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Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 13.07.1995
Aktenzeichen: C-156/93
Rechtsgebiete: VO (EWG) Nr. 2092/91, EWG-Vertrag


Vorschriften:

VO (EWG) Nr. 2092/91 Art. 43
EWG-Vertrag Art. 190
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Das Parlament kann beim Gerichtshof eine Klage auf Nichtigerklärung einer Handlung des Rates oder der Kommission erheben, sofern diese Klage nur auf den Schutz seiner Befugnisse gerichtet ist und nur auf Klagegründe gestützt wird, mit denen die Verletzung dieser Befugnisse geltend gemacht wird. Diese Voraussetzung ist erfuellt, wenn das Parlament den Gegenstand seiner zu schützenden Befugnis und die behauptete Verletzung dieser Befugnis schlüssig darlegt.

In Anwendung dieser Kriterien ist eine Klage für unzulässig zu erklären, soweit sie auf einen Verstoß gegen Artikel 190 des Vertrages gestützt wird. Das Parlament legt nämlich im Rahmen seines Vorbringens, die streitigen Bestimmungen entsprächen nicht den Begründungsanforderungen des Artikels 190, nicht schlüssig dar, inwiefern ein solcher Verstoß seine Befugnisse verletzen könnte.

Da dagegen das Recht, gemäß einer Bestimmung des Vertrages angehört zu werden, eine Befugnis des Parlaments darstellt, kann die Tatsache, daß die Kommission unter Überschreitung ihrer Befugnisse eine Frage, die in den Regelungsbereich einer Grundverordnung des Rates fällt, die gestützt auf eine Bestimmung des Vertrages erlassen wurde, nach der eine Verpflichtung zur Anhörung des Parlaments besteht, durch Durchführungsvorschriften zu dieser Grundverordnung regelt, diese Befugnis verletzen, weil dadurch das Parlament von dem Verfahren, nach dem diese Frage normalerweise geregelt werden müsste, ausgeschlossen wird.

2. Es kann nicht verlangt werden, daß der Rat alle Einzelheiten der Verordnungen über die gemeinsame Agrarpolitik nach dem Verfahren des Artikels 43 des Vertrages regelt. Dieser Vorschrift ist Genüge getan, wenn die wesentlichen Elemente der zu regelnden Materie nach diesem Verfahren festgelegt worden sind; die Durchführungsbestimmungen zu den Grundverordnungen können dagegen nach einem von Artikel 43 abweichenden Verfahren erlassen werden. Jedoch muß eine Durchführungsverordnung, die ohne Anhörung des Parlaments erlassen worden ist, die in der Grundverordnung nach Anhörung des Parlaments festgelegten wesentlichen Elemente der Materie respektieren.

Mit der Verordnung Nr. 207/93 der Kommission zur Festlegung - unter anderem - des Inhalts des Anhangs VI der Verordnung Nr. 2092/91 des Rates über den ökologischen Landbau und die entsprechende Kennzeichnung der landwirtschaftlichen Erzeugnisse und Lebensmittel werden die Grenzen einer Durchführung der in der Grundverordnung festgelegten Grundsätze nicht dadurch überschritten, daß bei den Mikroorganismen, die in der Lebensmittelherstellung verwendet werden, genetisch veränderte Mikroorganismen im Sinne der Richtlinie 90/220 über die absichtliche Freisetzung genetisch veränderter Organismen in die Umwelt insoweit aufgeführt werden, als sie nach dem Verwaltungsausschußverfahren in das Verzeichnis aufgenommen worden sind.

Die blosse Erwähnung dieser Mikroorganismen, deren tatsächliche Aufnahme in den Anhang nur nach dem hierfür vorgesehenen Verfahren erfolgen kann, hat nämlich als solche nicht zur Aufstellung neuer Regeln geführt, nach denen die Verwendung dieser Stoffe im ökologischen Landbau zulässig wäre. Eine solche Verwendung setzt nämlich die Einhaltung der in der Richtlinie 90/219 über die Anwendung genetisch veränderter Mikroorganismen in geschlossenen Systemen und in der genannten Richtlinie 90/220 geregelten Verfahren sowie die tatsächliche Aufnahme dieser Stoffe in die erschöpfenden Verzeichnisse des Anhangs VI voraus.

