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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 24.05.2007
Aktenzeichen: C-157/05
Rechtsgebiete: EG


Vorschriften:

EG Art. 234
EG Art. 56
EG Art. 57
EG Art. 58
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Vierte Kammer)

24. Mai 2007

"Freier Kapitalverkehr - Niederlassungsfreiheit - Einkommensteuer - Dividendenausschüttung - Einkünfte aus Kapitalvermögen aus einem Drittstaat"

Parteien:

In der Rechtssache C-157/05

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Verwaltungsgerichtshof (Österreich) mit Entscheidung vom 28. Januar 2005, beim Gerichtshof eingegangen am 7. April 2005, in dem Verfahren

Winfried L. Holböck

gegen

Finanzamt Salzburg-Land

erlässt

DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten K. Lenaerts (Berichterstatter), der Richterin R. Silva de Lapuerta sowie der Richter G. Arestis, J. Malenovský und T. von Danwitz,

Generalanwalt: Y. Bot,

Kanzler: R. Grass,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

- von Herrn Holböck, vertreten durch W.-D. Arnold, Rechtsanwalt,

- der spanischen Regierung, vertreten durch N. Díaz Abad als Bevollmächtigte,

- der französischen Regierung, vertreten durch G. de Bergues und C. Jurgensen als Bevollmächtigte,

- der niederländischen Regierung, vertreten durch H. G. Sevenster und M. de Grave als Bevollmächtigte,

- der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch M. Bethell als Bevollmächtigten im Beistand von T. Ward, Barrister,

- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch R. Lyal und G. Braun als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

Entscheidungsgründe:

1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 56 EG bis 58 EG.

2 Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn Holböck und dem Finanzamt Salzburg-Land wegen der Besteuerung von Dividenden, die Ersterer von einer in einem Drittstaat ansässigen Gesellschaft erhalten hat.

Rechtlicher Rahmen

3 § 37 Abs. 1 und 4 des österreichischen Einkommensteuergesetzes 1988 (BGBl. Nr. 400/1988, im Folgenden: EStG 1988) bestimmte vor seiner Änderung durch das Steuerreformgesetz 1993 (BGBl. Nr. 818/1993) Folgendes:

"(1) Der Steuersatz ermäßigt sich für:

- Einkünfte aus offenen Ausschüttungen (Abs. 4), ... auf die Hälfte des auf das gesamte Einkommen entfallenden Durchschnittssteuersatzes

...

(4) Einkünfte auf Grund von Beteiligungen sind

1. offene Ausschüttungen inländischer Kapitalgesellschaften oder Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften auf Gesellschafts- und Genossenschaftsanteilen

..."

4 Nach ihrer Änderung durch das Steuerreformgesetz 1993 hatten die genannten Bestimmungen folgenden Wortlaut:

"(1) Der Steuersatz ermäßigt sich für:

- Einkünfte auf Grund von Beteiligungen (Abs. 4) ... auf die Hälfte des auf das gesamte Einkommen entfallenden Durchschnittssteuersatzes.

...

(4) Einkünfte auf Grund von Beteiligungen sind

1. Beteiligungserträge:

a) Gewinnanteile jeder Art auf Grund einer Beteiligung an inländischen Kapitalgesellschaften oder Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften in Form von Gesellschafts- und Genossenschaftsanteilen ...

..."

5 Gemäß dieser nationalen Regelung des Einkommensteuerrechts (im Folgenden: nationale Regelung) unterliegen Gewinnausschüttungen inländischer Gesellschaften an eine in Österreich ansässige natürliche Person dem Hälftesteuersatz.

6 Dagegen unterliegen Gewinnausschüttungen ausländischer Kapitalgesellschaften an eine in Österreich ansässige natürliche Person der normalen Einkommensteuer.

7 Bei der Besteuerung der offenen Ausschüttungen hat sich die Rechtslage nach dem 31. Dezember 1993 weder durch das Steuerreformgesetz 1993 noch durch das Strukturanpassungsgesetz 1996 (BGBl. Nr. 201/1996) geändert.

Ausgangsverfahren und Vorlagefrage

8 Herr Holböck hat seinen Wohnsitz in Österreich, wo auch der Mittelpunkt seiner Lebensinteressen liegt. Er ist Geschäftsführer der CBS Conmeth Business Systems GmbH, die ihren Sitz in Österreich hat und mit Kosmetikprodukten handelt.

