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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 10.05.1990
Aktenzeichen: C-163/89
Rechtsgebiete: EWG-Vertrag, Verordnung Nr. 1408/71 vom 14.06.1971, Königliche Verordnung vom 20.12.1963


Vorschriften:

EWG-Vertrag Art. 177
Verordnung Nr. 1408/71 vom 14.06.1971 Art. 69 Abs. 4
Königliche Verordnung vom 20.12.1963 Art. 123 § 1 Abs. 1 Nr. 1
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Artikel 69 der Verordnung Nr. 1408/71, der die Mobilität der Arbeitsuchenden fördern will, enthält in Absatz 4 eine Sondervorschrift, die für den Arbeitslosen gilt, dessen zuständiger Staat Belgien ist. Wenn sich dieser Arbeitslose nach den Bestimmungen dieses Artikels in einen anderen Mitgliedstaat begibt, um dort eine Beschäftigung zu suchen, und erst nach Ablauf des in Artikel 69 Absatz 1 Buchstabe c festgelegten Zeitraums von drei Monaten nach Belgien zurückkehrt, erlangt er nach Artikel 69 Absatz 4 den Anspruch auf Leistungen nach dem belgischen System der Leistungen bei Arbeitslosigkeit unter der alleinigen Bedingung wieder, daß er nach den belgischen Rechtsvorschriften weiterhin leistungsberechtigt geblieben ist und seit seiner Rückkehr nach Belgien mindestens drei Monate eine Beschäftigung ausgeuebt hat.


URTEIL DES GERICHTSHOFES (ERSTE KAMMER) VOM 10. MAI 1990. - OFFICE NATIONAL DE L'EMPLOI GEGEN ANTONIO DI CONTI. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: COUR DU TRAVAIL DE LIEGE - BELGIEN. - SOZIALE SICHERHEIT - LEISTUNGEN BEI ARBEITSLOSIGKEIT. - RECHTSSACHE C-163/89.

Entscheidungsgründe:

1 Die Cour du travail Lüttich hat mit Urteil vom 28. April 1989, beim Gerichtshof eingegangen am 9. Mai 1989, gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag eine Frage nach der Auslegung des Artikels 69 der Verordnung Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu - und abwandern ( ABl. L 149, S. 2 ), in der Fassung der Verordnung Nr. 2001/83 vom 2. Juni 1983 ( ABl. L 230, S. 6 ) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Frage stellt sich in einem Rechtsstreit zwischen dem Office national de l' emploi ( ONEM ) und Antonio Di Conti ( Kläger ) um die Weigerung, Leistungen bei Arbeitslosigkeit zu gewähren.

3 Der Kläger ist italienischer Staatsangehöriger, der in Belgien Leistungen bei Arbeitslosigkeit erhielt. Er beantragte am 27. April 1984 die Anwendung des Artikels 69 der Verordnung Nr. 1408/71, um diese Leistungen in Italien weiter zu erhalten, wohin er sich zur Arbeitsuche begeben wollte. Daraufhin wurde ihm ein Dokument E 303 ausgestellt, worin bescheinigt wurde, daß er einen Leistungsanspruch für die Dauer von drei Monaten ab 27. April 1984 hatte.

4 Nach Ablauf der festgesetzten Frist kehrte der Kläger nach Belgien zurück. Dort nahm er am 23. September 1985 seine Berufstätigkeit wieder auf und beantragte die Gewährung einer Unterstützung wegen Kurzarbeit. Das ONEM verweigerte ihm diese Unterstützung mit der Begründung, daß er zwar in Belgien während mehr als drei Monaten eine Beschäftigung ausgeuebt habe, was nach Artikel 69 Absatz 4 der Verordnung Nr. 1408/71 Voraussetzung für das Wiederaufleben des Anspruchs auf Leistungen dieses Landes sei, daß er aber die vom belgischen Recht vorgesehenen Anwartschaftszeiten nicht erfuelle ( Artikel 118 bis 122 der Königlichen Verordnung vom 20. Dezember 1963 über Beschäftigung und Arbeitslosigkeit ).

