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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 23.10.1997
Aktenzeichen: C-157/94
Rechtsgebiete: EGV, Elektriciteitswet (Niederlande)


Vorschriften:

EGV Art. 169
EGV Art. 30
EGV Art. 37
EGV Art. 90 Abs. 2
Elektriciteitswet (Niederlande) Art. 34
Elektriciteitswet (Niederlande) Art. 37
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Es verstösst gegen Artikel 37 des Vertrages, wenn ein Mitgliedstaat einem zu diesem Zweck benannten Unternehmen ausschließliche Einfuhrrechte für Elektrizität verleiht, die zur öffentlichen Versorgung bestimmt ist, da solche Rechte geeignet sind, die Absatzbedingungen nur der Wirtschaftsteilnehmer oder Verkäufer anderer Mitgliedstaaten unmittelbar zu beeinträchtigen, und damit die Exporteure in anderen Mitgliedstaaten diskriminieren.

Aus Artikel 90 Absatz 1 und Absatz 2 des Vertrages folgt jedoch, daß ein Mitgliedstaat sich auf Artikel 90 Absatz 2 berufen kann, um einem Unternehmen, das mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse betraut ist, insbesondere gegen Artikel 37 des Vertrages verstossende ausschließliche Rechte zu übertragen, soweit die Erfuellung der diesem übertragenen besonderen Aufgaben nur durch die Einräumung solcher Rechte gesichert werden kann und soweit die Entwicklung des Handelsverkehrs nicht in einem Ausmaß beeinträchtigt wird, das dem Interesse der Gemeinschaft zuwiderläuft. Die Vorschriften des Vertrages sind daher bereits dann nicht auf ein Unternehmen anwendbar, das mit einer Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse betraut ist, wenn ihre Anwendung die Erfuellung der besonderen Verpflichtungen, die diesem Unternehmen obliegen, tatsächlich oder rechtlich gefährden würde. Es ist nicht erforderlich, daß das Überleben des Unternehmens bedroht ist.

Es stellt sich zunächst die Frage, ob das Königreich der Niederlande hinreichend nachgewiesen hat, daß die fraglichen ausschließlichen Rechte erforderlich sind, um ihrem Inhaber die Erfuellung der besonderen Aufgabe zu ermöglichen, mit der er betraut ist. Dem Mitgliedstaat, der sich auf Artikel 90 Absatz 2 beruft, obliegt der Nachweis, daß dessen Tatbestand erfuellt ist. Diese Beweislast geht jedoch nicht soweit, daß das Königreich der Niederlande, das eingehend dargelegt hat, aus welchen Gründen in seinen Augen die Erfuellung der im allgemeinen wirtschaftlichen Interesse liegenden Aufgaben, mit denen es ein Unternehmen betraut hat, zu wirtschaftlich tragbaren Bedingungen im Falle einer Aufhebung der beanstandeten Maßnahmen gefährdet wäre, darüber hinaus noch positiv belegen müsste, daß keine andere vorstellbare, der Natur der Sache nach hypothetische Maßnahme es erlaubte, die Erfuellung dieser Aufgaben zu solchen Bedingungen sicherzustellen.

Soweit sich die Kommission, der es obliegt, den Nachweis für das Vorliegen der behaupteten Vertragsverletzung zu führen und dem Gerichtshof die erforderlichen Anhaltspunkte für die entsprechende Prüfung zu liefern, sich im wesentlichen auf rechtliche Erwägungen dazu beschränkt, daß die vom Mitgliedstaat vorgebrachten Rechtfertigungsgründe für die Beibehaltung der ausschließlichen Rechte zurückzuweisen seien, kann der Gerichtshof nur die Begründetheit des rechtlichen Vorbringens der Kommission überprüfen. Es ist nicht seine Aufgabe, auf der Grundlage allgemeiner Bemerkungen unter Berücksichtigung wirtschaftlicher, finanzieller und sozialer Gesichtspunkte die Maßnahmen zu würdigen, die ein Mitgliedstaat erlassen könnte, um die Lieferung von Elektrizität zu möglichst niedrigen Kosten und auf sozialverträgliche Weise sicherzustellen.

Es stellt sich weiter die Frage, ob die fraglichen ausschließlichen Rechte die Entwicklung des Handels in einem Ausmaß beeinträchtigen, das dem Interesse der Gemeinschaft zuwiderläuft. Es obliegt der Kommission, im Rahmen des Nachweises der behaupteten Vertragsverletzung unter der Kontrolle des Gerichtshofes das Interesse der Gemeinschaft zu definieren, an dem die Entwicklung des Handels zu messen ist, und aufzuzeigen, wie in Ermangelung einer einschlägigen Gemeinschaftspolitik eine Entwicklung des unmittelbaren Austausches zwischen Erzeugern und Verbrauchern neben dem Austausch zwischen den grossen Netzen namentlich angesichts der derzeitigen Fortleitungs- und Abgabekapazitäten und -modalitäten möglich wäre.


Urteil des Gerichtshofes vom 23. Oktober 1997. - Kommission der Europäischen Gemeinschaften gegen Königreich der Niederlande. - Vertragsverletzungsverfahren - Ausschließliche Einfuhrrechte für Elektrizität, die zur öffentlichen Versorgung bestimmt ist. - Rechtssache C-157/94.

Entscheidungsgründe:

1 Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat mit Klageschrift, die am 13. Juni 1994 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 169 EG-Vertrag Klage auf Feststellung erhoben, daß das Königreich der Niederlande dadurch gegen seine Verpflichtungen aus den Artikeln 30 und 37 EG-Vertrag verstossen hat, daß es ausschließliche Einfuhrrechte für Elektrizität gewährt hat, die zur öffentlichen Versorgung bestimmt ist.