3. Eine Rechtshandlung eines Gemeinschaftsorgans ist ermessensfehlerhaft, wenn sie ausschließlich oder zumindest überwiegend zu anderen als den angegebenen Zwecken oder mit dem Ziel vorgenommen wird, ein Verfahren zu umgehen, das der Vertrag speziell vorsieht, um die konkrete Sachlage zu bewältigen. Dies ist bei der Verordnung Nr. 207/93 der Kommission zur Festlegung - unter anderem - des Inhalts des Anhangs VI der Verordnung Nr. 2092/91 des Rates über den ökologischen Landbau und die entsprechende Kennzeichnung der landwirtschaftlichen Erzeugnisse und Lebensmittel nicht schon deshalb der Fall, weil in diesem Anhang genetisch veränderte Mikroorganismen im Sinne der Richtlinie 90/220 erwähnt werden. Es bestehen nämlich keine Anhaltspunkte dafür, daß die Kommission mit dem Erlaß der streitigen Bestimmungen etwa ein anderes Ziel verfolgt hätte, als in der Begründung der Verordnung, in der sie enthalten sind, angegeben ist. Ferner war die Kommission, da sie die Rechtsvorschriften der Grundverordnung nicht änderte, nicht verpflichtet, das hierfür speziell vorgesehene Verfahren anzuwenden.


URTEIL DES GERICHTSHOFES VOM 13. JULI 1995. - EUROPAEISCHES PARLAMENT GEGEN KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN. - REGELUNG DES OEKOLOGISCHEN LANDBAUS - BEFUGNISSE DES RATES UND DER KOMMISSION - BEFUGNISSE DES PARLAMENTS. - RECHTSSACHE C-156/93.

Entscheidungsgründe:

1 Das Europäische Parlament hat mit Klageschrift, die am 16. April 1993 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 173 EWG-Vertrag die Nichtigerklärung der Verordnung (EWG) Nr. 207/93 der Kommission vom 29. Januar 1993 zur Festlegung des Inhalts des Anhangs VI der Verordnung (EWG) Nr. 2092/91 über den ökologischen Landbau und die entsprechende Kennzeichnung der landwirtschaftlichen Erzeugnisse und Lebensmittel sowie der Durchführungsvorschriften zu deren Artikel 5 Absatz 4 (ABl. L 25, S. 5; im folgenden: streitige Verordnung), hilfsweise die Nichtigerklärung der streitigen Teile dieser Verordnung beantragt.

2 Mit der auf Artikel 43 des Vertrages gestützten Verordnung (EWG) Nr. 2092/91 des Rates vom 24. Juni 1991 über den ökologischen Landbau und die entsprechende Kennzeichnung der landwirtschaftlichen Erzeugnisse und Lebensmittel (ABl. L 198, S. 1; im folgenden: Grundverordnung) sollten zum Schutz des ökologischen Landbaus unter anderem Vorschriften über Erzeugung, Etikettierung und Kontrolle erlassen werden.

3 In Artikel 5 Absätze 1 bis 6 der Grundverordnung ist geregelt, unter welchen Voraussetzungen in der Kennzeichnung eines Erzeugnisses und in der Werbung für ein Erzeugnis auf den ökologischen Landbau Bezug genommen werden darf; gemäß Artikel 5 Absatz 7 können ausführliche Vorschriften für die Durchführung dieses Artikels nach dem Verfahren des Artikels 14 erlassen werden, nach dem die Kommission Maßnahmen erlassen darf, wenn sie mit der Stellungnahme eines aus Vertretern der Mitgliedstaaten zusammengesetzten Ausschusses, übereinstimmen. Gemäß Artikel 5 Absatz 8 werden nach dem gleichen Verfahren in Anhang VI erschöpfende Verzeichnisse der in einigen Bestimmungen des Artikels 5 genannten Stoffe und Erzeugnisse aufgestellt. Gemäß Artikel 5 Absatz 9 schließlich überprüft die Kommission diesen Artikel vor dem 1. Juli 1993 und legt gegebenenfalls Vorschläge für eine Änderung vor.