9 Alleingesellschafterin dieser GmbH ist die CBS Conmeth Business Systems AG mit Sitz in der Schweiz. Herr Holböck ist an dieser AG mit zwei Dritteln beteiligt.

10 Aufgrund seiner Beteiligung an der CBS Conmeth Business Systems AG bezog Herr Holböck in den Jahren 1992 bis 1996 Dividenden. Diese unterliegen in Österreich als Einkünfte aus Kapitalvermögen dem vollen Einkommensteuersatz.

11 Da die Einbringung dieser Abgaben gefährdet erschien, ordnete die Finanzlandesdirektion für Salzburg - an deren Stelle später das Finanzamt Salzburg-Land trat - mit Bescheid vom 3. Juli 2000 in das Vermögen von Herrn Holböck die Sicherstellung von Abgabenansprüchen an Einkommensteuer der Jahre 1992 bis 1996 in Höhe von insgesamt 118 944 088 ATS an. Der Kläger des Ausgangsverfahrens focht diesen Bescheid vor dem Verwaltungsgerichtshof an.

12 In seiner Beschwerde macht Herr Holböck geltend, die grenzüberschreitende Dividendenzahlung einer in der Schweiz ansässigen Gesellschaft an einen österreichischen Gesellschafter falle unter Art. 56 EG, der alle Beschränkungen des Kapitalverkehrs, auch zwischen den Mitgliedstaaten und Drittstaaten, verbiete. Die Tatsache, dass nach den nationalen Rechtsvorschriften Gewinnausschüttungen von Gesellschaften mit Sitz in Österreich an natürliche Personen nur dem halben Durchschnittssteuersatz unterlägen, während für Auslandsdividenden eine Vollbesteuerung vorgesehen sei, stelle eine Ungleichbehandlung dar, für die es keinen Rechtfertigungsgrund gebe.

13 Das vorlegende Gericht weist darauf hin, dass der Gerichtshof in seinem Urteil vom 15. Juli 2004, Lenz (C-315/02, Slg. 2004, I-7063), nur insoweit zur in Österreich geltenden Besteuerungsregelung für Kapitalerträge Stellung genommen habe, als Kapitalerträge aus Mitgliedstaaten betroffen gewesen seien.

14 Unter Hinweis auf Art. 57 Abs. 1 EG, wonach Art. 56 EG nicht die Anwendung derjenigen Beschränkungen auf dritte Länder berührt, die am 31. Dezember 1993 aufgrund einzelstaatlicher oder gemeinschaftlicher Rechtsvorschriften für den Kapitalverkehr mit dritten Ländern im Zusammenhang mit Direktinvestitionen bestehen, vertritt das vorlegende Gericht die Auffassung, dass der Begriff "Direktinvestitionen" bislang nicht hinreichend geklärt sei.

15 Der Verwaltungsgerichtshof hat daher beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Stehen die Bestimmungen über die Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 56 ff. EG) einer am 31. Dezember 1993 bestehenden (und auch nach dem Beitritt Österreichs zur EU mit 1. Jänner 1995 weiter bestandenen) nationalen Regelung entgegen, wonach Dividenden aus inländischen Aktien mit einem Steuersatz in Höhe der Hälfte des auf das gesamte Einkommen entfallenden Durchschnittsteuersatzes versteuert werden, während Dividenden von einer in einem Drittstaat (im Ausgangsrechtsstreit: Schweiz) ansässigen Aktiengesellschaft, an der der Steuerpflichtige zu zwei Drittel beteiligt ist, stets mit dem normalen Einkommensteuersatz versteuert werden?

Zur Vorlagefrage

16 Das vorlegende Gericht möchte mit seiner Frage wissen, ob die Bestimmungen des EG-Vertrags über den freien Kapitalverkehr der Regelung eines Mitgliedstaats entgegenstehen, wonach für einen Anteilseigner, der Dividenden von einer inländischen Gesellschaft bezieht, ein Steuersatz in Höhe der Hälfte des Durchschnittssteuersatzes, für Dividendenausschüttungen einer in einem Drittstaat ansässigen Gesellschaft, an der der Steuerpflichtige zu zwei Dritteln beteiligt ist, dagegen der normale Einkommensteuersatz gilt.

17 Herr Holböck und die Kommission der Europäischen Gemeinschaften machen unter Hinweis auf das Urteil Lenz geltend, dass die nationale Regelung eine Beschränkung des freien Kapitalverkehrs darstelle.