2 In den Niederlanden bestimmt Artikel 34 der Elektriciteitswet vom 16. November 1989 (Elektrizitätsgesetz; Staatsblad 535; nachfolgend: EW) folgendes:

1. Nur dem hierzu bestimmten Unternehmen ist es gestattet, Elektrizität zum Zwecke der öffentlichen Versorgung einzuführen.

2. Absatz 1 gilt nicht für die Einfuhr von Elektrizität mit einer Spannung von weniger als 500 Volt.

3 Mit Ministerialverordnung vom 20. März 1990 (Staatscourant vom 22. März 1990) wurde die NV Samenwerkende Elektriciteitsproduktiebedrijven (SEP) zu diesem Zweck bestimmt.

4 Nach Artikel 37 Absatz 1 EW ist es verboten, nicht von der SEP eingeführte Elektrizität an Dritte zu liefern. Nach Artikel 37 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 34 Absatz 1 EW dürfen Endverbraucher Elektrizität für ihre eigenen Bedürfnisse einführen.

5 Die Kommission gelangte zu der Auffassung, daß das niederländische Recht der SEP ausschließliche Einfuhrrechte für Elektrizität übertrug, die zur öffentlichen Versorgung bestimmt war (sofern die Spannung 500 Volt überstieg) und damit gegen die Artikel 30 und 37 EG-Vertrag verstieß. Gemäß Artikel 169 EG-Vertrag hat sie deshalb mit Schreiben vom 9. August 1991 die niederländische Regierung aufgefordert, sich binnen zwei Monaten zu der ihr vorgeworfenen Vertragsverletzung zu äussern.

6 Mit Schreiben vom 12. November 1991 hat die niederländische Regierung entgegnet, daß keine Vertragsverletzung vorliege, und unter Berufung auf die Artikel 36 und 90 Absatz 2 EG-Vertrag Gründe zur Rechtfertigung der Beibehaltung der ausschließlichen Einfuhrrechte der SEP vorgebracht.

7 Am 26. November 1992 hat die Kommission dem Königreich der Niederlande eine mit Gründen versehene Stellungnahme übersandt, in der sie das Vorbringen der niederländischen Regierung verwarf; insbesondere seien die in den Artikeln 36 und 90 Absatz 2 EG-Vertrag vorgesehenen Ausnahmen im vorliegenden Fall nicht einschlägig.

8 Mit Schreiben vom 26. März 1993 hat die niederländische Regierung an ihrer Auffassung festgehalten. Die Kommission hat daraufhin die vorliegende Klage erhoben.

9 Mit Beschlüssen vom 6. Dezember 1994 hat der Präsident des Gerichtshofes die Französische Republik und Irland als Streithelfer zur Unterstützung der Anträge des Königreichs der Niederlande sowie das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland als Streithelfer zur Unterstützung der Anträge der Kommission zugelassen.

Die Vereinbarkeit der ausschließlichen Einfuhrrechte mit den Artikeln 30 und 37 EG-Vertrag

10 Die Kommission bringt vor, das nationale Einfuhrmonopol der SEP hindere einerseits die Erzeuger der anderen Mitgliedstaaten daran, ihre Erzeugung in den Niederlanden an andere Kunden als das Monopol zu verkaufen, und andererseits mögliche Kunden in den Niederlanden daran, die Quellen ihrer Elektrizität- und Gasversorgung aus anderen Mitgliedstaaten frei zu wählen.

11 Somit könnten die ausschließlichen Einfuhrrechte der SEP den Handel zwischen Mitgliedstaaten beschränken; als Maßnahmen gleicher Wirkung wie mengenmässige Einfuhrbeschränkungen verstießen sie gegen Artikel 30 EG-Vertrag. Zugleich stellten sie eine Diskriminierung im Sinne des Artikels 37 EG-Vertrag nicht nur gegenüber den Exporteuren in anderen Mitgliedstaaten, sondern auch gegenüber den Verbrauchern im betroffenen Mitgliedstaat dar.

12 Zunächst ist das Vorbringen zu Artikel 37 zu erörtern.

Artikel 37 EG-Vertrag

13 Nach Artikel 37 Absatz 1 formen die Mitgliedstaaten ihre staatlichen Handelsmonopole schrittweise derart um, daß am Ende der Übergangszeit jede Diskriminierung in den Versorgungs- und Absatzbedingungen zwischen den Angehörigen der Mitgliedstaaten ausgeschlossen ist. Das gilt für alle Einrichtungen, durch die ein Mitgliedstaat unmittelbar oder mittelbar die Einfuhr oder die Ausfuhr zwischen den Mitgliedstaaten rechtlich oder tatsächlich kontrolliert, lenkt oder merklich beeinflusst. Es gilt auch für die von einem Staat auf andere Rechtsträger übertragenen Monopole. Im übrigen verpflichtet Artikel 37 Absatz 2 die Mitgliedstaaten, u. a. jede neue Maßnahme zu unterlassen, die den in Absatz 1 genannten Grundsätzen widerspricht.

14 Diese Bestimmung verlangt daher zwar nicht die Abschaffung dieser Monopole, schreibt aber bindend ihre Umformung derart vor, daß am Ende der Übergangszeit die vollständige Beseitigung der erwähnten Diskriminierungen gewährleistet ist (Urteil vom 3. Februar 1976 in der Rechtssache 59/75, Manghera, Slg. 1976, 91, Randnr. 5). Im übrigen verbot sie den Mitgliedstaaten schon vor Ablauf der Übergangszeit, neue Diskriminierungen der in Absatz 1 erfassten Art einzuführen.