4 Mit der streitigen Verordnung der Kommission werden insbesondere die gemäß Artikel 5 Absatz 8 der Grundverordnung des Rates in Anhang VI aufzustellenden erschöpfenden Verzeichnisse von Stoffen festgelegt.

5 In Teil A Nr. 4 Ziffer i des so aufgestellten Anhangs VI sind insbesondere die normalerweise in der Lebensmittelherstellung verwendeten Kulturen von Mikroorganismen, ausgenommen genetisch veränderte Mikroorganismen (im folgenden: GVMO) gemäß der Definition in Artikel 2 Absatz 2 der Richtlinie 90/220/EWG des Rates vom 23. April 1990 über die absichtliche Freisetzung genetisch veränderter Organismen (im folgenden: GVO) in die Umwelt (ABl. L 117, S. 15), genannt. Ferner sind in Teil B Ziffer i des Anhangs VI die normalerweise bei der Lebensmittelverarbeitung als Verarbeitungshilfsstoffe verwendeten Zubereitungen mit Mikroorganismen und Enzymen, ausgenommen GVMO gemäß der Definition in der Richtlinie 90/220, genannt. Diese GVMO sind jedoch in Teil A Nr. 4 Ziffer ii und Teil B Ziffer ii des Anhangs VI aufgeführt, soweit sie nach dem Verfahren des Artikels 14 der Grundverordnung in dieses Verzeichnis aufgenommen worden sind.

6 Schließlich können gemäß Artikel 2 der streitigen Verordnung einige Teile des Anhangs VI nur geändert werden, wenn bestimmte Mindestanforderungen erfuellt sind. So können als Verarbeitungshilfsstoffe gemäß Teil B nur solche Stoffe aufgenommen werden, die bei der Lebensmittelverarbeitung allgemein gebräuchlich sind und ohne die diese Lebensmittel nachweislich nicht erzeugt werden können.

7 Das Parlament hält diese Aufnahme der GVMO in den Anhang VI der Grundverordnung wegen Verletzung seiner Befugnisse für ungültig. Es bringt folgende drei Klagegründe vor: fehlende Zuständigkeit der Kommission für die Änderung der Grundverordnung, Ermessensmißbrauch der Kommission und schließlich unzureichende Begründung der streitigen Bestimmungen.

8 Die Kommission, die Zweifel an der Zulässigkeit der Klage äussert, ist der Auffassung, daß das Vorbringen des Parlaments zurückzuweisen sei.

9 Der Rat ist dem Rechtsstreit zur Unterstützung der Anträge der Kommission beigetreten. Das Parlament hält diesen Beitritt für unzulässig und unbegründet.

Zur Zulässigkeit der Klage

10 Nach ständiger Rechtsprechung (u. a. Urteil vom 28. Juni 1994 in der Rechtssache C-187/93, Parlament/Rat, Slg. 1994, I-2857, Randnr. 14) kann das Parlament beim Gerichtshof eine Klage auf Nichtigerklärung einer Handlung des Rates oder der Kommission erheben, sofern diese Klage nur auf den Schutz seiner Befugnisse gerichtet ist und nur auf Klagegründe gestützt wird, mit denen die Verletzung dieser Befugnisse geltend gemacht wird. Diese Voraussetzung ist erfuellt, wenn das Parlament den Gegenstand seiner zu schützenden Befugnis und die behauptete Verletzung dieser Befugnis schlüssig darlegt (Urteil vom 2. März 1994 in der Rechtssache C-316/91, Parlament/Rat, Slg. 1994, I-625, Randnr. 13).

11 In Anwendung dieser Kriterien ist die Klage für unzulässig zu erklären, soweit sie auf einen Verstoß gegen Artikel 190 des Vertrages gestützt wird. Das Parlament legt nämlich im Rahmen seines Vorbringens, die streitigen Bestimmungen entsprächen nicht den Begründungsanforderungen des Artikels 190, nicht schlüssig dar, inwiefern ein solcher Verstoß gegebenenfalls seine Befugnisse verletzen könnte.