18 Anders als der Kläger des Ausgangsverfahrens ist die Kommission der Ansicht, dass es sich beim Bezug von Dividenden, die von einer in einem Drittstaat ansässigen Gesellschaft an einen Anteilseigner ausgeschüttet werden, der zu zwei Dritteln am Gesellschaftskapital beteiligt ist, um einen Fall der "Direktinvestitionen" im Sinne von Art. 57 Abs. 1 EG handelt. Da die genannte Regelung am 31. Dezember 1993 bereits bestanden habe, falle sie unter die nach dieser Bestimmung vorgesehene Ausnahme von dem in Art. 56 EG enthaltenen Verbot der Beschränkungen des Kapitalverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten sowie zwischen den Mitgliedstaaten und dritten Ländern.

19 Dagegen machen die französische und die niederländische Regierung geltend, dass die nationale Regelung nur anhand der Bestimmungen über die Niederlassungsfreiheit und nicht anhand derjenigen über den freien Kapitalverkehr geprüft werden könne. Da sich diese Freiheit jedoch nicht auf die Niederlassung eines Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats in einem Drittstaat erstrecke, könne Herr Holböck die Anwendung dieser Regelung auf die Dividenden, die er von einer in der Schweiz ansässigen Gesellschaft bezogen habe, an der er zu zwei Dritteln beteiligt sei, nicht unter Berufung auf die Niederlassungsfreiheit rügen.

20 Für den Fall, dass die nationale Regelung unter dem Aspekt des freien Kapitalverkehrs zu prüfen sein sollte, schließen sich die beiden Regierungen ebenso wie die Regierung des Vereinigten Königreichs der Ansicht der Kommission an, dass eine solche Regelung jedenfalls unter die Ausnahme des Art. 57 Abs. 1 EG falle.

21 Vorab ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung die direkten Steuern zwar in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fallen, diese ihre Befugnisse aber unter Wahrung des Gemeinschaftsrechts ausüben müssen (Urteile vom 6. Juni 2000, Verkooijen, C-35/98, Slg. 2000, I-4071, Randnr. 32, Lenz, Randnr. 19, und vom 7. September 2004, Manninen, C-319/02, Slg. 2004, I-7477, Randnr. 19).

22 Für die Beantwortung der Frage, ob eine nationale Regelung unter die eine oder unter die andere Verkehrsfreiheit fällt, ist nach gefestigter Rechtsprechung auf den Gegenstand der betreffenden nationalen Regelung abzustellen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 12. September 2006, Cadbury Schweppes und Cadbury Schweppes Overseas, C-196/04, Slg. 2006, I-7995, Randnrn. 31 bis 33, vom 3. Oktober 2006, Fidium Finanz, C-452/04, Slg. 2006, I-9521, Randnrn. 34 und 44 bis 49, vom 12. Dezember 2006, Test Claimants in Class IV of the ACT Group Litigation, C-374/04, Slg. 2006, I-0000, Randnrn. 37 und 38, Test Claimants in the FII Group Litigation, C-446/04, Slg. 2006, I-0000, Randnr. 36, sowie vom 13. März 2007, Test Claimants in the Thin Cap Group Litigation, C-524/04, Slg. 2007, I-0000, Randnrn. 26 bis 34).

23 Im Gegensatz zu den Rechtssachen, in denen die vorstehend genannten Urteile Cadbury Schweppes und Cadbury Schweppes Overseas (Randnrn. 31 und 32) sowie Test Claimants in the Thin Cap Group Litigation (Randnrn. 28 bis 33) ergingen, ist die nationale Regelung nicht nur auf Beteiligungen anwendbar, die es ermöglichen, einen sicheren Einfluss auf die Entscheidungen der Gesellschaft auszuüben und deren Tätigkeiten zu bestimmen.

24 Eine nationale Regelung, die den Bezug von Dividenden einer Steuer unterwirft, deren Satz vom Ursprung der Dividenden, ob aus inländischer oder ausländischer Quelle, abhängt, ohne dass dabei der Umfang der Beteiligung des Anteilseigners an der ausschüttenden Gesellschaft berücksichtigt wird, kann sowohl unter Art. 43 EG über die Niederlassungsfreiheit als auch unter Art. 56 EG über den freien Kapitalverkehr fallen (vgl. in diesem Sinne Urteile Test Claimants in Class IV of the ACT Group Litigation, Randnrn. 37 und 38, sowie Test Claimants in the FII Group Litigation, Randnrn. 36, 80 und 142).