15 Wie der Gerichtshof bereits im Urteil Manghera (Randnr. 12) und im Urteil vom 13. Dezember 1990 in der Rechtssache C-347/88 (Kommission/Griechenland, Slg. 1990, I-4747, Randnr. 44) festgestellt hat, bewirken ausschließliche Einfuhrrechte eine von Artikel 37 Absatz 1 verbotene Diskriminierung der in anderen Mitgliedstaaten ansässigen Exporteure. Solche Rechte sind nämlich geeignet, die Absatzbedingungen nur der Wirtschaftsteilnehmer oder Verkäufer anderer Mitgliedstaaten unmittelbar zu beeinträchtigen.

16 Die niederländische Regierung bestreitet jedoch, daß hier ausschließliche Rechte vorlägen, die zu einer Diskriminierung im Sinne des Artikels 37 Absatz 1 EG-Vertrag führten, da die Endverbraucher für ihren eigenen Bedarf Elektrizität einführen dürften und die Exporteure in anderen Mitgliedstaaten daher Elektrizität an jedermann in den Niederlanden liefern dürften.

17 Es ist jedoch unbestritten, daß nach niederländischem Recht nur die SEP zur öffentlichen Versorgung bestimmte Elektrizität einführen darf. Somit dürfen die Exporteure aus anderen Mitgliedstaaten Elektrizität nur für eine bestimmte Gruppe von Endverbrauchern liefern; sie werden damit in ihren Absatzmöglichkeiten gegenüber der SEP diskriminiert, die als einzige Elektrizität einführen darf, um sie u. a. an Versorgungsunternehmen abzugeben oder zu verkaufen.

18 Im übrigen ist das Verbot jeder Diskriminierung zwischen den Angehörigen der Mitgliedstaaten nach Artikel 37 Absatz 1 nicht nur anwendbar, wenn die ausschließlichen Einfuhrrechte für ein bestimmtes Erzeugnis sämtliche Einfuhren, sondern bereits dann, wenn sie einen Bruchteil erfassen, der es dem Monopol erlaubt, die Einfuhren merklich zu beeinflussen (siehe in diesem Sinne Urteil Kommission/Griechenland, Randnr. 41). So verhält es sich bei den ausschließlichen Einfuhrrechten der SEP für zur öffentlichen Versorgung bestimmte Elektrizität unbestrittenermassen.

19 Die niederländische Regierung bestreitet weiter, daß die SEP als Handelsmonopol im Sinne des Artikels 37 EG-Vertrag betrachtet werden könne, da ihre Hauptaufgabe die Planung, die Erstellung von Erzeugungseinheiten und der Ausgleich der Erzeugungs- und Fortleitungskosten auf Staatsebene sei und sie folglich keine eigentlichen Handelstätigkeiten ausübe.

20 Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes setzt Artikel 37 EG-Vertrag jedoch einen Sachverhalt voraus, bei dem die staatlichen Behörden in der Lage sind, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu kontrollieren oder zu lenken oder ihn mit Hilfe einer zu diesem Zweck geschaffenen Einrichtung oder eines auf andere Rechtsträger übertragenen Monopols merklich zu beeinflussen (Urteil vom 14. Dezember 1995 in der Rechtssache C-387/93, Banchero, Slg. 1995, I-4663, Randnr. 26, mit weiteren Nachweisen). So verhält es sich bei ausschließlichen Einfuhrrechten naturgemäß.

21 Schließlich bringt die niederländische Regierung vor, nur die diskriminierende Ausübung von ausschließlichen Rechten, nicht ihre Innehabung sei in Artikel 37 EG-Vertrag verboten. Die Ausübung der Einfuhrrechte durch die SEP diskriminiere nicht, da alle zur öffentlichen Versorgung bestimmte Elektrizität unabhängig von ihrem Ursprung im In- oder Ausland über die SEP geleitet werde und da die Endverbraucher in den Niederlanden sämtlich Elektrizität zu denselben Bedingungen erhielten. Die SEP müsse nämlich bei ihrer Planung Importe in Rechnung stellen und sei sogar zur Einfuhr verpflichtet, wenn diese günstiger sei als die Versorgung bei niederländischen Erzeugungsgesellschaften.

22 Hierzu hat der Gerichtshof im Urteil Manghera (Randnrn. 9 und 10) festgestellt, daß das Ziel des Artikels 37 Absatz 1 EG-Vertrag verfehlt würde, wenn in einem Mitgliedstaat mit einem Handelsmonopol der freie Verkehr mit aus den anderen Mitgliedstaaten kommenden Waren der dem Monopol unterliegenden Art nicht gesichert wäre.

23 Dieser freie Verkehr wird aber durch ausschließliche Einfuhrrechte in einem Mitgliedstaat als solche behindert, da diese den Wirtschaftsteilnehmern der anderen Mitgliedstaaten die Möglichkeit nehmen, ihre Erzeugnisse den Verbrauchern ihrer Wahl in dem betroffenen Mitgliedstaat anzubieten. Im übrigen muß sich im vorliegenden Fall jede Einfuhr in den Rahmen der Planung der SEP einfügen.

Die Artikel 30 und 36 EG-Vertrag

24 Da die ausschließlichen Einfuhrrechte der SEP somit gegen Artikel 37 EG-Vertrag verstossen, braucht nicht erörtert zu werden, ob sie auch gegen Artikel 30 verstossen, und folglich auch nicht, ob sie etwa nach Artikel 36 EG-Vertrag gerechtfertigt werden können.

25 Zu prüfen bleibt jedoch noch, ob die streitigen ausschließlichen Rechte entsprechend dem Vorbringen der niederländischen Regierung nach Artikel 90 Absatz 2 EG-Vertrag gerechtfertigt werden können.