12 Dagegen stellt das Recht, gemäß einer Bestimmung des Vertrages angehört zu werden, eine Befugnis des Parlaments dar (Urteil vom 2. März 1994, Parlament/Rat a. a. O., Randnr. 16). Das Parlament macht geltend, soweit die streitige Verordnung die Frage einer Zulassung von GVMO für den ökologischen Landbau regele, bewirke sie, daß das Parlament von dem Verfahren, nach dem diese Frage normalerweise geregelt werden müsste, ausgeschlossen werde. Seiner Ansicht nach fällt diese Frage in den Regelungsbereich der Grundverordnung des Rates, die auf Artikel 43 gestützt sei, nach dem eine Verpflichtung zur Anhörung des Parlaments bestehe.

13 Soweit mit der Klage gerügt wird, daß die Kommission durch den Erlaß der streitigen Verordnung ihre Befugnisse aus der Grundverordnung überschritten habe, ist sie also darauf gerichtet, eine Verletzung der Befugnisse des Parlaments darzutun, die sich aus der Unzuständigkeit der Kommission für eine Änderung der Grundverordnung oder aus einem Ermessensmißbrauch der Kommission ergeben würde.

Zur Zulässigkeit der Streithilfe des Rates

14 Gemäß Artikel 37 letzter Absatz der Satzung des Gerichtshofes können mit den aufgrund des Beitritts gestellten Anträgen nur die Anträge einer Partei des Rechtsstreits unterstützt werden (Urteil vom 17. März 1993 in der Rechtssache C-155/91, Kommission/Rat, Slg. 1993, I-939, Randnr. 24).

15 Indem der Rat die Zurückweisung des auf einen Ermessensmißbrauch der Kommission gestützten Klagegrundes beantragt, unterstützt er den Klageabweisungsantrag der Kommission unter Berufung auf einen Grund, der auch von dieser angeführt wird. Die Tatsache, daß der Rat nur auf einen Teil des Klagevorbringens eingeht, kann nicht zur Unzulässigkeit seiner Streithilfe führen.

Zur Begründetheit

Zur Unzuständigkeit

16 Das Parlament macht geltend, die streitige Verordnung verletzte dadurch, daß sie die Regelung für Erzeugnisse des ökologischen Landbaus auf GVMO enthaltende Erzeugnisse ausdehne, die Ziele der Grundverordnung hinsichtlich des Schutzes der Verbrauchererwartung, der Voraussetzungen eines lauteren Wettbewerbs, des freien Verkehrs der Erzeugnisse des ökologischen Landbaus und des Gleichgewichts zwischen landwirtschaftlicher Erzeugung und Umweltschutz. Die Kommission habe damit die ihr nach der Grundverordnung zustehenden Befugnisse überschritten und diese ohne Einhaltung des Verfahrens nach Artikel 43 des Vertrages, der den Erlaß von Maßnahmen des Rates nach Anhörung des Parlaments vorsehe, geändert.

17 Die Kommission macht geltend, die streitigen Bestimmungen, wonach in die in Anhang VI der Grundverordnung aufgestellten Verzeichnisse von Stoffen zukünftig unter bestimmten Voraussetzungen zusätzlich GVMO aufgenommen werden könnten, dienten lediglich der Absicherung für die Zukunft und beeinträchtigten nicht die gegenwärtigen Interessen der Verbraucher und die sonstigen vom Parlament angeführten Belange. Unter Hinweis insbesondere darauf, daß die Grundverordnung entgegen einem Vorschlag des Parlaments die Verwendung von GVO oder GVMO im ökologischen Landbau nicht verboten und diese Stoffe nicht vom Verzeichnis der Stoffe, die als Zutaten oder Verarbeitungshilfsstoffe verwendet werden dürften, ausgenommen habe, vertritt die Kommission die Auffassung, daß sie nach dieser Verordnung durchaus befugt gewesen sei, die von ihr getroffenen Maßnahmen zu erlassen.