25 Im vorliegenden Fall steht jedoch weder die eine noch die andere dieser Freiheiten der Anwendung der nationalen Regelung entgegen.

26 Was zum einen die Bestimmungen des Vertrags über die Niederlassungsfreiheit angeht, so garantiert Art. 43 EG die Niederlassungsfreiheit der Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats, was die Aufnahme und Ausübung selbständiger Erwerbstätigkeiten sowie die Gründung und Leitung von Unternehmen unter den Bedingungen, die der Niederlassungsstaat für seine eigenen Angehörigen festgelegt hat, einschließt (vgl. Urteile vom 13. April 2000, Baars, C-251/98, Slg. 2000, I-2787, Randnr. 27, und vom 11. März 2004, De Lasteyrie du Saillant, C-9/02, Slg. 2004, I-2409, Randnr. 40).

27 Ebenfalls nach gefestigter Rechtsprechung des Gerichtshofs sollen die Bestimmungen des Vertrags über die Niederlassungsfreiheit nach ihrem Wortlaut zwar die Inländerbehandlung im Aufnahmemitgliedstaat sichern, sie verbieten aber auch, dass der Herkunftsmitgliedstaat die Niederlassung eines seiner Staatsangehörigen oder einer nach seinem Recht gegründeten Gesellschaft in einem anderen Mitgliedstaat behindert (vgl. Urteile vom 13. Dezember 2005, Marks & Spencer, C-446/03, Slg. 2005, I-10837, Randnr. 31, sowie Cadbury Schweppes und Cadbury Schweppes Overseas, Randnr. 42).

28 Das Kapitel des Vertrags über das Niederlassungsrecht enthält jedoch keine Bestimmung, die dessen Anwendungsbereich auf Sachverhalte erstreckt, die die Niederlassung eines Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats oder einer nach dem Recht eines Mitgliedstaats gegründeten Gesellschaft in einem Drittland betreffen (vgl. in diesem Sinne Beschluss vom 10. Mai 2007, A und B, C-102/05, Slg. 2007, I-0000, Randnr. 29).

29 Folglich können die Bestimmungen dieses Kapitels nicht in einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens geltend gemacht werden.

30 Zum anderen hat der Gerichtshof zu den Bestimmungen des Vertrags über den freien Kapitalverkehr in den Randnrn. 20 bis 22 des Urteils Lenz festgestellt, dass die nationale Regelung, soweit sie die Anwendung eines endgültigen Steuersatzes von 25 % oder eines Hälftesteuersatzes auf Kapitalerträge davon abhängig macht, dass diese Erträge ihren Ursprung in Österreich haben, nicht nur zur Folge hat, dass in Österreich ansässige Steuerpflichtige davon abgehalten werden, Kapital in Gesellschaften anzulegen, die außerhalb dieses Mitgliedstaats ansässig sind, sondern sich auch gegenüber den letztgenannten Gesellschaften als eine Beschränkung auswirkt, weil sie sie an der Ansammlung von Kapital in diesem Mitgliedstaat hindert. Eine solche Regelung stellt nach Ansicht des Gerichtshofs eine Beschränkung des freien Kapitalverkehrs dar, die nach Art. 56 Abs. 1 EG grundsätzlich verboten ist.

31 Aber selbst wenn ein Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats, der zu zwei Dritteln an einer in einem Drittstaat ansässigen Gesellschaft beteiligt ist, sich erfolgreich auf das in Art. 56 Abs. 1 EG niedergelegte Verbot von Beschränkungen des Kapitalverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten und dritten Ländern berufen könnte, um der Anwendung dieser Regelung auf Dividenden, die er von einer solchen Gesellschaft bezogen hat, entgegenzutreten, fiele die Regelung unter die Ausnahme des Art. 57 Abs. 1 EG, worauf auch die französische und die niederländische Regierung sowie die Regierung des Vereinigten Königreichs und die Kommission hingewiesen haben.

32 Nach der letztgenannten Bestimmung berührt Art. 56 EG nicht die Anwendung derjenigen Beschränkungen auf dritte Länder, die am 31. Dezember 1993 aufgrund einzelstaatlicher oder gemeinschaftsrechtlicher Rechtsvorschriften für den Kapitalverkehr mit dritten Ländern im Zusammenhang mit Direktinvestitionen einschließlich Anlagen in Immobilien, mit der Niederlassung, der Erbringung von Dienstleistungen oder der Zulassung von Wertpapieren zu den Kapitalmärkten bestanden haben.