Die Rechtfertigungen nach Artikel 90 Absatz 2 EG-Vertrag

26 Die Kommission hat vorgebracht, Artikel 90 Absatz 2 EG-Vertrag könne staatliche Maßnahmen, die mit den Vorschriften des EG-Vertrags über den freien Warenverkehr unvereinbar seien, nicht rechtfertigen. Das ist zunächst zu erörtern.

Die Anwendbarkeit des Artikels 90 Absatz 2 EG-Vertrag auf staatliche Maßnahmen, die mit den Bestimmungen des EG-Vertrags über den freien Warenverkehr unvereinbar sind

27 Artikel 90 Absatz 1 EG-Vertrag verbietet den Mitgliedstaaten ganz allgemein, in bezug auf öffentliche Unternehmen und auf Unternehmen, denen sie besondere oder ausschließliche Rechte gewähren, dem EG-Vertrag, insbesondere den Artikeln 6 und 85 bis 94 widersprechende Maßnahmen zu treffen oder beizubehalten. Diese Bestimmung setzt damit voraus, daß die Mitgliedstaaten bestimmten Unternehmen ausschließliche Rechte gewähren und Monopole übertragen können.

28 Nach Artikel 90 Absatz 2 gelten für die Unternehmen, die mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse betraut sind, die Vorschriften des EG-Vertrags, insbesondere die Wettbewerbsregeln, soweit die Anwendung dieser Vorschriften nicht die Erfuellung der ihnen übertragenen besonderen Aufgabe rechtlich oder tatsächlich verhindert, wobei die Entwicklung des Handelsverkehrs nicht in einem Ausmaß beeinträchtigt werden darf, das dem Interesse der Gemeinschaft zuwiderläuft.

29 In seinem Urteil vom 6. Juli 1982 in den Rechtssachen 188/80 bis 190/80 (Frankreich, Italien und Vereinigtes Königreich/Kommission, Slg. 1982, 2545, Randnr. 12) hat der Gerichtshof festgestellt, daß Artikel 90 nur die Unternehmen betreffe, für deren Verhalten die Staaten aufgrund des Einflusses, den sie auf dieses Verhalten ausüben könnten, besondere Verantwortung trügen; er unterstreiche, daß für diese Unternehmen vorbehaltlich der in Absatz 2 getroffenen näheren Bestimmungen sämtliche Vorschriften des EG-Vertrags gölten, und verpflichte die Mitgliedstaaten zur Einhaltung dieser Vorschriften in ihren Beziehungen zu diesen Unternehmen.

30 Im Lichte dieser Erwägungen soll Artikel 90 Absatz 1 verhindern, daß die Mitgliedstaaten aus ihren Beziehungen zu diesen Unternehmen Nutzen in dem Sinne ziehen, daß sie die Verbote der anderen Vorschriften des EG-Vertrags, deren Adressaten sie unmittelbar sind, wie der Artikel 30, 34 und 37, umgehen, indem sie diese Unternehmen zu Verhaltensweisen verpflichten oder veranlassen, die als Verhaltensweisen der Mitgliedstaaten diesen Vorschriften widersprächen.

31 In diesem Zusammenhang legt Artikel 90 Absatz 2 fest, unter welchen Voraussetzungen Unternehmen, die mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse betraut sind, ausnahmsweise von den Vorschriften des EG-Vertrags befreit sind.

32 Zusammengenommen folgt aus Artikel 90 Absatz 1 und Absatz 2 in ihrer eben dargelegten Bedeutung, daß ein Mitgliedstaat sich auf Artikel 90 Absatz 2 berufen kann, um einem Unternehmen, das mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse betraut ist, insbesondere gegen Artikel 37 EG-Vertrag verstossende ausschließliche Rechte zu übertragen, soweit die Erfuellung der diesem übertragenen besonderen Aufgabe nur durch die Einräumung solcher Rechte gesichert werden kann und soweit die Entwicklung des Handelsverkehrs nicht in einem Ausmaß beeinträchtigt wird, das dem Interesse der Gemeinschaft zuwiderläuft.

33 Damit ist das Hilfsvorbringen der Kommission zu prüfen, diese Bedingungen seien im vorliegenden Fall nicht erfuellt.

Die Erforderlichkeit der streitigen ausschließlichen Rechte für die Erfuellung der Aufgabe der SEP

34 Die Kommission bestreitet nicht, daß die SEP als Unternehmen, das mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse im Sinne des Artikels 90 Absatz 2 EG-Vertrag betraut ist, betrachtet werden kann. Sie macht jedoch geltend, die niederländische Regierung habe keinen Nachweis dafür erbracht, daß die anderen Tatbestandsmerkmale dieser Bestimmung erfuellt seien, daß insbesondere die Anwendung der Vorschriften des EG-Vertrags die Erfuellung der der SEP übertragenen besonderen Aufgabe mittelbar oder unmittelbar verhindere.