18 Wie der Gerichtshof bereits entschieden hat (u. a. Urteile vom 16. Juni 1987 in der Rechtssache 46/86, Romkes, Slg. 1987, 2671, Randnr. 16, und vom 10. Mai 1995 in der Rechtssache C-417/93, Parlament/Rat, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 30) kann nicht verlangt werden, daß der Rat alle Einzelheiten der Verordnungen über die gemeinsame Agrarpolitik nach dem Verfahren des Artikels 43 des Vertrages regelt. Dieser Vorschrift ist Genüge getan, wenn die wesentlichen Elemente der zu regelnden Materie nach dem in ihr vorgesehenen Verfahren festgelegt worden sind; die Durchführungsbestimmungen zu den Grundverordnungen können nach einem abweichenden Verfahren erlassen werden, wie dies auch in Artikel 5 Absätze 7 und 8 der Grundverordnung vorgesehen ist. Jedoch muß eine Durchführungsverordnung wie die streitige Verordnung, die ohne Anhörung des Parlaments erlassen worden ist, die in der Grundverordnung nach Anhörung des Parlaments festgelegten wesentlichen Elemente der Materie respektieren.

19 Im vorliegenden Fall bestand der Zweck der Grundverordnung, wie in deren fünfter Begründungserwägung angegeben ist, insbesondere darin, zum Schutz des ökologischen Landbaus gemeinschaftliche Rahmenvorschriften über Erzeugung, Etikettierung und Kontrolle zu erlassen. Diese Rahmenvorschriften sollen den lauteren Wettbewerb zwischen den Herstellern sicherstellen, dem Markt für Erzeugnisse des ökologischen Landbaus ein deutlicheres Profil verleihen und dazu führen, daß solche Erzeugnisse beim Verbraucher mehr Vertrauen genießen.

20 Des näheren regelt Artikel 5 Absatz 3 der Grundverordnung in bezug auf die Kennzeichnung von zum Verzehr bestimmten Erzeugnissen des ökologischen Landbaus und auf die Werbung für solche Erzeugnisse, unter welchen Voraussetzungen in der Verkehrsbezeichnung des Erzeugnisses auf den ökologischen Landbau Bezug genommen werden darf. Eine solche Bezugnahme ist grundsätzlich nur möglich, wenn alle Zutaten dieser Erzeugnisse, die landwirtschaftlichen Ursprungs sind, den in den Artikeln 6 und 7 für die Erzeugung festgelegten Regeln entsprechen, wenn die Erzeugnisse nur in Anhang VI aufgeführte Stoffe als Zutaten nichtlandwirtschaftlichen Ursprungs enthalten, wenn sie ferner nicht mit ionisierenden Strahlen oder in Anhang VI nicht aufgeführten Stoffen behandelt wurden und wenn sie schließlich von einem Unternehmen aufbereitet wurden, für das die Kontrollmaßnahmen der Artikel 8 und 9 gelten.

21 Die in Anhang VI der Grundverordnung aufzunehmenden erschöpfenden Verzeichnisse der Stoffe sind gemäß Artikel 5 Absatz 8 nach dem Verfahren des Artikels 14 aufzustellen, nach dem die Kommission Maßnahmen erlassen darf, wenn sie mit der Stellungnahme eines aus Vertretern der Mitgliedstaaten zusammengesetzten Ausschusses übereinstimmen. Die Kommission hat die streitige Verordnung, in der GVMO in der in Randnummer 5 dieses Urteils dargestellten Form erwähnt werden, auf diese Weise erlassen.

22 Entgegen dem Vorbringen des Parlaments werden mit den streitigen Bestimmungen die Grenzen einer Durchführung der Grundsätze, die in der nach Anhörung des Parlaments erlassenen Grundverordnung festgelegt worden sind, nicht überschritten.

