ersten Schritt zur Harmonisierung der nationalen Regelungen für die Herstellung und den Vertrieb von pharmazeutischen Erzeugnissen darstellt (u. a. Urteil Kommission/Deutschland, Randnr. 15).

59. Bei diesem Stand des Gemeinschaftsrechts lässt es sich kaum vermeiden, dass im Kontext der Richtlinie 65/65 Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten bei der Qualifizierung von Erzeugnissen bestehen bleiben, solange die Harmonisierung der zur Gewährleistung des Gesundheitsschutzes erforderlichen Maßnahmen nicht vollständiger ist (u. a. Urteile vom 6. November 1997 in der Rechtssache C201/96, LTM, Slg. 1997, I6147, Randnr. 24, und vom 12. März 1998 in der Rechtssache C270/96, Laboratoires Sarget, Slg. 1998, I1121, Randnr. 23).

60. Dass ein Erzeugnis in einem anderen Mitgliedstaat als Lebensmittel qualifiziert wird, steht daher nicht dem entgegen, ihm im Einfuhrstaat dann die Eigenschaft eines Arzneimittels zuzuerkennen, wenn es die entsprechenden Merkmale aufweist (u. a. Urteile Delattre, Randnr. 27, LTM, Randnr. 24, und Laboratoires Sarget, Randnr. 23).

61. Was des Näheren Vitamin- und Mineralstoffpräparate angeht, so gab es zu dem für die vorliegende Klage maßgebenden Zeitpunkt, wie die Kommission eingeräumt hat, im Gemeinschaftsrecht auf dem Gebiet der Einstufung dieser Präparate als Arzneimittel oder als Lebensmittel keine Harmonisierung.

62. Es ist demnach zunächst zu prüfen, ob Vitamin- oder Mineralstoffpräparate, die die Vitamine A, D oder K oder Mineralstoffe der Gruppe Chromate enthalten oder deren Gehalt an anderen Vitaminen oder Mineralstoffen die einfache Tagesdosis überschreitet, Arzneimittel nach der Funktion im Sinne von Artikel 1 Nummer 2 Unterabsatz 2 der Richtlinie 65/65 sind.

63. Da Vitamine und Mineralstoffe gewöhnlich als Stoffe definiert werden, die in ganz geringer Menge für die tägliche Ernährung und das ordnungsgemäße Funktionieren des Organismus unbedingt erforderlich sind, können sie im Allgemeinen nicht als Medikamente angesehen werden, soweit sie nur in kleinen Mengen eingenommen werden. Dagegen ist unstreitig, dass Vitamin- oder Mineralstoffpräparate bisweilen, im Allgemeinen in starken Dosen, zu therapeutischen Zwecken bei bestimmten Krankheiten verwendet werden, deren Ursache nicht der Vitamin- oder Mineralstoffmangel ist. In diesen Fällen stellen diese Präparate unbestreitbar Arzneimittel dar (Urteil Van Bennekom, Randnrn. 26 und 27).

64. Daher obliegt es nach ständiger Rechtsprechung - vorbehaltlich gerichtlicher Kontrolle - den nationalen Behörden, von Fall zu Fall zu entscheiden, ob ein Vitamin- oder Mineralstoffpräparat als Arzneimittel einzustufen ist, und dabei alle seine Merkmale, insbesondere seine Zusammensetzung, seine pharmakologischen Eigenschaften - so, wie sie sich beim jeweiligen Stand der Wissenschaft feststellen lassen -, die Modalitäten seiner Anwendung, den Umfang seiner Verbreitung, seine Bekanntheit bei den Verbrauchern und die Risiken, die seine Verwendung mit sich bringen kann, zu berücksichtigen (u. a. Urteile Van Bennekom, Randnr. 29, vom 21. März 1991 in der Rechtssache C60/89, Monteil und Samanni, Slg. 1991, I1547, Randnr. 29, vom 16. April 1991 in der Rechtssache C112/89, Upjohn, Slg. 1991, I1703, Randnr. 23, und Kommission/Deutschland, Randnr. 17).