35 Unter anderem ergebe sich aus den Urteilen vom 19. Mai 1993 in der Rechtssache C-320/91 (Corbeau, Slg. 1993, I-2533, Randnr. 16) und vom 27. April 1994 in der Rechtssache C-393/92 (Almelo, Slg. 1994, I-1477, Randnr. 49), daß Artikel 90 Absatz 2 EG-Vertrag dem EG-Vertrag widersprechende Maßnahmen nur insoweit gestatte, als diese erforderlich seien, um dem betroffenen Unternehmen die Erfuellung seiner Aufgabe im allgemeinen wirtschaftlichen Interesse unter wirtschaftlich tragbaren Bedingungen zu erlauben, als sie also für das finanzielle Gleichgewicht des Unternehmens selbst erforderlich seien. Es hätte daher der niederländischen Regierung oblegen, nachzuweisen, daß im Falle der Aufhebung der streitigen ausschließlichen Einfuhrrechte die Gefahr bestanden hätte, daß Elektrizitätsimporteure sich auf die gewinnträchtigsten Tätigkeiten konzentrierten und die weniger gewinnträchtigen der SEP überließen, daß diese Gefahr einer Abschöpfung das Überleben der SEP zu gefährden geeignet sei und daß es keine anderen, den Handelsverkehr weniger beeinträchtigenden Maßnahmen gebe, die auch die Erfuellung der fraglichen öffentlichen Versorgungsleistungen erlaubten, insbesondere einen Ausgleich der mit diesen Leistungen verbundenen Kosten zwischen der SEP und den Importeuren.

36 Zunächst ist die von der Kommission vertretene enge Auslegung des Anwendungsbereichs des Artikels 90 Absatz 2 EG-Vertrag zu erörtern, anschließend, ob die Beweisanforderungen, die die Kommission an die beklagte Regierung stellt, begründet sind.

37 Als Bestimmung, die Ausnahmen von den Vorschriften des EG-Vertrags erlaubt, ist Artikel 90 Absatz 2 eng auszulegen.

38 Bereits der Wortlaut des Artikels 90 Absatz 2 zeigt jedoch, daß Ausnahmen von den Vorschriften des EG-Vertrags zulässig sind, wenn diese für die Erfuellung der einem Unternehmen, das mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse betraut ist, übertragenen besonderen Aufgabe erforderlich sind.

39 Weiter hat der Gerichtshof im Urteil vom 19. März 1991 in der Rechtssache C-202/88 (Frankreich/Kommission, Slg. 1991, I-1223, Randnr. 12) festgestellt, daß Artikel 90 Absatz 2 dadurch, daß er unter bestimmten Voraussetzungen Ausnahmen von den allgemeinen Vorschriften des EG-Vertrags zulässt, das Interesse der Mitgliedstaaten am Einsatz bestimmter Unternehmen, insbesondere solcher des öffentlichen Sektors, als Instrument der Wirtschafts- oder Fiskalpolitik mit dem Interesse der Gemeinschaft an der Einhaltung der Wettbewerbsregeln und der Wahrung der Einheit des gemeinsamen Marktes in Einklang bringen soll.

40 Unter Berücksichtigung dieses Interesses der Mitgliedstaaten kann es diesen nicht verboten sein, bei der Umschreibung der Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse, mit denen sie bestimmte Unternehmen betrauen, die eigenen Ziele ihrer staatlichen Politik zu berücksichtigen und diese vermittels von Verpflichtungen und Beschränkungen zu verwirklichen zu suchen, die sie den fraglichen Unternehmen auferlegen.

41 Zudem hat der Gerichtshof im Urteil Almelo (Randnr. 48) mit Betreff auf ein regionales Stromversorgungsunternehmen ausgeführt, daß die ununterbrochene Versorgung aller Abnehmer, lokalen Versorgungsunternehmen oder Endverbraucher mit Strom im gesamten Konzessionsgebiet in den zu jeder Zeit geforderten Mengen zu einheitlichen Tarifen und unter Bedingungen, die nur nach objektiven Kriterien unterschiedlich sein dürfen, die für alle Kunden gelten, eine Aufgabe von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse im Sinne des Artikels 90 Absatz 2 ist.

42 Entsprechend hat die Kommission in ihrer Entscheidung 91/50/EWG vom 16. Januar 1991 in einem Verfahren nach Artikel 85 EWG-Vertrag (IV/32.732-IJsselcentrale u. a.; ABl. L 28, S. 32) bereits anerkannt, daß ein Unternehmen, dessen wichtigste Aufgabe es ist, für eine verläßliche und einwandfrei funktionierende, flächendeckende öffentliche Elektrizitätsversorgung zu möglichst niedrigen Kosten und auf sozialverträgliche Weise Sorge zu tragen, Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse im Sinne des Artikels 90 Absatz 2 erbringt.

43 Die Vorschriften des EG-Vertrags sind daher gemäß Artikel 90 Absatz 2 EG-Vertrag bereits dann nicht auf ein Unternehmen anwendbar, das mit einer Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse betraut ist, wenn ihre Anwendung die Erfuellung der besonderen Verpflichtungen, die diesem Unternehmen obliegen, tatsächlich oder rechtlich gefährden würde. Es ist nicht erforderlich, daß das Überleben des Unternehmens bedroht ist.

44 Zu der Frage, ob die niederländische Regierung im vorliegenden Fall hinreichend nachgewiesen hat, daß die ausschließlichen Einfuhrrechte der SEP erforderlich sind, um dieser die Erfuellung der besonderen Aufgabe zu ermöglichen, mit der sie betraut ist, hat die Kommission sich in ihrem Aufforderungsschreiben im wesentlichen auf die Behauptung beschränkt, das Königreich der Niederlande könne gegenüber den anderen Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Elektrizität keine ausschließlichen Einfuhrrechte aufrechterhalten, die mit den Artikeln 30 und 37 EG-Vertrag unvereinbar seien.