23 In Anhang VI Teil A Nr. 4 Ziffer i und in Anhang VI Teil B Ziffer i werden GVMO ausdrücklich von den Kulturen von Mikroorganismen, die normalerweise in der Lebensmittelherstellung verwendet werden, ausgenommen. Sie fallen nur insoweit unter Ziffer ii von Teil A und Teil B, als sie nach dem Verfahren des Artikels 14 der Grundverordnung in das Verzeichnis aufgenommen worden sind. So ist gerade kein GVMO in den erschöpfenden Verzeichnissen von Stoffen in Anhang VI der Grundverordnung aufgeführt, und dies kann sich gegebenenfalls nur ändern, wenn das Verfahren für die Aufstellung dieser Verzeichnisse und die in Artikel 2 der streitigen Verordnung für ihre Änderung festgelegten Anforderungen beachtet werden. Aus diesem Grund hat der Generalanwalt in Nummer 44 seiner Schlussanträge ausgeführt, daß die streitigen Bestimmungen keine rechtlichen Auswirkungen auf die Rechte des Parlaments hätten.

24 Unabhängig von der genauen Tragweite dieser Bestimmungen kann jedenfalls nicht angenommen werden, daß die tatsächliche Aufnahme von GVMO in die erschöpfenden Verzeichnisse des Anhangs VI gegen die Grundverordnung verstossen würde. Die Erzeugnisse des ökologischen Landbaus können nämlich nach Maßgabe der genannten Bestimmungen der Grundverordnung, wonach mit der Aufstellung der betreffenden Verzeichnisse die Kommission betraut ist, Zutaten nichtlandwirtschaftlichen Ursprungs und andere Stoffe enthalten. Der Rat hat, worauf die Kommission hinweist, entgegen einem Änderungsvorschlag des Parlaments durch den Erlaß der Grundverordnung die Verwendung von GVO oder GVMO im ökologischen Landbau nicht verbieten wollen und diese Stoffe nicht von den Stoffen ausgenommen, die in die erschöpfenden Verzeichnisse aufgenommen werden können.

25 Die allgemeinen Vorschriften über die zum Schutz der menschlichen Gesundheit und der Umwelt bestimmte Überwachung der Verwendung von GVO oder GVMO sind im übrigen nicht in der Grundverordnung über den ökologischen Landbau und die entsprechende Kennzeichung der landwirtschaftlichen Erzeugnisse und Lebensmittel enthalten. Sie sind vielmehr durch die Richtlinie 90/219/EWG des Rates vom 23. April 1990 über die Anwendung genetisch veränderter Mikroorganismen in geschlossenen Systemen (ABl. L 117, S. 1) und durch die Richtlinie 90/220 festgelegt. Diese Richtlinien sehen für die Verwendung der genannten Erzeugnisse insbesondere ein System der vorherigen Anmeldung durch den Hersteller oder Einführer bei den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten und der Genehmigung durch diese Behörden oder in bestimmten Fällen durch die Kommission vor.

26 Die Erwähnung der GVMO in Anhang VI der Grundverordnung, dessen Inhalt durch die streitige Verordnung festgelegt worden ist, hat demnach nicht zur Aufstellung neuer Regeln geführt, nach denen die Verwendung dieser Stoffe im ökologischen Landbau zulässig wäre. Eine solche Verwendung setzt nämlich die Einhaltung der in den genannten Richtlinien geregelten Verfahren und die tatsächliche Aufnahme dieser Stoffe in die erschöpfenden Verzeichnisse des Anhangs VI voraus.

27 Die streitigen Bestimmungen der Kommission haben demnach keine Änderung der vom Rat nach Anhörung des Parlaments erlassenen gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften bewirkt. Der Klagegrund der Unzuständigkeit ist daher zurückzuweisen.

Zum Ermessensmißbrauch

28 Das Parlament macht hilfsweise geltend, die Kommission habe das ihr durch Artikel 5 Absatz 8 der Grundverordnung eingeräumte Ermessen mißbraucht. Die Kommission habe am Schluß der Parlamentsdebatte über die Grundverordnung erklärt, sie teile die Besorgnisse, die in den Änderungsvorschlägen betreffend das Verbot von GVMO im ökologischen Landbau zum Ausdruck kämen, und sie habe zugesagt, daß fachliche Untersuchungen durchgeführt würden, damit eine angemessene Regelung dieser Frage geprüft werden könne. Sie hätte daher das Verfahren des Artikels 5 Absatz 9 der Grundverordnung anwenden müssen, nach dem sie gegebenenfalls Vorschläge für eine Änderung dieser Verordnung vorzulegen habe, die gemäß Artikel 43 des Vertrages nur nach Anhörung des Parlaments erfolgen könne.