5 Der Kläger erhob gegen diesen Bescheid Klage vor dem Tribunal du travail Lüttich, das seine Klage aufgrund dessen, daß er den Tatbestand des Artikels 69 Absatz 4 der Verordnung Nr. 1408/71 erfuelle, für zulässig und begründet erklärte. Das ONEM legte gegen dieses Urteil Berufung bei der Cour du travail Lüttich ein, die das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof die folgende Frage vorgelegt hat :

"Erlangt der Arbeitslose, dessen zuständiger Staat Belgien ist, der nach Ablauf des in Artikel 69 Absatz 1 Buchstabe c der Verordnung Nr. 1408/71 genannten Zeitraums von drei Monaten dorthin zurückgekehrt ist und der deswegen nach Artikel 69 Absatz 2 jeden Anspruch auf Leistungen Belgiens verloren hat, seine Ansprüche auf Leistungen dieses Landes ohne weiteres wieder, sobald er dort während mindestens drei Monaten eine Beschäftigung ausgeuebt hat, oder ist Artikel 69 Absatz 4 dahin auszulegen, daß dieser Arbeitslose darüber hinaus erneut die Anwartschaftszeit nach belgischem Recht, im vorliegenden Fall nach der Königlichen Verordnung vom 20. Dezember 1963, erfuellt haben muß?"

6 Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts des Ausgangsverfahrens, des Verfahrensablaufs sowie der beim Gerichtshof eingereichten schriftlichen Erklärungen wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt wird im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

7 Artikel 69 der Verordnung Nr. 1408/71 eröffnet dem arbeitslosen Arbeitnehmer die Möglichkeit, sich für einen bestimmten Zeitraum der nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Mitgliedstaats bestehenden Verpflichtung, der Arbeitsverwaltung dieses Staats zur Verfügung zu stehen, zu entziehen, ohne daß er deshalb dort den Anspruch auf Leistungen bei Arbeitslosigkeit verliert, um ihm so die Arbeitsuche in einem anderen Mitgliedstaat zu ermöglichen. Gemäß Artikel 69 Absatz 1 ist diese Vergünstigung auf einen Zeitraum von drei Monaten von dem Zeitpunkt an beschränkt, von dem ab der Arbeitnehmer der Arbeitsverwaltung des zuständigen Staates nicht mehr zur Verfügung stand.

8 Der Gerichtshof hat in seinem Urteil vom 19. Juni 1980 in den verbundenen Rechtssachen 41/79, 121/79 und 796/79 ( Testa, Slg. 1980, 1979 ) entschieden, daß der Arbeitnehmer, der nach Ablauf der Dreimonatsfrist des Artikels 69 Absatz 1 Buchstabe c der Verordnung Nr. 1408/71 in den zuständigen Staat zurückkehrt, gemäß Artikel 69 Absatz 2 Satz 1 keinen Anspruch auf Leistungen gegen den zuständigen Staat mehr erheben kann, sofern nicht die Frist nach Artikel 69 Absatz 2 Satz 2 verlängert worden ist.

9 Artikel 69 Absatz 4, um dessen Auslegung das vorlegende Gericht ersucht, ist eine Sondervorschrift, die das Wiederaufleben des Leistungsanspruchs des Arbeitslosen regelt, der nach Ablauf der Dreimonatsfrist in den zuständigen Staat zurückkehrt, wenn es sich bei diesem Staat um Belgien handelt.

10 Nach Ansicht des ONEM tritt das in Artikel 69 Absatz 4 genannte Erfordernis, daß der Arbeitnehmer für das Wiederaufleben des Leistungsanspruchs in Belgien nach seiner Rückkehr dort während mindestens drei Monaten eine Beschäftigung ausgeuebt haben müsse, neben die Voraussetzungen, an die die belgischen Rechtsvorschriften den Erwerb eines Anspruchs auf Leistungen bei Arbeitslosigkeit allgemein knüpfen.