45 In ihrer Entgegnung hat die niederländische Regierung das Funktionieren des nationalen Elektrizitätsversorgungssystems nach Erlaß des Elektrizitätsgesetzes eingehend geschildert und insbesondere darauf hingewiesen, daß nach Artikel 2 EW die Aufgabe der SEP darin bestehe, zusammen mit den Elektrizitätserzeugungsunternehmen für eine einwandfrei funktionierende, flächendeckende öffentliche Elektrizitätsversorgung zu möglichst niedrigen Kosten und auf sozialverträgliche Weise Sorge zu tragen. Die niederländische Regierung bedauerte, daß die Kommission in ihrem Aufforderungsschreiben die mögliche Anwendung von Artikel 90 Absatz 2 EG-Vertrag nicht angesprochen habe, obwohl sie in der Entscheidung 91/50/EWG anerkannt habe, daß die SEP unter diese Bestimmung falle. Sie legte dann die Gründe dar, aus denen im Falle einer Aufhebung der ausschließlichen Einfuhrrechte der SEP das gesamte öffentliche Elektrizitätsversorgungssystem ernstlich gefährdet sei.

46 In ihrer mit Gründen versehenen Stellungnahme ist die Kommission hierauf kaum eingegangen; sie hat sich vielmehr auf rechtliche Erwägungen gestützt, nach denen die Beibehaltung der streitigen ausschließlichen Rechte mit den Artikeln 30, 30 und 37 EG-Vertrag unvereinbar sei. Zu Artikel 90 Absatz 2 hat sie nur vorgebracht, diese Bestimmung finde auf Maßnahmen, die gegen die genannten Artikel verstießen, keine Anwendung; überdies habe die niederländische Regierung nicht nachgewiesen, daß die beanstandeten Maßnahmen angesichts der verfolgten Zwecke verhältnismässig seien.

47 In ihren Erklärungen zu der mit Gründen versehenen Stellungnahme hat die niederländische Regierung das staatliche Elektrizitätsversorgungssystem noch eingehender beschrieben und gerügt, daß die Kommission der Frage keine hinreichende Bedeutung beigemessen habe, ob ein solches System wirksam funktionieren könne, wenn es allein den Marktkräften unterworfen sei. Namentlich bestuenden unlösbare Zusammenhänge zwischen den einzelnen Teilen des niederländischen Systems, namentlich zwischen den Einfuhrrechten und der Pflicht aus Artikel 2 EW, die Kosten der öffentlichen Elektrizitätsversorgung möglichst niedrig zu halten.

48 Die Kommission hat auch in der Klageschrift im wesentlichen nur ihr Rechtsvorbringen wiederholt, wie es oben in den Randnummern 34 und 35 wiedergegeben ist. Sie hat hinzugefügt, nichts erlaube die Annahme, daß die Aufhebung der streitigen ausschließlichen Rechte die Gewinne, die die SEP insbesondere 1993 erzielt habe, derart drücken werde, daß diese die ihr gestellten Aufgaben nicht mehr erfuellen könne. Auf eine Erörterung der einzelnen Faktoren, die die niederländische Regierung vorgebracht hatte, hat sie sich jedoch nicht eingelassen.

49 Vor dem Gerichtshof hat die niederländische Regierung ihre Auffassung wiederholt, die SEP könne die ihr übertragenen Aufgaben nur erfuellen, wenn die für die öffentliche Versorgung bestimmten Elektrizitätseinfuhren über sie geleitet würden. Die Einfuhrregelung stelle ein unabtrennbares Merkmal des gesamten staatlichen Elektrizitätsversorgungssystems dar, die nicht isoliert gewürdigt werden dürfe, sondern sich in das gesamte, mit dem Elektrizitätsgesetz geschaffene und von der SEP verwaltete Planungssystem einfügen müsse. Die Einfuhrregelung sei geschaffen worden, damit das Planungssystem nicht durch unabhängige Einfuhren seitens Erzeugungs- und Versorgungsgesellschaften umgangen werde; seine Aufhebung nehme dem System seinen Daseinszweck und seine Wirksamkeit.

50 In ihrer Erwiderung hat die Kommission erneut vorgetragen, die niederländische Regierung habe nicht nachgewiesen, daß die Beibehaltung der streitigen ausschließlichen Rechte die Einnahmen schaffe, die für die Erfuellung der der SEP übertragenen Aufgaben unerläßlich seien. Nicht nur habe die niederländische Regierung nichts vorgetragen, was es erlaubte, die finanzielle Bedeutung des Einfuhrmonopols der SEP zu beziffern, sie habe nicht einmal einen Kausalzusammenhang zwischen der Aufhebung der ausschließlichen Rechte und der Erfuellung der Pflichten eines öffentlichen Versorgungsuntrnehmen durch die SEP dargetan.

51 Da es sich bei Artikel 90 Absatz 2 EG-Vertrag um eine Ausnahme von den Grundvorschriften des EG-Vertrags handelt, obliegt dem Mitgliedstaat, der sich auf diese Bestimmung beruft, der Nachweis, daß ihr Tatbestand erfuellt ist.

52 Der Gerichtshof hat jedoch in den Randnummern 37 bis 43 festgestellt, daß der Tatbestand des Artikels 90 Absatz 2 EG-Vertrag entgegen der Auffassung der Kommission nicht erst dann erfuellt ist, wenn das finanzielle Gleichgewicht oder das wirtschaftliche Überleben des mit einer Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse betrauten Unternehmens bedroht ist. Vielmehr genügt es, wenn ohne die streitigen Rechte die Erfuellung der dem Unternehmen übertragenen besonderen Aufgaben gefährdet wäre, wie sie sich aus den ihm obliegenden Verpflichtungen und Beschränkungen ergeben.

53 Im übrigen ergibt sich aus dem Urteil Corbeau (Randnrn. 14 bis 16), daß der Tatbestand des Artikels 90 Absatz 2 namentlich dann erfuellt ist, wenn die Beibehaltung dieser Rechte erforderlich ist, um ihrem Inhaber die Erfuellung seiner im allgemeinen wirtschaftlichen Interesse liegenden Aufgaben zu wirtschaftlich tragbaren Bedingungen zu ermöglichen.