65. Die zuständigen nationalen Behörden können also auch andere Merkmale als dasjenige berücksichtigen, ob ein Erzeugnis ein Risiko für die Gesundheit der Bevölkerung birgt. Es liegt auf der Hand, dass sich auch ein Erzeugnis, das kein reales Risiko für die Gesundheit darstellt, auf das Funktionieren des Organismus auswirken kann. Für die Einstufung eines Erzeugnisses als Arzneimittel nach der Funktion müssen sich die Behörden daher vergewissern, dass es zur Wiederherstellung, Besserung oder Beeinflussung der Körperfunktionen bestimmt ist und somit Auswirkungen auf die Gesundheit im Allgemeinen haben kann (Urteil Upjohn, Randnr. 17).

66. Was zunächst andere Vitamine als die Vitamine A, C, D und K und nicht zur Gruppe Chromate gehörende Mineralstoffe angeht, so ist festzustellen, dass die österreichische Praxis in der Anwendung der allgemeinen Regel, dass Vitamin- und Mineralstoffpräparate als Arzneimittel eingestuft werden, sobald sie mehr als die einfache Tagesdosis enthalten, besteht, die für alle diese Präparate unterschiedslos unabhängig davon gilt, welches Vitamin oder welchen Mineralstoff sie enthalten.

67. Diese Praxis unterscheidet also nicht nach den verschiedenen in den geprüften Präparaten enthaltenen Vitaminen und Mineralstoffen, obgleich die Vitamine und Mineralstoffe unstreitig unterschiedliche Auswirkungen auf die Gesundheit im Allgemeinen und insbesondere unterschiedliche etwaige Schädlichkeitsgrade haben. Daher kann die Regel der einfachen Tagesdosis wegen ihrer unterschiedslosen Anwendung zur Folge haben, dass bestimmte Vitamin- oder Mineralstoffpräparate als Arzneimittel eingestuft werden, obwohl sie nicht zur Wiederherstellung, Besserung oder Beeinflussung der menschlichen Körperfunktionen geeignet sind.

68. Dem lässt sich nicht entgegenhalten, dass die einfache Tagesdosis für jedes einzelne Vitamin und jeden einzelnen Mineralstoff nach Maßgabe seiner besonderen Merkmale spezifisch festgelegt werde und dass die Regel der einfachen Tagesdosis daher zu Ergebnissen führe, die diesen Merkmalen ebenfalls Rechnung trügen. Denn die Einstufung eines Vitamin- oder Mineralstoffpräparats als Arzneimittel, die ausschließlich auf die empfohlene Tagesdosis des darin enthaltenen Nährstoffs und damit auf eine Dosis gestützt ist, die potenziell den Bedarf aller gesunden Individuen der in Frage stehenden Bevölkerungsgruppe an diesem Stoff deckt, genügt nicht vollständig dem Erfordernis, dass jedes Vitamin- oder Mineralstoffpräparat nach Maßgabe seiner pharmakologischen Eigenschaften einzustufen ist. So haben die österreichischen Behörden selbst darauf hingewiesen, dass im Fall von Vitamin C der Grenzwert von 100 mg, der über der einfachen Tagesdosis dieses Vitamins liegt, im therapeutischen Bereich den Minimalwert bildet. Somit ergibt sich, auch wenn bei Anwendung der Regel der einfachen Tagesdosis die Vitamin- oder Mineralstoffkonzentration, von der an ein Präparat als Arzneimittel eingestuft wird, je nach Vitamin oder Mineralstoff variiert, daraus noch nicht notwendig der Schluss, dass jedes Präparat, das mehr als die einfache Tagesdosis enthält, unter die Definition des Arzneimittels nach der Funktion im Sinne der Richtlinie 65/65 fällt.

69. Was, zweitens, die Vitamine A, D und K sowie die Mineralstoffe der Gruppe Chromate angeht, so belegt der Umstand, dass die Regel der einfachen Tagesdosis auf diese Stoffe enthaltende Präparate keine Anwendung findet, dass die zuständigen österreichischen Behörden die besonderen Merkmale dieser Stoffe berücksichtigt haben.