11 Dieser Auslegung kann nicht gefolgt werden.

12 Erstens findet sie keine Stütze im Wortlaut des Artikels 69 Absatz 4, der für ein Wiederaufleben des Leistungsanspruchs in Belgien nur verlangt, daß der Arbeitslose, der dorthin zurückkehrt, dort während drei Monaten erneut eine Beschäftigung ausübt, und der daher das Wiederaufleben und nicht den Erwerb des Leistungsanspruchs betrifft.

13 Zweitens würde die Auslegung des ONEM die Mobilität der Arbeitsuchenden, die Artikel 69 der Verordnung Nr. 1408/71 gerade fördern will, im Ergebnis dadurch lähmen, daß die Aufrechterhaltung der Leistungen bei Arbeitslosigkeit für den Arbeitnehmer, der von der ihm durch Artikel 69 Absatz 1 eingeräumten Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, schwieriger wäre als für Arbeitnehmer in Belgien generell.

14 Artikel 69 Absatz 4 kann nicht ungeachtet der Besonderheiten der belgischen Rechtsvorschriften ausgelegt werden.

15 Gemäß Artikel 123 § 1 Absatz 1 Nr. 1 der Königlichen Verordnung vom 20. Dezember 1963 ( in der durch Artikel 2 Nr. 1 der Königlichen Verordnung vom 12. April 1983 geänderten Fassung ) behält der arbeitslos gewordene Arbeitnehmer den Anspruch auf Arbeitslosenunterstützung, wenn seine Unterstützung nur für einen Zeitraum unterbrochen wurde, der im allgemeinen drei Jahre nicht übersteigt.

16 Als Ausgleich für diese Aufrechterhaltung der Leistungsansprüche der Arbeitslosen über einen recht langen Zeitraum, während dessen sie der belgischen Arbeitsverwaltung nicht zur Verfügung stehen müssen, verlangt Artikel 69 Absatz 4 für eine weitere Leistungsberechtigung nach ihrer Rückkehr nach Belgien, daß diese erneut während mindestens drei Monaten eine Beschäftigung ausüben.

17 Nach Artikel 69 Absatz 4 der Verordnung Nr. 1408/71 erlangt somit ein Arbeitsloser, dessen zuständiger Staat im Sinne dieses Artikels Belgien ist, der sich nach den Bestimmungen dieses Artikels in einen anderen Mitgliedstaat begibt, um dort eine Beschäftigung zu suchen, und der erst nach Ablauf des in Artikel 69 Absatz 1 Buchstabe c festgelegten Zeitraums von drei Monaten nach Belgien zurückkehrt, den Anspruch auf Leistungen nach dem belgischen System der Leistungen bei Arbeitslosigkeit unter der alleinigen Bedingung wieder, daß er nach den belgischen Rechtsvorschriften weiterhin leistungsberechtigt geblieben ist und seit seiner Rückkehr nach Belgien mindestens drei Monate eine Beschäftigung ausgeuebt hat.

Kostenentscheidung:

Kosten

18 Die Auslagen der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die Erklärungen vor dem Gerichtshof abgegeben hat, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem nationalen Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF ( Erste Kammer )

auf die ihm von der Cour du travail Lüttich mit Urteil vom 28. April 1989 vorgelegte Frage für Recht erkannt :

Nach Artikel 69 Absatz 4 der Verordnung ( EWG ) Nr. 1408/71 vom 14. Juni 1971 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu - und abwandern, in der Fassung der Verordnung ( EWG ) Nr. 2001/83 vom 2. Juni 1983 erlangt ein Arbeitsloser, dessen zuständiger Staat im Sinne dieses Artikels Belgien ist, der sich nach den Bestimmungen dieses Artikels in einen anderen Mitgliedstaat begibt, um dort eine Beschäftigung zu suchen, und der erst nach Ablauf des in Artikel 69 Absatz 1 Buchstabe c festgelegten Zeitraums von drei Monaten nach Belgien zurückkehrt, den Anspruch auf Leistungen nach dem belgischen System der Leistungen bei Arbeitslosigkeit unter der alleinigen Bedingung wieder, daß er nach den belgischen Rechtsvorschriften weiterhin leistungsberechtigt geblieben ist und seit seiner Rückkehr nach Belgien mindestens drei Monate eine Beschäftigung ausgeuebt hat.

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