54 Im Fall einer Aufhebung der ausschließlichen Einfuhrrechte der SEP würden sich nicht nur bestimmte Verbraucher, sondern auch Versorgungsunternehmen offenkundig auf ausländischen Märkten versorgen, wenn die dortigen Preise niedriger als die Preise der SEP wären. Diese Möglichkeit wäre sogar ein wesentliches Ziel der Marktöffnung.

55 Angesichts der Besonderheiten von Elektrizität sowie der Modalitäten ihrer Erzeugung, Fortleitung und Abgabe, wie sie in den Niederlanden existieren, hätte eine solche Marktöffnung ebenso offenkundig wesentliche Änderungen der Verwaltung des nationalen Versorgungssystems zur Folge, was namentlich die Verpflichtung der SEP betrifft, vermittels der ihr übertragenen Planung zum Funktionieren dieses Systems zu möglichst niedrigen Kosten und auf sozialverträgliche Weise beizutragen.

56 Die Kommission hat diese Offenkundigkeit im übrigen nicht bestritten. Sie hat sich stattdessen darauf beschränkt, allgemein bestimmte mögliche Alternativen zu den streitigen Rechten aufzuzählen, etwa einen Ausgleich der mit den Verpflichtungen öffentlicher Versorgungsunternehmen verbundenen Kosten zwischen der SEP und den Importeuren.

57 Mit dieser allgemein gehaltenen Aufzählung bestimmter Alternativen zu den streitigen Rechten hat die Kommission jedoch weder die Besonderheiten des nationalen Elektrizitätsversorgungssystems berücksichtigt, die die niederländische Regierung anführt, noch konkret geprüft, ob diese Alternativen es der SEP erlaubten, die im allgemeinen wirtschaftlichen Interesse liegenden Aufgaben, mit denen sie betraut ist, unter Beachtung aller Verpflichtungen und Beschränkungen zu erfuellen, die ihr auferlegt sind und deren Legitimität und Legalität die Kommission nicht bestreitet.

58 Zwar obliegt dem Mitgliedstaat, der sich auf Artikel 90 Absatz 2 beruft, der Nachweis, daß dessen Tatbestand erfuellt ist. Diese Beweislast geht jedoch nicht so weit, daß dieser Mitgliedstaat nicht nur eingehend darlegen müsste, aus welchen Gründen in seinen Augen die Erfuellung der im allgemeinen wirtschaftlichen Interesse liegenden Aufgaben zu wirtschaftlich tragbaren Bedingungen im Falle einer Aufhebung der beanstandeten Maßnahmen gefährdet wäre, sondern darüber hinaus noch positiv belegen müsste, daß keine andere vorstellbare, der Natur der Sache nach hypothetische Maßnahme es erlaubte, die Erfuellung dieser Aufgaben unter solchen Bedingungen sicherzustellen.

59 Vielmehr obliegt im Rahmen eines Vertragsverletzungsverfahrens nach Artikel 169 EG-Vertrag der Kommission der Nachweis für das Vorliegen einer solchen Verletzung. Ausserdem muß sie dem Gerichtshof die erforderlichen Anhaltspunkte liefern, anhand deren dieser das Vorliegen der Vertragsverletzung prüfen kann (siehe Urteil vom 25. Mai 1982 in der Rechtssache 96/81, Kommission/Niederlande, Slg. 1982, 1791, Randnr. 6).

60 Hier ist von Belang, daß das vorprozessuale Verfahren nach Artikel 169 EG-Vertrag es dem Mitgliedstaat erlauben soll, freiwillig seinen Verpflichtungen aus dem EG-Vertrag nachzukommen oder gegebenenfalls seine Auffassung zu rechtfertigen (siehe hierzu Urteil vom 18. März 1986 in der Rechtssache 85/85, Kommission/Belgien, Slg. 1986, 1149, Randnr. 11). Eben das hat die niederländische Regierung getan, als sie bereits in ihrer Entgegnung auf das Aufforderungsschreiben der Kommission eine Reihe von Gesichtspunkten anführte, die die Beibehaltung der streitigen ausschließlichen Rechte namentlich unter dem Gesichtspunkt des Artikels 90 Absatz 2 EG-Vertrag rechtfertigen konnten.

61 Die mit Gründen versehene Stellungnahme muß eine detaillierte und zusammenhängende Darlegung der Gründe enthalten, aus denen die Kommission zu der Überzeugung gelangt ist, daß der betreffende Mitgliedstaat gegen eine ihm nach dem EG-Vertrag obliegende Verpflichtung verstossen hat (siehe namentlich Urteil vom 17. September 1996 in der Rechtssache C-289/94, Kommission/Italien, Slg. 1996, I-4405, Randnr. 16). Im vorliegenden Fall waren die von der Kommission angeführten Gründe im wesentlichen rechtliche Erwägungen dazu, daß die von der niederländischen Regierung vorgebrachten Rechtfertigungsgründe nicht einschlägig seien.

62 Zweck der späteren Klage der Kommission ist es, nach Maßgabe des vorprozessualen Verfahrens die Klagegründe darzulegen, über die zu entscheiden der Gerichtshof aufgerufen ist, sowie zumindest zusammenfassend die rechtlichen und tatsächlichen Gesichtspunkte darzustellen, auf denen diese Klagegründe beruhen (siehe insbesondere Urteil Kommission/Griechenland, Randnr. 28). Im vorliegenden Fall hat sich die Kommission im wesentlichen auf ein rein rechtliches Vorbringen beschränkt.