70. Zur Begründung dieser Einstufung hat die österreichische Regierung in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, dass diese Nährstoffe nach den vorliegenden wissenschaftlichen Erkenntnissen bei einer Überdosierung, zu der es leicht komme, als gefährlich anzusehen seien, so dass jede zusätzliche Aufnahme dieser Stoffe nur unter ärztlicher Kontrolle stattfinden dürfe. Ebenso hat die finnische Regierung für Vitamin A darauf hingewiesen, dass dessen noch unbedenkliche Hoechstdosierung nicht wesentlich von der empfohlenen Dosis abweiche. Im gleichen Sinne hat die dänische Regierung unterstrichen, dass im Fall der fettlöslichen Vitamine häufig nur ein geringer Abstand zwischen den zur Ernährung erforderlichen Mengen und schädlich wirkenden Dosierungen liege.

71. Ungeachtet des Umstands, dass die Vitamine A, D und K fettlösliche Vitamine sind, deren gegenüber wasserlöslichen Vitaminen im Allgemeinen höhere Schädlichkeit anerkannt ist (Urteile Sandoz, Randnr. 11, und Van Bennekom, Randnr. 36), hat sich die österreichische Regierung jedoch darauf beschränkt, auf das Risiko ihrer schädlichen Überdosierung hinzuweisen, ohne zum einen zu präzisieren, ab welcher Dosierung die Unschädlichkeit der Aufnahme dieser Vitamine ungewiss wird oder welcher Art die mit ihrer Überschreitung verbundenen Risiken sind, und ohne zum anderen die von ihr herangezogenen wissenschaftlichen Stellungnahmen anzugeben.

72. Die dänische Regierung hat zwar ausgeführt, dass Vitamin A bei einer Dosierung, die die empfohlene Tagesdosis um das Vierfache überschreite, den Fötus schädigen könne. Die österreichische Praxis geht aber dahin, dass für alle Präparate, die Vitamin A enthalten, unabhängig von dessen Dosierung - somit auch dann, wenn der Gehalt an Vitamin A unter der einfachen Tagesdosis liegt - eine Verkehrsgenehmigung für Arzneimittel vorgeschrieben ist.

73. Aus der österreichischen Praxis ist zu schließen, dass auch ein Präparat, dessen Gehalt an den Vitaminen A, D oder K zu gering ist, um bei normalem Gebrauch das Risiko einer Überdosierung zu bergen, als Arzneimittel eingestuft wird.

74. Diese Praxis kann deshalb zur Konsequenz haben, dass Präparate, die die Vitamine A, D oder K enthalten, auch dann als Arzneimittel eingestuft werden, wenn ihr Gehalt an diesen Stoffen zu gering ist, um ihre Eignung zur Wiederherstellung, Besserung oder Beeinflussung der menschlichen Körperfunktionen zu begründen.

75. Die österreichische Regierung hat in der mündlichen Verhandlung weiter geltend gemacht, es komme häufig vor, dass Verbraucher Nahrungsergänzungsmittel in höheren Dosierungen konsumierten als auf den Beipackzetteln angegeben; dies erhöhe das Risiko der Überdosierung. Jedoch sind fast alle Erzeugnisse potenziell gesundheitsschädlich, wenn sie im Übermaß aufgenommen werden, so dass für die Beurteilung, ob ein Erzeugnis ein Arzneimittel nach der Funktion ist, auf die normale Anwendungsweise abzustellen ist.

76. Was die Mineralstoffe der Gruppe Chromate anbelangt, hat die dänische Regierung darauf hingewiesen, dass Chromate (sechswertiges Chrom - Cr VI) wesentlich toxischer seien als Chromite (dreiwertiges Chrom - Cr III) und im Rahmen der Harmonisierung der Bestimmungen über Nahrungsergänzungsmittel in der Europäischen Gemeinschaft nicht als Mittel zur Aufnahme von Chrom angesehen würden.

77. Dem entspricht es, dass in Anhang II der Richtlinie 2002/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 10. Juni 2002 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Nahrungsergänzungsmittel (ABl. L 183, S. 51), in dem die für die Herstellung von Nahrungsergänzungsmitteln zugelassenen Vitamine und Mineralstoffe aufgeführt werden, im Fall von Chrom nur Chrom(III)Chlorid und Chrom(III)Sulphat genannt werden.

78. Auch wenn diese Richtlinie in dem Zeitpunkt, der für die vorliegende Klage maßgebend ist, noch nicht erlassen war, bestätigt sie die Ausführungen der österreichischen Regierung zur dosierungsunabhängigen Schädlichkeit chromathaltiger Präparate und damit zu ihrer Eignung, die menschlichen Körperfunktionen zu beeinflussen.