29 Die Kommission widerspricht der Auslegung ihrer Erklärungen durch das Parlament. Sie macht geltend, sie habe nicht versucht, die Ermächtigung des Artikels 5 Absatz 8 der Grundverordnung dazu zu verwenden, sich der erforderlichen Anhörung des Parlaments zur Frage der Verwendung von GVMO bei der Erzeugung von Lebensmitteln zu entziehen. Diese Frage werde durch andere Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts geregelt. Sei die Verwendung von GVMO nach diesen Bestimmungen zulässig, so stelle sich nur die Frage, inwieweit aufgrund anderer Gesichtspunkte besondere Vorschriften für Erzeugnisse des ökologischen Landbaus erforderlich seien.

30 Der Rat unterstützt die Auffassung der Kommission. Er macht insbesondere geltend, die Kommission habe sich durch eine Absichtserklärung rechtlich nicht binden können, jedenfalls nicht, bevor er über ihren Vorschlag entschieden und ihr Zuständigkeiten für die Durchführung übertragen habe. Die Erklärung der Kommission könne daher nicht die ihr vom Parlament beigemessene Rechtswirkung haben.

31 Der Gerichtshof definiert den Ermessensmißbrauch in ständiger Rechtsprechung (u. a. Urteil vom 20. Juni 1991 in der Rechtssache C-248/89, Cargill/Kommission, Slg. 1991, I-2987, Randnr. 26) als Vornahme einer Rechtshandlung durch ein Gemeinschaftsorgan ausschließlich oder zumindest überwiegend zu anderen als den angegebenen Zwecken oder mit dem Ziel, ein Verfahren zu umgehen, das der Vertrag speziell vorsieht, um die konkrete Sachlage zu bewältigen.

32 Bezueglich der Frage der Übereinstimmung des verfolgten mit dem angegebenen Ziel ist darauf hinzuweisen, daß sich aus den Akten kein Anhaltspunkt dafür ergibt, daß die Kommission mit dem Erlaß der streitigen Bestimmungen etwa ein anderes Ziel verfolgt hätte, als in der Begründung der Verordnung, in der sie enthalten sind, angegeben ist. Insbesondere steht die Erwähnung der GVMO in dieser Verordnung in keiner Weise im Widerspruch zu dem in der sechsten Begründungserwägung umschriebenen Ziel. Nach dieser Begründungserwägung muß die Frage, ob Erzeugnisse, die aus GVMO gewonnen wurden, für Lebensmittel verwendet werden dürfen, die laut Etikett aus dem ökologischen Landbau stammen, eingehend geprüft werden, wenn solche Erzeugnisse nach den jeweiligen gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften zur Verwendung in Lebensmitteln zugelassen werden.

33 Was das Gebot, ein speziell vorgesehenes Verfahren nicht zu umgehen, betrifft, trägt das Parlament zu Unrecht vor, daß die Kommission das Verfahren des Artikels 5 Absatz 9 der Grundverordnung hätte anwenden müssen. Wie in Randnummer 27 dieses Urteils ausgeführt, haben nämlich die streitigen, von der Kommission erlassenen Bestimmungen keine Änderung der vom Rat nach Anhörung des Parlaments erlassenen gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften bewirkt.

34 Folglich ist der Klagegrund des Ermessensmißbrauchs zurückzuweisen.

35 Nach alledem ist die Klage insgesamt abzuweisen.

Kostenentscheidung:

Kosten

36 Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da das Parlament mit seinem Vorbringen unterlegen ist, sind ihm die Kosten aufzuerlegen. Gemäß Artikel 69 § 4 der Verfahrensordnung hat der Rat als Streithelfer seine eigenen Kosten zu tragen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

für Recht erkannt und entschieden:

1) Die Klage wird abgewiesen.

2) Das Europäische Parlament trägt die Kosten. Der Rat trägt seine eigenen Kosten.

Ende der Entscheidung

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