63 Im Rahmen eines solchen Rechtsstreits kann der Gerichtshof nur die Begründetheit des rechtlichen Vorbringens der Kommission überprüfen. Es ist sicherlich nicht Aufgabe des Gerichtshofes, auf der Grundlage allgemeiner Bemerkungen in der Erwiderung unter Berücksichtigung wirtschaftlicher, finanzieller und sozialer Gesichtspunkte die Maßnahmen zu würdigen, die ein Mitgliedstaat erlassen könnte, um die Lieferung von Elektrizität in seinem Gebiet zu möglichst niedrigen Kosten und auf sozialverträgliche Weise sicherzustellen.

64 Aus diesen Gründen, insbesondere aber, weil der Gerichtshof die Rechtsauffassung, auf der die mit Gründen versehene Stellungnahme und die Klage der Kommission beruhen, verworfen hat, ist der Gerichtshof im Rahmen des vorliegenden Verfahrens nicht in der Lage, zu beurteilen, ob das Königreich der Niederlande mit der Gewährung ausschließlicher Einfuhrrechte an die SEP tatsächlich die Grenzen dessen überschritten hat, was erforderlich ist, um dieser Einrichtung die Erfuellung der ihr übertragenen Aufgaben von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse zu wirtschaftlich tragbaren Bedingungen zu ermöglichen.

65 Die ausschließlichen Einfuhrrechte der SEP sind von der Anwendung der Vorschriften des EG-Vertrags aufgrund von Artikel 90 Absatz 2 EG-Vertrag jedoch nur befreit, wenn die Entwicklung des Handelsverkehrs nicht in einem Ausmaß beeinträchtigt wird, das dem Interesse der Gemeinschaft zuwiderläuft.

Die Beeinträchtigung der Entwicklung des innergemeinschaftlichen Handels

66 Im vorprozessualen Verfahren wie vor dem Gerichtshof hat die niederländische Regierung ausgeführt, ohne daß die Kommission dem widersprochen hätte, daß die Elektrizitätseinfuhren der SEP im Laufe der letzten Jahre ungefähr 15 % der gesamten Inlandsnachfrage an Elektrizität dargestellt hätten und daß in der Europäischen Union nur Italien eine vergleichbare Einfuhrquote habe. Sie hat auch ausgeführt, daß die Kapazität der grenzueberschreitenden Leitungen angesichts der für Notfälle erforderlichen Reservekapazität damit erschöpft sei.

67 Die Kommission hat nur wiederholt, daß Maßnahmen von Bestimmungen des EG-Vertrags kraft dessen Artikel 90 Absatz 2 nicht bereits dann befreit seien, wenn deren Anwendung die Erfuellung der besonderen Aufgabe mittelbar oder unmittelbar gefährde, sondern nur dann, wenn das Interesse der Gemeinschaft nicht berührt werde; sie hat sich nicht um den Nachweis bemüht, daß der Binnenhandel der Gemeinschaft mit Elektrizität sich aufgrund der ausschließlichen Einfuhrrechte der SEP weiterhin entgegen dem Interesse der Gemeinschaft entwickle.

68 Diesen Nachweis hätte sie jedoch erbringen müssen.

69 Angesichts der Ausführungen der niederländischen Regierung oblag es nämlich der Kommission, im Rahmen des Nachweises der behaupteten Vertragsverletzung unter der Kontrolle des Gerichtshofes das Interesse der Gemeinschaft zu definieren, an dem die Entwicklung des Handels zu messen ist. Artikel 90 Absatz 3 EG-Vertrag beauftragt die Kommission ausdrücklich, auf die Anwendung dieses Artikels zu achten und erforderlichenfalls geeignete Richtlinien oder Entscheidungen an die Mitgliedstaaten zu richten.

70 Eine solche Definition war im vorliegenden Fall besonders erforderlich, weil die einzige unmittelbar auf den Handel mit Elektrizität anwendbare Gemeinschaftshandlung, nämlich die Richtlinie 90/547/EWG des Rates vom 29. Oktober 1990 über den Transit von Elektrizitätslieferungen über grosse Netze (ABl. L 313, S. 30) in ihrer sechsten Begründungserwägung ausdrücklich feststellt, daß zwischen den grossen Hochspannungsnetzen europäischer Länder ein Austausch von elektrischer Energie besteht, dessen Umfang von Jahr zu Jahr zunimmt.

71 Die Kommission hat ausdrücklich ausgeführt, daß ihre Klage einzig und allein die ausschließlichen Einfuhrrechte der SEP und keine anderen Rechte namentlich mit Bezug auf Fortleitung und Abgabe betrifft. Sie musste daher insbesondere aufzeigen, wie in Ermangelung einer einschlägigen Gemeinschaftspolitik eine Entwicklung des unmittelbaren Austauschs zwischen Erzeugern und Verbrauchern neben dem Austausch zwischen den grossen Netzen namentlich angesichts der derzeitigen Fortleitungs- und Abgabekapazitäten und -modalitäten möglich wäre.

72 Nach alledem ist die Klage abzuweisen.

Kostenentscheidung:

Kosten

73 Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung trägt die unterliegende Partei auf Antrag die Kosten. Da die Kommission mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, hat sie die Kosten zu tragen. Nach Artikel 69 § 4 der Verfahrensordnung tragen die Mitgliedstaaten und die Organe, die dem Rechtsstreit beigetreten sind, ihre eigenen Kosten.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

für Recht erkannt und entschieden:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften trägt die Kosten des Verfahrens.

3. Der Streithelfer Vereinigtes Königreich Großbritannien und Nordirland, die Streithelferin Französische Republik und der Streithelfer Irland tragen ihre eigenen Kosten.

Ende der Entscheidung

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