79. Demnach war es Sache der Kommission, darzulegen, aus welchen Gründen die österreichischen Behörden ihrer Ansicht nach die Grenzen des ihnen zustehenden Ermessens überschritten, indem sie Präparate mit Chromaten als Arzneimittel einstuften (in diesem Sinne Urteil Kommission/Deutschland, Randnr. 20; in diesem Sinne auch Urteil vom 5. Februar 2004 in der Rechtssache C24/00, Kommission/Frankreich, Slg. 2004, I-0000, Randnr. 72). Es ist festzustellen, dass sie diesen Nachweis nicht erbracht hat. Folglich ist die Klage hinsichtlich dieser Präparate unbegründet.

80. Demnach kann die österreichische Praxis, außer im Fall der Chromate, nicht auf der Grundlage der Richtlinie 65/65 gerechtfertigt werden. Unter diesen Umständen ist weiter zu prüfen, ob das nach der österreichischen Praxis bestehende Erfordernis einer Genehmigung für das Inverkehrbringen als Arzneimittel eine durch Artikel 28 EG verbotene Maßnahme mit gleicher Wirkung wie eine Einfuhrbeschränkung darstellt und ob dieses Erfordernis gegebenenfalls nach Artikel 30 EG zum Schutz der Gesundheit der Bevölkerung gerechtfertigt sein kann.

81. Das in Artikel 28 EG normierte Verbot von Maßnahmen gleicher Wirkung erfasst jede Regelung der Mitgliedstaaten, die geeignet ist, den innergemeinschaftlichen Handel unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potenziell zu behindern (u. a. Urteile vom 11. Juli 1974 in der Rechtssache 8/74, Dassonville, Slg. 1974, 837, Randnr. 5, und vom 23. September 2003 in der Rechtssache C192/01, Kommission/Dänemark, Slg. 2003, I0000, Randnr. 39).

82. Im vorliegenden Fall behindert die österreichische Praxis den Handel, da Vitamin- und Mineralstoffpräparate, die in anderen Mitgliedstaaten rechtmäßig als Nahrungsergänzungsmittel in den Verkehr gebracht oder hergestellt werden, in Österreich erst vertrieben werden dürfen, wenn sie eine Verkehrsgenehmigung für Arzneimittel erhalten haben.

83. Der Gerichtshof hat bereits entschieden, dass ein Erzeugnis, das kein Arzneimittel im Sinne von Artikel 1 Nummer 2 der Richtlinie 65/65 ist, im nationalen Recht eines Mitgliedstaats - vorbehaltlich der Artikel 28 ff. EG über die aus anderen Mitgliedstaaten eingeführten Erzeugnisse - der für Arzneimittel geltenden Regelung unterworfen werden kann (Urteile Van Bennekom, Randnrn. 15, 30, 31 und 38, vom 20. März 1986 in der Rechtssache 35/85, Tissier, Slg. 1986, 1207, Randnr. 22, und vom 28. Oktober 1992 in der Rechtssache C219/91, Ter Voort, Slg. 1992, I5485, Randnr. 42).

84. Es ist daher weiter zu prüfen, ob die österreichische Praxis nach Artikel 30 EG gerechtfertigt werden kann.

85. Soweit beim gegenwärtigen Stand der wissenschaftlichen Forschung noch Unsicherheiten bestehen, ist es hierbei mangels einer Harmonisierung Sache der Mitgliedstaaten, unter Berücksichtigung der Erfordernisse des freien Warenverkehrs innerhalb der Gemeinschaft zu bestimmen, in welchem Umfang sie den Schutz der Gesundheit und des Lebens von Menschen gewährleisten wollen und ob sie für das Inverkehrbringen der Lebensmittel eine vorherige Zulassung verlangen (Urteile Sandoz, Randnr. 16, Van Bennekom, Randnr. 37, Kommission/Dänemark, Randnr. 42, und vom 5. Februar 2004, Kommission/Frankreich, Randnr. 49).