33 Der Begriff "Direktinvestitionen" ist im Vertrag zwar nicht definiert, wurde jedoch in der Nomenklatur für den Kapitalverkehr in Anhang I der Richtlinie 88/361/EWG des Rates vom 24. Juni 1988 zur Durchführung von Art. 67 des Vertrags [dieser Artikel wurde durch den Vertrag von Amsterdam aufgehoben] (ABl. L 178, S. 5) definiert (Urteil Test Claimants in the FII Group Litigation, Randnrn. 177 und 178).

34 Wie sich aus der Auflistung der "Direktinvestitionen" in der ersten Rubrik dieser Nomenklatur und den zugehörigen Begriffsbestimmungen ergibt, bezieht sich der Begriff der Direktinvestitionen auf Investitionen jeder Art durch natürliche oder juristische Personen zur Schaffung oder Aufrechterhaltung dauerhafter und direkter Beziehungen zwischen denjenigen, die die Mittel bereitstellen, und den Unternehmen, für die die Mittel zum Zwecke einer wirtschaftlichen Tätigkeit bestimmt sind (vgl. in diesem Sinne Urteil Test Claimants in the FII Group Litigation, Randnrn. 180 und 181).

35 Bei Beteiligungen an neuen oder bereits bestehenden Unternehmen setzt das Ziel der Schaffung oder Aufrechterhaltung dauerhafter Wirtschaftsbeziehungen, wie auch aus den Begriffsbestimmungen hervorgeht, voraus, dass die Aktien ihrem Inhaber entweder nach den nationalen aktienrechtlichen Vorschriften oder aus anderen Gründen die Möglichkeit geben, sich tatsächlich an der Verwaltung dieser Gesellschaft oder an deren Kontrolle zu beteiligen (Urteil Test Claimants in the FII Group Litigation, Randnr. 182).

36 Entgegen den Behauptungen des Klägers des Ausgangsverfahrens erfassen die Beschränkungen des Kapitalverkehrs im Zusammenhang mit Direktinvestitionen oder der Niederlassung im Sinne von Art. 57 Abs. 1 EG nicht nur nationale Maßnahmen, die bei ihrer Anwendung auf den Kapitalverkehr mit dritten Ländern Investitionen oder die Niederlassung beschränken, sondern auch solche, die die sich daraus ergebenden Dividendenzahlungen beschränken (vgl. Urteil Test Claimants in the FII Group Litigation, Randnr. 183).

37 Eine Beschränkung des Kapitalverkehrs in Form einer ungünstigeren steuerlichen Behandlung von Dividenden aus ausländischen Quellen fällt somit unter Art. 57 Abs. 1 EG, wenn sie sich auf Beteiligungen bezieht, die zur Schaffung oder Aufrechterhaltung dauerhafter und unmittelbarer Wirtschaftsbeziehungen zwischen dem Anteilseigner und der betroffenen Gesellschaft erworben wurden, und die es dem Anteilseigner ermöglichen, sich tatsächlich an der Verwaltung dieser Gesellschaft oder an deren Kontrolle zu beteiligen (Urteil Test Claimants in the FII Group Litigation, Randnr. 185).

38 Wie die französische und die niederländische Regierung sowie die Kommission ausgeführt haben, ist dies der Fall bei einer steuerlich ungünstigeren Behandlung von Dividenden ausländischen Ursprungs, die aus einer Zwei-Drittel-Beteiligung an der ausschüttenden Gesellschaft herrühren.

39 Aus Art. 57 Abs. 1 EG ergibt sich jedoch, dass ein Mitgliedstaat in seinen Beziehungen zu Drittländern die in den sachlichen Geltungsbereich dieser Bestimmung fallenden Beschränkungen des Kapitalverkehrs anwenden kann, auch wenn sie gegen den in Art. 56 EG niedergelegten Grundsatz des freien Kapitalverkehrs verstoßen, sofern sie bereits am 31. Dezember 1993 bestanden (Urteil Test Claimants in the FII Group Litigation, Randnr. 187).