86. Dieses den Gesundheitsschutz betreffende Ermessen ist von besonderer Bedeutung, wenn nachgewiesen wird, dass beim gegenwärtigen Stand der wissenschaftlichen Forschung Unsicherheiten hinsichtlich bestimmter Stoffe wie der Vitamine bestehen, die im Allgemeinen an sich nicht schädlich sind, die jedoch bei übermäßigem Verzehr mit der gesamten in ihrer Zusammensetzung unvorhersehbaren und unkontrollierbaren Nahrung besondere schädliche Wirkungen hervorrufen können (Urteile Sandoz, Randnr. 17, Kommission/Dänemark, Randnr. 43, und vom 5. Februar 2004, Kommission/Frankreich, Randnr. 50).

87. Es läuft daher grundsätzlich nicht dem Gemeinschaftsrecht zuwider, dass ein Mitgliedstaat verbietet, Lebensmittel ohne vorherige Zulassung in den Verkehr zu bringen, wenn ihnen Nährstoffe wie andere Vitamine oder Mineralstoffe als diejenigen, deren Zusatz durch die gemeinschaftliche Regelung für zulässig erklärt wird, zugesetzt worden sind (Urteile Kommission/Dänemark, Randnr. 44, und vom 5. Februar 2004, Kommission/Frankreich, Randnr. 51).

88. Allerdings müssen die Mitgliedstaaten bei der Ausübung ihres den Gesundheitsschutz betreffenden Ermessens den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit einhalten. Die von ihnen gewählten Maßnahmen sind daher auf das Maß dessen zu beschränken, was zum Schutz der Gesundheit der Bevölkerung tatsächlich erforderlich ist; sie müssen in einem angemessenen Verhältnis zu dem verfolgten Ziel stehen, und sie müssen diejenigen Maßnahmen zur Erreichung dieses Ziels darstellen, die den innergemeinschaftlichen Handelsverkehr am wenigsten beschränken (Urteile Sandoz, Randnr. 18, Van Bennekom, Randnr. 39, Kommission/Dänemark, Randnr. 45, und vom 5. Februar 2004, Kommission/Frankreich, Randnr. 52).

89. Da Artikel 30 EG zudem eine - eng auszulegende - Ausnahme vom Grundsatz des freien Warenverkehrs innerhalb der Gemeinschaft darstellt, ist es im Übrigen Sache der nationalen Behörden, die sich hierauf berufen, in jedem Einzelfall im Licht der inländischen Ernährungsgewohnheiten und unter Berücksichtigung der Ergebnisse der internationalen wissenschaftlichen Forschung darzulegen, dass ihre Regelung zum wirksamen Schutz der von dieser Bestimmung erfassten Interessen erforderlich ist, insbesondere, dass das Inverkehrbringen der in Frage stehenden Erzeugnisse ein reales Risiko für die Gesundheit der Bevölkerung darstellt (Urteile Sandoz, Randnr. 22, Van Bennekom, Randnr. 40, Kommission/Dänemark, Randnr. 46, und vom 5. Februar 2004, Kommission/Frankreich, Randnr. 53).

90. Was zunächst die Vitamine außer den Vitaminen A, C, D und K und die nicht zur Gruppe Chromate gehörenden Mineralstoffe angeht, so rügt die Kommission, dass die österreichische Praxis deshalb nicht verhältnismäßig sei, weil sie nicht auf einer Einzelfallprüfung beruhe, sondern auf einem allgemeinen, durchgängig angewandten Beurteilungsmaßstab. Es ist daher zu prüfen, ob das mit dieser Praxis verfolgte Ziel, die Gesundheit der Bevölkerung zu schützen, nicht durch Maßnahmen hätte erreicht werden können, die den innergemeinschaftlichen Handelsverkehr weniger beschränken.

91. Auch wenn das Gemeinschaftsrecht grundsätzlich, wie oben in Randnummer 87 ausgeführt, einer Regelung der vorherigen Zulassung nicht entgegensteht, ist doch festzustellen, dass die Erteilung einer Vertriebsgenehmigung für Vitamin- oder Mineralstoffpräparate als Arzneimittel besonders strengen Voraussetzungen unterliegt.