40 Insofern hat zwar grundsätzlich das nationale Gericht den Inhalt der Rechtsvorschriften festzustellen, die zu einem in einem Gemeinschaftsrechtsakt festgelegten Zeitpunkt bestehen, doch kann der Gerichtshof die Kriterien für die Auslegung des gemeinschaftsrechtlichen Begriffs liefern, der den Bezugspunkt für die Anwendung einer gemeinschaftlichen Ausnahmeregelung auf zu einem festgelegten Zeitpunkt "bestehende" nationale Rechtsvorschriften darstellt (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 1. Juni 1999, Konle, C-302/97, Slg. 1999, I-3099, Randnr. 27, und Test Claimants in the FII Group Litigation, Randnr. 191).

41 In diesem Zusammenhang hat der Gerichtshof entschieden, dass nicht jede nationale Maßnahme, die nach einem dergestalt festgelegten Zeitpunkt erlassen wird, schon allein deswegen von der Ausnahmeregelung des fraglichen Gemeinschaftsrechtsakts ohne Weiteres ausgeschlossen ist. Eine Vorschrift, die im Wesentlichen mit der früheren Regelung übereinstimmt oder nur ein Hindernis, das nach der früheren Regelung der Ausübung der gemeinschaftlichen Rechte und Freiheiten entgegenstand, abmildert oder beseitigt, fällt nämlich unter die Ausnahmeregelung. Beruht dagegen eine Regelung auf einem anderen Grundgedanken als das frühere Recht und führt sie neue Verfahren ein, so kann sie den Rechtsvorschriften, die zu dem im betreffenden Gemeinschaftsrechtsakt genannten Zeitpunkt bestehen, nicht gleichgestellt werden (vgl. Urteile Konle, Randnrn. 52 und 53, sowie Test Claimants in the FII Group Litigation, Randnr. 192).

42 Im vorliegenden Fall hat das nationale Gericht in seiner Vorlageentscheidung erläutert, dass die in Österreich zu dem für das Ausgangsverfahren maßgeblichen Zeitpunkt geltende Steuerregelung für Dividendenausschüttungen in Drittstaaten ansässiger Gesellschaften auf dem EStG 1988 in seiner durch das Steuerreformgesetz 1993 und das Strukturanpassungsgesetz 1996 geänderten Fassung beruhte. Ebenfalls aus der Vorlageentscheidung geht hervor, dass die nach dem 31. Dezember 1993 vorgenommenen Gesetzesänderungen bezüglich der Besteuerung offener Ausschüttungen den rechtlichen Rahmen für den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens auch für die Zeit nach diesem Datum nicht gegenüber den vor dem 31. Dezember 1993 durch das EStG 1988 eingeführten Bestimmungen geändert haben.

43 Unter diesen Umständen ist die nationale Regelung als im Sinne von Art. 57 Abs. 1 EG vor dem 31. Dezember 1993 bestehend anzusehen.

44 Daraus folgt, dass Art. 56 EG selbst dann, wenn sich ein Steuerpflichtiger in einer Situation wie jener von Herrn Holböck erfolgreich auf diese Vorschrift berufen könnte, der Anwendung der nationalen Regelung unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens nicht entgegenstünde.

45 Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 57 Abs. 1 EG dahin auszulegen ist, dass Art. 56 EG nicht die Anwendung einer am 31. Dezember 1993 bestehenden Regelung durch einen Mitgliedstaat berührt, wonach für einen Anteilseigner, der Dividenden von einer inländischen Gesellschaft bezieht, ein Steuersatz in Höhe der Hälfte des Durchschnittssteuersatzes, für einen Anteilseigner, der Dividenden von einer in einem Drittstaat ansässigen Gesellschaft bezieht, an der er zu zwei Dritteln beteiligt ist, dagegen der normale Einkommensteuersatz gilt.

Kostenentscheidung:

Kosten

46 Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Tenor:

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Vierte Kammer) für Recht erkannt:

Art. 57 Abs. 1 EG ist dahin auszulegen, dass Art. 56 EG nicht die Anwendung einer am 31. Dezember 1993 bestehenden Regelung durch einen Mitgliedstaat berührt, wonach für einen Anteilseigner, der Dividenden von einer inländischen Gesellschaft bezieht, ein Steuersatz in Höhe der Hälfte des Durchschnittssteuersatzes, für einen Anteilseigner, der Dividenden von einer in einem Drittstaat ansässigen Gesellschaft bezieht, an der er zu zwei Dritteln beteiligt ist, dagegen der normale Einkommensteuersatz gilt.



Ende der Entscheidung

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