92. So muss für eine solche Zulassung nach Artikel 4 der Richtlinie 65/65 die für das Inverkehrbringen verantwortliche Person ihrem Antrag Angaben und Unterlagen beifügen u. a. über die Zusammensetzung nach Art und Menge aller Bestandteile des Arzneimittels (Artikel 4 Absatz 3 Nr. 3), über - in summarischer Form - die Zubereitungsweise (Artikel 4 Absatz 3 Nr. 4), über Heilanzeigen, Gegenanzeigen und Nebenwirkungen (Artikel 4 Absatz 3 Nr. 5), über die Dosierung, die Darreichungsform, die Art und Form der Anwendung und die mutmaßliche Haltbarkeitsdauer (Artikel 4 Absatz 3 Nr. 6), über die vom Hersteller angewandten Kontrollmethoden (Artikel 4 Absatz 3 Nr. 7) und über die Ergebnisse von physikalischchemischen, biologischen oder mikrobiologischen, pharmazeutischen, toxikologischen und klinischen Versuchen (Artikel 4 Absatz 3 Nr. 8). Außerdem muss der für das Inverkehrbringen Verantwortliche nachweisen, dass der Hersteller in seinem Land die Genehmigung zur Herstellung von Arzneimitteln besitzt (Artikel 4 Absatz 3 Nr. 10).

93. Weiterhin sind die Vorschriften über den Vertrieb von Arzneimitteln wesentlich strenger als die über den Lebensmittelvertrieb (vgl. Richtlinie 92/25/EWG des Rates vom 31. März 1992 über den Großhandelsvertrieb von Humanarzneimitteln [ABl. L 113, S. 1]), den Lebensmittelverkauf (vgl. Richtlinien 92/26/EWG des Rates vom 31. März 1992 zur Einstufung bei der Abgabe von Humanarzneimitteln [ABl. L 113, S. 5] und 92/27/EWG des Rates vom 31. März 1992 über die Etikettierung und die Packungsbeilage von Humanarzneimitteln [ABl. L 113, S. 8]) und die Lebensmittelwerbung (vgl. Richtlinie 92/28/EWG des Rates vom 31. März 1992 über die Werbung für Humanarzneimittel [ABl. L 113, S. 13]).

94. Unter diesen Umständen könnte die österreichische Praxis nur dann als verhältnismäßig angesehen werden, wenn das Verbot, die in Frage stehenden Vitamin- oder Mineralstoffpräparate als Lebensmittel in den Verkehr zu bringen, und die obligatorische Einholung einer Verkehrsgenehmigung für Arzneimittel tatsächlich in jedem Einzelfall zum Schutz der Gesundheit der Bevölkerung erforderlich sind. Das Vorbringen der österreichischen Regierung, dass die österreichische Praxis notwendig deshalb verhältnismäßig sei, weil die in Frage stehenden Präparate jedenfalls als Arzneimittel vertrieben werden könnten, kann daher nicht durchgreifen.

95. Im Rahmen dieser Praxis wird das Inverkehrbringen sämtlicher Präparate, die mehr als die einfache Tagesdosis der genannten Vitamine oder Mineralstoffe enthalten, durchgängig davon abhängig gemacht, dass eine Verkehrsgenehmigung für Arzneimittel erteilt worden ist, ohne dass dabei nach den verschiedenen zugesetzten Vitaminen und Mineralstoffen und insbesondere nach der Höhe des Risikos, das dieser Zusatz möglicherweise für die Gesundheit der Bevölkerung begründet, unterschieden wird.

96. Die Durchgängigkeit dieser Praxis macht es somit unmöglich, ein reales Risiko für die Gesundheit der Bevölkerung zu ermitteln und zu bewerten, wofür in jedem Einzelfall eine eingehende Prüfung der mit dem Zusatz der fraglichen Vitamine oder Mineralstoffe möglicherweise verbundenen Folgen erforderlich wäre (in diesem Sinne Urteil Kommission/Dänemark, Randnr. 56).

97. Nach dieser Praxis ist auch für ein Vitamin- oder Mineralstoffpräparat, dessen Inverkehrbringen für die Gesundheit der Bevölkerung kein reales Risiko bedeutete, eine Verkehrsgenehmigung für Arzneimittel erforderlich.

98. Eine weniger beschränkende Maßnahme bestuende darin, für jedes Vitamin oder jede Vitamingruppe und jeden Mineralstoff oder jede Mineralstoffgruppe nach Maßgabe ihrer jeweiligen pharmakologischen Eigenschaften einen Grenzwert festzulegen, bei dessen Überschreitung die Präparate, die einen dieser Nährstoffe enthalten, in der innerstaatlichen Rechtsordnung dem Arzneimittelrecht unterlägen, während unterhalb dieses Grenzwerts für sie eine einfache Vertriebsgenehmigung erteilt würde.

99. Auch wenn sich nicht ausschließen lässt, dass die zuständigen österreichischen Behörden, wenn sie für die Einstufung der fraglichen Präparate die pharmakologischen Eigenschaften jedes einzelnen Vitamins oder jeder Vitamingruppe und jedes einzelnen Mineralstoffs oder jeder Mineralstoffgruppe berücksichtigen würden, für bestimmte dieser Präparate in gerechtfertigter Weise zu dem gleichen Ergebnis kämen wie nach der Regel der einfachen Tagesdosis, ist dies doch für die Entscheidung über die vorliegende Vertragsverletzungsklage ohne Bedeutung. Wie oben in Randnummer 90 ausgeführt, sind Streitgegenstand nämlich die durchgängige Anwendung dieser Regel und der Umstand, dass sie nicht auf einer Einzelfallprüfung beruht.

100. Was, zweitens, die Vitamine A, D und K angeht, so hat die österreichische Regierung, wie oben in den Randnummern 71 bis 74 dargelegt, nicht nachgewiesen, dass ein Vitaminpräparat bei normaler Anwendungsweise unabhängig davon, wie hoch sein Gehalt an diesen Vitaminen ist, ein reales Risiko für die Gesundheit der Bevölkerung birgt, so dass sich die österreichische Praxis dahin auswirken kann, dass auch für ein Präparat mit Vitamin A, D oder K, von dem ein solches Risiko nicht ausgeht, eine Verkehrsgenehmigung für Arzneimittel erforderlich ist.

101. Die österreichische Praxis erscheint daher auch hinsichtlich der Präparate, die die Vitamine A, D oder K enthalten, unverhältnismäßig.

102. Nach alledem hat die Republik Österreich dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 28 EG verstoßen, dass sie Vitamin- oder Mineralstoffpräparate, die in anderen Mitgliedstaaten rechtmäßig als Nahrungsergänzungsmittel hergestellt oder in den Verkehr gebracht werden, durchgängig als Arzneimittel einstuft, wenn ihr Gehalt an Vitaminen außer den Vitaminen A, C, D oder K oder an Mineralstoffen außer solchen der Gruppe Chromate die einfache Tagesdosis dieser Nährstoffe überschreitet oder wenn sie, unabhängig von der Dosierung, die Vitamine A, D oder K enthalten. Im Übrigen ist die Klage abzuweisen.

Kostenentscheidung:

Kosten

103. Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Republik Österreich mit ihrem Vorbringen im Wesentlichen unterlegen ist, sind ihr gemäß dem Antrag der Kommission die Kosten aufzuerlegen. Nach Artikel 69 § 4 der Verfahrensordnung tragen die Mitgliedstaaten und die Organe, die dem Rechtsstreit als Streithelfer beigetreten sind, ihre eigenen Kosten. Das Königreich Dänemark und die Republik Finnland tragen daher ihre eigenen Kosten.

Tenor:

Aus diesen Gründen

DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)

hat

DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1. Die Republik Österreich hat dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 28 EG verstoßen, dass sie Vitamin- oder Mineralstoffpräparate, die in anderen Mitgliedstaaten rechtmäßig als Nahrungsergänzungsmittel hergestellt oder in den Verkehr gebracht werden, durchgängig als Arzneimittel einstuft, wenn ihr Gehalt an Vitaminen außer den Vitaminen A, C, D oder K oder an Mineralstoffen außer solchen der Gruppe Chromate die einfache Tagesdosis dieser Nährstoffe überschreitet oder wenn sie, unabhängig von der Dosierung, die Vitamine A, D oder K enthalten.

2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

3. Die Republik Österreich trägt die Kosten des Verfahrens.

4. Das Königreich Dänemark und die Republik Finnland tragen ihre eigenen Kosten.

Ende der Entscheidung

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